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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Julius Hartmann (Hrsg.), Uhlands Briefwechsel. 4 Bde. (Stuttgart, Berlin: Cotta 1911-16), Bd. 1: 1795-1815 (1911), 74-78

Ludwig Uhland an Karl Mayer, Tübingen, 28. 2. 1808


Mein Lieber!
Deine lezte Sendung von Gedichten erfreute mich sehr, denn es sind einige vorzügliche Stücke darunter; als solche nenne ich: Lied von der Ferne (nur fast etwas zu wortreich, so sehen sich die Zeilen: „In öder Nähe Trost verleiht“ und „Was mild mich mahnt in trüber Nähe“ zu ähnlich). Was soll das heißen: „Die dir die Himmelsgaben weiht!“ Das „Was ist’s daß“ mit dem darauf folgenden „Es ist der Fern“ &c. in der 2ten Strophe scheint mir nicht ganz richtig. Eher: „Was macht“ (wenn sich nur dieß nicht mit „Nacht“ reimte) „Das macht der Fern’“. Auch könnte man gegen die Abkürzung: Fern’ vor Consonanten Einwendung machen. Das Nemliche gilt bei: „nicht nächster Burg’ Gewölb“ &c. Die Zeile: „Woher erscheint, was noch ich sehe“ könnte vielleicht besser ausgedrückt werden. „O sieh’“ „O horche“. Wenn sieh vor einem Konsonant statt siehe steht, so wird dieß durch das nachfolgende: Horche ohne Abkürzung auffallender, um so mehr, da man gewöhnlich Horch! sagt. Frage. Der 2te Hexameter hat keine Cäsur, keinen Ruhepunkt, vielleicht besser: „o sprich!“ Der Garten dünkt mir nicht klar genug. Sollte der Gedanke ausgedrückt seyn: Der Dichter erweckt und bildet sich immermehr durch seine eigenen Gedichte? In diesem Falle würde der 2te Pentameter nicht passen, indem nach des Dichters Tode seine Gedichte zwar fortblühen, aber nicht fortwuchern. Beide Gedanken wären gut, aber sie passen nicht, wenigstens nicht in dieser Nähe und Verbindung, in Ein Gedicht zusammen. Oder soll gesagt werden: „Ein Dichter weckt viele“ hier würde zwar Alles passen, aber es wäre nicht bestimmt genug ausgedrückt, der Ausdruck begünstigt überhaupt diese Erklärung nicht. Oder soll beides ausgedrückt seyn: Der Dichter weckt sich und nach seinem Tode noch Andre, also zwei verschiedene Ähnlichkeiten zwischen Gärtner und Dichter? Allein abgesehen davon, daß bei dem Gärtner und den Blumen hier nichts Verschiedenes, vor oder nach dem Tode, eintritt, so wären auch hier die Ideen nicht mit gehöriger Klarheit abgesondert. „Das weiche Land“, ein Daktylus klänge besser.
Im Regenliede behagt mir noch immer der „Sonnschein“ nicht. In der 2ten Str. statt: „Die Sonn’ mir entfliehen“ besser: „Die Sonne mir fliehn“. Die 3te Strophe gefällt mir in der ersten Aenderung besser, als in der zweiten; auch in der 4ten Str. die „Wol“ besser als die „Und“; die Abänderung in der 5ten Str. steht nicht entgegen. Statt „Aufs Scheiden“ &c. besser Nach oder Auf. In der letzten Str. statt So’s besser Der’s, weil beim erstern die Construction zweideutig ist. In der 5ten Str. heißt es: „Nach Sturm wird ja Frieden„ es sollte heißen „Friede“. Überhaupt ist diese und die 2te Zeile der 5ten Str. noch etwas hart.
Traum und Wirklichkeit 1. gefällt mir wol, besonders das 2te Distichon, ob es gleich etwas hart klingt. Das erste dünkt mir an eines der Göthischen Epigramme aus Venedig zu mahnen. Schmerz <76:> und Mittel nimmt sich in der neuen Einkleidung gut aus. „Treibet an rauhes Gestad“ sollte heißen „an rauhem Gestad “.
Doch wozu alle diese Kriteleien? Du findest gewiß selbst beim öftern Durchlesen, was ich hier bemerkt habe oder noch bemerken könnte. Ueberhaupt ist meist der Dichter selbst sein strengster und feinster Kritiker, allein es gibt sich ihm im Augenblick keine geschickte Aenderung und er ist zu kommod, eine zu suchen.
Ueber Kerners Gedichte schreib’ ich dir vielleicht ein andermal meine Ansicht. Es freut mich, daß sie dir jezt so sehr zusagen, was mir vordem nicht immer der Fall zu seyn schien.
Was ich dir von meinen Gedichten schrieb, war nur so ein Gedanke. Entschlossen bin ich zu nichts, und dies ist ja auch nicht nöthig.
Was Schoders Gedichte betrifft, so behagen mir seine lyrischen Ergießungen immer noch nicht sonderlich, ob er gleich von manchem Abweeg zurückgekommen; besser nimmt er sich im Epigramm, besonders dem didaktischen aus, z. B.

Sind dir die Schwingen versagt, so hast du doch immer ein Auge;
Auch den Himmel genießt, wer zu dem herrlichen schaut.

In dem Gewässer verfault, im Feuer verbrennet der Eichbaum;
Bleibt er im Walde, mit Ruhm strebt er zum Himmel hinauf.

Helden zertrümmern die Welt, nur über dem Schutte zu leben;
Dichter beschwören den Schutt, daß er ihr Pantheon wird.

Deinen Tod verkündet ein jeglicher deiner Gesänge.
Bist, o Mävius, du darum ein tönender Schwan?

Fein, wer alle durchschaut, selbst jedem Späher entschlüpfend,
Groß, wer alle durchschaut, allen zu schauen sich gibt.

Schoder schrieb mir schon vor einiger Zeit, Haug habe ihm von Werner, der, wie du weißt, leztes Spätjahr in Stuttgart war, geschrieben: daß Werner in Gesellschaften vortrefflich spreche, daß er von seiner Mystik abgekommen und historische Süjets frey, à la Shakespeare, behandeln werde, daß er Haug aus einem neuen Drama: Attila treffliche Stellen vorgelesen.
Der neue Phöbus hat sich von außen und innen trefflich eingestellt. Eine Scizze nach einem Gemälde deines Oncles, die Erscheinung des Engels bei dem Grabe vorstellend; ein bisher ungedrucktes Gedicht von Novalis; treffliche Fragmente aus einem Trauerspiel Kleists: <77:> Penthesilea; Bemerkungen über dramatische Kunst von Ad. Müller u. s. w. enthält das erste Heft. Schade, daß ich es nicht lesen, sondern nur durchblättern und Einiges vorlesen hören konnte. Die Herausgeber kündigen an, daß sie sich auch von Göthe Beiträge zu versprechen haben; sie bieten, wenn ich nicht irre, 30 Thaler für den Bogen, was ein äußeres Zeichen ist, daß sie nichts Gemeines aufnehmen werden.
Meine Gedichte, die im Morgenblatt stehen, hatt’ ich an Schoder geschickt und ihn gebeten, solche auch Haug mitzutheilen. Dieß geschah von ihm, zwar durchaus nicht in der Absicht, sie dem Morgenblatt zu übergeben, aber doch ohne ausdrückliche Bemerkung, daß sie nicht für solches bestimmt wären. Nun kamen Haug und Cotta, der damals in Stuttgart war, wie mir Haug schrieb, um mir Ihre Achtung dadurch zu bezeugen und zu zeigen, daß sie troz jener Recension gerne Beiträge von mir aufnähmen, mit einander überein, meine Gedichte nach und nach abzudrucken, weil sie meinen Widerwillen auch nicht ahnten. Ich protestirte aber dagegen und drang auf eine Erklärung. Haug hat mir seitdem jene Gedichte, samt einigen ihm nachher zugeschickten, zurückgesendet, mit einer sehr gnädigen Beurtheilung derselben.
In jure hab’ ich seit dem Herbste, außer der Vollendung der Hofacker’schen Pandecten, Folgendes gelesen: Hofackers Institutionen; einen kleinen Rest im Canonicum, Runde’s teutsches Privatrecht; Meisters Criminale; Püttmanns Wechselrecht und einige Abhandlungen in Gönners Handbuch, das mir sehr gefällt. Nun hab’ ich noch Lehnrecht und Landrecht vor mir, überdieß will ich noch Gönners Handbuch absolviren, auch hab’ ich besonders den Concursproceß noch zu reiten, überdieß les’ ich noch ein Pandekten-Compendium &c. Nehm’ ich hiezu noch die Recapitulation des Ganzen, so gehen schon noch 2 Monate vorbei, bis ich mich zum ersten Examen melden kann. Dann einige praktische Arbeiten, bis ich zum 2ten Examen schreite, und endlich die Disputation. Du wirst wol einsehen, daß unter diesen Aspekten der Sommer noch verstreichen wird, eh’ ich abreisen kann. Vielleicht geh’ ich dann nach Paris, doch weiß ich nicht, ob dieß oder eine Reise durch Teutschland den Vorzug verdient, denn wie manchen edlen Teutschen kann man da kennen lernen! Nach Göttingen hab’ ich nimmer große Lust. Hermann hat mir zum 2ten male geschrieben; sein Brief enthält hauptsächlich die Frage, wie es einzurichten wäre, daß wir zusammen reisten oder einige Zeit an Einem Orte zusammenlebten. Dieß würde, wie mir dünkt, wol nur in Paris geschehen können. Eben fällt mir ein, was ich mir für eine verfluchte Nachlässigkeit zu Schulden kommen ließ, daß ich in 2 Briefen an Hermann ihm keinen <78:> Gruß an Eduard aufgab. Chr. Jäger hat mir noch nicht geschrieben. Roser war vor einigen Wochen einige Tage hier, er geht nächstens nach Paris. Bei Jägers und Härlins Disputationen waren wir einigemale fidel zusammen, Jäger wird dir aber selbst davon geschrieben haben.
Ich hoffe, daß auch wir, wenn gleich nichts aus der gemeinschaftlichen Rheinreise wird, noch einmal, wenn auch nur wenige Tage, traulich beisammen seyn werden. Erfülle die Hoffnung, die du mir gemacht hast, dich auf deiner Reise nach Tuttlingen bei mir zu sehen!
Vollende doch dein malerisches Quodlibet!
Der Wilh. Meister ist wolbehalten angekommen. Was Göthe’s Gedichte betrifft, so ist die neueste Ausgabe die, welche den ersten Band seiner Werke ausmacht. Allein sie wollen diesen Band nicht besonders abgeben. Die frühere Ausgabe soll nicht vollständig seyn; ich wollte dir solche nicht zuschicken, bis ich deine weitere Willensmeinung vernommen.
Es kann geschehen, daß ich bisweilen eine Frage in deinen Briefen übersehe, oder, weil ich nicht gleich befriedigend zu antworten weiß, unbeantwortet lasse; wenn dir daher an Diesem oder Jenem gelegen ist, so laß dich nicht verdrießen, noch einmal zu fragen!
Schreibe mir doch, von welchem Datum der Brief war, den ich dir nach dem Herbste schickte, nemlich der, in welchem so viel vom Frühling steht.
Auf beiliegendem Blättchen magst du heraussuchen, was von Kerner und was von mir ist.
Kerner läßt dich grüßen, er wird dir ein andermal schreiben.

Lebe wol!
Dein L. U.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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