Briefwechsel
zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829 (Stuttgart: Cotta
1857), 93f.
Müller an Gentz, Dresden, 9. 5. 1807 Dresden, 9.
Mai 1807.
Ich sende Ihnen, mein Freund, um Ihren Wünschen wenigstens theilweise zu genügen, die
von mir herausgegebene dramatische Arbeit eines jungen Dichters, der vielleicht Besseres
und Höheres als irgend ein anderer verspricht. Die Lektüre des zweiten Akts des
Amphitryon wird Sie bewegen, mein Urtheil zu unterschreiben. Die äußere
Ungeschliffenheit der Verse wegzuschaffen, hielt ich nicht für meinen Beruf, um so
weniger, als ich den innern Rhythmus dieses Gedichts zu verletzen für ein Verbrechen
gegen die poetische Majestät dieses großen Talents gehalten haben würde. Wäre der
Verfasser nicht gegenwärtig im Schlosse Joux als Arrestant der Nachfolger Toussaints, so
würde, was Sie Nachlässigkeit in der Sprache und im Versbau nennen mögen,
wahrscheinlich daran nicht auszusetzen seyn. Ich besitze mehrere Manuscripte dieses
Autors, die zu gelegener Zeit erscheinen sollen. Von meinen Vorlesungen, die Ihnen
gefallen werden wegen der, ohne Unkosten der Idee, gelungenen Popularität, ist eine
vollständige Abschrift nicht vorhanden; indeß hoffe ich sie Ihnen in drei bis vier
Wochen gedruckt zu überreichen. Die Vorlesungen haben ihren guten Erfolg gehabt. Man hat
sich wechselsweise über meine allzu katholische und über meine allzu protestantische,
über meine allzu antike und dann wieder allzu germanische Ansichten beklagt, und hat mich
endlich nicht ohne Befriedigung verlassen. Mir ist der unmittelbare Genuß an solchen
öffentlichen Ausstellungen der Ideen das wesentliche, aber unendlich wichtig der Gewinn
an Zuversicht des Geistes, an Gewandtheit der Organe, an Umfang und Allseitigkeit der
Wirkungskraft. Ich halte diese Versuche, das Wesen eines beliebigen Gegenstandes, wie der
deutschen Literatur oder der dramatischen Poesie, mit Bestimmtheit, Klarheit und Tiefe zu
ergreifen, für nichts als Vorübung zu einer endlichen Darstellung des Gegensatzes, d. h.
zu einem Buche, das auch die Anhänger klassischer Methode, und also vornehmlich einen
Freund wie Sie, der in der klassischen Form sich die auffallendsten Eigenheiten des
Geistes gefallen läßt, zufrieden stellen soll. Derweil begebe ich mich unter Gottes
erbetenem Beistande wieder an meine divina comedia, an das gegen Sie von Freunden
schon erwähnte dramatische Gedicht: Julianus der Abtrünnige. Von zwei Tragödien
zeigt die erste Julianus Erhöhung und den Untergang des finstern Constantinischen
Hauses, demnach die alte <94:> Welt in ihrer verfallenden Glorie; die andere, Julianus
Tod, dagegen die trumphirende Christenheit, welche zu allgemeiner Beruhigung den
Abtrünnigen selbst mit seinen Entwürfen und mit seinen heidnischen Glaubensgenossen
gegen Morgen und Abend in den Triumph mit hinaufzieht. Der Gedanke allgemeinen
Todes und Untergangs soll durch das erste, der andere allgemeinen Lebens durch das
letztere verherrlicht werden. An Discussion fehlt es nicht; unsere gemeinschaftlichen
Freunde lassen das Gespräch nicht ausgehen. Indeß erkläre ich Ihnen aus innerstem
Gefühl Sie fehlen mir. Der Streit mit Ihnen hat etwas besonders stärkendes und
erhebendes; bei einem Streite mit Ihnen findet ein gewisses gegenseitiges Hingeben und
sich Anerkennen statt; mit Ihnen ist es ein Vorrecht Ihrer schönen inneren Natur,
daß man so persönlich einander gegenüber bleibt, wenn man Sie herausfordert. Sie geben
sich selbst in so gutem Verhältnisse gemischt mit dem Gegenstande des Streits; man bleibt
mit Ihnen in der Region der Wärme und der Liebe, kurz da, wo die Menschheit hingehört,
in der Mitte zwischen dem allgemeinen und persönlichen. Sie bleiben vortrefflich
und zu vollständigem Glück solcher Menschen, wie ich, unentbehrlich. Desto härter die
Zeit, die uns von Ihnen so hoffnungslos abgeschieden hat. Nicht immer haben die
Abwesenden Unrecht; bei mir Sie gewiß nicht. Sind Sie zugegen oder auch vielleicht nur
etwas entfernt, rebellirt man gegen Sie und Ihre Grundsätze und Ihre Intoleranz; sind Sie
aber recht abgerissen, eigentlich abwesend, so kann man Ihrer nicht anders als mit großem
und herzlichem Verlangen gedenken.
A. H. Müller.
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