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Wilhelm Löwe, Erinnerungen an den General Ernst von Pfuel, in: Deutsche Rundschau 14 (1888), H. 5 (Februar), 202-231; darin: 219f.

Ernst v. Pfuel und Kleist


Ueber seinen Bildungsgang äußerte sich Pfuel nur dahin, daß sie im Ganzen vortreffliche Lehrer am Cadettenhause gehabt haben und der Unterricht so gut gewesen sei, wie nach seiner Meinung zu der Zeit in keiner andern Militärbildungsanstalt der Welt. Von seiner späteren Carriere, von seinem Leben als junger Officier, dem Austritt aus dem Dienst, den Orten, wo er dann gelebt, den Beschäftigungen, denen er sich hingegeben, der Zeit, in welcher er wieder in den Dienst getreten ist, kann ich nur einzelne dürftige Notizen geben, die ich zufälligen Mittheilungen bei der Erzählung von Anekdoten entnommen habe, die, charakteristisch für ihn, selten seinen eigenen Erlebnissen angehörten, sondern einem Freunde oder sonst einer bekannten Persönlichkeit, zu deren Charakteristik sie erzählt wurden. Pfuel ist, soweit ich diesen ganz beiläufigen Bemerkungen ein Gewicht beilegen darf, sehr jung Officier geworden, ich meine im 18. Jahre, was mir, bei seiner eher kleinen als großen Figur, immer auffallend gewesen ist. Als junger Officier hat er in Berlin gestanden, oder doch sich in Berlin häufig aufgehalten, wie uns eine Reihe kleiner Mittheilungen, die er über seine Märsche in dem tiefen Sand von Berlin nach Potsdam, wohin damals noch keine Chaussee führte, gemacht hat. Er scheint Officier geworden zu sein in dem Jahre, als Friedrich Wilhelm III. zur Regierung kam, also 1797. Wann er den preußischen Militärdienst verlassen, aus welchem Grunde, wo er dann zuerst gelebt und womit er sich beschäftigt hat, vermag ich durchaus nicht zu sagen. Ich weiß nur aus einer Anekdote, die er von seinem Freunde Heinrich von Kleist erzählte, daß sie beide im Anfang des Jahrhunderts, ich meine im Sommer und Herbst <220:> 1801 und 1802, im Berner Oberland in Thun gewesen sind, wo Kleist mit der Vollendung seines Trauerspiels „Penthesilea“ beschäftigt war. Kleist habe immer mit einer tiefergreifenden Aufregung gearbeitet, indem er sich mit seinem ganzen Fühlen und Denken in den Gegenstand, besonders aber in das Leben und in die Schicksale seines Helden oder seiner Heldin versenkte. So sei es auch jetzt gewesen. Gemeinsame Excursionen hätten den ganz seinem Werke hingegebenen Dichter nicht locken können; ja, er habe sich dem Zusammenleben der Befreundeten auf ganze Wochen entzogen. Da nun eines Abends tritt er todtenbleich, mit verwirrtem Haar und unter strömenden Thränen, das trübe brennende Pensions-Talglicht in der Hand, in Pfuel’s Zimmer, wirft sich ganz verzweifelt auf einen Stuhl und vermag endlich auf die bestürzte Frage: „Was hast Du? Was fehlt Dir? Was ist denn los?“ schluchzend zu stammeln: „Nun ist sie todt, nun ist sie todt“; – die Penthesilea nämlich, die er soeben vollendet hatte. Wie aus einer andern Mittheilung Pfuel’s hervorgeht, hat er auch mit Kleist zusammen in Paris gelebt zur Zeit der Errichtung des ersten Kaiserreichs. – Bei Gelegenheit einer Unterhaltung über den Selbstmord Kleist’s und der Ursachen desselben sagte Pfuel, daß Kleist schon lange an Lebensüberdruß, und zwar wohl wesentlich in Folge seines kränklichen Zustandes gelitten, auch häufig in den Momenten des vertraulichsten Verkehrs von der Absicht, seinem Leben ein Ende zu machen, gesprochen habe, merkwürdiger Weise aber immer mit dem Wunsch, das nicht allein zu thun. So habe er ihm schon einmal in Paris ganz ernsthaft den Vorschlag gemacht, sich zusammen todtzuschießen, was dann von Pfuel lachend mit den Worten abgelehnt wurde: „Dazu haben wir immer noch Zeit, jetzt will ich erst noch ein paar Jahre leben.“ Diese paar Jahre haben das Leben zweier Generationen überdauert!
Ein, vielleicht auch zwei Jahre vor dem Kriege von 1806 hat er sich wieder als Officier bei einem preußischen Regimente, ich glaube, in einer kleinen westpreußischen Stadt in Garnison befunden. Die Schlacht von Jena hat er als Adjutant des Generals von Schmettau mitgemacht. Weiteres weiß ich über diese Epoche nicht. Die verschiedensten Versuche, darüber Aufklärung zu erlangen, sind fruchtlos gewesen. Nach dem Frieden von Tilsit findet er sich als Lehrer und Erzieher des jungen Prinzen Bernhard von Sachsen-Weimar, der später Gouverneur der holländischen Colonieen Java und Batavia gewesen ist, in Dresden. Auch von diesem Lebensabschnitt weiß ich nur aus Anekdoten über seinen Verkehr mit Kleist und Adam Müller, mit denen er in Dresden wieder zusammenlebte. Die kleine Anekdote von dem Besuch bei der Clairvoyante, der in diese Zeit fällt, habe ich schon im Eingange erzählt. Kleist arbeitete damals an seiner Hermannsschlacht. Der Verkehr mit Adam Müller scheint nie ein sehr naher gewesen zu sein. Pfuel hielt wenig von dem Letzteren und ist, wie er sagte, nur durch Begegnen bei Kleist, der früher mit Müller befreundet war, mit jenem zusammengetroffen. –

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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