Max Lederer (Hrsg.), Heinrich Joseph v. Collin und sein Kreis. Briefe und
Aktenstücke. Mit einer Einleitung und Anmerkungen, in: Archiv für österreichische
Geschichte 109 (1921), 153-372; darin: 257-259
August Wilhelm Schlegel an Joseph v. Collin, Wien, 1. 3. 1808
Wenn Sie mir den Phöbus noch verschaffen könnten, so würde ich Ihnen sehr
verbunden seyn. Besonders wegen des Aufsatzes über Frau von Stael bin ich begierig ihn zu
sehen. Außer den beiden Romanen, die Sie kennen, sind ihre Schriften: Lettres sur J. J.
Rousseau; Sur linfluence des passions; Sur la littérature zwey Bände; (dieß ist
die bedeutendste, und Sie müssen sie ja lesen)! eine Lebensbeschreibung ihres Vaters vor
seinen nachgelassenen Schriften.
Unmöglich kann ich zugeben, werthester Freund, daß Sie Ihre kostbare
Zeit, die zu eigenen Kritiken und dichterischen Arbeiten weit besser benutzt werden kann,
auf Übersetzung meiner französischen Abhandlung verwenden wollen, so angenehm es mir
seyn würde, einen Übersetzer wie Sie zu finden. Überdieß müßten wir fürchten, daß
uns irgend ein rüstiger Mann zuvorkäme, da die Schrift schon überall im deutschen
Buchhandel verbreitet ist, besonders wenn die Über- <258:> setzung in drey Monate
des Prometheus vertheilt erscheinen sollte. Dazu kommt, daß ich eine Menge noch
ungedruckte kritische Arbeiten in meinen Heften habe, die ursprünglich deutsch und also
vermuthlich kräftiger und unter kühneren Voraussetzungen geschrieben sind, und von denen
ich jetzt eben wohl gesonnen wäre manches zu geben. Mir scheint, jene Schrift ist
hauptsächlich nur dadurch anziehend, daß sie von einem Deutschen in dieser Gesinnung französisch
geschrieben worden, und also der Krieg wirklich ins Gebiet des Feindes hinüberspielt.
Dauert aber Ihre Lust zu dieser Arbeit noch nach der ersten Aufwallung
fort, so würde ich doch zu abgesonderter Herausgabe rathen, weil, die Bemerkungen durch
den ununterbrochenen Zusammenhang sich gegenseitig mehr Stärke leihen, und dann müßte
man Ihr Vorhaben sogleich in den gelehrten Zeitungen anzeigen, um Concurrenz zu verhüten.
In einem der neuesten Blätter des Journal de lempire steht eine
weitläufige Diatribe über und gegen mich, (nur als erster Artikel angekündigt) jedoch
mit einer unfreywilligen Anerkennung untermischt, welche darauf schließen läßt, daß
die Schrift einigen Eindruck macht.
Wenn Sie etwa Ihr Urtheil im Anzeiger des Prometheus darüber sagen
wollten, so würde es mir sehr angenehm seyn.
Den Vers aus Ihrer Bianca betreffend, muß ich erinnern daß ich bloß
gegen Ihre Angabe der Sylbenzeit: grad auf mich ein < v v >, Einwendungen gemacht
habe, da es meines Bedünkens vielmehr ist: v v ; allein ich finde
diese Abweichung vom jambischen Gange gar nicht zu tadeln, sondern den Vers in seiner
ersten Gestalt lebendiger und leichter als jetzt. Eine wichtigere metrische Bemerkung ist,
daß Sie Bianca dreysilbig gebraucht haben, im Italienischen ist es durchaus nur
zweysilbig u diese Zusammenziehung ist auch unserer Sprache nicht fremd. Meinem Ohr will
jenes nicht zusagen.
Mit vielem Danke erfolgt hiebey der mitgetheilte Brief von Joh.
Müller zurück, nachdem ich mir die Notizen abgeschrieben.
Ehe ich wußte, daß Sie meine französische Schrift länger brauchen
würden, habe ich Sie Hrn. Grafen von Sickingen zur Lesung mitzutheilen versprochen.
<259:>
Leben Sie recht wohl auf baldiges Wiedersehen
Ihr ergebenster
A. W. Schlegel
Dienstags d. 1 März 1808.
v v
] in D oberhalb der Wörter: grad auf mich ein
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