Georg Minde-Pouet,
Kleists letzte Stunden. Teil 1: Das
Akten-Material (Berlin: Weidmann 1925), 10-13
Obduktionsprotokoll Heinrich v. Kleist
- Verhandelt
Gasthof bei der Friedrichs Wilhelms Brücke den 22ten
November 1811.
- Da dem unterschriebenen
Richter von Heinersdorf durch den Königl. Polizey
Rath Herrn Meyer durch das Schreiben vom gestrigen
Tage, welches heute Morgen eingegangen, angezeigt worden,
daß sich auf dem Territorio von Heinersdorf
eine fremde Mannsperson, und eine Dame erschossen hätten,
so hatte man sich heute, nebst dem hierzu zuvor requirirten
Kreis Physicus Herrn Doctor und Hof
Medicus Sternemann und Stadt Chirurgus Greif
anhero begeben.
Man
fand die beiden Leichen auf einem ungefähr 100 Schritt
von der Chaussé zur linken Hand ab, dicht an
der sogenannten kleinen Wannsee liegenden Hügel,
welcher auf der Mittagseite mit Bäumen bewachsen, die
Aussicht auf einen Theil der Wannsee, und der Chaussé
nach Potsdam gewährt und zwar beide in einer
kleinen Grube, welche ungefähr 1 Fuß tief ist und 3 Fuß
im Durchmesser hat mit dem Gesicht gegen einander über,
Fuß zwischen Fuß sitzend, ihre Ober Körper jedoch rückwärts
über gelegt, die Mannsperson mit einem braun tuchenen
Überrock, weißer Battist-Musselin Weste, grauen, tuchenen
Hosen, und runden Schlappstiefeln, bekleidet, das Gesicht
um den Mund herum, jedoch nur wenig, mit Blut beschmutzt;
die Frauensperson aber in einem weißen Batist Kleide,
blau tuchenen feinen Überrock, und weißen glassé-Handschuhen
bekleidet, und einem blutigen Fleck von der Größe eines
Thalers unter der lincken Brust, auf dem Kleide, welches
an dieser Stelle auch verbrannt zu seyn schien. Sonst
waren keine Spuren äußerer Gewalt an beiden Körpern zu
entdecken.
Beide
Körper sind behutsam aufgehoben, und nach dem Hause des
Gastwirth Stimming gebracht, wo die Obduction,
und zwar zuerst mit dem Körper der Mannsperson vorgenommen,
wobei sich denn folgendes ergeben:
Denatus
wurde sogleich von den genannten Kleidungsstücken entblößt,
und überall von den Obducenten auf das genaueste
besichtigt. Das Gesicht desselben war, vorzüglich um den
Mund herum nicht nur mit Blut bedeckt, sondern es floß
auch aus dem Munde bei einiger Bewegung Blut heraus.
Der
Mund war fest verschlossen, beide Reihen guter Zähne,
wie auch <11:> die Zunge waren unverlezt. Nur mit
größter Gewalt konnte der Mund geöffnet werden. In den
faucibus befand sich nichts, und der suchende
Finger konnte überall keine Verletzung, welche von einem
Schuß herrühren soll, wahrnehmen. Nachdem aber die Kinlade
ganz abgelößt worden, fühlte man endlich nach oben einige
undeutliche Rauhigkeiten an dem hintersten Theile des
Gaumens.
Denatus
war nach unserm Dafürhalten, circa 30 Jahr,
hatte schwärzliche Haare, einen schwärzlichen Bart, u.
blaue Augen.
An
dem hintersten Theil des Kopfes, und überall, wurde nicht
die geringste Quetschung, noch weniger eine Wunde vorgefunden,
aber am hintersten Theil des Körpers fanden sich die gewöhnlichen
blau-rothen Todtenflecke. Nach dieser vorangegangenen
genauen Besichtigung schritten Obducentes zuerst
zur Eröffnung der Brust, und des Unterleibes, wobei sich
folgendes ergab.
ad 1.
Gleich nach der Eröffnung der Brust fanden wir die Pleura
in einem ganz natürlichen Zustande. Der rechte Lungenflügel
hingegen, war gewaltsam von Blute ausgedehnt, auch floß
bei dem Zerschneiden nicht nur Blut heraus, sondern auch
die darin enthaltene Luft ging mit einem Getöse aus demselben.
Der linke Lungenflügel dagegen war fast im Normal Zustande,
nur etwas entzündet.
Beide
Lungen lagen in der geräumigen Brust ganz frey, und bedeckten
fast ganz das Herz mit seinem Pericardio. Nachdem
dies aufgeschnitten, sahen wir das Herz in vollkommenen
Normal Zustand, es war die gehörige Quantitaet liquor
pericardii vorhanden, die beiden ventriculi laterales,
so wie überhaupt die Größe des Herzens waren natürlich.
Eben so die vasa coronaria desselben; auch das
diaphragma war unverlezt.
Nun
wurde der Unterleib eröffnet, hier zeigte sich:
ad a.
Das Peritonaeum, wie auch das große und kleine
Netz im Normal Zustand.
ad b.
Die Leber war sehr groß, jedoch natürlich, die Gallenblase
enthielt etwas viel Galle, jedoch waren in der Gallenblase
keine steinerne Concremente enthalten. Eben so
waren die Nieren, die Milz, die Urinblase, das Pancreas
und der ganze tractus intestinorum im Normal
Zustande.
ad c.
Der Magen wurde excentrirt, und aufgeschnitten.
Er enthielt <12:> kaum zwey Eßlöffel voll, eines
Chymusarten Breyes, auch war weder die innwendige
noch die auswendige Fläche desselben auf irgend eine Art
entzündet, oder widernatürlich befunden.
Noch
bemerken wir, daß die Urinblase, fast ganz leer angetroffen
worden.
Nachdem
diese beiden Cavitäten kunstmäßig zugenäht worden, wurde
nun zur Eröffnung des Kopfes geschritten.
Wir
haben schon vorher erwähnt, daß außer dem aufgetriebenen
blutigen Mund des Denati nicht die geringste
äußere Verletzung weder am Kopf, noch am Halse zu bemerken
war. Es wurde demnach die galea capitis abgenommen,
und hier fanden wir
1., die
ganze dura mater in Normal Zustand.
2., Der
Sinus falciformis war ganz leer. Nach fortgeschafter
dura mater war nicht nur das ganze Gehirn mit
flüssigen Blut bedeckt, sondern auch fanden sich blutige
Streifen über dem corpore calloso. Es wurden
nun die beiden globi cerebri bis auf die Ventrikeln
fortgeschnitten. Da fanden wir nicht nur die substantia
corticalis, sondern auch die medullaris
mit blutigen Streifen bedeckt. Auf der rechten Seite des
Globi dextri cerebri, ungefähr zwei Linien tief
in der substantia corticalis fanden wir ein Stück
Blei von der Größe einer Bohne an Gewicht ¾ Loth,
wie sich aus der sofortigen Untersuchung ergab.
Die
Substanz des Gehirns war in dieser Gegend sehr zerstört,
und die Gefässe desselben zerrissen.
In
saemtlichen Ventrikeln des Gehirns fand sich nichts widernatürliches.
Das große Gehirn wurde demnach herausgenommen, um das
cerebellum und die basis cranii genauer
prüfen zu können. Sowohl das cerebellum als auch
das tentorium desselben waren in dem Normal Zustande,
auch war in der basi cranii kein Wasser.
Hiermit
wurde die Obduction beschlossen, wobei obducentes
noch erklärten, daß denatus blos an den Folgen
des Schusses gestorben sey, wie sie näher in dem viso
reperto ausführen würden.
Pflichtmäßig
muß hier noch bemerkt werden, daß vor der Obduction
der Gastwirth Stimming den ihm vorgelegten Leichnam
als diejenige Mannsperson recognoscirt, welcher
mit einer Frauensperson am Mittwoch zu ihm gekommen, bei
ihm logirt, und nach der Versicherung des <13:>
Krieges Rath Peguilhen und Rendanten Vogel
der ehemalige Lieutenant v. Kleist gewesen.
Als eben derselbe wurde er auch von dem gegenwärtigen
HE. Krieges Rath Peguilhen anerkannt.
Letzterer
hatte einen Sarg von Berlin kommen lassen, nahm den Leichnam
in Empfang, welcher sofort zur Erde bestattete, und erklärte
HE. Krieges Rath Peguilhen
wie
er Namens des Rendanten Vogel hierdurch die Versicherung
geben wolle, daß von diesem alle durch dies Verfahren
erwachsene Kosten getragen werden würden.
prael.
rath. et subs.
Sternemann
Greif
Chir: forensis
Felgentreu Mevius
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