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Briefwechsel zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart: Cotta 1857), 98f.

Müller an Gentz, Dresden, 25. 5. 1807

Dresden, 25. Mai 1807.

Mit großer Freude ersehe ich aus Ihrem mir sehr, sehr werthen Briefe, daß der Amphitryon Ihnen so vorzüglich gefallen hat. Hartmann hat ein großes herrliches Bild gemalt, die drei Marien am Grabe, welches zugleich mit dem Amphitryon mir eine neue Zeit für die Kunst verkündigt. Der Amphitryon handelt ja wohl ebenso gut von der unbefleckten Empfängniß der heiligen Jungfrau, als von dem Geheimniß der Liebe überhaupt, und so ist er gerade aus der hohen, schönen Zeit entsprungen, in der sich endlich die Einheit alles Glaubens, aller Liebe und die große, innere Gemeinschaft aller Religionen aufgethan, aus der Zeit, zu deren ächten Genossen Sie und ich gehören. Protestiren Sie nicht länger, mein Freund, gegen – ich will nicht gerade sagen das neue Zeitalter der Kunst – aber gegen die Zukunft des Herrn in Wissenschaft, Leben und Kunst! Auch Neues, im allerhöchsten Sinne des Wortes, mögen wir erwarten, mögen wir schon jetzt mit voller Befriedigung voraussehen. In irgend einem sichern, windfreien Winkel von Teplitz soll der Beweis davon geführt werden. Letzteres, wenn irgend möglich, unter vier Augen, denn wenn ich nach Teplitz komme, so geschiehts ohne alle Begleitung und bald, wo die Menschen Sie noch nicht zu sehr in Beschlag genommen. Der Vorschlag mit dem Abholenlassen wäre so übel nicht. Kein rheinischer Conföderationsbuchhändler will drucken, wenigstens keiner will zahlen, und so müssen sogar die nicht zu verachtenden Bücher vorläufig, und wenn sich in dem Lande der Freiheit, das bei Teplitz anfängt, kein Verleger findet, ungedruckt bleiben. Ich würde demnach das ganze Manuscript mit zu Ihnen bringen, und am liebsten allmählig Ihnen vorlesen, wenn Sie nichts dagegen hätten. Nach Ihrem Sinn werden sie seyn, denn deutlicher und dialektischer zugleich bin ich wohl nie gewesen. – Ihr Brief, vielfach andeutend und ausdrückend jene inwendige Natur Ihres Herzens, die mich von jeher entzückt hat, jenes schöne Beharren im Glauben und in der Freundschaft, jene Wahrheit, wenn es auf das schönste und heiligste, wenn es auf Ideen ankömmt (siehe die Äußerungen über Schubert), hat mein Verlangen nach Ihnen heftig angefacht. Schuberts Buch scheint mir allerdings das beste Produkt der Naturphilosophie und der Autor an Gemüth, an Gerechtigkeit und vornehmlich an Gelehrsamkeit, wenn auch <99:> nicht an polemischem und kritischem Talente, dem Schelling weit überlegen. Indeß ist mir sehr begreiflich, wie die kränkliche, zarte, nach dem Aether hinaufstrebende Natur Ihrem gesunden Sinne nicht ganz zusagt. Schubert bildet, freilich eigenthümlicher und poetischer und erhabener, aber im Wesen sehr deutlich eine frühere Periode meiner Bildung ab, wo ich das menschliche, das persönliche meiner irdischen Thatkraft hätte mögen in Rauch aufgehen lassen, um dem Gott, den ich anbetete, einen süßen Geruch zu bereiten; wo ich meines Namens, meiner Individualität mich hätte entäußern mögen, um der allerhöchste Märtyrer, der geistlichste Geistliche zu werden. Auch ich habe einst gemeint, wie Schubert, ich sey zu apostolischen Sendungen berufen und müsse vernichten, was in mir sich dem reinen Heraustreten des Geistes widersetzte. Es fehlt ihm der irdische Kern, der deutliche feste Umriß der Seele, die gewaltige Persönlichkeit, ohne welche bis dahin noch keine Offenbarung Gottes ans Licht gekommen. Betrachten Sie nur die blassen, durch und durch verunglückten Mythen, die sein Buch eröffnen; sie spüren eine Sehnsucht nach dem Orient, die eben, weil sie ihres occidentalischen Geblüts sich nicht entäußern kann und doch den Occident, die alte Heimath des irdisch tüchtigen, gestalteten und kräftigen, verachtet, nun weder ihrem Vaterlande treu bleiben, noch ihrem Paradiese näher kommen kann, dagegen wider ihren Willen in die Nebel des Nordens hinaufgezogen wird. Schelling nennt ihn nicht uneben den Ossian der Naturwissenschaft. Ich untersuche nicht, was Schelling eigentlich sich unter Ossian denkt, spreche ihm auch nicht das Recht zu, den Vergleich anzustellen, aber es ist Wahres darin. Ferner treibt er viel Abgötterei mit den Atmosphären, die ihm der Schauplatz sind, auf denen die Natur ihre heiligsten Geschäfte vollzieht. Ich dagegen liebe ohne weitere Priorität Luft und Erde einander gegenüber zu betrachten, und nachdem ich mich der Blüthe und der leichten Region, in welcher sie lebt, erfreut habe, mich wieder in das schwerere Element und zur Wurzel zu begeben, und so bald in überirdischer, bald in unterirdischer Gestalt die Liebe zu erkennen, zu verweilen aber nur in der Mitte, da wo die Natur mich und alles, was ich liebe, wirklich hingestellt.
Daß der Gegensätze in diesem Buche mehr als in irgend einem andern gedacht wird, gehört allerdings zu den ausgezeichneten Eigenthümlichkeiten des Werks, wie des Autors. Aber die objektive Erkenntniß des Gegensatzes ist noch nicht Leben des Gegensatzes, ein solches nämlich, wo <100:> im Erkennen das Erkannte geübt und im Ausüben die Ausübung erkannt wird – Dialektik. – Die Vorlesungen sind zwischen uns, mein Freund, das beste Verständigungsmittel. An dem Gegensatz des monologischen und dialogischen, und an dem Antigegensatz des dramatischen werden Sie sicher erkennen, was ich verlange, und dann liegt mir ob, Ihnen mündlich zu zeigen, wie sich meine Lehre und mein Leben des Gegensatzes zu den Gegensätzen verhält, die die Natur aufstellt, welche offenbar nur Embrionen des meinigen sind, und in den immer dichteren Schwärmen, in denen sie sich von allen Seiten und in jedem neuen Werke mehr und mehr hinzudrängen, nur bezeugen können, daß ich von Anfang an das noch immer Unerkannte, aber Rechte gewollt habe. Aber auch so, wie ich ihn geschildert, ist Schubert vortrefflich und im größeren Maßstabe das, was im kleineren ich in diesem Augenblick seyn würde, wenn durch Ihren Einfluß auf mich nicht das wirkliche, körperliche, gesellschaftliche Leben, die Welthändel, der Staat, meiner ausschließend wissenschaftlichen Richtung das Gegengewicht gehalten hätten. Von seinen astronomischen Entdeckungen spreche ich Ihnen mündlich.

Ihr

A. H. Müller.

Rasende Gewitter dieß Jahr!!
Noch eine Curiosität: Feßler’s Bonaventura. Der neue Feßler’sche Katholicismus verdient wegen der großen Partei, die er in Deutschland hat, Ihre Aufmerksamkeit, ob ich gleich diese Zergliederung des Heiligen, dieses platte Heraussagen großer, mit Lauigkeit, oder mit aufgeklärtem Vorwitz aufgefaßter Dinge für die schändlichste Profanation derselben halte.

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