Briefwechsel
zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart:
Cotta 1857), 126-129
Müller an Gentz, Dresden, 6. 2. 1808 Dresden, den
6. Februar 1808.
Ich will mit Ihnen nicht darüber rechten, mein vortrefflicher Freund, ob die Nachricht
von einer öffentlichen Allianz zwischen mir oder dem Gegensatze und einem deutschen
Dichter vom allerersten Range nicht hätte von Ihnen mit etwas lebhafterem Beifall
aufgenommen werden sollen. Solche, wie Gentz, sollten eigentlich die Ironie in unserer
Firma: Journal für die Kunst, empfinden. Selbst in den Augen sehr vieler
gebildeter Deutschen, wie es schon jetzt der Absatz zeigt, hat es wohl noch keine
ähnliche Verbindung der Poesie mit Philosophie und der bildenden Kunst gegeben.
Den Vergleich mit den Horen können wir uns aus vielen Gründen nicht gefallen lassen;
Goethes Gemeinschaft und seinen Antheil wird Niemand verkennen, aber Schillers
philosophische Arbeiten, wie gewiß sie auch sein Meisterstück seyn mögen, und wie sehr
sie auch die Kunstansichten in Deutschland gefördert haben mögen, qualificiren ihn zu
einer Art von Oberkammerherrn oder Ceremonienmeister im Gefolge jenes königlichen
Dichters; aber von einem wahren Gegensatze zwischen Poesie und Philosophie, also von einer
ächten Allianz zwischen beiden, war wenigstens im Bezirke des Journals nichts zu spüren;
ferner waren, dem eigenen Geständniß des Herausgebers nach, die Horen zu einer Art von
Lust- und Thiergarten bestimmt, zu einer sonntäglichen Retraite oder Ressource, wo man
das wirkliche Leben und alles politische Kreuz der Zeitumstände eine Weile vergessen
sollte. Daß ich in eine ähnliche schlaffe Ansicht des Lebens, eine ähnliche Trennung
der sogenannten heitern Kunst von dem ernsten Leben nie habe eingehen wollen, dieß, mein
Freund, müssen Sie mir bezeugen. Meine Ansicht der Welt ist eine ganze und vollständige;
innerhalb meiner Ansicht, und was dasselbe ist innerhalb meiner ist alles,
wie Sie es nennen, idealisch, aber vollständig idealisch, was in der deutschen
Philosophie vielleicht nicht vorgekommen ist. Wenn nun andere sehr gescheite, nur in
andern Standpunkten befindliche Menschen, zugebend ich sey vollständig realisch,
über meinen Realismus klagen, so werden Sie mir, so wenig ich auch einer solchen
Probe vor mir selbst bedarf, erlauben, dieß für eine Probe zu halten, daß ich das
rechte sey. Meine Kunstansichten müssen und sollen allen Dichtern meiner Zeit, Goethe und
Kleist ausgenommen, allzu realisch erscheinen; wäre es anders, so hätte ich unrecht.
<127:>
Sie, mein Freund, reden unserm ökonomischen Vortheil das Wort, und
mißrathen uns die Paradoxien, z. B. die anscheinende der Penthesilea. Wir dagegen wollen,
es soll eine Zeit kommen, wo der Schmerz und die gewaltigsten tragischen Empfindungen, wie
es sich gebührt, den Menschen gerüstet finden, und das zermalmendste Schicksal von
schönen Herzen begreiflich, und nicht als Paradoxie empfunden werde. Dieser Sieg des
menschlichen Gemüths über kolossalen, herzzerschneidenden Jammer hat Kleist in der
Penthesilea als ein ächter Vorfechter für die Nachwelt im Voraus erfochten. Wir
fürchten nicht, daß Sie den Phöbus mit dem Athenäum, weder von philosophischer noch
poetischer Seite, vergleichen werden; ein anderes ist es, paradox erscheinen und paradox
seyn. Die Paradoxie in dem Athenäum mußte sich selbst mit neuer Paradoxie überbieten;
aber jene Kraft des Herzens, die, wie die Lessingsche in einer kleinen Sphäre,
nicht aus Hoffart, sondern um der Klarheit willen paradox scheint, welche schlägt, um
recht zu besänftigen, welche aus einem thierischen Schlaf aufrüttelt, um eine göttliche
Ruhe zu geben, wird wohl Niemand im Athenäum spüren.
Muthwillen kann unser Betragen, Wagstück unser
Unternehmen nur dann genannt werden, wenn wir über den Erfolg, den wir beabsichtigen,
etwa noch zweifelhaft wären, wenn eine auswärtige Stimme, eine öffentliche Meinung oder
irgend ein dergleichen Popanz, kurz, wenn irgend etwas zufälliges von außen erst
hinzukommen müßte, um uns zu rechtfertigen. Ist indeß innerhalb eines Werkes, wie
gewaltig es sich auch gebehrde, eine überwiegende Liebeskraft; ist das Blut, welches
empört und vergossen wird, zugleich der Balsam für die mitempörten Zeugen, so lassen
Sie die Welt immerhin etwas schaudern, und so Gott es ihr vergibt, auch etwas ekeln; es
werden schon glücklichere Zeiten kommen, welche ganz unbefangen das große und
natürliche und menschliche begehren werden. Gerade ein solcher wie Sie, der sein Herz an
große und allgemeine Freuden und Sorgen gewöhnt hat, müßte ganz andere Dinge in Kleist
sehen, als die, worüber Sie sich mit so vielem Unwillen auslassen. Sie müßten an diesem
Dichter preisen, daß er, der an der Oberfläche der Seelen spielen und schmeicheln
könnte, der alle Sinne mit den wunderbarsten Effekten durch Sprache, Wohllaut, Phantasie,
Üppigkeit u. s. f. bezaubern könnte, daß er alle diese lockeren Künste und den Beifall
der Zeitgenossen, welcher unmittelbar an sie geknüpft ist, verschmäht, daß er
<128:> für jene ungroßmüthige Ruhe, für die flache Annehmlichkeit keinen Sinn,
keinen Ausdruck zu haben scheint, und viel lieber im Bewußtseyn seiner schönen
Heilkräfte Wunden schlägt, um nur das Herz der Kunst und der Menschheit ja nicht zu
verfehlen. Die Antike und (nicht das Christenthum, aber) die christliche Poesie des
Mittelalters sind die beiden lichtesten Erscheinungen in der Weltgeschiche, aber für uns,
die wir durch uns selbst gelten sollen und nach langer Gebundenheit wieder frei geworden
sind, ist keine von beiden als Muster genügend. Bonapartesche Ketten drücken und
werden auch abgeschüttelt werden; gedenken wir aber der andern und schrecklicheren Bande,
in die unser Gemüth geschlagen war, damals als an Bonaparte noch nicht gedacht wurde;
denken wir an die unzähligen kleinen Tyrannen, die unser Gemüth mit nichtswürdigen
Autoritäten, elenden Pflichts- und Anstandsbegriffen, absoluten Vorschriften für das
Handeln, Dichten und Leben zusammenschnürten, so wird es erlaubt seyn, sich auch selbst
unter dem neuen Tyrannen frei zu fühlen. Gemüthsfreiheit ist mehr als die bürgerliche;
denn sie ist die Ursache, diese die Folge; sie ist da, wenn auch in Wenigen; den übrigen
entgeht sie nicht, denn inwiefern sie auch nur in Einem da ist, ist sie dennoch ewig.
Kleist ist gemüthsfrei, also weder die antike noch die christliche Poesie des
Mittelalters hat ihn befangen. Sie werden in der Penthesilea wahrnehmen, wie er die
Äußerlichkeiten der Antike, den antiken Schein vorsätzlich bei Seite wirft,
Anachronismen herbeizieht, um, wenn auch in allem andern, doch nicht darin verkannt zu
werden, daß von keiner Nachahmung, von keinem Affektiren der Griechheit die Rede sey.
Demnach ist Kleist sehr mit Ihnen zufrieden, wenn Sie von der Penthesilea sagen, daß sie nicht
antik sey. Ich nun habe oft darüber geklagt, daß sein Gemüth allzu antik, allzu
prometheisch sey, daß die moderne Poesie in ihrer allegorischen Fülle zu wenig über ihn
vermöge, und so war seine Legende, der Engel am Grabe des Herrn, über welche Sie
schweigen, eine freundschaftliche Rücksicht auf meine Neigung und meine Wünsche für
ihn. Aber auch dort offenbart sich überall das antike, die Gestaltung über die Allegorie
weit erhebende Gemüth. Hartmanns Bild in seiner Farbenpracht, in seinen bestimmten
Umrissen ist dennoch nur eine Hieroglyphe, gegen die Sinnlichkeit und Wirklichkeit der
Kleistschen Erzählung gehalten. Hierauf ist zwischen mir und Kleist eine nähere
Verständigung erfolgt, und ich fühle jetzt, wie seine Werke jene antike Bestimmtheit
auch nur an sich tragen, <129:> um der Reaction willen, zu welcher die Zeit ihn
aufruft, um der neuen Aufklärung willen, die nun im Phöbus dem Zeitalter geboten werden
soll, welches sich nur allzu sehr, durch Unglück bestärkt, zu einer falschen Mystik
hinüberneigt. So wird er zu seiner Zeit auch das ächte Christenthum vollständiger
ausdrücken als Kleist, und dieses ist mehr, denn als Nachahmer des Dante, Petrarca,
Calderon, oder des Persiles und Sigismunda. Lassen wir doch jene verwelkten Kränze,
welche die Stirne der alten und der christlichen Dichter zierten, in der heiligen Ruhe
ihrer Gräber; sie sind nicht ihresgleichen, jene Neulinge, welche nach dem Lorbeer der
Verstorbenen greifen. Die im gegenwärtigen Briefe gegen Sie bewiesene Nothwehr ist
nur auf Ihren Brief gerichtet. Sie selbst und vornehmlich Ihre herrliche Natur
bleibt ewiger Gegenstand meiner Bewunderung und Liebe. Leben Sie wohl!
A. H. Müller.
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