Georg Minde-Pouet, Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das Akten-Material
(Berlin: Weidmann 1925), 46-50
Ärztlicher Untersuchungsbericht Heinrich v. Kleist, Berlin,
11. 12. 1811
Visum repertum No: 1.
betreffend, den denatus von Kleist.
Es war am 22ten November c: a: als der Herr Post-Fiskal und
Gerichtshalter zu Heinersdorff des Morgens um 9 Uhr mir anzeigte, daß Tages
vorher, als den 21ten Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr ein Herr von Kleist und eines
Rendanten Ehefrau beide aus Berlin auf dem Wege bey Potsdam ohnweit dem Coffetier
Stimming erschossen gefunden worden. Da nun eine schleunige legale Obduction
und Besichtigung dieser beiden entleibten Persohnen nöthig war, so verfügte ich mich
noch am 22ten Novbr: Mittags um halb zwey mit
gedachtem Herrn Postfiscal
Felgentreu, dem Chirurgo forensi Herrn Greif und dem Stadtgerichts Referendarius
Herrn Mevius nach der angezeigten Stelle hin, wo die beiden entleibten Körper
seit gestern Nachmittag unter nöthiger Bewachung lagen, es war ohngefähr
100. Schritt von dem Chaussée zur linken Hand auf einen kleinen, an der
sogenannte Wansée liegenden Hügel, wo wir beide Leichen in einer kleinen Grube
von 1 Fuß tiefe und 3 Fuß im Durchmesser, Fuß zwischen Fuß sitzend ihren
Oberkörper jedoch rückwärts übergelegt antrafen.
Wir
sahen beide nicht mehr in der ursprünglichen Lage, in welcher Sie nach dem Schuß
gefallen waren, die Wächter hatten aus Besorgniß daß die Leichen in der krummen Lage
nach vorne und seitswärts nicht in Särge gelegt werden könnten, daher sie diese auf die
Rücken legten, die Pistolen, davon die eine noch geladen gewesen sein soll, fanden wir
auch nicht mehr bei die Leichname, es hatte solche der Kriegesrath Peguilhen als Executor
Testamenti der beiden getödteten nach sich genommen.
Denatus war mit einem braun
tuchenen Ueberrock, weissen batist musselinen Weste, weißen Halstuch grau tuchenen Hosen,
und runden schlaff-Stiefeln bekleidet, um den Mund herum war das Gesicht blutig, und der
Mund fest verschlossen.
Die
Frauensperson aber in einem weissen batist Kleide, blau tuchenen feinen
Ueberrock, neue
weisse Glacée Handschuh bekleidet. Unter der linken Brust auf dem weissen
Kleide, sahen wir ein kleines mit Pulver eingebranntes Loch, in welchem ich der Physicus,
den Zeigefinger bis in der <47:> Brusthöhle ohne Widerstand bringen konnte, sonst
waren keine Spuren einer äussern Gewalt an beiden Leichname wahrzunehmen.
Beide
getödtete Körper wurden nun behutsam nach einem kleinen zerfallenen Bauerhause den
Gastwirth Stimming zugehörig grade über den Gasthof hingebracht, um die Obductionen
und Besichtigung nach vorhergegangener recognition vorzunehmen.
Diese Obduction
begann nun mit der männlichen Leiche, welche man zuerst gebracht hatte, des Nachmittags
um 5 Uhr bei einigen kleinen Lichtern in der Kammer des genannten Hauses. Denatus
wurde sogleich ganz entkleidet, und zuvor genau besichtigt, wobey sich folgendes ergab.
ad: A.
Das Gesicht
desselben war, wie wir schon oben angezeiget haben, um den Mund herum nicht nur mit Blut
befleckt, sondern es floß auch bei einige Bewegung des Kopfes Blut aus dem Munde.
ad: B. Der Mund war fest geschlossen, beide Reihen guter Zähne waren unverletzt, auch
die Zunge, nur mit der größten Gewalt eines eisernen Hebels konnte die Kinnbacke von
einander gebracht werden, um den Schlund untersuchen zu können, in welchen wir nichts vom
Schusse weiter gewahr wurden, aber am hintersten Theile des Veli palatini hinter
der Uvula, konnte man mit dem Finger eine kleine Knochen Rauhigkeit und
Vertiefung fühlen, in welchen (wie wir nachher ausführlicher anzeigen wollen) das
¾ Loth schwere stückchen Bley eingedrungen ist.
C. Denatus hatte schwarzes
Haar, blaue Augen, und eine Grösse von 6 Zoll, nach unser Dafürhalten 40 Jahr alt,
am ganzen Körper war nicht die geringste Verletzung wahrzunehmen, auf den Rücken und
Lenden fanden wir häufige braunrothe Flecke, welche am stärksten bey Erstikten und am
Schlage verstorbenen bemerket werden. Nach dieser genauen vorangegangenen Besichtigung
eröfneten wir
ad: I, Die Brusthöhle, sie war geräumig, daß die
Lunge sich ganz ungehindert darin ausdehnen konte, wir sahen
ad, a, die pleura im gesunden Zustande
ad, b, der rechte Lungenflügel war gewaltsam vom Bluth ausgedehnt, ja wir fanden auf
der Oberfläche desselben würklich extravasirtes Bluth, auch floß beim
Zerschneiden nicht nur viel Blut heraus, sondern auch die darin eingesperte Luft ging mit
Geräusch aus derselben, der linke Lungenflügel hin- <48:> gegen war fast von
natürlicher Größe, nur etwas am unterm Rande entzündet. Beide Lungen lagen in der
geräumigen Brust ganz frey, und bedeckten fast ganz das Herz mit seinem Pericardio.
ad, c, Das Herz von natürlicher Größe, hatte die gewöhnliche Lage, und im
Herzbeutel war auch die gehörige quantitaet Liquor Pericardii.
ad: d, Die Auricula cordis dextra war von Blut aufgetrieben.
ad: e, Im Ventriculo detro cordis fand sich coagulirtes Blut,
der linke hingegen war leer.
ad: f. Die Vasa coronaria cordis, und das Diaphragma waren im Normal
Zustande.
ad: II, Bey Eröffnung der Bauchhöhle, sahen wir das Peritonaeum die beiden Omenta
des Pancreas den ganzen Tractum intestinorum die Milz und die Nieren im Normalzustande.
Die Leber war widernatürlich groß, der Lobus minor ging über den Magen
herüber, die Substanz derselben war widernatürlich fest, und ließ sich nur mit
Mühe zerschneiden, wobey viel schwarzes dickes Blut herausfloß.
Vorzüglich
groß war auch die Gallenblase, sie enthielt viel verdikte Galle.
Der Magen wurde exentrirt, genau besichtiget, beim Aufschneiden desselben fanden
wir einige Eßlöffel eines Chimusartigen Breyes, aber nichts von harten Speisen,
die äussere und innere Fläche, wie auch die zottige Haut deßelben sahen wir im Normalzustande.
Die aufgeschnittene Urinblase war leer von allen Urin, auch keine Steine
waren darin enthalten.
ad: III, Nach abgesägter Galea
capitis sahen wir den ganzen Hirnschädel, aus und inwendig unverletzt.
Die dura
mater welche äusserst fest an der einen Seite des Crani gesessen hatte, wie
auch der Sinus falciformis waren im natürlichen Zustande. Das Gehirn aber, war
gleichsam wie mit Blut beschweret, und das ganze Gehirn hatte das Ansehen, als wenn es mit
Bluth inyiciert wäre, auch auf dem Corpore Calloso lagen blutige
Streifen, der Plexus <49:> Choroideus, war wie bey Erstikten mit Blut ausgedehnt. Was die
Substanz des Gehirns anbetrift, so fanden wir solche viel fester wie gewöhnlich, doch
ohne Verhärtungen, beim Zerschneiden des Gehirns, welches nur Schichtweise geschah,
fanden wir am globo dextro des Gehirns ohngefähr 4 Linien tief in der Substantia
medulari, ein unförmliches Stückchen Bley ¾ Loth an Gewicht; die Substanz
des Gehirns war in dieser Gegend zerstöhrt, und einige kleine Gefässe zerrissen; die
beiden Ventriculi laterales und der Ventriculus tertius und quartus
waren ganz natürlich.
Auch am
Cerebello und im basi cranii fand sich nichts widernatürliches.
Aus der
mit Vorsicht angestellten Obduction und Besichtigung als auch aus denen eruirten
Nebenumständen ergiebt sich ganz evident:
daß
der Denatus von Kleist die geladene Pistole im Munde angesetzt, und sich selbst
damit getödtet habe, von der zu schwachen Ladung ist das ¾ Loth wiegende Stückchen
Bley im Gehirn stecken geblieben.
Daß
Gehirn-Verletzungen solcher Art, an und für sich absolute lethal sind, beweiset
schon Ludwig in seinen institutionibus medicinal:, wie auch Metzger
und Büttner, daß aber Denatus von Kleist größtentheils durch
Erstickung des Schießpulvers sehr schnell gestorben ist, ergiebt sich aus dem ad: I. Litt: B angezeigten Zustand des rechten
Lungenflügels, ferner aus dem mit Bluth angefüllten Ventriculum dextrum Cordis,
und der auricula dextra endlich aus dem beschriebenen Zustand des Gehirns.
Wir haben ferner in unsern obductions Bericht ad: II gesagt, daß wir bei Denatum eine große harte Leber eine
grosse Gallenblase, und viel verdikte schwarze Galle angetroffen haben,
Ferner ad: III daß dessen Gehirn Substanz fester
als gewöhnlich befunden worden.
Nach
diesen Anzeigen finden wir uns veranlaßt, gestützt auf Physyologischen Principia
zu folgern, daß Denatus dem Temperamente nach ein Sanguino cholericus
in Summo gradu gewesen, und gewiß harte hypochondrische Anfälle oft
habe dulden müssen, wie einige Herrn Dienst Cameraden mir den Physicus
selbst, solches versichert haben. Wenn sich nun zu diesem excentrischen
Gemüthszustand eine gemeinschaftliche Re- <50:> ligionsschwärmerey gesellte, so
läßt sich hieraus auf einen kranken Gemüthszustand des Denati von Kleist
mit Recht schließen.
Wir
bestätigen, dieses Gutachten durch Beidrückung des Teltow-Physicat Siegel, und
unserer Unterschriften.
Dr: Sternemann
Teltowscher Kreis Physicus
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<Siegel:>
L. S.
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Greif
Chirurgus forensis
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