Georg
Minde-Pouet, Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das
Akten-Material (Berlin: Weidmann 1925), 51-53
Ärztlicher Untersuchungsbericht Henriette Vogel, Berlin, 11. 12. 1811
Berlin d. 11. Decbr. 1811.
Visum repertum
Der Denatae verehl. Vogeln gebor. Adolphine Keber
als Fortsetzung des erstern.
In dem vorigen Viso reperto habe ich bereits angeführt, daß wir auf demselben
Hügel in derselben kleinen Vertiefung die vorher recognoscirte Denata verehl. Vogel
gebohrne Keber erschossen vorgefunden haben; ihr Alter wurde
auf 34 Jahre angegeben, das Gesicht war von Pockennarben marquirt. Sie hatte blaue Augen,
bräunliches Haar, eine blendene weisse Haut, starcke Brüste, ausser denen bereits im
ersten Bericht angegebene Kleidungsstücke, feine baumwollene Strümpfe, feines Hemde,
schwarze Corduane Schuhe mit schwarzen Bande, um den Fuß gebunden, und blau
seidene Strumpfbänder angethan, ihr Körper war proportionirlich groß und
stark, auch war sie mit Unterbein Kleider versehn; Noch im angekleideten Zustand der Denatae
fanden wir unter der lincken Brust ein mit Schieß Pulver gebrantes rundes Loch, der
hineingebrachte Finger des Physicus drang bis in der Brusthöhle, die ganze
lincke Seite der Denatae war mit Blut besprüzt, und ausser dieser genannten
Verwundung fanden wir am ganzen Körper weder Wunden noch Contusionen, nur waren
um den Rücken und Lenden herum, die gewöhnlichen Todtenflecke sichtbar; da man nun aus
der runden Öfnung unter der lincken Brust zwischen der 4ten u. 5t Ribbe
deren Circumferenz vom Schieß Pulver ganz schwarz war, sich von einer
Schußwunde ganz überzeugt hatte, so wurde diese Wunde nach der schrägen Richtung dilatirt,
es drang viel coagulirtes Bluth heraus, von den Schuß selbst ist nichts in der
Wunde gefunden worden, zu bemerken ist hierbey, daß die Kugel bey ihrem Durchgange durch
den Intercostal Muscel keine Ribbe verlezet hatte. Bey der Eröfnung der Brust,
sahen wir deutlich wie der margo inferior der lincken Lunge gleichsam abgerissen
war, von da aus <52:> war die Kugel durch den Ventriculum sinistrum cordis
gegangen, und hatte ihren Ausgang unter der lincken Scapula wieder ohne alle
Rippen Verlezung genommen, obgleich aus der Mündung der bei den denatis
vorgefundene lange Pistole auf einer ziemlich grossen Kugel geschlossen werden konnte; in
diesem zerschossenen Ventriculo cordis, war die Oefnung so groß, daß man 2
Finger hineinbringen konnte, die Trabecula cordis war da, wo der Durchgang des
Schusses geschehen, ganz zerrissen, und in demselben lagen ganze Stücke coagulirtes
Bluth, auch hatte die auricula cordis sinistra einen kleinen Riß bekommen. Der Ventriculus
dexter hingegen, wie auch der pulmo dexter und die auricula dexter,
imgleichen die Vasa coronaria cordis, so wie auch das Diaphragma waren
ganz im Normal Zustande; Es wurde hiernächst der Unterleib geöfnet, wir sahen die beiden
Omenta die Leber nebst Gallenblase die Milz den ganzen Tractum intestinum,
den Magen, das Pancreas alles im natürlichsten ganzen gesunden Zustande. Der
Magen der Denatae, war ganz zusammen gefallen, beim aufschneiden desselben fanden
wir nichts, von harten Speisen, sondern nur 5 bis 6 Löffel eines ganz flüssigen Breies,
ganz ohne Geruch, die inwendige Flächen des Magens waren nicht entzündet, auch die
zottige Haut desselben, war im Normal Zustande. Der Uterus aber war in
seiner ganzen Substanz so verhärtet, daß er gleichsam verknorpelt zu seyn
schien, die Muttermund stand offen, der Cervix war kaum noch zu sehen, so viel
war von der ausfliessenden Jauche zerstöhret worden, nur durch den stärksten Druck eines
sehr scharfen Scalpels ließ sich derselbe der Länge nach aufschneiden. Hier
fanden wir auch die inwendige Substanz ganz verhärtet, nur ex fundo
floß beim Druck eine eiterartige Feuchtigkeit aus demselben. Die Muttertrompete, die
Eierstöcke, die ganz leere Urinblase, die Nieren mit ihren Urether, auch die
äussern Geburtstheile, waren ganz im Normal Zustande.
Wegen der, am denato
v. Kleist zerbrochenen Kopf-Säge, konnten wir das Cavum Cranii
hier nicht besichtigen, auch war es nicht durchaus nothwendig, da Causa mortis
hinlänglich ausgemittelt worden, eine fehlerhafte Organisation im Gehirn ließ
sich darum nicht supponiren, weil Denata überall viel Geistes Cultur
verrieth.
Es constiret demnach
aus diesem Viso reperto, daß denata Vogeln an <53:> einem
unheilbaren Mutter Krebs gelitten, und aus Furcht für einem langsam sehr schweren Tod,
sich diesen leichten Tod gewählt hat.
Wir bestätigen dies, durch unsere Nahmens Unterschrift und dem Kreis Siegel.
Dr.
Sternemann
Kreis Physicus |
<Siegel:>
L. S. |
Greif
Chirurgus forensis |
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