Percy Matenko
(Hrsg.), Tieck and Solger.
The Complete Correspondence (New York, Berlin: Westermann
1933), 253-255
Karl Wilhelm Ferdinand Solger an Ludwig Tieck, Berlin,
6. 7. 1816
- Berlin, den
6ten Juli 1816.
- Sie glauben
vielleicht, theuerster Freund, daß ich einen von Ihren
Aufträgen, Kleist betreffend, noch nicht besorgt habe.
Ich ging aber gleich in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr
von Ihnen zu Zengens, wo ich jedoch sehr ungenügende Nachricht
erhielt, und zur Vervollständigung derselben an die eine
Tochter, die sich in Leipzig aufhält, gewiesen wurde.
Auf meine Bitte schrieben sie an diese; die Antwort war
aber auch nicht viel besser, doch wurde mir darin der
bekannte Obrist Rühle von Lilienstern als der bezeichnet,
welcher die vollständigste Auskunft geben könnte. Dies
war mir nicht unwillkommen, da ich längst die Bekanntschaft
dieses Mannes gewünscht hatte, der
als
ein Freund und Kenner der Kunst und Sammler von Kunstwerken
bekannt ist. Ich bin bei ihm gewesen,
und er hat mir versprochen die Hauptsachen aus Kleists
Leben kurz aufzusetzen. Außerdem hat er mir aber noch
einiges gesagt, was Sie vielleicht bestimmt, mit der Herausgabe
von Kleists Reliquien nicht so sehr zu eilen. Der Maler
Hartmann in Dresden habe nämlich eine Abschrift von Kleists
Herrmann, welche vielleicht von der andern abweiche; so besitze er, der Obrist Rühle selbst, Kleists
eigentliche Originalhandschrift von der Familie Schroffenstein.
Dieses Stück sei nämlich von einigen Freunden, denen es
der Verfasser über- <254:> lassen, ganz entstellt
herausgegeben worden. Der Obrist versprach mir, wenn seine
Papiere, die sich noch in Dresden befinden, hier sein
werden, mir die Handschrift herauszusuchen, und sie mir
für Sie zu geben. Ich stelle nun anheim, ob Sie an Hartmann
schreiben wollen, welchen Sie ja wohl kennen. Auch wäre
es schön, wenn bei dieser Gelegenheit die Familie Schroffenstein,
wofern sie es verdiente, in ihrer ursprünglichen Gestalt
erscheinen könnte.
Wir
harren und harren auf Sie, theuerster Freund, und Sie
kommen nicht. Diesmal habe ich es denn doch wirklich für
Ernst gehalten. Nun ist die Ausstellung der Giustinianischen
Gemäldesammlung geschlossen; jedoch hoff ich mit
der Frau von Boguslawski, daß die Verlängerung derselben
bis auf 4 bis 6 Wochen ausgewirkt werden
wird. Auch die Catalani werden Sie noch versäumen!
Ich habe diese beispiellose Stimme gehört, aber was ich
gehört habe, waren doch nur Bravourstücke, so daß ich
über ihren Ausdruck eigentlich nicht urtheilen kann. Was
auf mich den meisten Eindruck machte, war God save
the King, welches sie wirklich hinreißend vorträgt.
Auf
Schütz bin ich ordentlich böse. Ich erfahre durch seinen
Bruder, daß er bald wieder ins Bad gehn will, und sehe
daraus wohl, daß es mit meiner Hoffnung mich mit Ihnen
beiden am Rhein zu treffen sehr schwach steht. Kann man
denn gar nichts mehr unter ordentlichen Leuten zu Stande
bringen, um das Stückchen Leben zu genießen? Nur die Kränkung
thun Sie mir nicht etwa an, daß Sie ich
herkommen, wenn ich weg bin! Um die Mitte des künftigen
Monats denke ich zu reisen; und es ist sehr wahrscheinlich,
daß etwas daraus wird, wenn ich auch so etwas nicht gern
eher für ganz gewiß annehme, als bis ich einen Fuß im
Wagen habe, weil gar zu leicht etwas dazwischen kommt. <255:>
Rühles
Sachen müßten Sie auch sehn. Er hatt
Altdeutsche und insbesondere Rheinische Gemälde, dergleichen
ich wenigstens noch nicht gesehn hatte. Zwei Marien von
Hämling und van Eyk scheinen mir das vorzüglichste darunter.
Seine Sammlung mag 30 bis 40 Stücke enthalten, worunter
auch Copien Italiänischer, aber auch noch viele schöne
Deutsche Gemälde.
Sein
Sie doch so gütig, mir, wenn Sie nicht etwa selbst kommen,
welches unter allen denkbaren Fällen der beste wäre, meine
beiden Gespräche, die Sie noch bei sich haben, wiederzuschicken;
ich wollte sie gern noch meinem Freunde Keßler mittheilen,
der bald von Potsdamm nach Münster als Regierungsdirektor
abgeht. Aber vergessen Sie mir nicht eine tüchtige Kritik,
worüber ich mich auf meinen letzten Brief berufe.
Haben
Sie auch zu rechter Zeit und unversehrt bekommen, was
meine Frau Ihnen geschickt hat? Und ist Dorothee auch
zufrieden damit gewesen?
Wir
sind alle gesund, und grüßen Sie und die Ihrigen nebst
sämtlichen Hausgenossen, und Kadachs, von uns allen. Wie
soll ich Ihnen denn die Bücher für Schütz schicken?
Nun,
ich sehe Sie ja wohl bald. Behalten Sie mich in Ihrer
Liebe als
NS.
Dieser Brief sollte eben abgehn, als der Ihrige ankam.
Ich kann nichts hinzufügen, als eine Wiederholung meines
herzlichen Wunsches, Sie bald hier zu sehn. |
Ihren
treu ergebnen
Solger.
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H:
PSB (1933)
Tochter] Wilhelmine
Krug, geb. v. Zenge
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