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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 237f.

Friedrich v. Raumer an Luise v. Raumer, März 1811

März 1811.
Nicht mehr schrecket im Walde, den Wandrer das Krachen der Bäume
Wenn der Frost sie zerreißt, nicht mehr knirschet der Schnee.
Denn die Strahlen der Sonne mit allbelebender Wärme
Brechen des Winters Gewalt, lösen das festeste Eis.
Daß neugeboren die Welt dahineilt im festlichen Tanze
Und das bewegliche Schiff, folgt der geöffneten Bahn.
Von den Bäumen hinab des Reifes Edelgesteine
Sinken in Tropfen gelöst, steigen zum Stamm dann hinan,
Dringen in jeglichen Zweig, daß zahllos Knospen erscheinen
Leise begrüßend die Welt, ob sie vom Schlaf schon erwacht. –
Lauter verkünden schon Vögel, was mir mein Busen erkläret,
Auge öffne ich und Ohr, lerne Geheimniß verstehn;
Nicht in Stuben, in Büchern, ertrage ich länger das Leben,
Alles drängt mich hinaus in die verjüngte Natur. <238:>
Hab’ ich mit gläubigem Sinne an ihr mich nun auch gesättigt,
Bleibt ein Sehnen zurück, strafet mich scheinbaren Fehls. –
Also hätt’ ich gesündigt, daß einsam das Frühjahr mich findet;
Zeigt nicht der Drang des Gemüths, Einsicht und Wünsche zugleich?
Wenn du dem sterbenden Baum aus reicher Krone die Zweige
Brichst mit eiserner Hand, wegwirfst, wodurch er gelebt;
Wenn du beschränkst ihm den Raum, der Sonne Licht ihm entziehest,
Wie magst du ferner vertraun, daß er sich jemals erneu’?
Wagt ja ein Zweig sich hervor und drängt, die Regel verhöhnend,
Hin, wo Licht seiner winkt, Wärme ihn schmeichelnd ergreift,
Weiset der Gärtner ihn ab und kappt ihm eilig die Knospen,
Daß der Wuchs ja so bleib’, wie es das Schema gebeut;
Wahrlich, über dem Schema da werd’ ich endlich zum Schemen!
Bin nicht der Tugend Held, bin nicht Anbeter der Lust,
Sondern im leidigen Mittel: – und statt des lebendigsten Lebens,
Wie es die Gegenwart heischt, regt nur Vergangenheit an.
Darum bringet ihr Bäche, ihr Bäume, Blumen, ihr Vögel,
Dem Empfänglichen gern, was er zum Frühjahr bedarf;
Und ihr berathenden Menschen helft lieber ein Tüchtiges vorwärts
Als mit Tantalus’ Qual stets in die Kreuz und die Quer.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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