Georg Minde-Pouet,
Kleists letzte Stunden.
Teil 1: Das Akten-Material (Berlin: Weidmann 1925),
17-19
Vernehmungsprotokoll Ernst Friedrich Peguilhen,
Stimmings bei Potsdam, 22. 11. 1811
- Verhandelt
auf dem Stimmingschen Kruge an der Friedrich
Wilhelms Brücke den 22ten November
1811.
- Der Herr Krieges
Rath Peguilhen, welcher sich allhier eingefunden,
deponirte: Ich heiße Ernst Friedrich Peguilhen,
bin 41 Jahr alt, reformirter Confession.
Ich
kenne den Landschafts Rendanten Herrn Vogel in
Berlin seit ungefähr 9 Jahren, und dessen Ehegattin Adolphine
geborne Kaeber seit ungefähr 4 Jahren. Ich habe
mit beiden in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse
gestanden, und bin oft und häufig bei ihnen gewesen, daher
kann ich auch die folgende genaue Auskunft geben:
Madame
Vogel ist, so lange ich sie kenne, krank gewesen,
und hat bei einem zarten, und äusserst reitzbaren Nervensistem
schon zu verschiedenen Zeiten zu sterben gewünscht. Hierzu
kam noch, daß sie überspannte religiöse Begriffe hatte,
und beständig einen hohen Grad von Glückseeligkeit in
der Fortdauer nach dem Tode sezte. Sie vertheidigte diese,
und besonders das Glück, dessen der Mensch nach dem Tode,
und durch diesen theilhaftig werde, mehrmals sehr heftig
gegen mich, liebte dies Gespräch sehr, und führte es bis
in die kleinsten Details durch. Sie durfte auf
einen vorzüglichen Grad von Bildung Anspruch machen, und
liebte daher die Gesellschaft, besonders von gebildeten
Männern mehr, als die Gesellschaft von Personen ihres
Geschlechts.
Seit
ungefähr 2 Jahren wurde der ehemalige Lieutenant
im Regt. Kgl. Leibgarde Herr von Kleist durch
den Hofrath Adam Müller, mit welchem er in der
Folge die Abend-Blätter gemeinschaftlich herausgegeben,
im Hause des Herrn Vogel eingeführt, und da d. H. v. Kleist
ähnlich schwärmerisch religiöse Gesinnungen hegte,
wie Mad. Vogel, so sympathisirten beide
bald, und wurden Freunde. Seit jener Zeit ist H. v. Kleist
beständig in das Vogelsche Haus eingegangen,
und ich selbst bin Zeuge gewesen, daß er und Mad. Vogel
ganze Abend am Fortepiano gesessen und geistl. Choräle
gespielt, und zusammen gesungen haben. Überhaupt glaube
ich nach den von mir gemachten Bemerkungen, behaupten
zu können, daß zwischen beiden, eine Sympathie der Seelen,
und eine geistige Liebe stattgefunden, die durch Phantasie
und überspannte Religiöse Begriffe und Ansichten, einen
so hohen Grad erreicht, daß beyde endlich <18:>
die Auflösung ihrer Körper für das hoechste Glück angesehen,
und danach gestrebt haben.
Daß
die Mad. Vogel aber den Wunsch zu sterben,
den sie, wie ich angeführt, schon mehrmals und vor längerer
Zeit geäußert, realisiren würde, habe ich nicht
geglaubt, da sie eine hoechst gebildete Frau war, die
in einer sehr glücklichen Ehe lebte, und ein von ihr geliebtes
Kind, eine Tochter von 10 Jahr besaß.
Als
ich daher gestern Nachmittags um 4 Uhr durch einen Boten
den anliegenden Brief von Madame Vogel erhielt,
worinn sie in einem fast spaßhaften Tone mich ersuchte,
heraus zu kommen, indem sie, wie sie sich ausdrückte,
in einem unbeholfenen Zustand erschossen
daliege so hielt ich zwar solches nicht
für Ernst, ich benachrichtigte jedoch sogleich d. H. Vogel
davon, und wir beide begaben uns auf den Weg hieher.
Zuförderst
muß ich bemerken, daß mir gar nicht bekannt war, wie Madame
Vogel von Berlin abgereißt sey, und ich
dies erst durch das von ihr erhaltene Billet
erfuhr.
Wir
kamen um 7 Uhr Abends hier an, hörten von H. Stimming,
daß sich 3 Stunden zuvor eine Dame und ein Herr, welche
der Beschreibung nach Niemand anderes war als Madame
Vogel und der v. Kleist, erschossen
hätten, und blieben die Nacht über hier, ohne jedoch die
Leichen zu besichtigen. Heute Morgen aber begab ich mich
an den Ort, wo die Entleibten lagen und erkannte sofort,
die mir sehr wohlbekannte Mad. Vogel, sowie
den von Kleist.
Von
den Stimming wurde uns dessen Nachlaß bestehend
aus einem Kästchen und einem Felleisen, so wie aus 2 Pistolen,
eingehändigt. Ich habe alles an mich genommen, und befindet
sich dasselbe noch in meinem Gewahrsam. Herr
Comparent ist ersucht worden, die Pistolen dem
Richter auszuliefern, welches er morgen zu thun versprach.
Zugleich
überlieferte er den von der Mad. Vogel erhaltenen
Brief nebst einem eingeschlossenen Zettel des Herrn v. Kleist,
bat ihn jedoch des Inhaltes wegen, eben so auch einen
Brief, so die verstorbene an ihren Ehemann geschrieben,
und der sich in dem hölzernen Kästchen vorgefunden, wiederum
zu retradiren.
Da
sich hierbey nichts zu erinnern fand, so ist eine Abschrift
von diesen <19:> Briefen genommen, zu den Acten
gelegt, und die Originalien dem Herrn Comparenten
zurückgegeben.
Herr
Krieges Rath Peguilhen fuhr hiernächst fort.
Was
die Todesart der Madam Vogel anbetrift, so ergiebt sich
aus allen Umständen, besonders aus den Briefen, und aus
den mir bekannten Gesinnungen derselben, daß sie solche
selbst gewählt, und daß der v. Kleist von
ähnlichen schwärmerischen Gesinnungen belebet, ihr aus
reinem überspannten Freundschaftsgefühl im Tode gefolgt
sey. Bey Madame Vogel kam übrigens das Motiv
hinzu, daß sie an einer von den Arzten für unheilbar erklärten
furchtbaren Krankheit litt, und dies machte ihr einen
raschen Tod um so wünschenswerther.
Diese
Aussage ist der strengen Wahrheit gemäß.
vorgelesen
genehmigt und unterschrieben
Peguilhen
a. u. s.
Felgentreu Mevius
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