Carl v. Martens, Denkwürdigkeiten
aus dem kriegerischen und politischen Leben eines alten Offiziers. Ein Beitrag zur
Geschichte der letzten vierzig Jahre (Dresden, Leipzig: Arnold 1848), 83-87
Ernst v. Pfuel und Adam Müller in Dresden
Man ertheilte mir den Auftrag, nach Sachsen zu gehen, mich dort mit den
Verbündeten in Berührung zu setzen und wo möglich unseren Einmarsch daselbst
vorzubereiten. Ich erhielt viertausend Ducaten, um selbige an verschiedene Personen in der
Oberlausitz und in Dresden zu vertheilen. Die Franzosen hatten zwar Schlesien fast ganz
geräumt, aber im Riesengebirge befanden sich noch einzelne Abtheilungen, weßhalb ich es
nicht rathsam fand, den geraden Weg von Glatz aus durch das Gebirge zu nehmen. In dem
Städtchen Wartha, zwei Stunden von Glatz, hatten wir einen vertrauten Gastwirth, dessen
Pferde mich schon öfters auf gefährlichen Reisen geführt hatten. Ich langte Abends um 4
Uhr in der Mitte des Monats Januar bei einer heftigen Kälte daselbst an, setzte den
Gastwirth von meiner beabsichtigten Reise in Kenntniß und miethete seinen Wagen nebst
zwei Pferden und einen vertrauten Knecht, um mich über die böhmische Gränze nach
Landshut zu bringen. Die viertausend Ducaten waren in einen kleinen Mantelsack gepackt,
und in demselben Packet hatte ich noch zweihundert Ducaten, welche zu meiner Reise
bestimmt waren. Ich hatte es vernachlässigt, mich mit Silbergeld zu versehen, und beging
die größte Unvorsichtigkeit, das schwere Felleisen in der Wirthsstube zu öffnen, eine
Rolle Ducaten herauszunehmen, den Wirth zu bezahlen und mir einiges Silbergeld
einzuwechseln, ohne Rücksicht auf zwei unbekannte Menschen zu nehmen, welche daselbst ihr
Glas Wein tranken. Wir fuhren bei einbrechender Nacht ab und gelangten gegen 8 Uhr an die
böhmische Gränze. Ich war dem Gränzbeamten bekannt und fand daher keine
Schwierigkeiten. Derselbe besorgte mir einen Wegweiser, <84:> der mich
längs der
Gränze bis zu dem Städtchen Friedland im schlesischen Gebirge führen sollte. Der Schnee
fiel in Wolken herab, und ein heftiger Sturm heulte durch die hohen Tannen des Gebirges.
Nachdem wir beinahe zwei Stunden gefahren waren, erklärte der Führer, daß er den Weg
verloren habe, und unter dem Vorwande, daß er die Spur des Weges suchen wolle, entfernte
er sich seitwärts von dem Wagen. In wenigen Minuten kehrte er jedoch wieder zurück und
erklärte mir, daß wir ganz von dem Wege nach Friedland abgekommen seien und es
unmöglich falle, bei der finsteren Nacht und dem hohen Schnee den Weg zu finden, daß
aber ganz in unserer Nähe ein kleines Wirthshaus liege, wo wir den Anbruch des Tages
abwarten könnten. Er führte uns in das Wirthshaus, wo ich einen ältlichen Mann, einen
Knaben und ein junges Mädchen fand. Das Zimmer sah sehr verdächtig aus. Die Wände
desselben waren mit Säbeln, Pistolen und Flinten behangen. Auch konnte man Nichts zu
essen und zu trinken haben, als kaum genießbares Brod und schlechten Branntwein. Der
Wirth erzählte, daß er ein versprengter Soldat sei und die Waffen aus Liebhaberei
gesammelt habe. Mir fiel jedoch das Gerücht ein, daß sich in diesem Winter eine starke
Räuberbande gesammelt habe, und ich sah die Nothwendigkeit ein, auf meiner Hut zu sein.
Der redselige Wirth erhöhte noch meinen Verdacht, indem er ausrief: Ich kann Ihnen
zwar Nichts vorsetzen, aber dafür sind Sie auch ganz sicher bei mir, wenn Sie auch
tausend Ducaten bei sich hätten! Plötzlich kam der Kutscher mit verstörtem
Gesicht in das Zimmer und rief mich unter dem Vorwande, daß eins seiner Pferde erkrankt
sei, in den Stall. Hier sagte er <85:> mir zitternd, daß das junge Mädchen sich im
Hofe mit fünf bis sechs Kerlen unterhalten habe, welche sich hierauf wieder in den Wald
entfernt hätten. Er behauptete, daß wir uns in Räuberhänden befänden, und bat mich
flehentlich, sogleich abzufahren, zu welchem Behufe er die Pferde bereits angespannt habe.
Als ich wieder in das Zimmer trat, sagte mir der Wirth, daß er das Mädchen nach dem
Dorfe Altfriedland geschickt habe, um Lebensmittel und Wein zu holen, und daß sie bald
wieder eintreffen würde, weil das Dorf nur eine Viertelstunde entfernt sei. Dieser
Umstand machte meine Besorgniß zur Gewißheit. Ich nahm einen Säbel von der Wand, weil
ich nicht wußte, ob die Pistolen geladen seien, und rief dem Kerl mit leiser Stimme zu:
Schurke, ich steche Dich nieder, wenn Du einen Laut von Dir giebst! Gehe sogleich
vor mir her langsam in den Hof, setze Dich auf den Wagen und geleite uns, ohne ein Wort zu
sagen, nach Altfriedland; wenn Du einen Augenblick zögerst, so steche ich Dich
nieder! Wie ich befahl, so that der Kerl, und wir gelangten auch glücklich in das
Dorf, welches nur eine halbe Stunde von dem Städtchen Friedland liegt. Dort gab ich dem
Kerl ein Stück Geld, behielt aber den Säbel. Als er sich entfernt hatte, fragte ich den
Wirth im Dorfe, ob er den Mann kenne, worauf derselbe mir erwiderte: Ich kenne ihn
und kenne ihn auch nicht und spreche nicht gern von solchen Leuten. Bei meiner
Rückreise durch Landshut erzählte ich diesen Vorfall dem Syndicus Härtel, von welchem
ich erfuhr, daß man bereits gegen zwanzig Mann von der Räuberbande eingefangen habe, und
daß namentlich der Wirth, in dessen Hause <86:> mehre Mordthaten verübt worden,
sich bereits in gefänglicher Haft befinde.
In Lauban, an der Gränze der Oberlausitz, fand ich den Lieutenant
Gillesheim, welcher mir alle erforderlichen und gewünschten Nachrichten gab, mit denen
ich volle Ursache hatte zufrieden zu sein. Ich hielt mich daher nur wenige Tage in der
Oberlausitz auf und eilte nach Dresden. Unter den Personen, mit welchen ich daselbst in
Verbindung treten mußte, befanden sich auch der Lieutenant von Pfuel und Herr Adam
Müller. Ich fand in Herrn von Pfuel einen liebenswürdigen und höchst gebildeten, von
warmer Vaterlandsliebe beseelten Mann. Er ertheilte damals dem Prinzen Bernhard von
Weimar, welcher als Major bei der sächsischen Garde du Corps stand, Unterricht. Die
Nachrichten, die er mir ertheilte, waren keineswegs ermunternd, denn an irgend einen
Enthusiasmus war in Sachsen damals gar nicht zu denken. Dennoch fanden sich einzelne der
deutschen Sache ergebene Männer, welche mit Thätigkeit uns in die Hände arbeiteten.
Herr von Pfuel gab mir statistische und topographische Nachrichten, welche für mich von
hoher Wichtigkeit waren. In dem Verfolge dieser Denkwürdigkeiten werde ich Gelegenheit
haben, auf diesen verdienstvollen Offizier zurückzukommen, welcher gegenwärtig als
General in einem hohen, wohl verdienten Wirkungskreise steht.
Man hatte ein Auge auf den Prinzen Bernhard von Weimar geworfen, um
einen großen Mann an die Spitze der allgemeinen Bewegung zu stellen, weil man hoffte,
daß dieser Mann, in dem sich so herrliche Erinnerungen kreuzten, die deutschen
Volksstämme begeistern würde. <87:> Ich überzeugte mich jedoch sehr leicht, daß
diese Hoffnung nur eine Täuschung war.
In Herrn Adam Müller fand ich gerade das Gegentheil von Herrn von
Pfuel. Der Graf von Götzen hatte mir gesagt, daß ich auf diesen Mann vorzüglich rechnen
könne, und ich war mit einem mit sympathetischer Tinte geschriebenen Briefe an ihn
versehen, in welchem der Zweck meiner Reise im Allgemeinen angegeben war. Herr Adam
Müller empfing mich mit stolzer einstudirter Höflichkeit, an seinem Schreibtische in
eleganter Kleidung sitzend. Er nahm das Schreiben, erklärte, daß er keine Zeit habe,
sich mit mir zu unterhalten und das übergebene Schreiben zu lesen, und lud mich ein, ihn
am nächsten Morgen zu besuchen. Ohnerachtet mir diese lächerliche und gezierte
Vornehmheit sehr mißfiel, so ging ich dennoch wieder zu ihm und wurde auf die nämliche
Art empfangen. Er dankte mir für das Schreiben, bat mich, dem Grafen von Götzen seine
Verehrung darzubringen, wünschte uns Glück zu unserer Unternehmung, bedauerte aber mit
einem diplomatischen Achselzucken, daß er keine Hoffnung hegen könne, daß wir bei der
gegenwärtigen öffentlichen Stimmung in Sachsen irgend eine Mitwirkung finden oder irgend
einen Erfolg haben würden, und daß er selbst durch seine persönliche Stellung durchaus
verhindert sei, irgend einen Antheil an unserem Vorhaben zu nehmen. Ich verließ ihn und
sah ihn nicht wieder.
Der Zweck meiner Reise war gänzlich verfehlt, und ich brachte die
Ueberzeugung mit nach Glatz, daß man auf die Sachsen gar nicht rechnen könne.
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