Briefwechsel
zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart:
Cotta 1857), 138f.
Gentz an Müller, Teplitz, 29. 5. 1808 Teplitz,
29. Mai 1808.
Frau v. Staël, mit der ich gestern hier einen überaus merkwürdigen
Tag verlebt, und trotz aller Verschiedenheit der Ansichten über einige Hauptpunkte, eine
große Freundschaft gestiftet habe, wünscht, da sie acht Tage in Dresden bleiben wird, Sie
zu sehen. Ich habe es ihr versprochen, und Sie können, müssen, dürfen und sollen
mir kein Dementi geben. Von der Leichtigkeit des Umgangs mit ihr können Sie sich kaum
eine Vorstellung machen; in einer halben Stunde werden Sie so mit ihr seyn, als hätten
Sie sie Jahre lange gekannt. Ich fürchtete das Blitzen, die Saillien ihres Geistes, eine
Gattung, die ich, wie Sie wissen, nicht vorzüglich liebe. Im Gegentheil habe ich sie
über die Maßen flüssig, klar, bei der Stange bleibend, geordnet, zusammenhängend
groß, zum Sprechen einladend, wie noch keine Frau auf der Welt gefunden; es scheint
Einem, man könnte eine Ewigkeit mit ihr durchsprechen. So ist sie, als Erscheinung, und
dieß kann Ihnen genügen. Was sie übrigens für sich ist, überlasse ich Ihnen zu
bestimmen.
Sie kennt Ihre Aufsätze über die Corinna; klagt bloß
darüber, daß sie sie etwas dunkel und mystisch gefunden; ich habe ihr, ohne Weiteres,
versichert, daß Sie der erste Kopf in Deutschland sind. Sie wissen also, wie Sie sich zu
benehmen haben. <139:>
Schlegel, der ebenfalls eine große Idee von Ihnen hat, ist sehr
verändert, sehr kultivirt, gesellig, gesprächig, gewandt; es ist auch noch Simonde
Sismondi mit ihr, der aber erst in einigen Tagen nach Dresden kömmt. Unser Quatuor von
gestern Abend war so interessant, daß ein Geschwindschreiber gewiß kein schlechtes Buch
daraus gemacht hätte.
Adieu. Führen Sie sich hübsch artig auf!
Gentz.
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