Mathilde
Quednow, Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generals der Infanterie von Hüser.
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. W. Maurenbrecher (Berlin: Reimer 1877), 69-74
Kleist als Gesinnungsgenosse antinapoleonischer Rebellen, 1808/1809
Glücklicherweise sollte auch die heiße und sich immer steigernde Sehnsucht nach
Berufsthätigkeit nicht ganz ungestillt bleiben, wiewohl die eigenthümliche Art und Weise
derselben manches Peinliche und Schwierige mit sich brachte. Im November 1807 ward vom
Könige eine Untersuchungscommission eingesetzt, um das Verhalten der zu den aufgelösten
Regimentern gehörigen Offiziere während der kritischen Ereignisse des Jahres 1806 zu
prüfen. Für jedes der betreffenden Regimenter wurde ein sogenanntes Reinigungstribunal
errichtet, aus einem präsidirenden und einem zweiten Stabsoffizier, einem Capitain und
zwei Lieutenants bestehend. Dieselben mußten ihr eignes Benehmen sowohl, wie das ihnen
bekannt gewordene ihrer Untergebenen und Kameraden auf Ehre und Gewissen so treu als
möglich darstellen und empfingen, <70:> wenn dasselbe für vorwurfsfrei erachtet
wurde, durch den Obersten von Lützow, der als Militärcommissarius in dem von den
Franzosen noch besetzten Berlin fungirte, eine gedruckte Bescheinigung tadellosen
Verhaltens. Trugen diese Untersuchungen auch, wie sich voraussehen ließ, nur geringe
Resultate ein, so dienten sie doch einerseits zur Beruhigung der Nation, welche daraus die
Zuversicht schöpfte, daß Verrath und Feigheit, wo sie sich fänden, nicht straflos
bleiben sollten, andererseits geboten sie den gehässigen Anfeindungen civilistischer
Kreise Schweigen und gestatteten dem öffentlich gerechtfertigten Offizier, sein
schuldloses Haupt wieder vor seinen Mitbürgern zu erheben. Für das Regiment von Arnim
war Hüser einer der Beisitzer des Tribunals und zwar derjenige, dem man, anläßlich
seiner einstigen Adjutantenstellung, die Hauptlast der schriftlichen Geschäfte zuschob.
Es galt nun, die in der weiten Welt zerstreuten Regimentskameraden brieflich aufzusuchen,
die anlangenden Eingaben zu vergleichen und zu ordnen, in mehreren Fällen aber auf Bitte
der Betreffenden ihren Angaben nach die Rechtfertigungsschrift selbst auszuarbeiten. Auch
über die eignen Erlebnisse und Handlungen mußte berichtet werden, so daß noch der ganze
Sommer 1808 unter mühsamer Arbeit verging. Erst der Schluß des Jahres brachte für den
so Beschäftigten persönlich das Endresultat dieser Angelegenheit, indem er das Zeugniß
vorwurfsfreien Dienstbenehmens erhielt. Leider indessen erfüllte sich die an dasselbe
geknüpfte Hoffnung der Wiederanstellung nicht; auf mehrfache Gesuche, welche der Oberst
von Hüser in Betreff seiner Söhne an den König richtete, erfolgten abschlägige
Bescheide.
Nach einer anderen Seite dagegen schlossen sich an diese Thätigkeit
im Reinigungstribunal wichtige, unberechenbare Folgen für des jungen Mannes Zukunft. Ich kam, erzählen die Denkwürdigkeiten, durch diese
Geschäfte in mehrfache Berührung mit dem Lieutenant von Lützow, der bei seinem Vater,
dem Obersten, Adjutantendienste versah. Bei einem Gespräch mit ihm und einigen
<71:> Andern über den Jammer unseres Vaterlandes, äußerte ich meine Entrüstung
darüber, daß Niemand sich fände, der auf eigne Hand an die Spitze einer Erhebung treten
und Gleichgesinnte um sich sammeln wolle, denen es vielleicht gelingen könne, den Feind
aus dem Lande zu jagen. Lützow sah mich einen Augenblick ernsthaft an, nahm mich dann bei
der Hand und führte mich in eine entfernte Fensternische, wo er mir sagte, daß es
allerdings Männer meiner Gesinnung gebe, daß man jedoch die äußerste Vorsicht
gebrauchen müsse, weil man nicht sich allein, sondern König und Staat in Gefahr bringen
könne. Näheres dürfe er mir noch nicht mittheilen, doch solle ich mir überlegen, wie
ich eintretenden Falls Menschen, Waffen und Kriegsmaterial beschaffen könne. Auch
überlasse er es mir, auf meine Gefahr, wo ich gleiche Gesinnung vermuthe, ähnliche
Andeutungen zu machen, nie aber den Lützowschen Namen zu nennen, oder überhaupt
eine der geworbenen Personen mit der anderen bekannt zu machen. Ich bemühte mich nach
dieser Unterredung, der manche spätere folgte, mir Kenntniß von dem Aufenthalte und den
Verhältnissen ehemaliger Unteroffiziere und Soldaten meines aufgelösten Regiments zu
verschaffen, und indem ich ihnen kleine Unterstützungen zufließen ließ, erhielt ich sie
mit mir in Verbindung. Auch einigen Offizieren verschiedener Regimenter der ehemaligen
Berliner Garnison, die sich zum Theil in sehr drückender Lage befanden, durfte ich
Vertrauen schenken, und nachdem ich ihnen bei Lützow die Auszahlung ihres Gehalts
vermittelt hatte, zeigten sie sich mir und meinen Absichten völlig geneigt. Aus derselben
Quelle ward ein Feldwebel besoldet, der überall mit entlassenen Soldaten in Verkehr
treten und vorsichtig die Idee verbreiten mußte, daß einmal plötzlich losgeschlagen
werden könne. Auch meines Vaters alter, zuverlässiger Bedienter ward benutzt, um die
Stimmung der niedern Bürgerklasse in Wirthshäusern und Handwerksherbergen zu erforschen,
sowie auch die vorhandenen Waffenvorräthe. Unter der gebildeten Jugend sondirte ich eben-
<72:> falls und kam dadurch mit einem der ausgezeichnetsten Menschen in Berührung,
die ich je kennen gelernt habe, mit dem damals als Lehrer in einem wissenschaftlichen
Institut wirkenden Friesen. Mit eben so viel Feuer als besonnener Kraft ergriff er die
Idee, für die er von da an redlich gewirkt und später, beim Lützowschen Corps
stehend, sein Leben gelassen hat. Wohl war er es werth, von Arndt besungen zu werden!
Auch der Gedanke, möglichen Falls einen Handstreich auf Magdeburg zu wagen, wurde
von Lützow zur Sprache gebracht, und da es vor allem darauf ankam, die genaueste
Kenntniß der schwachen wie der starken Seiten der Festung zu erlangen, so wurde mein
früherer Aufenthalt bei meinem Onkel mir nun sehr nützlich. Wo ich aber selbst nicht
Bescheid wußte, konnte ich mir Auskunft bei ihm erholen, denn nach dem Falle Magdeburgs
war Onkel Eberhard nach Berlin gezogen. Auch verschiedene kleine Reisen wurden
erforderlich, sowohl um Personen zu sprechen, als auch um in unbedeutenden, wenig
beaufsichtigten Orten Briefe zur Post zu geben, die man in Berlin, wo die Post unter
französischer Controle stand, ihr nicht anzuvertrauen wagte. So bin ich zum Beispiel
mehrmals bis Baruth geritten, um dort an den als Dichter bekannten Heinrich von Kleist,
der unser Gesinnungsgenosse war und in Dresden lebte, Briefe auf die Post zu bringen.
Ein besonders wichtiger Gegenstand war das Sammeln und
Unterbringen von Waffen. Ohne Aufsehn und nach und nach wurden eine Menge Gewehre,
vorzüglich neupreußische, die an verschiedenen Orten verborgen waren, angekauft, ebenso
Pistolen und Cavallerie-Seitengewehre, welche alle, in Kisten verpackt, bei finsterer
Nacht auf den großen Boden in meines Vaters Hause geschafft wurden, so daß endlich
mehrere Hunderte von meist guten und brauchbaren Waffen sich in meinem Gewahrsam befanden.
Natürlich ging dabei eine Menge Geld durch meine Hände, auch das Gehalt mehrerer
Offiziere, Feldwebel und Unteroffiziere, doch möchte <73:> ich hierbei bemerken,
daß ich für mich selbst nie das Geringste erhalten oder auch erbeten habe. Freilich
hätte ich etwas Geld sehr gut gebrauchen können, da meine Eltern außer dem freien Leben
im Hause mir und meinem Bruder jetzt nur sehr wenig geben konnten und wir uns aufs
Aeußerste einschränken mußten. Doch ging es vielen unserer Kameraden ja noch viel
schlimmer in dieser traurigen Zeit.
Durch Lützow und unsere gemeinsamen Bestrebungen kam ich jetzt
mit dem Lieutenant von Röder vom ehemaligen Regiment Möllendorff (1813 als Major und
Adjutant des Generals von Kleist bei Culm geblieben) und durch ihn mit seinem Bruder und
einem Kreise seltener Männer in näheren Verkehr, dem ich unendlich viel verdanke. Welch
ein neues Licht ging mir in ihrer Mitte auf und mit ihm welch neues Streben! Als die
für mich Bedeutendsten nenne ich hier den Capitain von Bardeleben vom aufgelösten
Regiment Herzog von Braunschweig-Oels, den Kammergerichtsrath Eichhorn\1\, der in späterer Zeit mein Schwager werden sollte, den Buchhändler
Reimer, den Major von Grolmann. Durch Reimer wurden in der Folge auch Schleiermacher und
Ernst Moritz Arndt, der sich zeitweise in Berlin aufhielt, diesem Kreise zugeführt, noch
etwas später schlossen sich ihm der Major Graf Chazot und der damalige Oberst von
Gneisenau an. Welche Männer! Wie glücklich fühlte ich mich, obwohl ich an Alter und
Stellung gegen die meisten von ihnen zurückstand, dennoch in das
Freundschaftsverhältniß aufgenommen zu werden, das uns alle in gleicher Gesinnung,
gleichem Streben verband. Auch mit Jahn wurde ich damals bekannt, ohne an seinem
leidenschaftlichen, rohen Wesen viel Geschmack zu finden. Doch war für jene Zeit seine
Wirksamkeit eine bedeutende und seine Tüchtigkeit anerkennenswerth. Schade um seine
Gaben, daß er nicht größere Besonnenheit und Klarheit des Verstandes und mehr
allgemeine Bildung besaß. <74:>
Um mit Stein und Scharnhorst in Verbindung zu bleiben und ihnen
die Fortschritte unsrer Wirksamkeit mitzutheilen, ward der ältere Röder mehrere Male
nach Königsberg gesendet, von wo aus man sich ganz zufrieden mit unsern Bestrebungen
erklärte. Bei dieser Gelegenheit will ich übrigens erwähnen, daß wir mit dem
sogenannten Tugendbunde durchaus nichts zu thun hatten, wiewohl wir von seiner Existenz
wußten, und daß unsere Verbindung überhaupt in keiner Weise ein organisirter Bund zu
nennen war. Freilich behielten wir Alle die Augen offen und suchten zu nützen, wo es
möglich war. So wurde auch, als die Arrestation des Geheimsekretair Koppe mit dem Briefe
Steins an den Fürsten Wittgenstein uns schneller als Andern bekannt ward, Einer von uns,
mein Vetter Ernst Stosch\1\, sogleich zu
Wittgenstein gesendet, um ihn zu warnen, hätte aber zum Lohn fast durch den Fürsten die
Behandlung Mortimers durch Leicester in Schillers Maria Stuart erfahren.
\1\ Der nachherige Cultusminister.
\1\ Aelterer Bruder des späteren Geh. Raths und
Leibarztes der Königin Elisabeth, Dr. von Stosch, und im Feldzuge 1813
geblieben. Hüser nannte die Glieder dieser Familie Vettern, obgleich sie eigentlich nur
die Vettern seiner Verwandten Michaelis waren.
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