Percy Matenko,
Tieck and Solger. The Complete
Correspondence (New York, Berlin: Westermann 1933), 276-283
Ludwig Tieck an Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Ziebingen,
7. 10. 1816
- Zibingen,
den 7ten Oktbr. 16.
- Mein
geliebtester Freund,
Sehr überrascht hat mich ihr Brief, der nach meiner Erwartung
um einige Wochen zu früh von Berlin datirt war, und erschreckt
hat mich die Ursach Ihrer schnelleren Rückkehr. So ist
denn das liebe Kind, mein Pathchen, das ich gar nicht
einmal kennen gelernt habe, schon so bald von diesem Traume
des Lebens erwacht. Ein solcher Verlust muß sehr schmerzhaft
<277:> seyn, weil er eine so schöne Zukunft mit
allen Hofnungen begräbt, und doch scheint mir der Himmel
noch gelinde die Eltern zu prüfen, wenn er ein solches
Geschenk im ersten Jahre zurück nimmt, denn mit jedem
Monath später, indem sich die kleinen Geschöpfe mehr entwickeln,
treten sie uns um so näher, unsre Liebe die erst eine
mehr allgemeine ist, wird immer individueller; gewiß verliehrt
der Mensch nachher am Kinde noch viel mehr. Freilich mag
es mit einer Mutter noch ein anderer Fall seyn, den die
Männer vielleicht nie ganz begreifen können. Ich sage
ihnen nicht, wie sehr ich an Ihrem Schmertze Theil nehme,
denn Sie fühlen es gewiß, was mir aber recht gefallen
hat, weil es mir unerwartet kam, war die Rührung der alten
Frau v. Burgsdorf, die sich Ihnen bei dieser
Gelegenheit sehr empfehlen läßt, es scheint, Ihre liebe
Frau hat bei Ihrem Hierseyn das ganze Hertz dieser alten
Dame gewonnen. Mit Thränen grüßt Sie auch die Gräfinn
Henriette, die um so mehr gerührt war, weil in
ihrer Familie auch ganz seit kurzem einige Kinder gestorben
sind. Diese wünscht so sehr, Sie und Ihre liebe Frau recht
bald, ja gleich, wenn es möglich wäre, hier zu sehn und
auf längere Zeit. Meine Frau und Kinder, welche erst in
zwölf Tagen von ihrer Reise wieder kommen werden, erfahren
unterwegs Ihren Verlust; die Kadach hatte ihn
in Frankf. vernommen. Wären Sie nur hier, oder
wäre ich bei Ihnen, mein Liebster! Meine Freundschaft,
meine Theilnahme könnten Ihnen doch wohl zu einigem Troste
gereichen. Aber leider weiß ich jezt wirklich nicht, wie
ich Sie sehn kann. Der treulose Sommer scheint sich in
den schlechtesten Herbst umzusetzen, ich bin immer in
der Lage auf meine Gesundheit eine Rücksicht zu nehmen,
die vielleicht meine[n] Freunden allzuängstlich erscheint,
doch weiß ich, wie sehr ich mich schonen muß, wenn ich
nicht an meinem Uebel recht ernsthaft krank werden will,
dann bin ich auch in meinen Arbeiten weit mehr zurück
geblieben, als ich gehofft hatte, und endlich dies
sage ich aber nur Ihnen allein wenn ich
nach Berlin komme, besonders auf so kurtze <278:>
Zeit bin ich nicht auf gewisse Art ein Sklave meiner
Freunde und Bekannten? Jeder fodert, da ich so selten
dort bin, nur einen Mittag oder Abend, dies kann ich keinem
abschlagen, statt Sie viel und täglich zu sehn, werden
es doch nur einzelne zerstreute Stunden, die Menge Menschen,
meine Verwandten, alte Verbindungen, die ich nicht ohne
Gewaltthätigkeit und Undanck lösen kann, rauben mir, da
ich etwas schwerfällig bin, alle Zeit, und ich komme oft
in vielen Tagen zu keinem vernünftigen Gedanken, und bin
oft nicht recht fähig, ein Gespräch zu führen. Lebte ich
in Berlin, wäre alles dies anders. Geschieht
es aber nicht jezt, so sehn wir uns im Frühjahr gewiß
um so mehr, denn Ihnen kann es unmöglich so dringendes
Bedürfnis seyn, als mir. Ich denke Sie richten es künftigen
Sommer ein, einige Wochen hier zu leben. Die fortgesezten
Gespräche, in denen man am folgenden Tage eine Materie
wieder aufnehmen kann, um sie tiefer fortzuführen, oder
von einer andern Seite in den Gegenstand zu dringen, sind
doch nur die wahren erquicklichen, nicht aber jene rhapsodischen
scheinbar geistreichen, wo Stimmung und Moment eine scheinbare
Meinung erzeugen, die oft witzig genug aussieht, weil
sie eben nur Gewand ist, und nichts Tieferes aus dem ganzen
Gemüthe entsprungenes zu überwinden hat. (So ist der Pohle
der beste Repräsentant in Europa, mehr noch als der Franzose,
der Deutsche ist von allen Nationen am meisten linkisch
und verlegen, nicht bloß vom Stubensitzen, vom Mangel
der Hauptstadt, und d.gl. mehr, sondern hauptsächlich
weil er eben ein Deutscher ist, der nie mit sich fertig
werden kann.) Jene tieferen fortgesezten Gespräche können
aber auch nur wenige Menschen führen, ein wahres Talent
gehört dazu; unter allen meinen Freunden habe ich nur
mit Ihnen dergleichen Dialoge führen können,
und ich fühle, daß ich es noch mehr könnte, wenn wir mehr
mit einander lebten. Dabei fällt mir Fr. Schlegel ein,
dem Sie sich auch in der kurtzen Zeit nicht sehr haben
nähern können. Er war von je an verschlossen und gleichsam
men- <279:> schenscheu, er verlangt vom Freunde
ein Vertrauen, wie es nicht seyn soll, nehmlich ein blind
leidenschaftliches, der bestgemeinte Einwurf, der ganz
aus der Sache und aus dem Gemüthe des Freundes entspringt,
also von aller Rechthaberei und Streitsucht (die auch
wohl den Geduldigsten zuweilen ungeduldig machen können)
entfernt ist, kann ihn in die leidenschaftlichste Unbilligkeit
versetzen, und er ist wieder auf Wochen mißtrauisch und
zurückhaltend. So sind seine Aeußerungen auch immer Ergießungen,
ja Explosionen, und das wahre Freundes-Duett, wenn man
nicht mit ihm unsokratisch rasen kann, findet gar nicht
Statt. Lieber, Sie mißverstehn mich gewiß nicht so, als
könnte dies eine Geringschätzung eines Freundes aussprechen
sollen, dem ich mit meinen besten Gefühlen und wahrhaft
schönen und reinen Erinnerungen ergeben bin. Sollte er
nicht auch jezt auf seine Weltlichkeit etwas eitel geworden
seyn? Seine Stellung zur politischen Welt mißfällt mir,
weil er für dergleichen gar nicht paßt. Aber Sinn für
Praxis fehlt ihm, denn ohne Uebertreibung kann er gar
nichts treiben und Handeln ist doch Takt.
Ihre
beiden Dialogen habe ich noch hier behalten,
und Schütz wird Sie Ihnen in wenigen Tagen persönlich
wieder bringen. Sie können mir unmöglich darüber zürnen,
wenn ich Ihnen sage, daß ich sie wieder und wieder gelesen
habe, allein und in Gesellschaft, in allen Stimmungen,
und ich mag wohl den Ausdruck brauchen, recht darin geschwelgt
habe; unmöglich hätte sie ein andrer so viel, und schwerlich
mit dem guten Sinne lesen können. Der neue, der Traum,
da Sie ihn mir nicht vorgelesen hatten (denn kleine Accente,
Pausen, Sinken, Hebung der Stimme thut für den aufmerksamen
Zuhörer unendlich viel, vorzüglich wie Sie diese Sachen
lesen) war mir, ich gestehe es Ihnen, das erstemal, als
ich ihn für mich las, in Absicht der Composition unverständlich,
die Uebergänge schienen mir gewaltsam, vieles Willkührlich,
und nichts, bis auf den Schluß (dessen Herrlichkeit mir
gleich einleuchtete) befriedigte mich völlig. Vielleicht
störten mich auch gerade <280:> einige Reminiscenzen
aus unsren Gesprächen. Ich trug indes die Angst meines
Nichtverstehens still mit mir herum, und las ihn nach
zwei Tagen am späten Abend mit Kadach. Sey es
nun, daß meine Aufmerksamkeit ganz auf einen und den richtigen
Punkt geheftet war, oder verstand ich besser, weil ich
laut las, oder war mein Geist gestärkter durch die Gegenwart
eines Freundes, der diesmal gleich vom Blatte alles vortreflich
verstand und mich beschämte, genug, ich fand nun alles
nothwendig, vortreflich, klar, die Ironie höchst liebenswürdig,
und die ganze Composition so meisterhaft, daß sie mir
nun als die gelungenste von diesen vier Dialogen
erschien. Ich las am folgenden Morgen wieder, und meine
Ueberzeugung bestätigte sich noch mehr, und so ist sie
immer fester geworden, je öfter ich gelesen habe, und
ich kann Ihnen jezt wirklich nicht sagen, wie oft ich
mich an diesen herrlichen Aufsätzen erquickte, denn ich
las sie wieder allein, mit Schütz, mit Kadach,
und auch einmal mit dem Carl Voss, welcher 12
Tage hier war. Er war schon irre über Sie geworden, da
er im vorigen Jahr mit unverhohlner Frechheit erklärt
hatte, er würde Ihren Erwin nie lesen, weil er
wisse, daß er nichts daraus lernen könne. (Was übrigens
richtig ist, denn lernen können sezt schon
ein Fundament, Wissenschaft, und Talent, voraus.) Nun
hatte ihm der junge Bülow so viel Lobendes von
Ihnen gesagt, daß er jenen Ausspruch zurück genommen,
und den Erwin mit Glauben, doch aber, wie ich
merkte, ohne Nutzen gelesen hatte. So sind diese Herren,
die für so kräftige Originale gelten wollen, die absurdesten
Autoritäten-Diener; meine Stimme hatte damals keinen Eindruck
auf ihn gemacht, aber wohl Bülows. Der Traum
hat ihm unendlich imponirt, ja er war auf seine Art ein
wenig begeistert: er verstand wohl das eigentlich Philosophische
nicht, aber indem sich dieses an die Zeit und das Politische
lehnt hatte er lebhaftes Interesse dafür, und verstand
es auf seine Art, immer viel besser als Gerlach
und Burgsdorf. Der religiöse Dialog
wollte ihm nicht so einleuchten. Ich mache mir immer eine
<281:> wahre Freude daraus, diese Art Menschen,
die nicht böse sind, und die wenn man sie einzeln ohne
ihre Umgebung hat, zwanzigmal besser werden, verstuzt
zu machen, denn das ist alles, was man erreichen kann.
Hatten wir ehemals uns mit philosophischen Pedanten zu
quälen, die immer nur den Buchstaben des Meisters unpassend
herbeteten, so fallen uns jezt die Köpfe zur Last, die
gerade zu nicht denken können, und die, seltsam
genug, darauf eitel sind, so daß sie mit dem rohen Barbaren,
dem in Rücksicht auf Beil und Schwerdt alles menschliche
Bestreben läppisch erscheint, und dem platten Bauernknecht,
welcher wiederholt: mit allen dergleichen könne man keinen
Hund aus dem Ofen locken! inniger verwandt sind, als sie
träumen oder wünschen mögen. Das Wort Handeln
ist in unsern Tagen zum Aberwitz geworden. Sonst
hat mir der Carl Voss in andren Rücksichten besser
gefallen, als sonst, er versteht etwas von Architektur,
auch von Musik, doch sehr einseitig. In Rücksicht der
Oper (mein alter Streit mit Ihnen) stimmten wir, wunderbar
genug, überein.
Und
nun soll ich rezensiren? Nein, mein Freund, unmöglich!
Erstlich, die Sachen und ihre Darstelung kann ich nur
bewundern und einig damit seyn, und was zweitens den Styl
betrifft, so gewöhne ich mich immer mehr an Ihre Eigenheiten,
die mir anfangs als fremd auffielen, auch scheint mir
im Fortlauf jeder Dialog in Absicht der Schreibart
gelungener und lebhafter als der vorige. Nur wünschte
ich wohl, daß Sie die eigentliche Erzählung des Traums
noch hie und da ein wenig überarbeiteten, ich kann Ihnen
die Stellen selbst nicht angeben, aber Sie werden es
sie gewiß selbst finden. Dann will ich mit Ihnen über
den Haupt-titel zanken: er gefällt mir gar nicht, weil
er zu wenig sagt, weil er diese Aufsätze nicht eigenthümlich
genug bezeichnet. Retif de la Bretonne schrieb
eine Sammlung Novellen unter dem Namen: les Contemporains;
und Zeitgenossen möchte ich auch diese Dialogen
und Aufsätze am liebsten nennen, wenn nicht neulich auch
unter diesem Titel, falls ich nicht irre, ein Buch angekündigt
wäre. Ueber- <282:> legen Sie sich meinen Vorschlag,
aber nicht jenen zu unbestimmten Titel (ich habe alle
ihre Briefe vor mir, aber gerade diesen verpackt) den
ich jezt nicht angeben kann. So gefallen mir auch die
einzelnen Ueberschriften (der Traum abgerechnet)
nicht, am wenigsten die Theegesellschaft. Ich sehe
recht gut, daß auch diese Umgebungen, der Thee, die Weintrinker
nach der Mahlzeit, deren Gespräch in tiefer Nacht erzählt
wird, die Scene des Sonnenuntergangs beim Theodor, ja
die Milch, und alles dieses nichts Willkührliches und
Zufälliges ist, aber ich wünschte die Titel alle ohnegefähr
wie der Traum, und Julius der 1ste und 2te kann
ich nicht billigen. Kleinigkeiten, die aber bei einem
so geliebten Wercke wichtig werden. Noch eine Kleinigkeit:
mit Ihren Berolinismen kann ich mich nicht so ganz vertragen,
denn sie stehn in unsrer Sprache nicht so da wie die Atticismen
in der Griechischen, weil es überhaupt keine Provinzialismen
sind, wie die Salzburgischen, Schwäbischen, Oesterreichischen
etwa, sondern Verwöhnungen einer Nation, die später die
Büchersprache bekam, indem das Volk plattdeutsch sprach,
und hochdeutsche Ausdrücke aus Eil, Geschwätzigkeit, ja
Liebe zum Unrichtigen unrichtig anwandte. So erscheint
mir das: du wirst ja ordentlich ironisch. Hier
drückt das richtige gar ganz dieselbe
Nuançe aus, und wenn der Berliner im gewöhnlichen Leben
ordentlich dafür gebraucht, so versteht ihn in der That
kein anderer Deutscher. Es ist gewiß ganz Sache des Geschmaks,
was wir aus Provinzialismen, oder Provinzial-gewöhnungen,
die wir alle nicht entbehren können, in unsre freibewegliche
Büchersprache aufnehmen sollen: ginge es nach mir, von
den Berlinern so gut wie gar nichts, von den Süd-Deutschen
desto mehr, doch bin ich darin vielleicht zu ekel, und
ich sehe jezt ein, daß ich auch ihrem Styl Unrecht gethan
habe. Ich war immer ein Berlinhasser.
Von
unsrer Monathsschrift: haben Sie mal die Laune, so <283:>
senden Sie mir doch einen Entwurf, ich mache dann wohl
einen dagegen, Sie müßten Philologie, Philosophie im weitesten
Sinne, Geschichte der Kritik vertreten, ich übernähme
einen Theil der Geschichte der Poesie mit Ihnen in Gesellschaft,
einiges aus der Geschichte, und Raumer könnte
wohl das größere Historische umfassen. Dessen Buch hat
mich aber recht geärgert. Warum denn dieser zynische Ton,
das Zanken um nichts, die Menge Bagatellen, ja Widrigkeiten;
ich habe ein halbes Jahr in Prag gelebt, und
es ist mir nicht eingefallen, den Judenkirchhof zu besuchen.
Was soll dergleichen? Das Capitel über Venedig
ist gut und hätte allein erscheinen sollen. Krankt R.
nicht an einer tiefen Eitelkeit, die zum Hypochondrischen
neigt? Das ist kein Humor. Kürtzlich habe
ich Ad Müllers Vorlesungen über das Schöne
gelesen: kennen Sie es noch nicht, so ergötzen Sie sich
ja an dieser überschwenglichsten Windbeutelei. Oft schon
haben Menschen über Dinge geschrieben, von denen sie nichts
verstanden: er lebt aber con amore im leeren
Raum.
Noch,
Bester, erinnere ich Sie auch an Kleist! Recht
bald Ihre Beiträge! Fragen Sie doch beim Obristen
Ruhl nach, wegen der Familie Schroffenstein.
Hartmann in Dresden
besitzt den Herrmann nicht mehr, Kleist
hatte ihm denselben geschenkt, ihm aber wieder abgeliehen,
und nicht wiedergegeben. Er hatte hat
mir aber kleine Gedichte und einige prosaische patriotische
Beiträge vom Jahr 1809 geschickt. Auch in allen seinen
Schwächen ist der Kleist ein herrliches Gemth
Gemüth.
Die
Post drängt; ich habe mich verspätet, meine Umarmung nehmen
Sie, meine herzlichst[en] Grüße für Sie, Ihre liebe Frau,
und verehrte Schwiegermutter, und die Versicherung meiner
innigen Freundschaft, mit d[er] ich Zeitlebens seyn werde,
Der
Ihrige
L.
Tieck.
H: PSB (1933)
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