(Major
Gerwien:) General-Lieutenant Rühle von Lilienstern. Ein
biographisches Denkmal, in: Beiheft zum Militair-Wochenblatt für die Monate Oktober,
November und Dezember 1847 (Berlin: Mittler), 125-191; darin: 127f.
Rühles Freundeskreis in Potsdam
Nachdem wir im Vorigen die Einwirkungen geschildert haben, welche in jener Zeit auf den
Lieutenant Rühle, entweder in Folge der eigenen Bestrebungen oder der Verhältnisse
überhaupt, statt fanden, ist jetzt noch des wichtigen Einflusses zu gedenken, der auf die
Geistes- und Charakter-Entwickelung desselben von bestimmten Persönlichkeiten ausging.
In
dieser Hinsicht ist von den jüngeren Kameraden, welche ähnliche Bestrebungen und
Geistesrichtungen wie Rühle verfolgten, und mit demselben durch enge Freundschaftsbande
verknüpft waren, besonders Heinrich von Kleist, der dramatische Dichter, früher
Lieutenant im Garde-Regiment, und Ernst von Pfuel, Lieutenant im Königs-Regiment, jetzt
kommandirender General, zu nennen.
Es läßt sich von selbst
erwarten, daß höhere geistige Bestrebungen diese Vereinigung der Freunde <128:>
befestigten und veredelten. Wissenschaften, Dichtkunst und Musik waren der Stoff, welcher
die Zusammenkünfte dieser jungen Offiziere belebte. Die von allen Mitgliedern periodisch
eingereichten Arbeiten und Produktionen wurden hier gehört und verhandelt. Das
ausgezeichnete Quartett, welches v. Kleist (der Dichter), v. Schlotheim,
(Generalstabs-Offizier und nachheriger Gouverneur des Herzogs Karl von Mecklenburg), von
Gleissenberg (Lieutenant im Regiment Garde, später Gouverneur in der Militair-Akademie)
und Rühle bildeten, ist den Zuhörern noch heute lebendig im Gedächtniß. Und wie der
rechte Ernst niemals den Sinn für Scherz und Heiterkeit ausschließt, so genossen die
Freunde auch mit dem leichten Fluge dieser Stimmungen die vergängliche Zeit. Einst kam
das Quartett auf die Idee, als reisende Musikanten, einen Ausflug in den Harz zu machen.
Wie gedacht, so gethan. Ohne einen Kreuzer mitgenommen zu haben, wurde in Dörfern und
Städten gespielt, und nur vom Ertrage der Kunst gelebt. Der Erfolg war glänzend; man
kehrte von der genialen Reise neu erfrischt und geistig belebt wieder heim.
In dieser Art war der Kreis
der jüngeren Freunde beschaffen, in dem sich Rühle bewegte und entwickelte.
Von den höher gestellten und
damals bereits einflußreichen Personen, die auch später auf die äußere Zukunft
desselben wiederholt einen bedeutenden Einfluß äußerten, ist aber neben dem Oberst
Scharnhorst noch der Oberst von Massenbach namhaft zu machen. Das Verhältniß zu
Scharnhorst mag sich damals, außer der erwähnten großen Einwirkung als Lehrer und
Vorgesetzter, nicht über das Interesse an Rühles hoher Begabung hinauserstreckt haben,
sondern wurde vermuthlich erst später zu tieferen Beziehungen ausgebildet. Die nähere
Bekanntschaft mit dem Oberst von Massenbach hingegen, welche sich durch Zutritt in dem
Hause seiner geistreichen Schwägerin, Frau v. Kleist, vermittelte, finden wir
bereits in jener Zeit so entwickelt, daß wir die Theilnahme desselben an Rühle als
väterliche Zuneigung bezeichnen hören.
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