Friedrich
Wilhelm Gubitz, Erlebnisse. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen, 3 Bde.
(Berlin: Vereins-Buchhandlung 1868/69), Bd. 1 (1868), 176-179
Friedrich v. Cölln: Briefe aus und über Berlin im Frühjahr 1811
Erster Brief.
- Nach drei Jahren sah ich nun Berlin zum ersten Mal wieder, und war
erschrocken über die großen Veränderungen, welche hier stattfanden. Von den
zehn Ministern vor dem Kriege fand ich eigentlich nur einen, den Staatskanzler,
statt einer Menge von Generalen, Stabs- und Subaltern-Offizieren, welche sonst die
Straßen anfüllten, und Soldaten, welche an den Straßenecken nach Verdienst umherlugten,
vernahm ich nur die Töne der Hörner, welche die modernisirten Voltigeurs auf dem
Dönhofsschen Platz versammelten, der um deshalb noch der lebhafteste ist, weil hier der
Staatskanzler wohnt, vor dessen Thür sich die Supplikanten und die Equipagen der
Staats- <177:> räthe begegnen. Die Wilhelmsstraße, ehemals der Sitz der
Großen, ist öde und leer. Das Opernhaus, wo die Pärsche Oper Achilles
gegeben wurde, war zur Hälfte leer man fand das Legegeld zu hoch. Vordem
erhielt man mit Mühe Einlaß. Nur das Schauspiel-Theater ist noch immer der Centralpunkt,
wo sich die schöne, gebildete und gemeine Welt versammelt. Hier ist denn auch noch wie
sonst der Ort, wo das Militair sich durch Gewaltstreiche auszeichnet, da es auch noch
heute außer dem Gesetz und ohne Polizei sich von seinem militairischen Geist ohne Geist
impulsiren läßt. Die wilden Ausbrüche hat man ganz kürzlich, wie bekannt, wieder
erfahren, und man hofft, der König werde endlich diesen Uebermüthigen den Kappzaum
anlegen. Wenn es wahr ist, wie man versichert, daß der größte Theil des
Militairs nach Hause geschickt und die Städte mit Bürgergarden besetzt werden sollen, so
dürfte sich das Publikum Glück wünschen.
Eine
auffallende Erscheinung ist auch die hohe Religiosität, welche man hier affektirt und der
die Tagesblätter unausgesetzt huldigen. Ja ich hörte sogar neulich den Redakteur des
sich zur Ruhe neigenden Abendblatt behaupten: der tiefe Sinn der Apokalypse scheine dem
Zeitgeist zu entsprechen. Adam Müller, der berühmte Gesetzgeber, setzt die Kirche
über die Regierung, und unser Erbadel ist ihm schon von Gott selbst eingesetztes
religiöses Institut. Alles lebt in der Idee, von Fichte bis auf Heinrich
v. Kleist, den cidevant Prometheus, und nur der
Beobachter <178:> an der Spree befaßt sich noch mit der gemeinen
Wirklichkeit. Wehe der Religion, wo Religiosität Mode wird!
An der Spitze der
Universität steht der bekannte Schmalz, der alle Staatsbürger in rohe Producenten
verwandeln will und allen Nationalreichthum nur in Kartoffeln, Grütze, Mastvieh und
Dergleichen findet. Der berühmte Thaer spricht immer noch viel von Wurzelwerk und
der Mast von Hammelschwänzen, und Buchholz hat sich plötzlich zum Verfechter der
neuen Regierung erhoben und widmet seine Intelligenz der Apologie der neuen
Finanz-Einrichtung, wovon er, unter uns gesagt, gar nichts versteht. Sonderbar
ists, daß bei allem Idealisiren in Berlin keine Tagesblätter fortkommen. Der
Hausfreund geht ein, aber wie gesagt, der Beobachter an der Spree,
der ein Freund vom Realisiren ist, zählt die meisten Leser. Der
Freimüthige sieht sich oft genöthigt, vergessene Anekdoten aus den
Vertrauten Briefen und Feuerbränden aufzufrischen. So erzählte
er vor Kurzem die Anecdote über den Heroismus des Kommandanten Herrmann in Pillau, die
nicht einmal wahr ist, und die in den Vertrauten Briefen steht.
Das einzige lesenswerthe
Buch, welches über den Staat seit einem Jahre erschienen, ist: Das brittische
Besteurungs-System, dargestellt mit Hinsicht auf die in der preußischen Monarchie zu
treffenden Einrichtungen von Friedrich v. Raumer.
(Berlin, <179:> bei Sander, 1810). In diesem Buche findest du die richtigsten
Ansichten und vernimmst einen Praktiker, dem die Theorie nicht fremd, und der eben so weit
vom Physiokratismus als von dem Zwang-System alter cameralistischer Plusmacher entfernt
ist.
Die Herrn Buchholz,
Schmalz, Adam Müller sollten sich doch ja nicht mit dem Staat befassen, denn es fehlt
ihnen die erste Bedingung, um darüber etwas Verständiges zu sagen: sie kennen ihn
nicht.
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