Johann
Wolfgang v. Goethe, Werke, hrsg. im Auftrage der
Großherzogin Sophie v. Sachsen, 133 Bde. (Weimar: Böhlau 1887-1918), III. Abt.
(Tagebücher), Bd. 3 (1889), 238-240
Karlsbad, 13. 7. 1807
13.
Zu Hause einige Becher Brunnen. Die Kappisch-Mitterbachische Arzney fortgesetzt. Einiges
illuminirt. Resident Reinhard. Wir gingen seine <239:> Übersetzung einiger
Stellen der Farbenlehre durch und beredeten uns über die Art und Weise, wie sie ad
Gallos zu richten sey. Corinna zweyter Band. Mittags bey Reinhard zum Abschied
gegessen. Nach Tische zu Hause und den 3. Theil der Corinna angefangen. Gegen Abend Hr. von Mohrenheim, russischer Legationssecretär,
welcher mir den Amphitryon von Kleist, herausgegeben von Adam Müller, brachte. Ich las
und verwunderte mich, als über das seltsamste Zeichen der Zeit. Abends sehr heftiges
Gewitter, aber bald vorübergehend.
Der antike Sinn in Behandlung
des Amphitryons ging auf Verwirrung der Sinne, auf den Zwiespalt der Sinne mit der
Überzeugung. Wie im Miles gloriosus das eine Mädchen zwey Personen vorstellt,
so stellen hier zwey Personen Eine dar. Es ist das Motiv der Menächmen, nur mit dem
Bewußtseyn des einen Theils. Molière läßt den Unterschied zwischen Gemahl und
Liebhaber vortreten, also eigentlich nur ein Gegenstand des Geistes, des Witzes und zarter
Weltbemerkung. Wie es Falk genommen, wäre nachzusehen. Der gegenwärtige, Kleist, geht
bey den Hauptpersonen auf die Verwirrung des Gefühls hinaus. Höchst wahrscheinlich ist
bey den Alten keine Hauptscene zwischen Jupiter und Alkmene vorgekommen, sondern die
Hauptmotive fielen zwischen die beyden Sosien und Amphi- <240:> tryon. Die Situation
zwischen Amphitryon und Alkmene erhält eigentlich auch kein dramatisches Motiv.
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