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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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(Otto Heinrich Graf v. Loeben:) Aus dem Briefwechsel Helmina v. Chezys und Graf Loebens 1814, in: Mittheilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin (1898), 83-86

Otto Heinrich Graf v. Loeben an Helmina v. Chezy, Radmeriz, 15. 12. 1814


Früh am Morgen nach dem Tage
Isidori, 15. December 1814.

Der Himmel hat den Tag so schön eröffnet; alle Wiesen, Ufer und Bäume vor meinem Fenster sind in Sonnengold gelehnt und über der Morgenverklärung steht ein grosser, duftiger Regenbogen! Das Zeichen sagt immer dasselbe, wir bedürfen seiner auch noch eben so, wer sieht nicht Hoffnung, Zukunft und Versöhnung vor sich, wenn er unter einem Regenbogen steht? Ich stehe unter dem Regenbogen – gerade dieser Ausdruck umfasst den erquickendsten, tröstendsten Sinn.
Liebe Helmina! bevor ich – dies geschieht erst seit ein paar Tagen wieder, denn ich war noch recht unwohl und verliess das Zimmer noch nicht – bevor ich an eine Arbeit gehe, will ich meinen Morgen auch freundlich antreten. Ich will Ihnen einiges Erfreuliche von unserm Almanach\1\ schreiben. Ich vertraue nämlich, dass er recht gemüthlich, recht anspruchslos erfreuend und viel Verwandtes vereinend werden soll. Nichts daran soll nachlässig seyn, aber in der Anordnung soll eine Grazie und Gemüthlichkeit herrschen, die von allem Vorwurf irgend einer Schulform oder Anmaassung befreit. Ich habe manches einzelne Gedicht von <84:> Freunden liegen die an sich aus der Dichtkunst keinen Beruf machen, aber Einzelnes Erfreuliche dichteten. Eine heilige Zierde unsers Almanachs werden mehrere kleine Gedichte von Novalis und seiner Schwester Sidonia seyn, die ich mir vor vielen Jahren bereits verschaffte, von denen zwar zwey in Ad. Müllers Phöbus\1\ bereits mitgetheilt wurden, dies thut aber, wie mir scheint, nichts. An Schütz habe ich vor einigen Wochen geschrieben, und der sendet mir bestimmt manches, er ist mir gut. Von Caroline v. Fouqué habe ich ein kleines schönes Gedicht: die Christblume, das ich mit aufnehme, sie mag sagen was sie will. Je mehr ich liebe Helmina die Staël in der Corinne mit der Fouqué vergleiche, desto mehr sehe ich nun erst ein, dass die unbefangenen Leser Recht haben die der Fouqué Mangel an Weiblichkeit vorwerfen. Ich werde einmal einen Aufsatz über letztere schreiben wie ich wohl über die Corinne etwas sagen möchte.
Die Gedichte eines Freundes in Dresden, Karl Näcke\2\ (der gar nicht damit heraus will) werden Ihnen viel Vergnügen machen. Sie sind sehr schön und von vollendeter Form. Von Florens ist auch einiges, doch gerade nichts ganz Vorzügliches da, weil er seine lieblichsten Bilder seinem Romane „Ahnung und Gegenwart“ einverleibt hat. Unter Koreffs Beiträgen gefällt mir besonders der Comet, Vor einer Magnetisierung, (beides Sonette) und Als Sie ins Bad ging. Er hat auch ein langes gedrucktes Gedicht an Kaiser Franz uns beigelegt, das er abgedruckt wünscht, ich bekenne aber dass es mir zu weitläuftig ist, obwohl ich es unvergleichlich schön und beredsam finde. Die Beiträge von Thorbeck, etc. sind Ihre Sache. Von Freimund Raimar\3\ sind mir <85:> Poesien versprochen, auf die ich mich wie auf Weihnachten freue. Von Malsburg\1\ habe ich durch Mittheilung Eduard Horstigs\2\ (diesem Geschlechte verbergen Sie noch unser Almanachs Embryo sonst schreien sie alle Klatschblätter zu Hebammen auf) das herrliche Gedicht Das Leben erhalten. Ich wünschte es im Almanach zu besitzen. Sie kennen ihn. Wollen Sie ihn nicht darum bitten? Ich wünschte, dass Sie liebe Helmina, den zweiten Theil Ihrer Maler Abhandl. in heiteren, farbigen Stunden erweiterten. Gegen die Idee Gedichte die bereits in Ihrem Buch über Paris gedruckt sind, wieder einzurücken, erheben sich mir doch einige Zweifel. Bereiten Sie nur etwas recht Schönes, Liebes, Gediegenes, für unsern Alm., – Sie können es! Ohne dass Sie erst zu bereits Erschienenem Zuflucht nehmen müssen. Von mir wird viel des Aelteren sich mit dem Neueren vereinen; ich habe viel vorgefunden und wohl auch manches Neue entsteht im alten eigenthümlichen Geiste, so dass ich schwerlich alles werde anbringen können. Gestern fand ich unter Heidelberger Blättern eine Stanze, die für heute den Beschluss dieser Worte machen mag. Uiber den Titel des Alm. bin ich noch nicht aufs Reine. Das ist schwerer wie man denkt – das Drucken bleibt ja überhaupt immer eine Art Prostitution des innern Mysteriums; doch – ob Ehebrecher und Todtschläger in die Kirche treten, sie bleibt eben darum heilig weil sie allen offen steht. – – –
Kaum hat der Lenz sich wieder eingestellt,
Dringt jeder Kelch durch seine grünen Blätter,
Die Quelle folgt uns durch die junge Welt,
Theilnehmend bringt der Himmel blaues Wetter,
Die fremden Vögel rücken all’ ins Feld, <86:>
Es ist ein friedlich ringendes Geschmetter,
Ihr aber, die auch grüner Duft umzieht,
Ihr steht von fern, und tadelt dass man blüht!
Im Character dessen, was ich bisher für den Almanach habe, liegt mystische Wunderbarkeit, Sehnsucht nach dem Naturgeheimniss, Reinheit des Styls ohne Manierierung, und etwas Heiteres und klar Ausgesprochenes in der Behandlung. Eben fällt es mir ein oder leuchtet mir ein, ob wir den Almanach nicht – Friedensgabe – nennen sollen?

\1\ Hesperiden.
\1\ Herausgegeben von Heinr. v. Kleist u. Adam H. Müller. 1808.
\2\ Karl Adolf Näke, pseud. Leander.
\3\ Friedr. Rückert.
\1\ Ernst Frh. v. d. Malsburg.
\2\ Sohn des Consistorialraths H. in Mildenburg. Vgl. Unvergessenes II. 52.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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