Julius
Petersen, Varnhagen v. Ense über Kleist. Mitteilungen aus seinem Briefwechsel
mit Eduard v. Bülow, in: JbKG (1923/24), 135-141; darin: 137-139
Karl August Varnhagen v. Ense an Eduard v. Bülow, Berlin,
20. 2. 1847
Ew. Hochwohlgeboren
- freundliches Schreiben hat mich sehr erfreut, und sage ich Ihnen
für Ihr gütiges Zutrauen meinen aufrichtigen Dank. Wäre ich nur im Stande, Ihren
geäußerten Wünschen besser zu entsprechen! Leider sind es nur wenige Angaben, die ich
darbringen kann.
Als ich Ihren Aufsatz in den
Monatsblättern las, wollte ich mir durch Randbemerkungen einiges Unbestimmte näher
feststellen, einige Lücken ausfüllen; aber ich fand bald meine Hülfsmittel zu gering,
meine Erinnerung zu schwankend. Ich war zwar mit Kleist innig befreundet, aber unser
Zusammensein von kurzer Dauer, und seine Lebensumstände habe ich nicht durch ihn selbst,
sondern nach seinem Tode durch seine Freunde Adam Müller, Rühle von Lilienstern und
Pfuel erfahren. Der erstere ist todt, und nicht bei ihm allein beklag ich, die
früheren Gelegenheiten persönlicher Mittheilung nicht besser benutzt zu haben. Mit
Rühle stehen Sie in Verbindung, und sind gewiß schon im Besitze der Berichtigungen
<138:> und Zusätze, die er zu geben vermag; daß ein großer Theil seiner Papiere,
und darunter vieles Kleistische, ihm zu Grunde gegangen, wissen Sie auch. Wenn Pfuel Ihnen
schreibt, daß er nichts für Ihren Zweck habe, so ist das gewiß richtig; sogar mündlich
ihm jetzt etwas abzufragen, möchte schwierig sein. Was noch von Kleists
Handschriften und Briefen irgendwo bewahrt liegen mag, wird gewiß nicht an den Tag zu
bringen sein, da hinsichtlich solcher Mittheilungen eine scheue Stimmung herrscht, und die
Personen, auf welche hierbei die nächste Vermuthung zu richten wäre, gar nicht
zugänglich sind. In Rahels Nachlaß fand ich nur ein paar Blättchen, die der Zufall
erhalten hat, das eine steht im Bd I S. 577 gedruckt [Minde-Pouets Brief-Ausgabe
S. 432], und ist wohl aufbewahrenswerth. Aus meinem Verkehr mit Kleist ist nur ein
Stammbuchblatt und ein Billet übrig, jenes steht in meinen Denkwürdigkeiten, und ist vom
11. August 1804 [Minde-Pouets Brief-Ausgabe S. 442], wodurch ein festes Datum
für den damaligen Aufenthalt in Berlin gegeben ist, der in Ihrem Aufsatze gar nicht
erwähnt ist. Ich reiste bald darauf nach Hamburg, und verlor Kleist aus dem Gesichte.
Erst im Herbst 1808 fand ich ihn zu Dresden wieder, damals mit Adam Müller verbündet zur
Herausgabe des Phöbus.
Daß Ihnen Ihr Aufsatz nur
als ein vorläufiger gilt und er zum Buch erweitert wiedererscheinen soll, freut mich
ungemein. Beleben Sie ihn zuvörderst durch Nennung aller Namen, die ja ohnehin alle nur
in ehrenhafter Weise vorkommen werden; das Zurückhalten oder Verstecken unter
Anfangsbuchstaben ist ungemein mißbehaglich für den Leser. Sodann geben Sie mehr Bild
und Gestalt der Nebenpersonen. Ich begreife, daß über die noch Lebenden nicht gut
gesprochen werden kann, aber von Adam Müller sollte ausführlicher geredet werden, vom
Grafen zur Lippe wenigstens das gesagt werden, was ich über ihn mitgetheilt, auch darf
Brockes nicht mehr ein gewisser heißen; dieser Hr von
Brockes zuweilen schrieb er sich auch der Aussprache gemäß Brokes war
nicht nur ein inniger Freund Kleists, sondern in vielen deutschen Lebenskreisen eine
bedeutende und vertraute Erscheinung, ein edler gebildeter Mann voll hohen Ernstes der
Seele und von großer Zartheit des Gemüthes, in seiner Anspruchslosigkeit und Stille
wirkte er stark auf seine Freunde, und Männer wie Frauen hingen mit Leidenschaft an ihm.
Sein Namen ist nirgends in der Litteratur oder sonst in der Öffentlichkeit
durchgebrochen, aber er verdient um so mehr festgehalten zu werden, da vielleicht noch
künftige Denkmale seiner vielfach eingreifenden Persönlichkeit an das Licht treten.
Hrn von Peguilhen habe ich
noch im Jahre 1815 gesehen, dann aber nichts mehr von ihm gehört. Er war sehr begeistert
und thateifrig für alles was er verehren zu müssen glaubte.
Adam
Müller hat meines Erachtens nur schlimm auf Kleist eingewirkt, besonders in der letzten
Zeit, wo er ihn von dem Kreise abhielt der ihn hätte retten können von dem
Staatskanzler, mit dem sich Müller in Feindschaft <139:> gestellt
hatte , und ihn dem Kreise zuführte, wo er zu Grunde ging. Denn mir ist es
keinem Zweifel unterworfen, daß die äußere Noth und Hoffnungslosigkeit, in der er sich
befand, ihn am stärksten zum Selbstmord getrieben, und daß er doch ohne Mad. Vogel
diesen nie vollbracht hätte. Mad. Vogel aber war eine alte Liebschaft Müllers, die
er für Mad. Sander aufgegeben hatte, und die, nachdem sein Freund und Nachfolger Franz
Theremin dieselben Wege gegangen war, nun doch wieder mit Müller anknüpfen wollte, der
jedoch lieber Kleist vorschob! Von diesen Dingen darf indeß nicht öffentlich
gesprochen werden, die noch lebende Tochter der Mad. Vogel und die Kinder Theremins
würden von solcher Erwähnung zu sehr verletzt sein.
Ich weiß von dem Arzte der
Mad. Vogel, dem berühmten Joh. Benj. Erhard, daß sie nicht wie man gesagt hatte
an Mutterkrebs litt, wohl aber durch andre Leiden weiblicher Art heimgesucht war,
so daß der Mann sich ihr schon längere Zeit entzogen hatte, und schon aus diesem Grunde
überzeugt war, daß ihr Verhältniß mit Kleist kein sinnliches gewesen. Ich glaube dies
schon deshalb, weil ein sinnliches den Selbstmord unter den vorhandnen Umständen
unmöglich gemacht hätte.
Die beiden anliegenden
Blättchen, die ich mir gelegentlich zurückerbitte, geben Zeugniß, in welche
Überspannung das unerwartete Ereigniß des Doppeltodes den Hrn von Peguilhen versetzt und
wunderbar auch den verwaisten Gatten fortgerissen hatte. Sie sehen daraus auch, daß keine
eigentliche Biographie, sondern nur eine kurze Denkschrift beabsichtigt war, die schon
binnen wenigen Wochen erscheinen sollte.
Dies ist alles, was ich für
den Augenblick mittheilen kann. Ich werde mich aber möglichst umthun nach Mehrerem, und
würde eine wahre Befriedigung empfinden, Ihrem Vorhaben nützlich zu werden.
Ich darf nicht daran denken, selber noch etwas über Kleist zu schreiben, am wenigsten
jetzt, da die Sache schon in guten Händen ist. Mir liegen der Aufgaben nur allzu viele
vor, und ich werde alle Kräfte anstrengen müssen, wenigstens einige meiner Vorsätze
noch auszuführen.
Ihr Urtheil über das
politische Klima von Würtemberg ist mir sehr auffallend. Ich weiß wohl, daß zum rechten
Staatsgedeihen ein großer Umfang gehört, aber ich möchte grade nach den neuesten
Erscheinungen doch am wenigsten behaupten, daß unsres Bodens Früchte reifer und süßer
sind!
Da Sie mir mit meinem alten
Freunde Schwab umgehen, so bitten Sie ihn doch, mir ein Autograph von Hölderlin zu
verschaffen, und auch von beiden Pfizer wünsche ich handschriftliche Blätter. Allen
Freunden dort die besten Grüße! Frln Solmar erwiedert die Ihrigen
freundlichst.
Mit größter Hochachtung
habe ich die Ehre zu verharren
- Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
- Varnhagen von Ense.
Berlin, den 20. Februar 1847.
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