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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Johannes Hoffmeister (Hrsg.), Briefe von und an Hegel, 3 Bde. (Hamburg: Meiner 1952-54), Bd. 1: 1785-1812 (1952), 219-222

Johann Thomas Seebeck an Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Jena, 13. 3. 1808

Jena den 13 März 1808.

Da unter den Barbaren, wie ich von Ihnen, mein werter Freund, erfahren, die hiesige Lit[eratur] Zeit[ung] nicht bekannt ist noch gelesen wird, Sie ihrer also leider auch entbehren müssen, so werden Sie wohl noch nicht wissen, was darin bekannt gemacht worden, dieses, „daß es mir gelungen ist, mit 48 Lagen 36 ¤zölligen Platten Davy’s Metalle zu erhalten und daß sich dieselben mit <Merkur-Zeichen> zu einem ziemlich festen, silberweißen Amalgame verbinden“. Ferner, daß ich, wie Sie von uns schon erwartet haben, auch sogleich auf die Erden losgegangen bin und diese wirklich ebenso verbrennlich gefunden habe, als die Alkalien es sind, namentlich Talk, Ton, Kalk, Kieselerde und Baryt. Alle genannte[n] Substanzen verbreiten beim Verbrennen spezifike, voneinander zu unterscheidende, besondere, stechende Gerüche. Der des Baryt kömmt dem des <220:> kaustischen Kali am nächsten, und was Ihnen – des naturphilosophischen Paragraphen wegen – besonders interessant sein wird, die etwas schwerer verbrennende Kieselerde hat wirklich eine Aehnlichkeit im Geruch mit dem durch einen Wassertropfen (übrigens auf die gewöhnlichste Weise) vermittelst der Säule verbrannten Goldblattes. Dies wurde wahrgenommen den 19ten Febr[uar], nachmittags 4 Uhr 25 Minuten unserer leider nie ganz richtig gehenden Stadtuhr. Sie werden nicht unbemerkt lassen, daß dies eine der periodischen Stunden (9, 4, 11, 4) war, auch daß der Mond abends vorher ins letzte Viertel getreten p.
Nun aber auch zur Beantwortung Ihrer etwas anzüglichen Frage, warum wir (denn ich will nicht ausgenommen sein) deutschen Galvanisten mit solcher wichtigen Entdeckung als die Davy’sche die Welt nicht „regaliert“ haben. Der Gründe gibts hier, wie aller guten, drei: 1) unsere große Gründlichkeit. Die Reihe war noch nicht an diesen Entdeckungen. So ein Korsar von Engländer achtet aber nicht Gesetz und Ordnung und tappt eben in alles hinein. Hätten wir uns nicht der belobten Wissenschaftlichkeit (der deutschen) ergeben, was hätten wir nicht alles schon ertappt! 2) Haben wir, worüber nur solche ketzerischen Philosophen sich in Zweifeln befinden können, in dieser Zeit unendlich viel wichtigere Dinge entdeckt und zum Teil auch offenbart, die wir mit allen Kräften des Leibes und der Seele nun auch zu erhärten gesonnen sind. 3) Verrät jener Vorwurf große Unbekanntschaft mit unsern Schriften, worin, so viel wir bisher rätlich fanden, schon längst über diese Materie eröffnet worden, z. B. daß sich Kohle am Kali durch galvanische Behandlung erzeuge, welche ja bekanntlich in die Reihe der Metalle gehört, auch haben einige von uns schon deutlich zu verstehen gegeben, wie alle Erden p. zu den Metallen zu schlagen seien. Bedurfte der Einsichtige mehr? – Sie sehen also, daß wir weder einen Aerger zu verwinden, noch Trostgründe dagegen zu suchen haben. Wir wissen aber nicht, wie die Herren Naturphilosophen, denen es nicht minder als uns, nach ihnen selbst sogar ganz ausschließlich, wie alles so auch dies, zu wissen, und solche von ihnen für Haupt- und Revolutionsentdeckungen gehaltene, diese, wie alle künftigen, die wir machen, und, mit Cuvier, als Zufälligkeiten verschmähend, nicht machen werden, vorherzusagen obgelegen wäre, doch nicht geleistet worden, [sich] trösten und rechtfertigen werden. Der Teufel bietet wohl manchem mal Kohlen statt Gold, doch nur der spagirische Künstler vermag, auch dieses in Gold zu verwandeln. Vale. <221:>
Ihre Aufträge, lieber Freund, habe ich ausgerichtet. Frommann trifft auch schon Anstalten, Ihre Sachen abzusenden. Die Kupferstiche und Zeichnungen habe ich in der Mappe versiegelt der Burkhardt geschickt, wo der Pfändelsche Markthelfer sie eingepackt hat. Noch hatte ich von Ihnen Lorenz, Uebers[etzung] d[es] Euklid, welches ich auch abgegeben habe.
Was Ihnen Schelling über die Wunder der Wünschelrute und von den Wirkungen des Willens darauf p. geschrieben, ist ungefähr dasselbe, was auch Ritter mir, – nachdem er „mir nicht verhohlen, daß er mich genug kenne, um zu wissen, wie so manch’ geheimes Mißtraun sich meiner bei der ganzen Sache bemächtigt habe“, – eröffnete, nämlich, „daß der Willensreiz gleiche Dignität mit dem ordinärphysischen habe“. „Schon“ sagt er, „bin ich dahin, für Froschpräparate bestimmter Erregbarkeitsstufe meine Finger different, indifferent oder umgekehrt different zu setzen, durch den bloßen Willen“. Kann man mehr fordern? Er hat mir noch einige Haupt- und Grundversuche mitgeteilt, die zu beschreiben etwas weitläufig ist; also davon lieber mündlich. Das 1te Heft des Siderismus werden Sie ja wohl schon erhalten haben. Der Plan, den er der Kommiss[ion] d[er] Akademie zur Prüfung Campetti’s vorlegte, ist wohl gut und hatte, wenn die Mitglieder jener der Untersuchung nur einigermaßen gewachsen wären, schon zu Resultaten führen können. Die Herren scheinen aber den Mut verloren zu haben, eine so verfängliche Sache ins Klare zu bringen. Die Kommission ist aufgelöst, und Ritter hat es jetzt in dieser Sache bloß mit dem Praesidio der Akademie und durch dieses mit der Regierung zu tun. Bei der Untersuchung Bleton’s (zu Lavoisier’s Zeit) ging es mit der erwähnten Pariser Kommission nicht besser. Ein zu dieser Kommission erwähltes Mitglied antwortete sogar: j’ai écrit contre Parangue (ein Vorgänger Bleton’s), je suis de trois Académies: et vous voulez que je croye à ces sottises là?
In München sind die Davy’schen Entdeckungen schon am 12. Dec. bekannt gewesen, doch erst den 18ten Febr. hat Ritter darüber Versuche angestellt … Diese Versuche habe ich nun nicht ermangelt zu wiederholen, ich habe mich 2 Stunden damit geplagt ohne den verhießenen und gehofften Erfolg. R[itter] hält übrigens die neuen Substanzen mit den Pariser Physikern für bloße Kali- und Natronhydrures[?], nicht für Redukte, wie Sie ausführlicher in einem Auszuge aus Ritt[ers] in der Akademie verlesenen Abhandlung finden werden, den ich auf Jacobi’s und Goethe’s Aufforderung für die hiesige Lit[eratur] Zeit[ung] gemacht habe, ersehen werden. Heute <222:> schreibt Ritter mir, der ich mich für die Metallität erklärt hatte, (weil ich eben ein vollkommenes metallisches Amalgam erhalten hatte), daß er nichts gegen die Metallnatur der Davy’schen Produkte habe, nur dagegen viel, daß es Redukte sein sollen. Ich hoffe nun bald, weiter mit kräftigen Säulen arbeiten zu können und werde Ihnen mit Vergnügen die Resultate mitteilen, wenn Sie sich auf diese Dinge einlassen mögen.
Was sagen Sie denn zu dem Glück unsrer Neukatholiken? zur neuen Maria, unbefleckter Empfängnis? Ein Mädchen in Italien (?) wird schwanger und macht bekannt, daß sie es sei, aber von einem Vater dazu nichts wisse; wer da glaube, es zu sein, möge sich bei ihr melden. Das soll ein wahres factum sein. Die neuen Gläubigen haben nun nicht ermangelt, es sogleich zu benutzen und recht erbaulich zuzurichten. Vid. „Phöbus“, 2tes St. Was werden wir nicht alles noch erleben!
Nun muß ich schließen; leben Sie wohl und helfen Sie hübsch dazu, daß unser Briefwechsel in gutem Fluß bleibe. Die Entschuldigung wegen Mangel an Stoff kann ich von Ihnen nicht annehmen.

Ihr
Th. Seebeck.

H: SBB-PK

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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