Briefwechsel
zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart:
Cotta 1857), 131-133
Müller an Gentz, Dresden, 10. 3. 1808 Dresden,
10. März 1808.
Sie können es durch alle Ihre Äußerungen über mein Journal Phöbus dennoch nicht
dahin bringen, mich über Ihr Urtheil gleichgültig zu machen, und so muß ich mich denn
wieder schriftlich über diesen Gegenstand erklären. Ich nehme nur auf dasjenige
Rücksicht, was Sie unserem gemeinschaftlichen deutschen Freunde geschrieben haben.
Über die vermeinte Formlosigkeit meiner Vorlesungen habe ich mich zu rechtfertigen nicht
Lust. Daß diese wissenschaftlichen Darstellungen der lebendigen Form entbehren, in
dem Sinne, in welchem sie, die Form, andere wissenschaftliche Werke, z. B. Adam Smith
&c. besitzen, gereicht ihnen zur höchsten Ehre. Ich brauche mich nicht erst auf die
Alten zu berufen, daß ein Werk der redenden Kunst nur insofern Form habe, als
darin ein tüchtiges, persönliches, aus einem Stücke gehauenes Subjekt (der
Schriftsteller) nicht etwa ins Blaue hinein, zu einem unbestimmten, unanschaulichen,
sogenannten gelehrten Publikum, sondern zu einem tüchtigen, persönlichen, deutlichen
Objekt, z. B. Forum, Parliament, Vaterland, rede. Statt Forums, Parliaments, Vaterlands
ist mir in dieser verwirrten Zeit nur ein kleines Auditorium edler Freunde, versetzt mit
einer Portion gebildeten Pöbels, zu Theil geworden; als Objekt ist mir dieses mehr werth,
als ein allgemeines Publikum quelconque. Wer nun als Leser meiner Vorlesungen in
mein Verhältniß zu diesem bestimmten Objekt nicht eingehen will, wer diese einzig wahre
Form nicht sehen will, für den soll keine Form überhaupt darin existiren. Für
mich ist alle systematische, mechanische Form ein für allemal todte Form, das
heißt Unform. <132:> Schöne Form und Leben das ist eben das
göttliche Thema dieser Vorlesungen erfordert, wenn es geschaut werden soll, zwei
Objekte für den Betrachter: zuerst den Handelnden (Schriftsteller), und dann
ebenso deutlich die Person oder das corpus, auf welches hin gehandelt
wird. Dieses persönliche Objekt braucht nicht gerade direkt vor dem Subjekt zu stehen;
die Zeitgenossen, die Nachwelt, ja auch das gelehrte Publikum kann Objekt des Redners
seyn, vorausgesetzt, daß alle diese größeren Corpora nur wirklich und persönlich
erscheinen, als wenn sie wirkliche Ohren hätten, um zu hören. Nur dem Dichter ist es
gegeben, in und zu sich selbst, mit andern Worten zur ganzen Menschheit oder zu einem
unendlichen Publikum zu reden. Das sind meine Ansichten vom Reden und Schreiben,
und so haben Sie mein Ideal; ob dieß nach dem alten Leisten sich rechtfertigen lasse, ist
mir, wie gesagt, gleichgültig. Sie, mein Freund, lieben sich für einen
Parteimenschen auszugeben, der ohne parteilichen Haß und Zuneigung nicht leben könne; so
sollten Sie mich loben, daß ich, trotz des vermeintlichen Indifferentismus meines
Gegensatzes, dennoch und aus Gründen dieses Gegensatzes Ihre ganze kritische, polemische,
parteiliche Existenz und Ihre Schriften rechtfertige. Was haben Sie denn eigentlich im
Fache der Abhandlung nach systematischem Leisten hervorgebracht? Sogar Ihr Essay sur
les finances etc. ist ja polemisch. Denken Sie doch an den Anti-Hauterive!
Tadeln Sie immerhin das anscheinende négligé meiner Arbeiten, aber nicht
ihre Formlosigkeit. Der Aufsatz über die Corinna ist ein aus zerstreuten
Fragmenten meines Geistes in unheimlichen Stunden mühselig und ohne Liebe fabricirtes
Flickwerk.
Indeß muß ich Ihnen zu Ihrem Ruhme nachsagen, daß Ihre Urtheile dem
Urtheile der Stadt Dresden, exclusive unserer Freunde und einzelner in meinem Sinne
gutgesinnter, ähnlich sehen, wie aus den Augen geschnitten. Und dieser Ihr Ruhm kränkt
mich, da ich Sie selbst, und nicht einen Stellvertreter der sehr unöffentlichen
öffentlichen Meinung sehen möchte.
Nun wollte ich über die vortreffliche Marquise von O** reden, die Sie
mit demselben Rechte wie etwa eine Erzählung aus dem Decamerone des Boccaz von einem
Kunstjournale ausgeschlossen wissen wollen. Gegen Kleists Absicht und auf meinen
dringenden Wunsch ist sie indeß eingeschlossen worden. Diese in Kunst, Art und Styl
gleich herrliche Novelle <133:> kann nicht so flüchtig abgefertigt werden, als
meine Arbeiten. Ich bin durch Besuche unterbrochen, und muß mich hiernach auf mein
nächstes Schreiben beziehen. Leben Sie wohl und behalten Sie mich, den unaufhörlichen
Weigerax, unaufhörlich lieb.
Adam Müller.
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