Paul
Hoffmann, Ulrike von Kleist über ihren Bruder Heinrich,
in: Euphorion 10 (1903), 105-152; darin: 135
Auguste v. Schönfeldt nach Erzählung von Ulrike v. Kleist
In Paris hat Onkel Heinrich Unterricht in der griechischen Sprache genommen, zuerst bei
einem monsieur Cournon der Professor in dieser Sprache bei
\1\ war. Monsieur Cournon war ein parvenu
aus der Revolution, der mehr durch sein savoir parler und seinem äußern Wesen
die Stelle eines Professors erlangt hat, als daß ihm gründliche Kenntnisse dazu
verholfen hätten, deshalb war Onkel mit der Recomandation von Lalands durchaus
nicht zufrieden, gab ihm bald den Abschied und nahm einen andern Lehrer, einen ganz jungen
bescheidenen Menschen, der ihm mehr genügte. Dieser aber bekam bald die Stelle eines
Professors in der griechischen Sprache an einer Schuhle in einer kleinen Stadt nicht
entfernt von Paris, mußte den Unterricht aufhören und hatte Onkeln als Professor der
deutschen Sprache vorgeschlagen, der bei dieser Schuhle noch gesucht wurde. Daher, Gott
weiß auf welche Umwege kömmt wahrscheinlich der Irrthum in der französischen Biographie
von Onkeln, daß er nach Paris gereist wäre um Unterricht in der deutschen Sprache zu
geben.
Monsieur Cournon ist
ein Mensch von schlechten Grundsätzen gewesen. Er gehörte zu denen, die der Revolution
geschworen haben, hat als Priester seine maitresse geheirathet und sie, um sich
beim Plebs beliebt zu machen, allen Hökerweibern und Straßengesindel als madame
Cournon präsentirt. Nach der Revolution sind ihm wenig Freunde geblieben und selbst Lalande,
mit dem er an einem Collegium angestellt war und der ihn darum son confrère
nannte, verhehlte ihm deshalb ganz und garnicht seine große Verachtung.
Als
Wieland Onkel Heinrich kennen lernte, war er vom ersten Augenblick für ihn eingenommen
und hat ihm ver- [2. Seite:] sichert, daß er eine große Idee von ihm gehabt hätte,
daß er aber alles überträfe, was er je von ihm erwartet hat und an
HE. v. Werdeck hat er gesagt, daß wenn Onkel jemals so weit käme, das
auszusprechen, was er in sich ahnen läßt, so würde die Kunst um Jahrhunderte vorwärts
schreiten.
Nach Paris ist Onkel gereist
um das im Reiche der Kunst und Wissenschaft zu erlernen was er Frankreich vor Deutschland
vorausgeschritten glaubte, ist aber mit seinem Aufenthalte dort garnicht zufrieden
gewesen, nachdem er die Erfahrung gemacht hat, daß die Franzosen, denen in der ganzen
Welt alles nachgeäfft wird, bedeutend vor Deutschland zurück wären, trotzdem, daß
gerade damals 1801 alle Kunstschätze und alle Gelehrten in Europa, nach Paris strömten.
Onkel
Heinrich hat für den Bogen seiner Schriften 6 Louisdor bekommen. Die
Königin hat ihn monatlich mit 5 Louisdor unterstützt.
\1\ Hier findet sich eine Lücke im Original.
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