Eduard
Ippel (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann und Gervinus, 2
Bde. (Berlin: Dümmler 1885/86), Bd. 2 (1886), 197-200
Friedrich Christoph Dahlmann an Georg Gottfried Gervinus, Jena,
26. 10. 1840
- Jena, 26. Oct. 1840.
Noch habe ich Ihnen, lieber Gervinus, nicht
für die Widmung Ihres letzten Bandes gedankt, ich wollte ihn vorher durchlesen, jetzt, da
das geschehen ist, kann ich es um so herzlicher für beides. Es ist jetzt nicht allein das
Geschenk als von Ihnen kommend, sondern auch der Werth des Geschenkes, der mich erfreut.
Gewiß, mich hat nicht leicht ein Buch so sehr angezogen als dieses, und ich finde bei
mir, daß ich in vielen Puncten mehr auf Ihre Seite, oder richtiger, vollständiger auf
Ihre Seite getreten bin, als das früher, wenn wir über solche Dinge sprachen, wohl der
Fall war. Auch in der früheren Region, von der Ihr Buch handelt, habe ich in meinen
Jugend-, fast Kinderjahren sehr viel gelesen und es ist mir das Meiste gegenwärtig.
Vieles fand ich davon in meines Vaters Büchersammlung, Vieles in der unsers Nachbarn,
gerade des Justizraths von Palthén, über dessen Versuche zu vergnügen Sie sich
einigermaßen lustig machen. Wir Knaben wußten das und hatten es gelesen, daß Lessing so
arg über ihn hergefallen war, dennoch machte es einen großen Eindruck auf mich, daß er
ein Buch geschrieben hatte und vollends eines, worüber Lessing ge- <198:>
schrieben, so daß ich nur um so besser von dem wunderlichen Manne dachte, der uns
manchmal ein Halt zurief, wenn wir aus nachbarlicher Freundschaft einige Zweige seiner
Kirschbäume benützten. An einer Stelle sagen Sie, Herder sey durch Weimar den
Göttingern entrissen worden. Das wird sich anders verhalten. Georg III. genehmigte
Herders Berufung nicht, weil ihm unter der Hand Zweifel gegen dessen Orthodoxie
beigebracht waren. Mir ward das geschrieben, als man mich nach Göttingen berief, um mir
an einem Beispiele deutlich zu machen, daß ich denn doch die königliche Genehmigung
abwarten müsse, ehe ich meinen Abschied in Kiel fordere; es sey freilich das einzige
vorgekommene Beispiel.
Meine Frau hat sich jetzt Ihres Buches bemächtigt; vorläufig schilt
sie, daß Claudius nicht in der Inhaltsanzeige zu finden ist und wohl überhaupt nicht
gehörig vorkommen dürfte. Wenn Sie in dem Schlußbande einen Blick auf Heinrich von
Kleist werfen sollten, so möchte ich zum voraus für ihn um Gnade bitten. Das heißt:
seinen Magnetismus und Wandeln im Schlafe gebe ich Ihnen preis und seinen oft zu sehr
zerhackten Styl; im Ganzen aber lasse ich es mir nicht nehmen, daß er die größeste und
wahrste dramatische Ausstattung als ein Geschenk der Natur besaß. Einen glühenderen
Freund des deutschen Vaterlandes hat es nie gegeben als ihn und er ist an gebrochenem
Herzen über die Leiden der Zeit gestorben, wenn gleich äußerlich er als ein Opfer einer
phantastischen Grille fiel. Für sein bestes Werk halt ich die am
wenigsten besprochene Hermannsschlacht. Es hat zugleich historischen Werth; treffender
kann der hündische Rheinbundsgeist, wie er damals herrschte (Sie haben das nicht erlebt),
gar nicht geschildert werden. Damals verstand jeder die Beziehungen, wer der Fürst
Aristan sey, der zuletzt zum Tode geführt wird, wer die wären, die durch Wichtigthun und
Botenschicken das Vaterland zu retten meinten <199:> an den Druck war 1809
&c. gar nicht zu denken. Sie können denken, daß ich an der Bärin des Ventidius
einigen Anstoß nahm. Kleist entgegnete mir: meine Thusnelda ist brav, aber ein wenig
einfältig und eitel, wie heute die Mädchen sind, denen die Franzosen imponiren, wenn
solche Naturen zu sich zurückkehren, so bedürfen sie einer grimmigen Rache. Hätte er
die Befreiung von der Franzosenherrschaft erlebt, ich bin gewiß, er hätte Werke
aufgestellt, die das Vaterland mit seinem Lobe erfüllt hätten. Mancher Theorie, die ihn
zerrte, hatte er den Abschied gegeben.
Was sagen Sie zu unsern Welthändeln? Kracht und blitzt es aus der
Wolke, so hat es mit unserer Bundesverfassung ein Ende, die noch schließlich ein volles
Geschirr von Narrheit, die Schlechtigkeit nicht zu vergessen, uns armen Deutschen über
die Köpfe gegossen hat. Die durchreisenden Berliner meinen, es gehöre doch einmahl zur
fünften Großmacht, über die Händel des Orients mitzuentscheiden. Einem berühmten
Historiker erwiederte ich: Preußen wird eine Kleinmacht bleiben, so lange bis es
Frieden mit dem übrigen Deutschland schließt. Die in der Hannoverschen Sache
begangenen Schändlichkeiten wollte doch auch er nicht in Schutz nehmen. Und vom neuen
Throne her? Leider nichts als die Röcke, die von andern abgetragen, erst seine Mode
werden. Und mit der unglücklichsten Naivität werden diese Nuditäten der Einsicht auf
der Rednerbühne zur Schau gestellt. Das Königsberger Ereigniß wird doch einen langen
Nachhall geben, aber wie bei allen deutschen Dingen, der Entschluß, der vor vier Wochen
genügt hätte, hinkt noch acht Wochen hinterdrein. In Hannover haben wir das in diesen
drei Jahren nun oft erlebt. Thöl war kürzlich hier, er ist und bleibt brav und treu.
Albrecht hat mit Stahl zugleich einen Ruf nach Berlin für Deutsches
Staatsrecht und Europäisches, ich weiß es von <200:> ihm selber; aber er hat ihn
so ziemlich abgelehnt, was mir für die allgemeinen Verhältnisse leid thut. Es war keine
Anfrage, sondern eine förmliche Berufung aus dem Cabinette, kurz ehe Eichhorn sein
Ministerium förmlich angetreten.
Was mich angeht, so werden Sie den dummen Zeitungsnachrichten keinen
Glauben beigemessen haben; man ist es in Bern zufrieden, daß ich meine Entscheidung bis
zum 1. Dec. verschiebe, und ich sehe bis dahin durchaus keine Veranlassung, mich
anders zu entscheiden als dafür, daß ich dahin abgehe. Vielleicht ist es mir selbst
dienlich, die Begebenheiten der nächsten Paar Jahre als Zuschauer von Außen zu
betrachten.
Von Schlosser erhielt ich vor ein Paar Tagen einen Brief. Er hat eine
Recension meiner Dänischen Geschichte (deren zweiter Theil jetzt in den Druck geht)
geschrieben und will die Aushängebogen Ihnen zustellen. Bitte, danken Sie ihm vorläufig
bestens, und schicken Sie sie mir doch gleich.
Sie werden wegen meiner Gesundheit besorgt seyn, weil ich heute so
geschwätzig bin; es soll aber auch so bald nicht wieder geschehen.
- Ihr
F. C. D.
-
|