Friedrich
v. Ompteda, Zur deutschen Geschichte in dem Jahrzehnt vor den
Befreiungskriegen, 4 Bde. (Hannover: Helwing, [ab Bd. 2:] Jena: Frommann 1866-69);
darin: ders. (Hrsg.), Politischer Nachlaß des hannoverschen Staats- und
Cabinets-Ministers Ludwig von Ompteda aus den Jahren 1804 bis 1813, Bd. 2,
Abt. 2 u. 3 (Jena 1869), 4-6
Beziehung zwischen Kleist und Ludwig v. Ompteda
Ungefähr um dieselbe Zeit wurde auch ein litterarischer Verkehr mit Heinrich von Kleist
angeknüpft. Seit dem Anfang Oktobers waren die Berliner Abendblätter erschienen, eine
Zeitschrift in der allerbescheidensten Gestalt, sie gab wochentäglich vier
kleine Oktavseiten auf sehr schlechtem Druckpapier der belehrenden Unterhaltung
gewidmet, unter dieser Verhüllung aber auch vaterländische Zwecke verfolgend. Gleich in
den ersten Nummern hatte der einsame Kranke Artikel gefunden, die er, nach Schreibart und
Haltung, für Arbeiten von Adam Müller zu erkennen glaubte. Dies trug dazu bei, da schon
vor Jahresfrist sein Bruder ihm Müller als einen gleichgesinnten Freund genannt hatte,
ihn zu bestimmen, auch seinerseits Beiträge an die Redaktion dieser Abendblätter, deren
politische Tendenz ihm zusagte, zu senden, insbesondere solche, die wegen ihres Tones für
die ernstere Spenersche Zeitung nicht paßten, dagegen durch ihre Kürze dem kleinen
Format jenes Journales angemessener schienen. Sie wurden aufgenommen und deshalb auch
fortgesetzt. Als der Einsender gegen Ende Oktobers erfuhr, daß Kleist der Herausgeber
sei, entwickelte sich mit diesem, in Bezug auf Artikel der verschiedensten Art, eine
lebhaftere Correspondenz. Dann trat auch mündlicher Verkehr hinzu, als der jüngere
Bruder, Ende Novembers von einem mehrmonatlichen Besuch bei den Freunden und Verwandten in
der Oberlausitz zurückkehrend, einige Tage in Berlin verweilte, und nun, da er den
älteren wesentlich fortgeschritten fand, es schon wagen konnte Kleist, den er persönlich
kannte, ihm zuzuführen.
Von den gewechselten Briefen
werden im Folgenden zwei beispielsweise mitgetheilt, der Kleists vom
24. November, gleichfalls ein Wahrzeichen des damaligen Censurzwangs in Berlin, und
die Antwort vom 28., welche das oben Erzählte näher erläutert. Tages darauf hatte die
erste Zusammenkunft statt. Bald nachher eingetretene kleine Mißhelligkeiten über
die Aufnahme oder Nichtaufnahme einzelner Beiträge waren zwar durch die eben so feste als
verbindliche Haltung ihres Verfassers stets ausgeglichen, allein es entstand doch wieder
eine Ge- <5:> reitztheit bei diesem, als er, mistrauisch wie die unglückliche
Krankheit ihn gemacht hatte, den Verdacht schöpfte, Kleist habe absichtlich einige
Anekdoten aus dem Leben Georg III in unwürdige Nachbarschaft gebracht, worüber er dem
Bruder schon gegen Ende des Jahres schreibt: In der Redaction ist Alles geschehen
und ich habe einige Ursache zu glauben, nicht ganz unabsichtlich, um das
Interesse zu neutralisiren. Glücklicher Weise kann die Schönheit und der Werth erhabener
antiker Kunstwerke nicht gefährdet werden, wenn selbst ihre unvollkommenen Gipsabdrücke
aus Unverstand oder Malevolenz unter die erbärmlichen Carricaturpuppen eines
Marionettentheaters gestellt werden. Indessen hielt sich das Verhältniß noch eine
Zeit lang hin, bis in den Januar 1811, wo es denn aber auf eine geziemende Weise sich
stillschweigend auflöste. Als Grund hiefür wird eine immer mehr erkannte Verschiedenheit
der Gesinnungen angegeben. In welchen Beziehungen diese Verschiedenheit eigentlich sich
gezeigt habe, das bleibt der Vermuthung anheim gestellt. Schwerlich in Ansehung der
politischen Hauptfragen. Dagegen würde schon der Kleistsche Brief vom
24. November sprechen, wie denn auch Gervinus für Kleists deutsche Gesinnung
entschieden günstige Zeugniße beibringt. Freilich aber deutet das Ende der beiden
Männer auf ganz entgegengesetzte Grundlagen ihrer Charaktere hin. Denn Kleist gab, noch
vor Ablauf dieses Jahres, in kränkelndem Mismuth sein Leben bei Ausübung eines schwer zu
rechtfertigenden Freundschaftsdienstes hin, wogegen Ompteda, ausdauernd in zum Theil
schweren gemüthlichen Leiden, eben so vorbewußt, vier Jahre später es dem Vaterlande
zum Opfer brachte.
Während seiner wiederholten
Anwesenheiten in Berlin hatte der vormalige hannoversche Gesandte, neben sonstigen
freundschaftlichen Verhältnißen, auch das aus den Jahren 1806 bis 1809 herstammende mit
Adam Müller, der im Sommer 1809 seinen Wohnsitz von Dresden nach Berlin verlegt hatte,
und durch Buol ihm schon angemeldet war, von Neuem gepflegt, so viel Zeit und Umstände
dies zuließen. Eine persönliche Bekanntschaft Müllers mit seinem Bruder scheint
er jedoch nicht veranlaßt zu haben, selbst dann nicht, als dessen Gemüthsstimmung dies
sonst wohl zugelassen hätte, und so warm er ihn diesem früher auch empfohlen hatte. Der Grund hievon kann darin gelegen haben, daß Kleist
versprochenermaßen, selbst gegen einen so vertrauten Mitarbeiter wie Adam Müller es ihm
bei den Abendblättern war, das von dem Obristlieutenant Ompteda für seine Beiträge
geforderte Incognito streng bewahrt hatte, so daß Müller vielleicht selbst nicht ahnte,
<6:> er habe den leicht verletzlichen Bruder eines Freundes getroffen, als er
einigen jener Beiträge, die unter der Überschrift Fragmente eines Zuschauers am
Tage erschienen waren, mit Bemerkungen in den Abendblättern entgegen trat, welche
der dadurch Angegriffene in einem Briefe an Kleist als ohne Verständniß
widersprechend und als streitlustig bezeichnet. Die gedachten Fragmente
hatten sich ironisirend, unter verschiedenen Maskirungen, gegen die Philosophie des Tages
gewendet, und eines derselben hatte mit den Worten geschloßen: Kehrt zu den
einfachen Grundsätzen zurück. Ihr habt sie in den zehn Geboten. Hiegegen hatte
Müller, die gute Absicht im Allgemeinen zwar nicht verkennend, doch nach seiner
eigenthümlichen katholisch-poetischen Anschauungsweise, etwas scharf opponirt, und den
Schlußsatz hinzugefügt: Wer voll Demuth sein Ideal nie aus den Augen verloren,
verweiset seine Brüder nicht auf kalte Grundsätze, sondern ruft ihnen vielmehr liebend
zu: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, so wird Euch das Uebrige von selbst
anheim fallen.
Nachdem der Verfasser der
Fragmente zu der Ansicht gelangt war, daß Adam Müller der Verfasser jener Bemerkungen
sei, legte er eine bereits entworfene schärfere Entgegnung wieder beiseite, und bat nur
Kleist, wenn er in seiner Vermuthung nicht geirrt haben sollte, dem Herrn Hofrath Müller
einige zur Verständigung dienende Gegenbemerkungen, die er beifügte, zuzustellen, weil
es ihm wenig zusagen würde, mit einem Manne, den sein Bruder ihm als Freund genannt, und
dessen dieser abgesehen von seinen Talenten und seiner Gelehrsamkeit auf
ausgezeichnete Art erwähnt habe, die erste Unterredung im Druck und auf diese polemische
Weise zu eröffnen. Jene für Adam Müller bestimmten Erwiderungen deuten nun den
christlichen Standpunkt des Verfassers an, indem ihr Schluß so lautet: »Wenn den zehn
Geboten nicht das Recht auf Citation in gleichem Maaße zustehen soll, wie man es den
Gesetzen der zwölf Tafeln nicht verweigert, so ist der Verfasser der Fragmente gern
bereit, sich dem Verfasser der Bemerkungen, nach s e i n e m Spruche zu nähern, und
seinen Zuruf so zu motiviren: Liebet Euch untereinander! In dem Worte hänget das ganze
Gesetz und die Propheten.
|