Adam Müller, Vorrede
des Herausgebers, in: Heinrich von Kleists Amphitryon, ein Lustspiel nach
Moliere. Herausgegeben von Adam H. Müller (Dresden: Arnold 1807), I-VII
Vorrede zum Amphitryon
Vorrede des Herausgebers
Eine leichte Betrachtung des vorliegenden Lustspiels wird zeigen, daß
die gegenwärtige Abwesenheit des Verfassers von Deutschland und keine andre Veranlassung
den Beystand einer fremden Hand bey der Bekanntmachung des Werkes nöthig machte. Es
bedarf nemlich so wenig einer Em- <II:> pfehlung, daß diesmal, ganz der
gewöhnlichen Ordnung entgegen, der Herausgeber viel mehr durch den Amphitryon, als die
eigenthümliche, auf ihre eigne Hand lebende Dichtung durch den Herausgeber empfohlen
werden kann.
Eigenthümlich
und im edelsten Sinne des Werks original ist diese Bearbeitung des Moliere; denn ob die
Natur unmittelbar, oder das Werk irgend eines vorangegangenen Meisters den Dichter
aufregte, verschlägt wohl nichts: die Poesie gedeiht am herrlichsten, wenn sie nur eine
Hand kennt, die ihr das Werkzeug und das Material darreicht; wenn sie vom Moliere eben so
unbefangen, rein und eigenthümlich zu empfangen weiß, als von der Natur oder der eignen
Phan- <III:> tasie. Die Einbildung irgend einer glücklichen Stunde ist noch nicht
das Gedicht, vielmehr das, was entsteht durch die Berührung, durch das Gespräch und den
Umgang eines solchen Bildes mit dem Kunstgeiste, der in uns lebt, das ist
Poesie. Daher sind die bleibenden Gestalten des herrlichsten Gedichts so wenig
bedeutend für den, der den Rhythmus und die Bewegung, in denen vornemlich sich der
Kunstgeist offenbart, nicht wahrnimmt.
Zu
wissen, wo die Stoffe eines ächten Dichters hergenommen, gewährt einen besondern Genuß,
der nicht auf der Vergleichung des todten Mechanismus beruht, sondern darum erfreut, weil
der poetische Sinn des Lesers durch Betrach- <IV:> tung des Stoffs und des Werks
hingerissen wird, aus beiden etwas eigenthümliches und höheres zu bilden. So ward Kleist
angetrieben, als er aus der Betrachtung des Moliere und seines Stoffs der
alten Mythe vom Amphitryon sein Lustspiel bildete. Möge der Leser, wenn er in
Betrachtung dieses Jupiters und dieser Alkmene sich der Seitenblicke auf den Moliere, oder
den Plautus, oder die alte Fabel selbst, durchaus nicht erwehren kann den
Wörterbüchern, den Kunstlehren, und den Alterthumsforschern, die ihm dabei an die Hand
gehen möchten, nicht zu viel trauen: das alterthümliche Costüm giebt die Antike noch
nicht; ein tüchtiger, strenger metrischer Leisten giebt noch nicht den poetischen
Rhythmus; und das Geheimniß der Classicität liegt nicht in <V:> der bloßen
Vermeidung von Nachlässigkeiten, die leise verletzen, aber nicht ärgern, nicht
verunstalten, oder verdunkeln können das Ursprüngliche und Hohe, das aus dem Werke
herausstrahlt. Mir scheint dieser Amphitryon weder in Antiker noch Moderner Manier
gearbeitet: der Autor verlangt auch keine mechanische Verbindung von beiden, sondern
strebt nach einer gewissen poetischen Gegenwart in der sich das Antike und
Moderne wie sehr sie auch ihr untergeordnet seyn möchten, dereinst wenn
gethan seyn wird, was Göthe entworfen hat dennoch wohlgefallen werden.
Erwägt
man die Bedeutung des deutschen und die Frivolität des Moliereschen Amphitryon, er-
<VI:> wägt man die einzelnen von Kleist hinzugefügten komischen Züge, so muß man
die Gutmüthigkeit bewundern, mit der die komischen Scenen dem Moliere nachgebildet sind:
der deutsche Leser hat von dieser mehrmaligen Rückkehr zu dem französischen Vorbilde den
Gewinn kräftig an das Verhältniß des poetischen Vermögens der beiden Nationen erinnert
zu werden.
Einen
Wunsch kann der Herausgeber nicht unterdrücken, nemlich den, daß im letzten Acte das
thebanische Volk an den Unterschied des göttlichen und irrdischen Amphitryon gemant
werden möchte, wie Alkmene im zweiten Act. Gewollt hat es der Autor, daß die
irrdische Liebe des Volks zu ih- <VII:> rem Führer ebensowohl zu Schanden werde,
als die Liebe der Alkmene zu ihrem Gemahl aber nicht ausgedrückt.
Adam
H. Müller.
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