Heinz Härtl,
Ein Brief Arnims an Goethe 1811, in: Goethe-Jb 96
(1979), 192-205; darin: 196-198
Achim v. Arnim an Johann Wolfgang v. Goethe, Berlin,
6. 1. 1811
- Berlin den
6 Januar
1811.
- Hochverehrter!
Indem ich Ihnen mein dramatisches Stadtgedicht, Halle
und Jerusalem, übersende, habe ich keinesweges die unbillige
Anforderung im Sinne, daß Sie es lesen möchten; es ist
aber bey unsern Landleuten gewöhnlich, daß sie ihrer Herrschaft
bey ihren Festlichkeit[en] ein Stück zur Probe überschicken
von jedem Gerichte, ungeachtet sie recht wohl wissen,
daß die Herrschaft das allesviel besser in ihrer Küche
bereiten kann, sie nennen es auch nur, eine kleine Ehre
anthun; es ist also wie ein Opfer anzusehen und nicht
wie eine Gabe. Die Opfer müssen aber rein erscheinen und
so muß ich meinen dramatischen Versuch, den ich jezt,
ein Jahr, nachdem ich ihn geschrieben, wie ein fremdes
Werk vor mir sehe, gegen einen Vorwurf rechtfertigen,
gegen den ich ihn in der Vorrede zu schützen vergaß. Leicht
kann man die Unaufführbarkeit bey dem jezigen Zustande
unsrer Bühnen darin entdecken, doch nimmt sich dieser
Vorwurf selbst zurück, wenn ich erwähne, daß dieses Stück
keines weges für die wirkliche Bühne, sondern für ein
Puppentheater geschrieben sey, dessen Plan damals von
mir mit vielen besprochen wurde, die eine Langeweile bey
der gänzlichen Talentlosigkeit der jungen hier aufwachsenden
Schauspieler nicht länger unterdrücken mochten. Manches
ist nun sehr artig durch Nachbildung im Kleinen, was in
seiner natürlichen Grösse nicht mehr reitzt, holländische
Bilder und Weihnachtzausstellungen überzeugen uns jedes
Jahr davon, darum ließ ich manches, z. B. die Bude
der Obsthändlerin, das Schifferstechen, Züge der Muhamedaner
und Christen, Stigmatisirung, Brunnen, Kirchenerleuchtung
so ausführlich hervortreten, was auf der Bühne theils
ganz unausführbar, theils so kostbar wäre, daß die Wirkung
es nicht bezahlt machte. Aus jenem Plane eines Puppenspiels
ist nun für jezt nichts geworden; vielleicht hätten wir
auch mehr Dichter als Zuschauer dabey bekommen, es sollten
die charakteristischen ersten Dichtungen aller Nazionen
zur Abwechslung mit dem, was der Tag gebe, vorgestellt
werden, aber so wie ich jezt die Strenge unsrer Zensur
kenne, würde alles das, was für den Tag wirk- <197:>
lich bedeutend gewesen wäre, aufgegeben worden seyn; jedes
Unternehmen ist aber besser gar nicht angefangen als aufgegeben.
Was ich lange fürchtete, aber mir
mit Hoffnungen fortschmeichelte, ist endlich auch bey
uns geschehen, es habe[n] einige an wirksamer Stelle so
viel Liebhaberey für ihre Ideen gewonnen, daß sie das
Volk einmal auf einige Zeit wieder nach ihrer Art zum
Glück zwingen möchten, der Widerspruch scheint ihnen frevelhaft,
und wenn es ihnen nicht gelingt, wie es scheint, wird
es wohl wieder der liebe Gott zu entgelten haben. Die
ruhigsten Aufsätze darüber, die H. H. von Kleist,
in einem Tagblatte, das hier erscheint und mancherley
Gutes enthielt, von verschiednen Verfassern mittheilen
wollte, wurden ebenso zurückgewiesen vom Abdruck wie der
gutmüthigste Scherz; und das Nationaltheater erfuhr gleichen
Schutz, bis sich endlich Gift und Galle der Menge in einem
Auspfeifen einer sehr begünstigten widerwärtigen Schauspielerin
D. Herbst entladen konnte, darauf folgten Verbannungen
mehrerer jungen Leute, kurz, es war in dem allen ein Leichtsinn,
wenigstens recht hübsch und unterhaltend, der die Kleinigkeiten
ergreift, nachdem er das grössere Leben des Staats nicht
erfassen kann. Schon haben wir Gesetze, wie die französischen,
die in ihrer Unausführbarkeit eben die beste Gelegenheit
des Unterschleifs darbiethen, deren Nachtheile leicht
erweislich, und das alles zu einer Zeit, wo so viel guter
Wille zu Gebote stand. Von diesen Aergernissen
meiner Vaterlandsliebe habe ich mich oft bey Ihrer Farbenlehre
erholt, das Geheimnißvolle, was Sie trübe Mittel
nennen, es findet sich auch in der geistigen Welt und
indem es sich verstärkt, freuen sich viele über die Farben.
Ich wohne in dem Hause eines Optikers aus Liebhaberey,
wo wir die Versuche allmälig durchzumachen Gelegenheit
finden, es ist mir sehr merkwürdig, daß ich bey drey Professoren
Physik gehört und mich selbst mehrere Jahre damit beschäftigt
habe, ohne je einen Versuch der Art, wie er zu Neuton
gehört, gesehen zu haben; seine Theorie habe ich nie geglaubt,
aber ich hatte mir die Erscheinungen nach meiner Art gedeutet,
indem ich sie als wahr annahm, ich hatte wohl auch an
Wirkung und Gegenwirkung dabey gedacht, aber wie tief
und allgemein haben Sie das durchgeführt, die Idee des
Hauptbildes und Nebenbildes in der prismatischen Erscheinung
hat mich ergriffen; das trübe Mittel hingegen ist
mir das Geheimnißvolle, nicht daß ichs leugne, aber da
steckt noch etwas, vielleicht erklärt das der Nachtrag
zu Ihrem Werke, von dem Zelter mir als balderscheinend
sprach.
Ich springe vom Licht zur Liebe und das ist nicht weit,
dennoch ist die letztere daran schuld, daß ich Ihnen vom
ersten nicht mehr schreiben kann und Sie entschuldigen
mich gewiß, denn meiner Liebe menschliches Gnadenbild
ist auch Ihnen eine liebe Tochter, und was in ihr mir
eigen ist und wird, es ist Ihnen nicht entwandt, und wird
künftig auch aus mir zu Ihnen blicken. Bettine sagte mir,
daß sie Ihnen unsre Verlobung erzählt habe, ich war es
ihr in meinen Gedanken seit lange, aber so wenig ich mich
selbst, noch weniger mochte ich sie den Zufälligkeiten
dieser Zeit opfern, die mein sonst bedeutendes Vermögen
auf mannigfaltige Art gekränkt und eingeklemmt hat, jezt
kann ich bald übersehen, was mir bleibt und was ich verdienen
kann und somit gebe uns der Himmel als Segen einen festen
und beständigen Sinn und <198:> gutes Wetter, Sie
aber werden uns einiges Wohlwollen aus der Fülle Ihres
gütigen Herzens nicht versagen.
Hochachtungsvoll
empfiehlt sich Ihnen
- Lud: Achim
von Arnim
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