Georg Minde-Pouet, Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das Akten-Material
(Berlin: Weidmann 1925), 59f.
Henriette Vogel an Friedrich Ludwig Vogel, Berlin, 20. 11. 1811
Mein theurer geliebter Louis! Nicht länger kann ich mehr das Leben
ertragen, denn es legt sich mir mit eisernen Banden an mein Herz nenne es
Krankheit, Schwäche, oder wie du es sonst magst, ich weiß es selbst nicht zu
nennen nur so viel weiß ich zu sagen, daß ich meinem Tode als dem größten
Glück entgegensehe, könnte ich euch doch alle, die ich liebe, mitnehmen, mögtet ihr
doch bald zum ewigen herrlichen Verein folgen, ach! dann bliebe mir ja gar nichts zu
wünschen übrig. Kleist, der mein treuer Gefährte im Tode, wie er im Leben war, sein
will, wird meine Ueberkunft besorgen und sich alsdann selbst erschießen.
Weine oder traure nicht, mein vortrefflicher Vogel, denn ich sterbe einen Tod wie sich
wohl wenige Sterbliche erfreuen können, gestorben zu sein, da ich von der innigsten Liebe
begleitet, die irrdische Glückseligkeit mit der ewigen vertausche.
Der
Himmel möge dich, wie unser liebes Paulinchen gnädiglich behüten und dir, wie dem
herrlichen Kinde tausendfältige Freuden bescheeren. Mit unendlicher Wehmut
würde ich mich von euch beiden losreißen, wenn ich nicht erstlich für dich die höchste
Entschädigung (die du in so großem Maaße verdienst) voraussehen dürfte, und zweitens
wenn ich nicht die feste Ueberzeugung hätte, daß Paulinchen unter der Obhut der guten
lieben Manitius besser als unter der meinigen gedeihen wird. Schicke sie doch
sobald als du irgend kannst oder bringe sie doch selbst baldmöglichst, zu dieser meiner
sehr werten Freundin. Wäre durch die unvorhergesehene Ankunft Hoffmeisters unser
Plan nicht vereitelt, so wären Kleist und ich nach Cottbus gereist, um dort fern
von unseren hiesigen Bekannten, den vorhabenden Schritt zu thun und alsdann hätten wir
einen Boten nach Auras an H
geschickt, um als Freund die
letzten Besorgungen für uns zu übernehmen; da dies nun aber nicht hat sein können, so
verzeih mir die Unwahrheit, die ich dir, bester guter Vogel, in Absicht der Potsdammer
Reise gesagt habe, weil es mir ganz nothwendig schien, daß dir die erste Nachricht von
unserem Tode, durch Freundes Hand käme. Meinen herrlichen alten Vater wirst du gewiß
nicht verlassen und ihm durch deine Freundlichkeit die Stelle seines Kindes ersetzen.
Nun
mein theurer Louis, tausendmal küsse ich dich, meine Pauline und den geliebten Vater noch
zum Abschied, meine guten Wünsche mögen euch alle begleiten und wenn von dorther die
Geister sich in Freiheit durch <60:> die unermessenen Räume schwingen können, so
darf ich dich wohl nicht erst versichern, wie unsere Geister alles Uebel von deiner noch
übrigen Lebensbahn wenden werden. Gott segne Paulinchen, mein liebes theures Kind und
gebe, daß ihr kleines Herz der Milde und Güte sich ganz öffnen möge, damit sie ganz
das Ebenbild ihres liebenswürdigen Vaters werde, auch zweifele ich nun nicht länger an
ihrem Fleiß und Ordnung, denn wirklich ist sie hierin in der letzten Zeit viel mehr als
sonst zu loben gewesen.
Für
alle Liebe und Güte, welche du mir, mein Lieber, in den zwölf Jahren unserer
Verheirathung erwiesen, kann ich dir mit Worten nicht genugsam danken, dagegen bitte ich
dich von ganzem Herzen um Verzeihung, wenn ich dich irgend worin gekränkt habe, dort wo
wir uns alle fehlerfrei wiederfinden werden, dort wird alles ausgeglichen
werden. Wenn es irgend möglich ist, erspare ja dem Vater und Paulinchen, bei
der es vorzüglich leicht zu machen ist, den Schreck.
Alle
Freunde grüße herzlich von mir und sage, daß ich mich eines jeden einzelnen mit großer
Rührung erinnert hätte. Eberhardi, Peguilhens, Weiss, Perlitz diesen letzteren
laß ich noch insbesondere für seine Chevalerie danken, womit er, da wir dies
Jahr einmal 13 Personen zu Tisch saßen, mich retten wollte, indem ich die letzte war,
welche sich setzte. Ternite wünsche ich viel Fleiß und
Ausdauer und nachher die gewünschteste Belohnung, auch diesem wird vielleicht nun wieder
sein Traum einfallen, den er vorigen Winter hatte.
Die
Großmuth meines Freundes, womit er alles und sogar sein eigenes Leben für
mich aufopfert, was aber noch weit mehr, als alles dies sagen will, die Zusicherung,
mich selbst, nach meinem Wunsch zu tödten, die derselbe mir gegeben, macht, daß
ich nichts sehnlicher wünsche, als daß er nun auch im Tode nicht von mir getrennt
werde. Du mein werther Louis wirst mir diese meine letzte Bitte gewiß nicht
abschlagen, und die Gefühle der heiligsten Liebe ehren. A.
Vogel
den 20. Novbr. 1811.
Unmöglich kann ich meinem lieben lieben Vater schreiben, sag ihm das
Zärtlichste und Beste in meinem Namen. Leb wohl nochmals.
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