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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Paul Hoffmann, Ulrike von Kleist über ihren Bruder Heinrich, in: Euphorion 10 (1903), 106-112

Ulrike v. Kleist über Heinrich v. Kleist


Vor mir liegt ein altes, vergilbtes Manuskript, das überschrieben ist: „Was mir Ulrike Kleist im Jahre 1828 in Schorin über Heinrich Kleist erzählte.“ Der um die Kleistforschung verdiente Professor Rudolf Schwarze verehrte es mir nicht lange vor seinem Tode (gestorben den 9. April 1900 in Frankfurt an der Oder). Es besteht aus sechs Blättern in quarto. Die zwölf Seiten sind nicht alle voll beschrieben. Bei der Mitteilung der Handschrift sollen die einzelnen Lücken kenntlich gemacht werden. Das Wasserzeichen in dem grauen Papier ist eine fünfzackige Krone über einem schildähnlichen Emblem. Unter letzterem steht über dem Namen J. D. Röpe, in Kursiv, eine 4. Die Schrift läßt gewandte, ausgeschriebene Züge einer leichten Hand erkennen; wahrscheinlich rühren sie von einer Dame her. Als Heinrich von Kleist einmal das Wesen seiner Schwester als unweiblich rügen wollte, sagte er unter anderem von ihr, sie sei „ein Mädchen, das orthographisch schreibt“. An diesem Maßstabe gemessen, bleibt die Verfasserin unserer Aufzeichnungen solchem Vorwurfe überhoben. Vor ihm bewahrt sie auch außer dem Stil noch die mangelhafte Interpunktion und der inkorrekte Satzbau. Bezeichnend ist es ferner, daß fast alle Namen unrichtig geschrieben sind.
Auf die naheliegenden Fragen, wer ihre Erzählung niedergeschrieben, und welche Veranlassung die schwer zugängliche Ulrike mitteilsam gestimmt habe, weiß ich keine Antwort. Ob es der lindernden Wirkung der Zeit allein gelang, oder ob bestimmte Umstände hinzukamen, von denen man vermuten könnte, daß sie ihrem tiefen Schmerze Einhalt getan, wer wollte das entscheiden? Ulrike erlebte es, daß Ludwig Tieck zehn Jahre nach dem Tode ihres Bruders dessen „Hinterlassene Schriften“ veröffentlichte und 1826 „Heinrich von Kleists gesammelte Schriften“ folgen ließ und in der „Vorrede“ zu diesen „fast nur jene Worte wiederholen“ konnte, die er 1821 über Kleist „und sein Verdienst als Schriftsteller auszusprechen suchte“. Wollte Ulrike die dürftigen biographischen Notizen Tiecks ergänzen und wenigstens dem Gedächtnis der Verwandten oder nächsten Freunde anvertrauen, was sie allein über den Bruder wissen konnte? Daß sie für dessen poetische Mission nach seinem Tode mehr Verständnis erlangt hätte, ja daß Tiecks Ausgabe sie auf einen endlichen Erfolg der Dichtungen Heinrichs hoffen lehrte, möchte ich bezweifeln. Warum erwähnte sie in den folgenden Mitteilungen sonst nur die „Familie Schroffenstein“, den „Phöbus“, die „Hermannsschlacht“ und erinnerte an die geplante „Germania“, da sie doch vom „Guiskard“ wußte, „Penthesilea“, „Amphitryon“, den <107:> „Zerbrochenen Krug“ und gewiß noch manches andere kannte? Wir besitzen überhaupt nur ein Zeugnis dafür, daß Ulrike die Bedeutung des Bruders zu schätzen wußte, in dem Briefe, den sie an den französischen General Clarke in Berlin schrieb – am 3. April 1807 –: „mon frère n’est pas sans nom et sans réputation dans le monde littéraire en Allemagne, et qu’il est digne de quelque intérêt.“ Ein Wort, das um so mehr erfreut, als man den Stolz zu fühlen glaubt, mit dem es ausgesprochen wurde. Von letzterem merkt man in ihren Mitteilungen nichts. Erkennbar ist nur, daß sie die Briefe des Bruders treu im Gedächtnis bewahrte, wenn auch das, was sie dazu ergänzte, bisweilen, unbeabsichtigt natürlich, mehr zu ihrer als des Bruders Charakterisierung beiträgt. Daraus, daß sie mancherlei unerwähnt läßt, darf vielleicht geschlossen werden, daß sie nicht zu einer Fremden sprach. Sie konnte voraussetzen, daß ihre Zuhörerin über die Jugend Heinrichs, seine Beziehungen zu Wilhelmine von Zenge und seine letzten Schicksale unterrichtet war.
Heinrich von Kleist war siebzehn Jahre tot, als Ulrike das Folgende erzählte. Sie befand sich in Schorin, einem Rittergute unweit des Leba-Sees, drei oder vier Meilen östlich von Stolp in Pommern. Schorin gehörte dem Baron Philipp von Stojentin, der mit Friederica von Kleist von Kleist verheiratet gewesen war. Unser Dichter nannte diese Schwester, die älteste aus der zweiten Ehe des Vaters, manchmal „Fritzchen“. Sie war 1828 schon viele Jahre verstorben. Hier, im Hause des Schwagers, ließ Ulrike sich bereit finden, über ihren Bruder zu sprechen.
Mich auch der leisesten Änderung enthaltend, gestatte ich mir, einer buchstabengetreuen Wiedergabe der Handschrift einige Berichtigungen und Zusätze folgen zu lassen:\1\

Was mir Ulrike Kleist im Jahre 1828 in Schorin über Heinrich Kleist erzählte.
Nachdem Heinrich in Frankfurt studirt hatte ging er nach Berlin und arbeitete unter Kuhnt\2\. Das ging eine Zeit lang recht gut, bald aber war ihm dies und das nicht recht, und er hatte schon öfter geäußert das ginge nicht, er hielte das nicht aus, und wolle eine Reise machen. Als nun eines Tages sein Vorgesetzter ihm ein langweiliges Buch von vielen Bänden mit dem Auftrage gab, es durch zulesen und ihm einen Bericht darüber zu machen, war sein Entschluß gefaßt, er wollte fort. Wohin – das wuste er selbst nicht, und schrieb mir: ich möchte nach Berlin kommen Geld mitbringen, und dann wollten wir berathen <108:> wohin es gehen sollte. Derweilen meldet er sich um einen Paß, man frägt ihn wohin? – und er antwortet, nach Paris. Was wollen sie da? – studiren – antwortet er, um etwas zu sagen. Man sprach nun viel darüber, und machte sich große Erwartungen von ihm und seinen Studien in Paris. Wir reisten also ab. Zuerst bis Dresden. Da gefiel es ihm so sehr daß er nicht fort zubringen war. Er sah die Gemälde, die Kunstwerke, und lebte nur für die Kunst. Er machte Bekandtschaft mit einem jungen Mahler Loos, der ihn rumführte, und statt wie er glaubte, Heinrich belehren zu können, verwundert da stand, und ihm zuhörte, was er über die Kunstwerke sagte. Er hielt es für unmöglich, daß ein nicht selbst Mahler so Gemälde beurtheilen, so darüber sprechen könnte. Der Mahler Loos war mit einem Fräulein v. Schliefen versprochen, die wir nebst ihrer Schwester schon früher hatten kennen gelernt, sehr liebe gute Mädchen, die mit großer Herzlichkeit an uns hingen. (Ich vermuthe daß die Briefe die kürzlich in einem Journale abgedruckt wurden an sie waren.) (Der Mahler Loos ist später mit seiner Frau nach Mailand gegangen.) [2. Seite] Wir hatten uns in Dresden eigne Pferde gekauft um damit die Reise zu machen. Diese waren schon längst angeschaft aber Heinrich konnte sich nach langen Zaudern erst spät zur Abreise entschließen. Wir gingen nun nach Leipzig. Überall machte H[einrich] schnell Bekandtschaft. So stand er hier eines Tages vor dem schwarzen Bredte, die Anzeigen zu lesen. Ein junger Mann steht neben ihm, sie kommen ins Gespräch. Es ist der Famulus des Prof: Hindenburg. Wünschen sie den Prof. H[indenburg] kennen zu lernen? frägt er ihn. – Ja gern. So führt er ihn hin, Hindenburg empfängt ihn sehr freundlich, überhäuft ihn mit Gefälligkeiten, sie gewinnen einander lieb, und Hindenburg macht sich große Erwartungen von seiner Reise nach Paris, und seinen künftigen Leistungen. Er gab ihm Empfehlungen mit, die ihm zu seinen Studien nützlich sein konnten, und abermals nach langem Zögern in Leipzig, reisen wir endlich weiter.
Wir richteten uns in Paris auf ein Jahr ein. Es gefiel aber H[einrich] das ganze französische Wesen so schlecht, daß er nicht länger als 4 Monate aushielt, und dann nach der Schweiz ging, wo er sich auf einer kleinen einsamen Insel bei Thun auf der Aar niederließ, seine Familie Schroffenstein aus zu arbeiten. Ich kehrte nach Frankfurt zurück.\1\
[Seite 3] Ich war kaum einige Monate von meiner Reise nach der Schweiz in Frankfurt zurück, als Pannewitz einen Brief von Heinrich aus Bern erhielt, worin er schreibt: daß er sehr krank sei, und dringend bittet ihm Geld zu schicken, und es an den D[octor] Wittenbach\2\ zu adressiren, im Fall es ihn nicht mehr lebend träfe, damit der D[octor] alles damit berichtigen könne. So wie ich den Brief gelesen, ist auch mein Entschluß gefaßt selbst wieder hinzureisen, und ungesäumt nehme ich Geld auf, bestelle Postpferde und setzte mich in Begleitung eines Bedienten auf, und fahre Tag und Nacht. Ich treffe in der Schweiz viel Bewaffnete hie und da zusammen rottirt, und in eifrigem Gespräch. Ich komme nach Soloturn\2\ verlange ein Zimmer und eilig Pferde um so schnell als möglich nach Bern zu kommen. Man sagt mir: ein Zimmer für mich könnte ich nicht bekommen, es sei das Haus zu voll. Ich werde in ein gemeinschaftlich Zimmer geführt, worin viele Officiere in verschiedenen Uniformen versammelt waren, jeder seinen Zorn auf seine Weise ausdrückend. Ich weiß nicht was das alles zu bedeuten hat, und frage einen der Officiere „kann ich wohl sicher nach Bern fahren?“ – „ich weiß nicht“ ist die Antwort. Ich frage einen Andern – bekomme auch keine genügende Antwort. Endlich erfahre ich, es sind Gefangene an die ich mich gewendet, und höre daß das Corps des General Erlach eben auf den Weg nach Bern ist, daß Bern geschlossen, und Niemand aus und ein darf. – Ich denke aber, du kehrst dich an <109:> nichts, und gehst so lange als es nur möglich ist, tritt dann die Gefahr so nahe daß du nicht weiter kannst, so ist immer noch Zeit zum umkehren. Ich setzte mich ein, und fahre die ganze Straße bis Bern zwischen bewaffneten Truppen, die mich alle höflich grüßen und ohne Hinderniß durch lassen. Wie ich an die Thore von Bern komme, sind sie eben geöffnet um Zufuhr hineinzulassen, ich fahre mit [Seite 4] ein, werde am Thore examinirt, und mit der Weisung entlassen von 7 Uhr nicht mehr auf der Straße zu sein, es sei der Befehl ergangen, von 7 Uhr an jeden der auf der Straße ginge zu arrettiren. Es war aber schon 6 Uhr, wie nun gleich Heinrich finden. Ich fahre nach einem Gasthofe, frage nach dem D[octor] – – gehe zu ihm, frage nach H[einrich]. Ja sagt der D[octor] ich weiß nicht ob er jetzt hier ist. – So ist er also wieder gesund? – o ja gesund ist er. Mein Begleiter aus dem Gasthofe, als er den Namen Kleist hört, sagt. I. der Herr v. K[leist] ißt ja alle Mittage bei uns. – Weißt du ihn wohnen? – o ja. Nun also eilig zu ihm. Ich trete ein, Heinrich sitzt allein und arbeitet. Er schlägt die Hände über den Kopf zusammen. Ulrike! was ist das? du siehst ja aus als wärst du eben zur Thür raus gegangen und wieder rein gekommen, (ich hatte die selben Reisekleider an, in denen ich mich vor wenig Monaten von ihm getrennt hatte und dieses eben so aussehen, beschäftigte ihn in den ersten Augenblick am meisten. Du bist also wieder gesund? – o ja wie du siehst. – Nun dann komm nur gleich mit nach dem Gasthofe, ich habe schon Zimmer für uns bestellt, und nach 7 dürfen wir uns nicht mehr auf der Straße zeigen. – Ja mit gehen kann ich nicht, ich habe noch einigen jungen Männern versprochen ihnen beizustehen, sie wollen Bern vertheidigen wenn General Erlach kömmt. – Ach laß sie nur sich allein vertheidigen, jetzt kömmst du gleich mit mir. So zog ich ihn mit zu meiner Wohnung. Durch mich erfuhr man nun in Bern, wie weit General Erlach sei, und mit wie starker Begleitung er komme.\1\
[Seite 5] Nachdem es in Bern wieder etwas ruhiger geworden war, wünschte Heinrich daß ich möchte seine liebe Ahr Insel kennen lernen. Wir brachten mehrere Tage dort zu, machten kleine Flußreisen am jenseitigen Ufer, und kehrten immer wieder nach unserer Insel zurück.
Heinrichs Wunsch war nun, nach Wien zu gehen, wir wollten über Neufchatel, die Pässe waren besorgt und der Tag unserer Abreise bestimmt.
Es war zu dieser Zeit sehr unruhig in Bern. Die neue Regierung gab viel Anlässe zu Unzufriedenheit; es wurden die alten Beamten abgesetzt, und viele, die ihre Meinung laut aussprachen, wurden verwiesen. Der junge Wieland, Heinrichs Freund, war ein unruhiger Kopf mit satyrischer Zunge. Er hatte bei der vorigen Regierung einen Posten bekleidet, und äußerte sich bei vieler Gelegenheit unvorsichtig.
Eines Tages, kurz vor unserer Abreise\2\ kömmt Heinrich nach Haus, und sagt: Hör Ulrike wir können nicht nach Wien, Wieland ist nach ××× verwiesen, er hat keine Mittel, wir können ihn nicht im Stich lassen, wir wollen also heute noch dahin abreisen. Wieland war nun aber fort gegangen, und kein Mensch wuste ihn zu finden. Ich ging gleich zur Gessner (seiner Schwester), sagte ihr: sie möchte von seinen Sachen zusammen suchen was sie glaubte daß er brauchen würde, und möchte mir sie gleich schicken, ich bestellte den Fuhrmann, ließ aufpacken, und in 2 Stunden war alles zur Reise fertig, Wieland kam, wir setzten uns ein, und Heinrich war außer sich vor Freude, daß die Regierung nun nicht wissen würde ob Wieland gegangen [Seite 6] wäre weil er muß, oder weil er will. <110:>
Obgleich unsere Pässe zu einer ganz anderen Straße genommen waren mußten wir nun mit Wieland nach ×××. Da W[ieland] gar kein Geld hatte beschloß Heinrich ihn von da nach Jena zu seinem Vater zu bringen. Auch freute er sich sehr des alten Wieland persönliche Bekandtschaft zu machen. Der Sohn hatte ihm schon öfter von Heinrichs Arbeiten geschickt, durch die er H[einrich] sehr lieb geworden\1\ hatte und beide standen in dem freundschaftlichsten Briefwechsel.
In Erfurt fand Wieland eine alte Jugendbekandte, die ihn sehr zu redete dort zu bleiben. Heinrich war darüber bös, daß er nun nicht zu seinem Vater wollte, und also dadurch der Plan ganz scheiterte, eine zeitlang bei ihm zu leben. Endlich entschloß er sich nach vielem zu reden doch noch allein hinzu gehen, und ich kehrte nach Frankfurt zurück.\2\
[Seite 7] Sehr froh endlich Heinrich aus der Schweiz raus zu haben, trenne ich mich von ihm mit dem beruhigenden Gedanken, ihn nun bei Wieland zu wissen der ihn sehr liebte und väterlich für ihn sorgte, 6 Monat blieb er bei ihm und arbeitete fleißig, da verläßt er ihn, geht nach Dresden, dann nach Leipzig, wieder zu Hindenburg\3\ um Collegia zu hören. Unterdessen kömmt aber Pfuhl nach Leipzig und beredet ihn, mit ihm wieder nach der Schweiz zu gehen. Er willigt schnell ein, und schreibt mir: er wünschte mich vor seiner Abreise noch zu sehen, ich möchte doch nach Dresden oder Leipzig kommen und ihm Reisegeld mitbringen. Was war zu thun, ich setze mich auf und reise nach Dresden. Finde ihn ganz vergnügt über die Aussicht mit seinem lieben Pfuhl so lange zusammen sein zu können, welches Glück er gar nicht hoch genug anschlagen konnte, und so geht er abermals nach der Schweiz. Eines Tages in einem Gasthofe in der Schweiz, wo sie in ihrem Zimmer laut sprechen, hören sie im Nebenzimmer plötzlich ihre Namen rufen. Es waren Herr und Fr. v. Werdeck die ihre Stimmen erkannten, voller Freude sich da wieder zu sehen, lassen sie sich leicht bereden Werdecks nach Paris zu begleiten und richtig kehrt er auch nach dem kürzlich erst verlassenen\4\ Paris zurück daß ihm damals so zuwieder war, daß er statt ein Jahr dazu bleiben nicht länger als 4 Monate zu halten war. Eine zeitlang sind sie ganz vergnügt mit einander. Eines Tages aber kömmt Heinrich mit Pfuhl über eine Kleinigkeit in Streit, H[einrich] wird so heftig daß er aufsteht und fortgeht. Es vergeht eine Stunde nach der andern, ein Tag nach dem andern – er kömmt nicht wieder. Werdeks und Pfuhl in der größten Angst zeigen es bei der Polizei und bei der Gesandtschaft an, es werden überall Nachsuchungen gehalten, keine Spur von ihm. In Paris ist ein Platz, wo alle Verunglückte [Seite 8] die man nicht kennt hingelegt werden, nach diesem Schreckensort fahren sie täglich hin, ihn hier unter den Leichen zu suchen. Nach längerer Zeit bekömmt der preußische Gesandte einen Brief von ihm aus ××× worin er ihn um die Erlaubniß bittet mit den Franzosen die Landung in England zu unternehmen – der Gesandte schickt diesen Brief sogleich an den König, der ihn sehr ungnädig aufnimmt, und der Gesandte schreibt an H[einrich] er solle augenblicklich nach Paris zurückkehren. Er kömmt, läßt sich Pässe geben und geht nach Mainz. Hier geht er zum Doctor Wedekind einen berühmten Arzt, klagt ihm er sei krank, und bittet, ihn in die Kuhr zu nehmen. Wedekind gewinnt ihn gleich so lieb, daß er ihn bittet bei ihm im Hause zu bleiben, dann wolle er ihn genauer beobachten, jetzt wisse er nicht <111:> was er couriren solle. Er bleibt längere Zeit bei Wedekind, und dieser räth ihm Thätigkeit, das sei seines Bedünkens alles was ihm fehle. „Wollen Sie in Coblenz angestellt sein?, frägt er, da kann ich ihnen behülflich sein.“ – „Ach ja mir ist alles gleich. – So geht er mit einem Empfehlungsbrief zu ×××. Wird auch hier wieder sehr freundlich empfangen, zu Tisch geladen und in kurzen sind der Präsident und er befreundet. Er frägt H[einrich] in welch Fach er eigentlich angestellt sein möchte – ja das war ihm gleich. Bei genauerer Bekandtschaft räth ihm der P[räsident] aber in sein Vaterland zurück zu kehren, dort Anstellung zu suchen. Das war nun aber der schwerste Schritt, er hatte bei seiner ersten Abreise nach Paris große Erwartungen erregt, nun sollte er zurückkommen und keine erfüllt haben, das war ihm sehr schmerzlich. Doch überwand er sich, und kam nach Frankfurt. Nun sollte ich mit ihm nach Berlin, wir reisten ab, und er wurde über alle Erwartung freundlich und zuvorkommend empfangen. [Seite 9] Leopold war damals erst kürzlich verheirathet und lebte in Potsdam, es wurde Kleist gerathen, da der König sich da aufhielt auch dahin zu gehen. Wir lebten dort bis nach Neujahr, aber ohne daß H[einrich] auch nur das aller geringste zu seiner Anstellung gethan hätte. Der jetzige Minister Altenstein gewann ihn lieb, und handelte für ihn. Eines Tages nahm er ihn in seinen Wagen fuhr mit ihm zu Hardenberg und sagte E[xcellenz] hier stelle ich Ihnen einen jungen Mann vor, wie ihn das Vaterland braucht, lernen Sie ihn kennen, und geben sie ihm eine Anstellung. Hardenberg ließ ihm ins Altensteinsche Büreau arbeiten, und H[einrich] arbeitete mit großem Fleiße. Einst sagte er zu A[ltenstein] schicken sie mir nur recht viel, darauf erwiederte A[ltenstein], ich will ihnen so viel schicken daß sie nicht sollen fertig werden – das wollen wir sehen, – und so arbeitete er 8 Tage und Nächte ununterbrochen, so daß A[ltenstein] nicht im Stande ist so viel durch zu sehen.
Da nun H[einrich] aber doch noch zu dieser Art arbeiten die Kenntnisse fehlten, so schlug ihm der M[inister] H[ardenberg] vor, erst noch ein Jahr nach Königsberg zu gehen dort Kameral-Wissenschaft bei Krause zu hören, und daneben beim Präsident Auerswald zu arbeiten. Wollen Sie aber gleich eine Anstellung wo sie sich an 1200 Rth. stehen so sollen sie die haben, wünschen Sie aber eine größere Cariere zu machen, so müssen sie diese Studien erst machen, und dann sollen sie Diäten bekommen. So bekam er beinah 600 Rth. Wartegeld, von der Königin hatte er jährlich 60 Louisdor.
(In Thun in der Schweiz hatte er einen Kasten mit Sachen zurück gelassen, er schrieb dem Wirthe ihn ihm zu schicken. Der Kasten kam, begleitet von einem sehr herzlichen Briefe, worin [Seite 10] sein ehemaliger Wirth ihm schreibt: er hätte in seiner Komode sein sehr ähnliches Bild gefunden, sie hätten alle große Freude darüber gehabt, und könnten sich nicht entschließen sich davon zu trennen, sie würden es noch behalten, und wenn er nicht darauf antwortete würden sie es als Erlaubniß ansehen es dort zu behalten. So ist das Bild noch immer in Thun, man weiß aber den Namen des Wirthes nicht.)
Heinrich hörte nun bei Prof. Krause in Königsberg Cameral-Wissenschaft, und arbeitete bei dem Präsidenten von Auerswald ein Jahr lang. Der Minister schrieb ihm: 1806, da durch die unglückliche Schlacht bei Jena die Aussicht ihn in Anspach anzustellen verlohren sei, möge er noch eine zeitlang in Königsberg bleiben. Ich ging nach Schorin. Heinrich blieb noch ½ Jahr, und kam dann in Begleitung von Pfuhl und 2 andern gefangenen Officieren mich dort abzuholen. Ich zog aber vor in Schorin zu bleiben und ließ sie allein reisen. Pfuhl trennte sich von ihnen ehe sie nach Berlin kamen, die drei kommen an, wollen ihre Pässe unterschrieben haben werden arrettirt und nach Frankreich transportirt, ohne ihnen die geringste Veranlassung zu nennen. Ich bekomme mehrere Briefe mit einem male, die alle nur von Heinrichs Arrettirung handeln. Ich setze mich auf, reise nach Berlin, gehe zu den französischen Behörden und ruhe nicht eher bis ich Heinrich frei gesprochen weiß. Er bekömmt die Weisung nach Berlin zurück zu <112:> kehren. Die Reise hatte ihm viel gekostet, er kömmt, stellt sich vor die Behörde, man frägt ihn,: haben Sie Forderungen zu machen, – keine, als die frühern als ich arrettirt wurde, meinen Paß zu unterschreiben. So war er frei, und ging nun nach Dresden wo er Adam Müller kennen [Seite 11] lernte, und mit ihm den Phöbus herausgab. Später mißtraute er Müllers Character und trennte sich von ihm. Auch that er alles mögliche das Hasansche Ehepaar wieder zu vereinigen, und es soll deshalb zwischen ihnen zu sehr ernsthaften Auftritten gekommen sein.
1809 wollte Heinrich nach Wien um seine Herrmansschlacht dort aufführen zu lassen, dicht vor Wien erfährt er daß seit ¼ Stunde die Franzosen eingerückt sind. – Er kehrte um, und ging nach Prag wo er eine Flugschrift heraus gab, die von großer Wirkung gewesen sein soll.

\1\ Doppel-m und -n sind stets durch überstrichene einfache Zeichen dargestellt; die Konjunktion „und“ nur „u“ geschrieben. Den im Original nur durch den Anfangsbuchstaben gegebenen Namen ist die Ergänzung in eckigen Klammern hinzugefügt worden.
\2\ Wie in der Handschrift oft statt der Namen ××× steht, so war es auch an dieser Stelle. Hernach sind die drei Kreuze aber durchstrichen und ist von derselben Hand „Kuhnt“ darüber geschrieben worden.
\1\ Das letzte Viertel dieser Quartseite ist unbeschrieben.
\2\ Die ursprünglichen ××× sind wieder durchstrichen und die obigen Namen darüber geschrieben.
\1\ Es folgen auf der Seite noch zwei Zeilen, die aber durchstrichen sind. Da es gelang, sie zu lesen, gebe ich sie an dieser Stelle: „Wieland der sich sehr für Heinrich interessirte hatte ihn lange dringend gebeten zu ihm zu kommen, sobald sichs thun ließ reisten wir dorthin ab.“
\2\ aus: „Abfahrt“.
\1\ steht im Original.
\2\ Hier folgt eine Lücke von einer Drittelseite.
\3\ Nach „Hindenburg“ ist von derselben Hand „n. b.“ über die Zeile gesetzt, desgleichen an den linken Rand der Seite mit folgendem Zusatz, der quer über das Blatt geht: „n. B. Hindenburg empfängt ihn mit den Worten: So haben Sie also auch nichts anders gethan als sind rum gereist wie alle Andern?“
\4\ Es folgte noch über der Zeile „ihm so zuwiedern“, das aber gestrichen wurde.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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