Julius Hartmann
(Hrsg.), Uhlands Briefwechsel.
4 Bde. (Stuttgart, Berlin: Cotta 1911-16), Bd. 1: 1795-1815
(1911), 86-90
Ludwig Uhland an Karl Mayer, Tübingen, 22./28. 4. 1808
- [Tübingen]
Freit. d. 22. April 08.
- Es ist nicht
gut, wenn Freunde sich lange nicht schreiben: dieß fühl
ich jezt sehr lebhaft, da ich nach so langer Zeit wieder
an dich schreibe, wiewohl dießmal die Schuld eigentlich
nicht an mir liegt, da ich auf einen Brief von dir wartete,
den ich zugleich beantworten könnte. Bei einem langsamen
Briefwechsel geht so manche Stimmung vorüber, die man
sonst gerne mit dem Freunde getheilt hätte, es zieht so
manche Begebenheit vorbei, über die man, wenn das Interesse
der Gegenwart verschwunden ist, als von einer alten Geschichte
nicht mehr viel schreiben mag. Solcher alten Geschichten,
die sich in meinem engen Kreise begeben haben, kann ich
dir nun viele berichten, allein da für mich die Neuheit
weggefallen, so wird es mehr Aufzählung, als Darstellung
seyn, Manches werd ich auch vergessen haben. Was
die Stimmungen betrifft, so bin ich jetzt eigentlich in
gar keiner, klanglos, wie ein Stein, oder nicht wie ein
Stein, denn dieser hat doch Widerhall. Freilich sollt
ich dir da nicht schreiben, aber so würdest du wieder
zu lange nicht schreiben, und dann muß ich den Katalog
von alten Geschichten mir vom Halse bringen, was doch
einmal seyn müßte. So höre denn!
Kerner
ist seit länger als einem Monat in Ludwigsburg. Wegen
einer bedenklichen Krankheit seiner Mutter mußte er schnell
dahin abreisen, wartete ihr in ihrer Krankheit, und ob
sie sich gleich wieder besser befindet, so will er sie
doch nicht verlassen, bis sie ganz hergestellt ist. Dadurch
wurde sein Examen, das er sonst noch vor der Vakanz bestanden
hätte, hinausgeschoben.
Um
weiter in dem verlassenen Neuenbau herumzugehen, so hat
nun auch der Zigeuner vor einigen Tagen die hiesige Universität
<87:> verlassen, wird sich aber bald wieder zum
Examen einstellen. Auch Weisser ist abgezogen.
Ebenso
geht nächstens auch Breslau von hier weg, mit dem ich
seit Kerners Abwesenheit viel umgegangen bin und viel
Gefallen an ihm gefunden habe.
Vor
einigen Wochen war Binder von Lübeck hier, er ließ sich
examiniren und wollte seine Disputation öffentlich vertheidigen,
allein theils die herankommende Vacanz, theils Unpäßlichkeit
des Respondenten und des Präses verhinderten dieß, und
sie ist nun bloß eruditorum examini submittirt
worden. Da Binder gleich nach dem Examen abreiste, so
hab ich die Correktur übernommen.
Ferner
war hier, das ist nun aber schon lange, lange
Koelle. Er hielt sich ungefähr acht Tage auf und wir gingen
viel zusammen. Er kommt jetzt als Legations-Secretaire
nach München.
Daß
Härlin in Wildbad als Practicus angestellt ist,
wirst du wissen. Hermann Gmelin wird die Hansenstädte
bereisen, und von Göttingen aus wahrscheinlich mit Binder
ziehen. Nachher geht er nach Paris.
Köstlin
ist noch nicht angerückt, die Krankheit und der Tod der
beiden Kinder von seiner Schwester in seinem Hause mag
seine Arbeiten auch nicht beschleunigt haben.
Doch
ich sehe schon meiner Neuigkeiten sind nicht so sehr viele
und ich nehme deinen Brief zur Hand.
Das
Lied an die Reben gefiel mir. Ergrünt erst ihr
ist hart. Schmelz Fels nicht richtig. Dann
ist der letzte Vers doch nicht klar angereiht. Denn das:
wenn so stellt doch keine in die Augen
springende Aehnlichkeit dar. Das sich
weiht etwas pretiös! Im Lied von der Ferne gefällt
mir: Die Fern ist es weniger als das vorherige:
Es ist die Fern. Winkt mir Blick an, etwas hart,
doch letzteres könnte hingehn. Der Höhen Kluft
u. Gewölbe, scheint mir nicht zu passen.
Unter
dem Göthischen Epigramm meint ich das, welches so
endigt:
es
ist mein Körper auf Reisen,
Und
es ruhet mein Geist stets der Geliebten im Schooß. <88:>
Freilich
nicht so ähnlich, als ich mir einbildete, da ich das Epigramm
nicht vor mir hatte; eher hat das zweite Distichon Aehnlichkeit
mit einem Epigramm von mir, oder vielmehr meines mit deinem,
da meines später ist. Doch schick ich dir dieß Epigramm
nicht, da es in etwas Anderes verwoben ist.
Ich
habe mir indessen beigehn lassen, mit deinen Gedichten
allerhand Frevel vorzunehmen. So hab ich 7 derselben
abgeschrieben: Lied von der Ferne Täuschung
Regenlied Mein Innerstes Der Garten
Räthsel Frage und sie geschickt, jedoch
anonym, an Schoder. Was er darauf schrieb,
ersiehst du aus beiliegendem Briefe, den ich mir zurückbitte.
Außerdem erkundigte er sich noch einmal nach dem ungenannten
Dichter und ich hatte auch nicht im Sinne, ihm deinen
Nahmen zu verschweigen, worauf er Folgendes schrieb:
Ich
habe bei Mayer immer so viel Kunstsinn bemerkt, daß ich
Kunsttalente vermuthen konnte. Er hat etwas Zartes und
Feines, ich möchte sagen Jungfräuliches, das sehr anspricht.
Sollte ich den Charakter seiner Poesie bestimmen, so möcht
ich sagen: sein Ziel sey, Höltys Sentimentalität durch
Göthische Naivität zu lichten. Mag er sich dieß nie gedacht
haben, vielleicht kennt er Hölty gar nicht, es ist doch
so. Er soll nur nicht matthisoniren.
Glücklicher!
ich werde weit strenger mitgenommen.
Weiter
hab ich die meisten der genannten Gedichte Koelle
gezeigt, den sie auch sehr ansprachen, besonders Lied
von der Ferne, Mein Innerstes.
Die
zuletzt zugeschickten Gedichte hast du richtig bezeichnet.
Hier
erhältst du wieder einen ganzen Transport. Ich habe nun
3 Gedichte Cottan in seinen Almanach gegeben. Auch
Kerner 4: Er und sie An
Wanderers Nachtlied Treue.
Weiter
bin ich fast gesonnen, meine fünf Balladen und einiges
Andere an Seckendorf für den Prometheus zu schicken. Kerner
schickt ihm: Das geistliche Lied Abreise
Zwei Särge. Ob er aber meine Mordgeschichten und unelegante
Diction für den Prometheus passend findet, ist noch die
Frage. Das erste Stück des Prometheus hat sich trefflich
eingestellt: Ein herrliches Festspiel von Göthe, Pandora,
noch nicht ganz im ersten Heft, ein treffliches Gedicht
von A. W. Schlegel an seinen Bruder, welches
das Verhältniß ihres beiderseitigen Strebens darstellt.
Friedrich Schlegels Antwort; ein Aufsatz von A. W. Schlegel
über deutsche Dialecte; ein Gedicht vom alten Wieland,
eines von Falk; Göthes Rastlose Liebe, von Reichardt
componirt &c. <89:>
In
dem Damenalmanach werden auch von Koelle Beiträge erscheinen,
wie wär es, wenn du etwas an Cotta schicktest? Freilich
würdest du schnell dazu thun müssen, da er nächstens auf
die Messe geht, etwa: Lied von der Ferne, Frage, Räthsel &c.
Oder in den Prometheus? oder in Seckendorfs Almanach,
wenn einer herauskommt? Den auf 1808 erhältst du hier,
behalt ihn sechs bis acht Wochen!
Uebrigens
sieh bei deinen Gedichten nicht sowohl darauf, was man
dir lobt oder tadelt, sondern ob das Gedicht in einem
glühenden Augenblick entstanden oder nicht; ob es gedichtet
wurde oder ob es sich selbst dichtete, von selbst hervorsprang;
freilich wird oft ein guter Gedanke in einem kalten Momente
ausgeführt, was dann dem Leser nicht so auffällt, weil
doch die Kraft des Gedankens auch durch die kalte Hülle
durchschlägt.
Kritisire
mir doch auch meine Gedichte, was bei den letzthinigen
nicht geschah. Du darfst ja keklich tadeln, was ich auch
thue.
Für
den Umriß im ersten Hefte des Phoebus nach einem
Gemählde deines Oncles, wenn ich nicht irre, die Erscheinung
des Engels am Grabe, bin ich kein kompetenter Richter,
sah es auch zu flüchtig, und Umrisse sprechen mich nicht
sehr an. Kerner fand außerordentlich Gefallen daran, und
v. Kleist erklärt die Scene in einem poetischen Commentar.
Da
du wol von H. Sachs noch nichts gelesen, leg
ich hier ein Gedicht von ihm bei, das du mir gelegenheitlich
zurückschickst.
Daß
du die Beamtung nicht annahmest, lob ich sehr. Laß
dich durch solche Irrlichter nicht in Sümpfe locken und
warte, bis der Tag kommt. Wenn du glaubst, mir durch Erzählung
deiner Stimmung beschwerlich zu fallen, so irrst du sehr.
Nach
Paris werd ich wahrscheinlich gehen, wann
ich fertig bin. Denn dahin komm ich nachher nicht
so leicht, aber nach dem Aufenthalt in Paris
in einer größeren Stadt Teutschlands unter irgend einer
Firma, als Privatsekretaire &c. anzukommen, ist
wenigstens keine Unmöglichkeit.
Jägern
kannst du mein Gedicht schicken, wenn du magst, und ihn
tausendmal grüßen, er hat mir nicht geschrieben; wann
ich ihm schreibe, weiß Gott, da ich jezt viel zu tun habe.
Aber,
wie gesagt, ich bin heute in gar keiner Stimmung.
Lebe wol!
- Donnerstag
den 28. April.
- Durch
verschiedene Umstände blieb mein Brief bis jezt liegen.
Ich hole nun noch nach: daß Cotta morgen oder
übermorgen auf die Messe geht, wornach du dich also, wenn
du etwa ihm etwas senden wolltest, zu richten hättest.
Wahrscheinlich wird man ihm Briefe nachsenden, <90:>
du würdest dich aber in Acht nehmen müssen, dann an Cotta
als Dr. Cotta und nicht an die Buchhandlung
zu schreiben, weil im letzten Falle der Brief von einem
Commis erbrochen werden möchte. Vielleicht wär
es aber auch nach Cottas Rückkehr nicht zu spät.
Ich vergaß aber, daß du im Sinne hattest, dem Morgenblatt
Gedichte zu senden, was dir ja immer offen bleibt.
So
eben hör ich, daß Kerner diese Woche noch hieher
kommen werde. Er hat mir über 14 Tage nicht geschrieben,
vielleicht aber, weil er auf einen Brief von mir wartete.
Ich
habe nun eine reinliche Abschrift meiner brauchbaren Gedichte
nach der Eintheilung in 3 Bücher unternommen. 2 Bücher
sind schon fertig. Ich mache diese Abschrift auf einzelne
Postpapierblätter in 8, (ungefähr wie ein Stammbuch)
ich verschnitt auch dazu ein eingebundenes Stammbuch mit
großen Blättern mit Goldschnitt. Eine wahre Prachtausgabe!
damit einzelne Blätter herausgenommen und hineingeschoben
werden könnten, was für Correkturen gut ist, und auch
bei meiner Eintheilung fast erfordert wird. Der Unordnung
kann durch Numerirung abgeholfen werden. Aergerlich war
mir dabei, daß ich den Seckendorfschen Almanach
für 1807 nicht bei der Hand hatte, da auch das Manuscript,
nach dem die Gedichte dort abgedruckt sind, in Seckendorfs
Händen blieb.
Cotta
hat mir sehr artig auf mein Zugesandtes geantwortet.
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