Renate Grumach,
Eine bisher unbekannte Anekdote von Heinrich von Kleist,
in: JDSG 33 (1989), 9-12; darin: 10f.
Johann Daniel Falk: Aufzeichnung über Kleist und
Goethe
- Göthe
- Wie Göthe sich
irren könnte. Als der Wasser krug vom Hr. v. Kleist sollte
gegeben werden, rief die regierende Herzogin Hr. von Müffling
auf die Seite und frug ihn: ob er Hr. von Kleist kenne,
es werde nächster Tags ein Stück von ihm gegeben werden,
ein Lustspiel, wovon Göthe gesagt hatte: er müsse
die Schauspieler im Spielen ordentlich einhalten und Pausen
machen lassen, damit die Zuschauer Zeit behielten,
sich auszulachen. Den folgenden Tag darauf, sagte
die Prinzeß Caroline zu Hr v. Müffling: Wir sehen
Morgen ein Stück von Kleist. Ich freue mich sehr drauf.
Es soll außer der Maßen vortrefflich seyn.[] Ich
bin fest überzeugt daß es Göthen mit diesem Urtheil
vor der Aufführung des Stückes ein völliger Ernst
war, er hatte sich durch die einzelnen blendenden Seiten,
durch den genialen Humor des Wasserkrugs bestechen lassen.
Kleist war wüthend, als er erfuhr daß das Stück so durchgefallen
sey. Er wollte Göthen fordern, sich mit ihm schießen
us.w. Man hatte ihm glaublich gemacht, Göthe habe
absichtlich das Stück zu 3. Akten ausgesponnen, und es
dadurch zum Fallen gebracht. Dieses falsche Gerücht fand
um so eher Eingang bey Kleist, da Göthe ihm auf einen
warmen höchst gemüthvollen Brief, den er an ihn geschrieben,
kein Wort keine Sylbe geantwortet hätte. Die Beschul-
<11:> digung aber ist gewiß völlig grundlos. Von
dem Tage der Aufführung des Wasserkrugs an, zeigte Göthe
eine entschiedene Abneigung gegen alle Kleistischen Stücke
Kleist, in der falschen Voraussezung, schrieb folgenden
Aufsatz, den er an Hr. v. Müffling schickte, daß dieser
ihn in das Morgenblatt, oder sonst wo sollte einrücken
lassen:
- Seltene
Ehrlichkeit.
- In Gotha haben
sie einen Profos und Stäbchen-Jungen, die beyde, nach
deutschem Herkommen und Gebrauch unehrlich sind. Nun hatte
der Stäbchen bube etwas gestohlen, und erhielt sein Urtheil,
daß er ins Zuchthaus kommen sollte. Aber noch eh
dieß Urtheil an ihm vollstreckt wurde, empörten sich alle
Bewohner des Zuchthauses, nahmen sich einen Advocaten
an und bewiesen, daß sie, als ehrliche Leute, die nach
ausgestandner Strafe wieder in die bürgerliche Gesellschaft
zurückkehren und aller Ehren genießen könnten, unmöglich
ein so unehrliches Mitglied unter sich dulden können würden.
Der Regierung, da die Sache bis ans geheime Conseil
kam, blieb am Ende nichts anders übrig, als über dem Stäbchenjungen
die Fahnen schwenken, ihn so ehrlich machen zu lassen
und ihn sodann ins Zuchthaus zu schicken
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Der Text ist stellenweise schwer zu entziffern. Unsicher
ist das so vor ehrlich in der vorletzten
Zeile, es könnte ein bloßer Tintenklecks sein; dann wäre
zu lesen:
die Fahnen schwenken, ihn ehrlich
machen zu lassen
. Aufmerksamkeit verdient
eine Korrektur in Falks Text: in der drittletzten Zeile
steht falschen über gestrichenem heftigen.
folgenden
Aufsatz] Nach Grumachs Ansicht ist dies die Anekdote
Seltene Ehrlichkeit.
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