August
Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Findlinge. Zur Geschichte deutscher Sprache und
Dichtung (Leipzig: Engelmann 1860), 321-324
Adam Müller an Arnold Hermann Ludwig Heeren, Leipzig, 6. 5. 1816
Hochwohlgebohrner Herr
Hofrath!
Hochverehrter Lehrer und
Freund!
Ich weiß nicht ob Euer
Hochwohlgebohren Sich in der Person des Unterzeichneten eines Ihrer dankbarsten Schüler
erinnern wollen. Im Jahre 1810 wagte ich es Ihnen diese unauslöschliche Dankbarkeit durch
die Zueignung einer Arbeit, welche die Resultate meiner damaligen Erfahrung enthielt,
öffentlich zu beweisen: nie werde ich den glücklichen Tag vergessen an welchem Ihre
gütige Antwort eintraf. Damals war ich zum Chef des Büreaus der
Gewerbepolizey bey dem K. Pr. Staatskanzler von Hardenberg bestimmt und schon ernannt. In
dem Kampfe gegen die neuen Lehren der Gewerbefreiheit, der Zerstörung aller
Corporationen, und gegen das Westphälische Abgabensystem, welches auf Preussen
übertragen werden sollte, zog ich den Kürzeren. Ausserdem protestirte die Französische
Gesandschaft wiederholentlich <322:> gegen mich. Man bewilligte mir einen
mehrjährigen Urlaub nach Oesterreich: jede Aussicht auf die Befreiung von Europa schien
verschwunden. Ich suchte eine Zuflucht für meine Studien, und fand die gastfreundlichste
Aufnahme in dem Hause Oesterreich-Este, bey der Familie der verewigten Kaiserin. Der
Erzherzog Maximilian Bruder der Kaiserin, und viel größer durch Geist und Gesinnung als
durch Geburt, nahm mich in sein Haus und sorgte mit der größten und zugleich zartesten
Liberalität für mich und meine Familie. Hier unternahm ich eine größere Theorie der
Staatwirthschaft, eigentlich des Geld- und Getreide-Handels, wozu die Lage von Oesterreich
und die großen Verhandlungen der bullion committe und später der
Ackergesetzgebung in England umfassende und schlechthin befriedigende Beispiele lieferten.
Vierzig Bogen dieses Werkes waren bereits gedruckt, als mich der Erzherzog zu politischen
Vorlesungen in Wien bestimmte, die im Sommer 1812unter der unscheinbaren Firma von
Vorlesungen über dieBeredsamkeit in Gegenwart des Erzherzogs und von zwey bis dreyhundert
durch Rang und Amt ausgezeichneten Personen abgehalten wurden. Diese Unternehmung
unterbrach die bisherigen Studien, brachte mich mit den größten Familien in Beziehung,
und veranlaßte den Plan des Erzherzogs eine Akademie für den höheren Adel und dessen
politische und militärische Erziehung zu stiften, ihr sein großes Vermögen zu
bestimmen, und mir die Einrichtung anzuvertrauen. Mit dem Aufwande sehr großer Summen war
die ganze Anlage im Frühlinge des Jahrs 1813 vollendet als von allen Seiten böser Geist
dagegen erwachte: der Kaiser, der Erzherzog und alle großen Patronen dieser Anstalt
vermochten sie nicht zu halten: die Idee war gut, aber vorzeitig; es war, wie sich der
Erzherzog ausdrückte, das Senfkorn welches nicht aufgehen kann, es sterbe dann.
Inzwischen hatte sich
Oesterreich für die Sache Europas erklärt. Vierzehn Tage, nachdem ich mich noch zu Wien
für den Cursus der Michaelis 1813 eröfnet werden sollte auf meinem Studierzimmer
vorbereitete, stand ich als Tyrolischer Landesschützenmajor auf dem Schützenhofe zu
Klagenfurt und errichtete unter dem Feuer des Vicekönigs aus den für die Befreiung ihres
Vaterlandes herbeyströmenden Tyrolern die ersten Compagnien. Eine durchaus treue, nach
meinen Tagebüchern entworfene Geschichte dieser letzten Befreiung des Landes werden Euer
Hochwohlgebohren in den späteren Stücken meiner deut- <323:> schen Staatsanzeigen
finden. Der größte Theil der Tyrolischen Organisationsgeschäfte fiel mir zu; Italien,
die Schweiz, Baiern, Illyrien, Landesvertheidigung, Tyrolische Verfassung, Justizialen,
politische, finanzielle, polizeiliche Arbeiten, und die Warte des südeuropäischen
Handels, die Botzner Messe eröfneten mir eine große praktische Schule. Ich war durch
Gottes Fügung in medias res der Geschäfte unsrer Monarchie versetzt. Mit dem
Ausbruche des Krieges 1815 berief mich der Kaiser zur Begleitung seines Feldhoflagers in
unmittelbarem Verhältnisse mit dem Herrn Fürsten von Metternich nach Wien. Zu Paris, von
wo ich im Herbst 1815 hierher ging, wurde meine gegenwärtige Bestimmung beschlossen.
Vergeben Euer
Hochwohlgebohren wenn ich, um nach mancherley Schicksalen einem meiner ältesten,
verehrtesten, und unvergeßlichsten Freunde mich ins Gedächtniß zu rufen, zu viel von
mir selbst gesprochen haben sollte. Ich glaube mit manchen praktischen Erfahrungen aus
unsrer großen, leider unbekannten Monarchie und aus dem Gebiete der politischen
Geschäfte Italiens mich meinem hochverehrten Lehrer nicht ganz unwürdig darzustellen.
Möchte mir das Glück zu Theil werden Euer Hochwohlgebohren mich persönlich nähern zu
dürfen. Nach allem Umhertreiben in Schweden, Dännemark, Polen, Preußen, Österreich,
dem südlichen Deutschlande, Italien, und Frankreich wüßte ich keinen Ruhepunkt für die
Uebersicht des etwa erworbenen zu gewinnen, als einige Unterredungen mit Ihnen, auf ihrem
Studierzimmer (mit der Aussicht gegen das Thor) gewähren würden. Glauben Sie, mein
hochverehrter Lehrer und Freund, keine spätere Verbindung des Lebens kann dieses
ehrwürdige und reine Verhältniß zu Ihnen ersetzen. Nichts von dem vielen was Sie seit
Anfang dieses Jahrhunderts, wo ich Sie zuletzt sah, gethan und öffentlich gesagt haben,
ist mir fremd. Ich glaube Sie würden in mir unmittelbar nicht nur einen Schüler, sondern
einen gereiften Verehrer Ihrer großen wissenschaftlichen Laufbahn wiedererkennen.
Wenn ich Ihnen anliegend das
1te Heft meiner deutschen Staatsanzeigen, und eine, unter manchen praktischen
Beschränkungen aber dennoch nach voller Ueberzeugung und großentheils als Augenzeuge der
Thatsachen niedergeschriebenen Charakteristik des Kaisers, meines Herrn überreiche, so
sprechen Sie mich von jeder wissenschaftlichen und schriftstellerischen Anmaßung frey.
Nichts bestimmt mich dazu als der be- <324:> scheidenste Wunsch mit meinen
Geschäften in dem Andenken dessen fortzuleben, dem ich als Schüler nicht unwerth zu seyn
wünsche. Die Charakteristik des Kaisers bitte ich von S. 12. an zu lesen die
etwas störende, später verfaßte Einleitung des Herausgebers aber mir nicht zuzurechnen.
Mit wahrer und unbegrenzter Verehrung verharre ich
Leipzig
den 6. May. 1816.
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Euer
Hochwohlgebohren
gehorsamster
Adam Müller
K. K. Oesterr. w. Regierungsrath
und GeneralConsul |
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