Über den
Tod Heinrich v. Kleists. Aus
dem Briefwechsel Wilhelm von Gerlachs mit dem Maler Friedrich
Meier, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte2
(1949/50), 169
- Über
den Tod Heinrich v. Kleists
- Aus
dem Briefwechsel Wilhelm von Gerlachs mit dem Maler Friedrich
Meier.
Aus einem Brief Meiers vom 31. 12. 1811:
Ich bin begierig Dein Urteil und von Dir
die nähern Umstände über Kleistens Tod zu erfahren. Ich
fürchte fast, Du wirst ihn mit andern verdammen. Da muß
man aber wieder den Werther lesen, um zu lernen, wie man
über dergleichen urtheilen soll, nämlich gar nicht, wenn
man es nicht so schon weiß.
Aus dem Brief Wilhelm von Gerlachs, Berlin 28. Januar
1812 an Friedrich Meier:
Ich soll Dir von Kleists Tod erzählen.
Zuerst: ich urtheile wie Du sehr milde über den unglücklichen;
ich habe ihn nur einige Mahle gesehen,
aber das Unglück u. die Gedrücktheit sprach sich in seinem
zerrissenen Wesen sehr deutlich aus, ungeachtet er immer
viel sprach und lachte. Das Merkwürdigste, was ich über
seinen Tod gehört habe, oder vielmehr über den Mord der
Frau ist, daß er schon vor mehreren Jahren, da sein Bruder
nach dem Urtheil einiger Ärzte eine unheilbare Krankheit
haben sollte, erklärt haben soll, er hielte es für seine
Pflicht, wenn die Ärzte einig wären, der Bruder wäre unheilbar,
ihn zu erschießen\1\; die Frau befand sich in der Lage, sie hatte den
Krebs
Schon dies zeigt, daß er nicht mit der
übrigens, wie ich höre, häßlichen Frau näher verkehrt
hat. Die Umstände des Mordes sind die: Beide sind zu Stimming
gefahren\2\, von wo sie am folgenden Abend
der Mann der Ermordeten , nämlich hat holen sollen; sie
haben die ganze Nacht Briefe geschrieben und Wein und
Tee getrunken und haben am morgen den Wirt gebeten, ihnen
den Caffee jenseits des Sees (welches von hier diesseits)
rechts von der Chaussee (von hier links) hinzubringen;
dort haben sie in einer Grube sich hingesetzt und nachdem
die Aufwärterin weggegangen und in der Haustür ist, um
ihnen noch etwas zu holen, schießt er zuerst sie und dann
sich tot. Das Mädchen hört die Schüsse, glaubt es jagte
jemand im Walde und bringt das Befohlene richtig hin,
wo sie beide tot findet. Der Mann ist ein sehr lustiger
jovialer Mensch, ein Bonvivant, die Frau war eine empfindsame
Närrin, wie schon ihre letzten Briefe auch noch gezeigt
haben.
\1\ Eine der Kleistforschung
m. W. nicht bekannte Angabe.
\2\ Das Lokal
von Stimming am Wannsee bei Potsdam war ein beliebter
Ausflugs-Gasthof, auch Treffpunkt der Berliner Romantiker;
vgl. H. Rogge: H. v. Kleists letzte
Leiden, Jahrbuch der Kleist-Gesellschaft II (Berlin
1923), 71.
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