Paul Hoffmann, Einiges
zu Kleist, in: JbKG (1937), 98-107; darin: 98-100
Leopold von Österreich
Pfuel teilte Wilbrandt unter anderm mit, daß Kleist ein Trauerspiel Leopold von
Oesterreich zu schreiben begonnen, dazu in der Schweiz gründlich geschichtliche
Studien gemacht und diesen schwei- <99:> zerischen Quellen viele pikante Züge
entnommen habe, die er mit gewaltiger Wirkung verwertete. Am eingehendsten äußerte
Pfuel sich über die Hauptszene des ersten Aktes, wie die Ritter Leopolds vor der
Sempacher Schlacht würfeln, wer mit dem Leben davon kommen wird, wer nicht. Die stolzen
Herren sitzen zechend beisammen, und sie beginnen das Würfeln wie ein übermütiges
Spiel. Drei schwarze Seiten haben die Würfel und drei weiße; die schwarzen bedeuten den
Tod. Die ersten der Würfler werfen schwarz; man lacht und scherzt darüber; das Spiel
geht fort, auch die nächsten werfen schwarz, und immer mehr und mehr allmählich
verstummt der kecke Jubel und ein nachdenklicher Ernst kommt über die Gesellschaft;
zuletzt haben Alle schwarz geworfen. Wie dieser grausige Vorgang Schritt für
Schritt in dem hochfahrenden Kreise die unheimlichste, zuletzt die fürchterlichste
Stimmung verbreitet, das war, nach Pfuels Erinnerungen, mit überwältigender Kraft
geschildert. (H. v. Kleist. Nördlingen 1863. S. 153/54.)
Da Pfuel hervorhob, daß es
schweizerische Quellen gewesen seien, denen Kleist pikante Züge
entnommen hätte, nahm ich das auch für diesen plastisch geschilderten Zug an und
las viele ich wage nicht zu sagen: alle urkundlichen Nachrichten über die
Schlacht bei Sempach, ohne auch nur den geringsten Anhalt für Pfuels Erzählung zu
finden; ich sah Pirckheimers Bellum Suitense durch, weil ich weiß, daß dieser
als Geschichtschreiber, bei seiner Freude an der Anekdote, sich ein solches
Kabinettstückchen schwerlich hätte entgehen lassen, zog Johannes von Müllers Geschichte
der schweizerischen Eidgenossenschaft zu Rate und mußte feststellen, daß Kleist unsere
Szene auch dorther nicht bezogen haben konnte. Darnach hielt ich unter den Sagen und
Liedern, die den Kampf am 19. Juli 1386 umweben, Umschau vergebens. Im Bewußtsein
meiner unzulänglichen Kenntnis auf dem Gebiete der Sagen- und Volksliedforschung bat ich
einen mir befreundeten Gelehrten in der Schweiz, Dr. Carl Günther in Aarau, um
Hilfe, und als auch er nach fleißigem und mühevollem Nachlesen und Suchen kein
greifbares Ergebnis erzielt hatte, wandte ich mich an eine anerkannte Autorität im
Bereiche der schweizerischen Volkskunde, an Eduard Hoffmann- <100:> Krayer in Basel.
Herr Hoffmann- Krayer nahm sich in dankenswerter Weise der Sache an und veröffentlichte
meine Frage nach der Quelle des Würfelorakels vor der Schlacht bei Sempach in der
Schweizer Volkskunde im 22. Jahrgang 1932, Heft 7/8, S. 113. Eine Antwort
ist nicht eingegangen.
Nach alledem glaube ich
schließen zu dürfen, daß Kleist zu dieser Hauptszene nicht durch
geschichtliche Studien gelangt ist. Pfuel befand sich also mit dieser seiner Erinnerung im
Irrtum. Nun hielt ich es durchaus für möglich, daß Kleist diese Szene selbst erfunden
habe, und daß sie tatsächlich das Glanzstück des ersten und einzig vollendeten, leider
nicht erhaltenen Aktes seines Leopold von Oesterreich gewesen sei. Dem ist
aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so. Ob Kleist je etwas von diesem Geschichtchen
erfahren, ist ebenso zweifelhaft, wie es gewiß ist, daß Pfuel gelesen hatte, was er
Wilbrandt überlieferte. Wie er dazu kam, seine Mitteilung zu Kleist in Beziehung zu
setzen, soll im folgenden nachgewiesen werden.
Nach dem Allgemeinen
Verzeichniß der Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse 1811
herauskommen sollten, lag (S. 201) Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug im
März des genannten Jahres gedruckt vor. In demselben Meßkatalog des folgenden Jahres,
Ostern 1812, wurde unter den fertig gewordenen Schriften von einer
Sammlung der neuesten Theaterstücke der erste bis zehnte Band angekündigt unter
dem Titel: Deutsche Schaubühne; oder dramatische Bibliothek der neuesten Lust-
Schau- Sing- und Trauerspiele. Erster Band. Augsburg und Leipzig, in Kommission in der
Stageschen Buchhandlung [o. J.]. Dieser erste Band enthält drei Dramen:
1. Der zerbrochne Krug, ein
Lustspiel. Von Heinrich von Kleist. (S. 1 bis 128.)
2. Arnold von Winkelried, ein
vaterländisches Schauspiel in vier Aufzügen. Von Jakob Hottinger. (S. 129 bis 224.)
3. Vaterliebe oder der
Engländer in Amerika. Ein Trauerspiel in drei Aufzügen, von Karl Friedrich Solbrig. (S. 225
bis 312.)
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