Briefwechsel zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829
(Stuttgart: Cotta 1857), 135-138
Gentz an Müller, Prag, 11. 5. 1808
Prag, 11. Mai 1808.
Die Gewalt, die Sie über mich ausüben, ist in
der That etwas ganz Außerordentliches. Ihre Vorlesungen haben seit vier Tagen jeden
andern Gedanken in mir verdrängt oder gelähmt, und ich lebte ausschließend in
den Schmerzen, die Sie mir verursachten. Schon das ist für Sie ein Triumph: noch ein
größerer aber, daß ich mich, nach vielem <135:> Leiden und Sträuben, zuletzt
doch mit Ihnen ausgesöhnt habe. Als ich vorgestern an Buol schrieb, war gerade die Krisis
in mir aufs höchste gestiegen. Ihr schwankenden, zweideutigen, unbefriedigenden,
dabei doch so harten, schneidenden Äußerungen über die Moral hatten mich
aufs tiefste verwundet; der Spott, den Sie mit allen alten Ideen über diesen
Gegenstand trieben, brachte mich fast zur Verzweiflung. Die Schadenfreude, mit welcher Sie
die heutige Zerrüttung der Welt betrachten, die stolzen Hoffnungen, die Sie darauf bauen,
der absolute Mangel aller Schonung gegen mich und einige Andere meines Gleichen,
die Sie doch noch lieben alles das hatte schon den Sturm aufs höchste in mir
erregt, als ich nun endlich in der 9. Vorlesung auf die Stellen stieß, wo Sie
Bonapartes Erziehungs- und Unterrichtssystem bis in den Himmel erheben, und dann
durch ein fast treuloses wie denn überhaupt &c. der Revolution
eine Schutzrede halten. In dem Zustande, worein diese mich versetzt hatte, konnte
und mochte ich nicht weiter lesen; in der tiefsten Zerknirschung meines Herzens schrieb
ich an Buol: ich könnte nicht begreifen, wie einfache und rechtliche Gemüther
solches Unwesen noch immer in Schutz nähmen. Nichtsdestoweniger und diese
Beharrlichkeit werden Sie doch ehren entschloß ich mich gestern zu einem neuen
Kampfe, ging mit dem Manuscript auf eine einsame Insel in der Moldau und blieb dort von 3
bis 8 Uhr. Als ich die letzte Vorlesung mit unendlicher Andacht las, überwältigte mich
die Erhabenheit, die Sicherheit, die Glaubenskraft, die darin athmet. Die Bestimmung
des menschlichen Geschlechts in die Schönheit zu setzen, ist ein Resultat,
eine Auflösung, ein Spruch, vor dem zuletzt alle Einwürfe verstummen müssen. Jetzt
wieder versöhnt, aufgerichtet, und von Ihrer entsetzlichen Macht durchdrungen, ging ich
die sämmtlichen Vorlesungen von neuem durch. Manches Harte erschien mir jetzt milder,
manches Zweideutige klarer, manches Anstößige erträglicher. Oft schien es mir sogar,
Sie hätten in allem Recht, und es sperrte sich nur mein schwaches Gemüth gegen
Wahrheiten, die mich zu Boden drücken. Rauh und grausam dieß bleibt wahr
gehen Sie mit der Menschheit um; so unbarmherzig hat noch kein Reformator geschaltet; aber
Sie sind nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern Krieg. Wer kann Ihnen
widerstehen?
Ich bitte Sie, mir das Manuscript noch 8 Tage zu lassen; ich gehe den
20. oder 22. nach Teplitz, und von da aus werde ich es Ihnen gleich <137:>
zurückschicken. Einige Skrupel über die Moral, die ich gehörig zu Papier bringen
werde, müssen Sie mir schlechterdings noch beantworten. Sehr böse bin ich auf die
ersten Zeilen Ihres Briefes: Eine persönliche Zusammenkunft zwischen uns werden die
Umstände wahrscheinlich unmöglich machen. Woher wissen Sie das? Und warum zum
Voraus diese Absagung? Wenn Sie nicht nach Teplitz kommen wollen, kann ich nicht
nach Peterswalde, nach Zehist, ans Pirnaer Thor, ja nach Dresden kommen? Ich werde Sie
diesen Sommer gewiß sehen, sollten Sie auch beschlossen haben, Ihre Stube nicht zu
verlassen. Ich muß Sie sehen. Es ist keine Kunst, durch ungeheure Schriften die
Menschen zu Boden zu schlagen, man muß sie auch durch persönliche zarte Behandlung
wieder aufrichten.
Die Hieroglyphen kenne ich noch nicht; nach Ihren Vorerinnerungen aber
fürchte ich mich nicht wenig vor ihrer Erscheinung. Das müssen rasende Dinge seyn, gegen
welche Sie der Sie doch nichts leicht fürchten so feierlich protestiren.
Indessen sorgen Sie nur dafür, daß ich sie bald bekomme. Schicken Sie das Buch, sobald
Sie es haben, nach Teplitz, unter Adresse Ompteda, damit ich es dort vorfinde.
Noch Eins muß ich heute, beim glücklichen und ich hoffe nun ewigen
Friedensschluß mit Ihnen bemerken. Sie haben verschiedentlich von klatschhaften
Berichten gesprochen, und sich, allem Vermuthen nach, eingebildet, daß Jemand in Dresden
mir in einem für Sie ungünstigen Sinne schreibe. Ich halte es für Pflicht, Ihnen zu
betheuern, daß dem nie also war. Meine Beschwerden gegen Sie
gründeten sich auf die Härte und den Hochmuth einiger Ihrer Briefe, auf die seltsame
Intoleranz, mit welcher Sie mich zwingen wollten, gewisse Sachen im Phöbus über
welche ich noch heute ebenso denke als damals, welches nach der Lektüre der
Vorlesungen nicht wenig sagen will gut zu finden, auf die Verachtung, mit welcher
Sie alle meine, wenigstens doch wohlgemeinten Einwürfe aufnahmen. Faktisch war in
diesen Beschwerden nur Eins. Ein Reisender, der einigen Ihrer Vorlesungen beiwohnte, mit
Ihnen aber niemals sprach, auch, außer Einem, unsere gemeinschaftlichen Freunde nicht
kennt, erzählte mir hier in Prag, und bekräftigte mit dem feierlichsten Schwur,
Sie hätten von dem Erziehungssystem Bonapartes als von einem Weltwunder und neuen
Evangelium gesprochen. Ich sehe jetzt wohl, was der Anlaß zu dieser Erzählung
<138:> war, wie sie mich aber ergreifen mußte, liebster Müller, mögen Sie
sich selbst denken. Hierauf beschränkt sich aber auch alles, was ich je von andern
über Sie gehört habe. Die, welche vielleicht Ihr Verdruß traf, sprachen nie anders als
mit Bewunderung von Ihnen.
Noch Eins. Seit Monaten höre ich, aber NB. von Ihren Freunden,
Sie hätten das Spiel liebgewonnen. Umsonst flehe ich zu einem nach dem andern, mir dies
Räthsel zu erklären. Niemand antwortet auf diesen Punkt. Sie spielen, dabei
bleibt es. Aber wie? wo? wann? mit wem? warum? quibus auxiliis? Cui bono? Und was
spielen Sie denn, Sie, der Sie nie eine Karte gekannt haben? Ist das ganze ein seichter
Spaß? Aber wie soll ich es verstehen? Geben Sie mir doch unmittelbar einen Aufschluß
darüber.
Gentz.
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