BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


G

Ludwig Geiger, Ein Berliner Theaterskandal, in: Archiv für Theatergeschichte 1 (1904), 65-85; darin: 66-75

August Wilhelm Iffland an Karl August v. Hardenberg, Berlin, 26. 11. 1810


Hochgebohrner Freyherr!
Hochzugebietender Herr Staats Kanzler!

Wie manche Sorge und nagenden Verdruß mir die Angelegenheit des Theaters und meine Persönliche Behandlung in den öffentlichen Blättern in Berlin und die Einsendungen einer be <67:> kannten Parthie in Berlin in ausländische – sogar Pariser Blätter auch verursacht haben, so habe ich dennoch, aus Ehrfurcht für Ewer Excellenz unermeßliche Sorgevolle Arbeit mit keiner Vorstellung deshalb Hochdenenselben mich nähern wollen.
Um so schmerzlicher muß es mir fallen, daß die lange vorbereiteten Unruhen, welche heüte im Theater ausgebrochen sind, nunmehr mich drängen, darüber Vortrag zu machen, da die lezte Entscheidung meiner Lebensbahn davon, wie diese Sache gesehen und behandelt werden soll, abhängt.
Seit mehreren Monathen ist in den hiesigen Zeitungen und Blättern die Direction gleichgültig, neckend und zugleich so schimpflich behandelt, daß dieses endlich den, welcher diesen Dienst verwaltet, seine Anstalten und ganzes Thun dem Publikum zweiffelhaft und lächerlich machen muß.
Bescheidenen Vorstellungen hingegen sind die Landes Gesetze der Preßfreiheit entgegengestellt und so ist es endlich dahingekommen, – daß aller mich untergrabenden Kränkungen hier nicht zu erwähnen, man im Journal de l’Empire aus Berlin dahin geschrieben
„Die Direction bettle Urtheile der Rezensenten\1\ für sich und bezahle sie ihre Schwäche zu verschweigen.“
Man hat dies mitten in Berlin, sogar in einem hiesigen Blatte gesagt. Die Zeitungsredaktoren haben diese Bestechung wiederlegt und man hat die Schmach soweitgetrieben – nochmahls eine Vernehmung der einzelnen Rezensenten, daß sie von der Direction nicht bestochen seien ebenfalls erfordert, welche auch erfolgt ist!
Man treibt die Affectation, die Direction von dem, der sie verwaltet, zu trennen und so der Belangung zu entgehen, so weit als möglich.
Ein Berliner hat im Morgenbladte die Unzulänglichkeit, fast Untreüe – der Direction und deren Absetzung laut erklärt.
Es ist bekannt, daß diese Stelle von mehreren hiesigen Einwohnern sehr anhaltend gesucht wird, während ich gegen das Betreiben dieser Bewerber und gegen manches petulante Thun ihres Anhanges – nichts gethan habe als meine schwere Arbeit, die ich in keine partie fine zu ziehen weiß, ruhig und geräuschloß fortzusetzen.
Es gehört nur ein mäßiger Grad von Argwohn dazu, um <68:> jenes Bestreben und die sistematische Verunglimpfung in den auswärtigen und öffentlichen Blättern – wenn nicht von Seiten der Directions Kompetenten selbst – doch von Seiten ihrer Jünger, die ja laut und vorlaut genug sind – in Verbindung glauben zu können.
So ist es denn nun zur Sitte einer bekannten Parthie, welche zu den dramatischen Umwälzern sich gesellet hat, geworden, alles, was ich als Director (oder Direktion, je nachdem der Nahme am beßten Feüer fangt) thue und unternehme, außer Kredit zu bringen, als schaal, albern, einseitig und wiedersinnig dem Publikum darzustellen.
Man hat die Oper, die Schweizerfamilie, welche ich seit Jahr und Tag – als für Berlin – nicht besonders wirksam verworfen, in den Zeitungen begehrt. Ich füge mich und laße die Oper gegen Uberzeügung der vollen Wirksamkeit einstudiren.
Kaum geschieht dieß, als die Zeitungen die Rolle des jungene liebekrancken, halb irren Schweitzer Bäuerinnen Mädgens entweder für Demoisell Schmalz, Madam Müller oder Eunicke verlangen.
Demoisell Schmalz könnte ein kindliches Mädchen nicht geben, Madam Eunecke ist nicht für dieses ernste Fach und der Gesang für sie zu hoch. Der Madam Müller zog ich die Demoisell Herbst vor. Um so mehr, da Herr Kapellmeister Weber auf meine und ihre Bitte die Gesangbildung für diese Partie mit ihrer hübschen Stimmfähigkeit übernommen hatte. So ward die Oper gut besezt, mit allem Fleiße eingeübt. Derweile fuhr jede Zeitung fort, das Publikum gegen diese Besetzung als ein himmelschreiendes Unrecht einzunehmen und aufzufordern. Es wird auf öffentlichen Plätzen gegen Demoisell Herbst geworben und ihr, die still, arbeitsam, willig und sittsam vor sich hinlebt, ein öffentlicher Schimpf bei dem ersten Auftreten in dieser Rolle vorher zugesagt.
Davon unterrichtet habe ich dem Herrn Polizei Präsidenten am 19. d. M. daß dies obwalte und die Vorstellung am 21. sein würde, Bericht gegeben.
Der Herr Präsident hat am gedachten Tage durch Hinsendung und Instruirung der Polizeiofficianten wie durch eigne Gegenwart das Mögliche für die Ruhe des Tages gethan. Viele waren von Demoiselle Herbst zufrieden, andere erklärten, man habe nicht das von ihr erwartet, andere, sie habe nicht die Rolle <69:> erfüllt, doch auch nicht und auf keine Weise verlezt. Das Stück gefiel mäßig, die Musik recht wohl, doch nicht so, wie man von ihrer Unübertrefflichkeit vorher Gerüchte ausgesprengt hatte. Die Schauspieler, nahmentlich die Herren Beschort, Gern, Labes, Rebenstein gefielen allgemein und das Stück, welches einen stillen einfachen Gang hat wie die Musick selbst ward sehr gut aufgenommen.
Am Schluße desselben ward Demoisell Herbst, die währender Vorstellung mehrmals mit Beifall aufgenommen worden war, herausgeruffen. – Bei kritischen, vorher besprochenen und verabredeten Verdammungstagen und Personen ist das Herausruffen in der Regel das Signal zur beschlossenen Beschimpfung. Nachdem Demoisell Herbst von vielen Stimmen laut und anhaltend geruffen worden war, trat sie endlich vor, verneigte sich ohne zu reden, ward mit lautem Beifall empfangen, wozwischen sie von mehreren Personen gepocht wurde.
Das Parterre, von dem Fleiße und der Leistung der Schauspielerin zufrieden, hatte die Pocher mit lautem Mißfallen Schweigen heißen und unter andern einen jungen Menschen von Thümen, welcher das Gimnasium noch besucht, unsanft und mit harten Reden der Parterrethür entgegengedrängt, wo ihn der Rendant und Polizeiinspector Jacobi in Schutz genommen und in die Kaßenstube, auf dem Theaterflur belegen, geführt hat.
Dorthin kamen nachher mehrere Polizeipersonen und auch der Inspector Holtorf, der als sein ehemaliger Lehrer, von seinem Unfug zwiefach befremdet, ihm diesen, wie man sagt, sehr heftig verwiesen haben soll. Um ihn wegen seines tumultarischen Benehmens und bei nur achtzehnjährigem Alter nicht zum Arrest zu bringen, ist Hr. Holtorf auf einer Persönlichen Entschuldigung gegen die dicht neben dem Theater wohnende Demoisell Herbst bestanden, zu welchem Zweck die Polizei ihn dahin begleitet.
Dem. Herbst hat nichts darauf erwiedert, als daß es ihr leid sei, daß Hr. v. Thümen sich und sie in diese Verlegenheit gesezt habe.
Die Oper, welche Mitwochs d. 21. mit Beifall gegeben worden, ward Donnerstags den 22. auf das Repertoir, welches Freitags d. 23. Mittags wie gewöhnlich in Druck erscheint, gebracht.
Sonnabend früh ward in Erfahrung gebracht, daß ein Theil von Leüten sich vereinigt habe, das gegen den jungen Herrn von Thümen beobachtete Verfahren als eine Beleidigung seiner Per <70:> sonen und nahmentlich des in ihm beleidigten Standes,\1\ nämlich des Adels betrachten und dafür nun, bei ersten Auftreten der Schauspielerinn Herbst, es sei nun in der Oper der Schweizerfamilie oder in jeder anderen Oper, darinn sie zuerst wieder auftreten würde, durch eine öffentliche Beschimpfung Genugthuung zu nehmen.
So unglaublich es nun auch wegen der Wiedersinnigkeit sein mußte, daß man eine Unzufriedenheit mit Hn. Holtorf die daran gar nicht Schuld habende Schauspielerinn, die Direction und das Publikum sollte entgelten laßen wollen, so ward doch dem Rendant und Polizeiinspector Jacobi aufgetragen, den Herrn Polizei Präsidenten davon Nachricht zu geben.
Es hat sich dieser auch, theils durch Herrn Holtorf Sonabends d. 24. theils Selbst Sonntags den 25. bei dem Herrn Präsidenten mündlich\2\ dieses Auftrages entledigt –
Wäre Sontags Abends, bei der gewöhnlichen anonce des Stückes auf den kommenden Tag ein irgend nur bedeutend scheinendes Mißfallen vernommen worden: so wäre es eine Maasregel der friedlichen Nachgiebigkeit gewesen, die Vorstellung – wenn auch gegen Bewustsein und Recht und Billigkeit – dennoch zurückzunehmen.
Die Ankündigung dieser Oper war aber nicht etwa nur ruhig angehört, sondern mit ununterbrochenen Beifallsbezeügungen aufgenommen.
Abgerechnet, daß die Zurücknahme der Oper ohne alle Ursach eine unbegreifliche Schwäche verrathen haben würde, hätte auch, mit der freiwilligen Aufopferung von Zeit, Mühe und Geld, welche erstere die Einstudirung gekostet, letztere die Wiederholung tragen sollte, nicht einmahl der Zweck erreicht werden können, da die Verbindung der Gegenpartei den Zweck vestgesetzt haben soll, sich den Kützel zu erzwingen, die Schauspielerinn Herbst schimpflich zu behandeln sie möge auftreten wann sie wolle.
Es blieb also aus vernünftigen Gründen um so mehr bei Vorstellung dieser Oper, als der Herr Präsident indeß auf eingereichte Klage des jungen von Thümen untersuchende Behandlung versprochen und die für die heütige Vorstellung seitdem entstandene Besorgniß des Herrn Gouverneur Graffen von Kalk <71:> reüth Exzellenz, zu gefälliger Mitwirkung dieser hohen Stelle, mitgetheilt hatte. Es erschienen auch heüte Nachmittag ¾tel auf 5 Uhr der Herr Platzmajor von Gontard und Herr Major von Both, wobei ersterer erklärte, daß des Herrn Feldmarschalls Graffen von Kalkreüth Exzellenz Sie Beide hergesendet habe, da der Herr Präsident, daß Unruhe im Hause zu präsumiren sei, dorthin berichtet habe.
Für allen Fall, um nicht beschuldet werden zu können, daß ich die Verlegenheit aigrirt habe, machte ich Vormittags in der Stille Anstalt zu einer andern Vorstellung, falls die Erste nicht geendet werden könnte.
Die Oper begann ruhig. Demoisell Herbst kommt in der 4. Szene ersten Aktes. Man ließ sie während eines langen Ritornelles ruhig bis vornhin gehen. Als sie eben zu singen beginnen wollte, erhub sich – das gewöhnliche Zeichen – ein aplaudissement, worauf ein heftiges Pfeiffen, Husten und Lachen erfolgte. Nachdem dies lange angehalten, fieng sie an zu singen; man ließ dieß eine Weile geschehen und der vorige Unfug begann wieder. Dann einzelnes Husten, Lachen, Blöcken, Pfeiffen im Trillerschlage und wieder Pochen.
Darauf traten Herr Beschort und Herr Gern hinzu und nachdem diese eine Weile zu spielen versucht hatten und stets von Pfeiffen, Pochen, Husten und Lachen gestört waren – ließ ich endlich den Vorhang hinabfallen, den Schauspieler Berger aber anonciren, „man werde versuchen, eine andere Vorstellung zu geben“ – welches dann auch binnen einer Viertelstunde mit den Geschwistern von Göethe in 1 Akt und der Oper der Schatzgräber geschehen ist.
Von wem kommt diese, in jedem Sinn heillose Kabale? – denn das sie ist\1\ und nach ihrem Humor wirckt, längst gewirckt hat und fortfährt zu wircken, wird wohl Niemand in Abrede sein.
Polizei und Gouvernement von Berlin müßen es wißen, wenn sie ihrem Range entsprechen können; daß Sie das vermögen, ehrt Jedermann.
Wenn aber gleichwohl nichts oder nichts von einigem Belange gegen eine so offene, so frech und lange intendirt handelnde Partie geschieht, so muß ein nicht zu hebendes Hinderniß in der Mitte liegen, weshalb der böse Wille zermalmen darf, was und <72:> wo es ihm beliebt und ehrliche Leüte mit Füßen treten kan, so schmerzlich und so schimpflich als es seiner Hohnlust gut dünkt.
Es darf mir nicht geziemen dies Hinderniß aufzusuchen.
Anzeigen muß ich jedoch, daß
1. dem anwesenden Herrn Kommandanten Pocher genannt sind
2. daß man im Parterre und in der Fremdenloge neben dem Herrn Commandanten belegen ihr tumultuarisches Betragen, welches so arg war, daß den Logeninhabern unter ihnen die Kalckstücke auf den Kopf gefallen sind, ganz deütlich bemerkt hat, so wie man es von einem Hauffen mitten im Parterre bemerckt hat;
3. daß nur etwa der 4te Theil gepocht hat,
4. daß gleichwohl Niemand verhaftet ist,
5. daß während zweijähriger Anwesenheit der Franzosen nie ein ähnlicher Vorfall gewesen, sondern daß nur ein Stück ausgezischt ist.
Es ist ein Jahr her, daß man die junge Unzelmann mit Beschimpfung weggebracht und die Direction, welche dieser 300 Thlr. Gehalt gab, genöthigt hat, die Herbst mit 1200 Thlr. anzustellen, die nun, nachdem das Publikum sie keinen Abend noch ohne Beifall entlaßen hat, ebenfalls, weil es einigen Wenigen so beliebt schmählich ausgetrieben werden soll!
Man pflegt anzuführen, daß in London, Paris und Wien ebenfalls gepocht werde, es könnte also auch hier Statt haben.
Einmahl\1\ ist es ein anders, ob ein ganzes Publikum ein Stück oder einen Schauspiele ganz verwirft. Oder ob wie hier eine sittliche Person von angenehmen Talenten, von Wenigen aus üppiger Laune, kalten Blutes im Angesicht der mißbilligenden Mehrheit schimpflich mißhandelt wird. Dann geben London, Paris und Wien, wenn sie ähnliche Qualen bereiten – doch auch andern Lohn von allen Seiten. Übrigens ist die Einwirkung des Gouvernements bei solchen Fällen bekannt. – Wir können uns nicht verbergen, daß wir bei so ungleichen Kräften ein gewißes Ziel nur durch Ordnung, Vertrauen und Sitte zu erreichen vermögend sind.
Ewer Excellenz vergeben die weitläuftige Schrift, die ich wahrlich nicht kürzer zu machen gewußt habe, wenn ich nichts, was <73:> meinem Gefühl nach zur Sache gehört, übergehen wollte, und gestatten mir nun auf mich zu kommen.
Die Erfahrung hat mich belehrt, daß man höheren Ortes es nicht räthlich erachtet, eine Verletzung dieser groben Art gründlich zu untersuchen, noch weniger sie mit Präzision zu ahnden!
Ein Parolebefehl verbittert so Viele durchaus Unschuldige und trifft Schuldige nicht. Die Polizei faßt keinen Militär Anzug an, er sei aktiv oder nicht, und sie mag dazu bestbegründete Ursachen haben, sowie dazu, daß sie ihre sicheren Notitzen nicht hergiebt. Dem Schauspielhause gehört ein permanenter Adjutant, der im Nahmen des Königs zutritt, zuspricht, zugreifft, der, wenn er sich bedeckt, das Gesetz ausspricht, wie es bei den Franzosen war.
Bekannte Unruhestifter wiesen sie aus der Stadt weg und ihre Arrestationen geschahen dem Publikum sichtbar und auf der Stelle.
Hätte heüte ein Offizier mit Wache nur Einen Unruhstifter öffentlich weggeführt, es gäbe bald Ruhe.
Ein Arrest auf zwei Tage – wens ja hoch käme – von dem Niemand weiß, verursacht nur, daß die besuchenden Kollegen zu neüen Verderben mehr Champagner trinken als vorher.
Auch rede ich nicht etwa bloß vom Militair, nach dem was die Polizeibeamten und Andere ausgesagt, war das Ganze eine recht lustige Verkettung allerlei Menschengattung, die zum Zeitvertreib Übel wollen, Übel beschließen und Übel thun.
Ich, der ich mit Schrecken sehe, daß unter dem Vorwande der Preßfreiheit und unter der Firma philosophischer Prüffung viel andere wichtigere Dinge einseitig, übelwollend und gefährlich behandelt werden – ich darf und will wahrlich nicht erwarten, daß um ein Theater – sei es auch minder unwichtig als es scheint – oder gar um einen Theaterdirector eine veste, ernste, ernstlich rügende Maasregel mit starker Hand genommen werde.
Nur Ein Umstand drängt den darstellenden Künstler und den Direktor an einen Punkt der Verzweifflung, wovon man in andern Ständen nicht gerade dasselbe hat.
Es giebt einen Kunstschein um das Ganze und um den Einzelnen, wenn er nicht unbedeutend ist, der nicht verlöschen darf, wenn die Geltung bleiben soll. Das und das gebieterische – Sechs Uhr! wo alle Fugen in einander sichtbar paßen müßen, wenn man ihn nicht dafür zerreißen soll – dies treibt zu wunderbaren Dingen. <74:>
An einem Director und Seekapitän muß man glauben. Man hat an den Director geglaubt, aber er ist untergraben worden und man vertraut ihm noch genereux von oben her, aber er hat den Lustre verlohren, seit der Hauffen das Bild mit Unrath hat bestäuben dürfen.
Ich weiß nicht, wo und wieweit die philosophische Nichtachtung anzupreisen ist, aber das weiß ich genau, daß ein Künstler und Director weder für sich selbst noch für seine hohen Kommittenten weit auslangt, wenn er auf diese Zierde der Leichensteine sich anhebt zu begründen und zu behagen.
In seiner Reitzbarkeit liegt sein Reitz und seine Stärke.
Darum nun, da ich die Verbindung gegen mich und mein Thun, die Zweiffel, die Umgehungen und Befühlungen und Sonderungen zunehmen sah und sehe: da ich mich bescheide, daß für ernste Stellen das ganze innere und äußere Komödienwesen so bunt erscheint und so gehaltloß wie unsere gemahlten Palläste und unächten Kleider, obschon Gott weiß, daß es sehr mühselige Seiten hat – da ich recht gut weiß, daß man eher eine ganze solche plaudernde und singende Bande zu Grunde gehen laßen wird, als einen einzigen müßigen Intriguant vest auf die Finger faßen – und neckte er uns Jahre lang, so ist in mir seit geraumer Zeit der Gedanke entstanden, freiwillig von einem Platze zu treten, auf dem man mich vielleicht ohne Glauben, aus Gutmütigkeit nur hat stehen laßen.
Das volle Gefühl der Hülflosigkeit, in welcher man mich heüt Abend gelaßen hat, aus Prinzipen einer Milde, einer allgemeinen Nachsicht, die ich weder zu verstehen und zu fassen vermag, vor welcher ich – vergönnen Ewer Excellenz mir es aufrichtig zu sagen, – ich in meiner Einfalt, aber aus ehrlicher Liebe für den König, seine treüen Diener und den Staat oft erzittere, – dieses Gefühl der Ehrlosigkeit, in der ich eine vor demselben Parterre, deßen Majorität Wenige ungescheut mißhandeln durften, diese Wenigen, die bei ihrem notorischen Unfug mit einer Reprimande, die an tausend Unschuldige gerichtet sein wird, zu neüen Hohn bekräftigt werden – vor dem ich hinstehend\1\ Geburten des Schmerzes und der Phantasie unbekümmert darlegen soll. – Dieses nicht zu vertilgende Gefühl bestimmt mich, auszutreten.
Ich schreibe dies mit Wehmuth, aber mit vesten Willen, da <75:> ich weiß und deutlich vorsehe, daß nicht das mindeste Genügende und Sühnende geschehen kann und wird.
Es wäre ein Schritt außer der Reihe und den erwarte ich wahrlich nicht um meinetwillen.
Ich bin so fern von allem Übermuthe, daß ich erkläre, kein anderes Engagement annehmen zu wollen, sondern einige Wintermonate jedoch ohne alle Mitwirkung am Theater weder als Director noch Darsteller hier leben zu wollen, die übrige Zeit will ich auf Reisen zur Erwerbung meines Unterhaltes zubringen. Mein Gehalt hört auf, da ich aber meine Zeit sehr ehrlich, sehr treü, rastloß, mit viel Sorgen und Kummer zugebracht habe, so gewährt mir die Gnade des geliebten Herrn vielleicht dann, wenn Alter und Kränklichkeit mich hindern sollten zu erwerben, die verheißene Pension. So lange ich erwerben kann, mache ich auf nichts Anspruch!
Es ist meine Freüde, des Königs liebender Unterthan zu sein, zu heißen und zu bleiben, darum und weil ich den König ehrlich liebe, will ich keinen andern Dienst nehmen und mich freüen, wenn ich Ihn! an dem ich so von ganzer Seele hänge, ab und an nur sehen kann. Darum wird Er, wenn ich in Unvermögen verfalle – mich seinen Pensionnäir sein und heißen laßen.
Der Schmerz, womit ich diesen Brieff schreibe, zersprengt mir die Brust, aber der Schmerz, womit ich so manche Attentate des heillosesten Übermuthes eine geraume Zeit getragen habe und der Gram, die Schmach dieses Abends haben mir das Herz eingeengt, daß ich fühle, ich würde einen zweiten solchen Abend, so kalt frevelnd beschloßen, verübt und, von den Behörden mit der Gewalt in der Hand erduldet, nicht überleben.
Gebe Gott und daß ist mein treüer heißer Wunsch, daß nur im Theater so den Autoritäten, Gesetzen und Gefühlen Trotz geboten werde und daß nie, nie eine Milde bereuet werden müße, von welcher für freche Menschen der Schritt zum Nachlaß aller und jeder Bande so kurz und so leicht ist.
Mit der Liebe und Ehrerbietung, die nur mit meinem Leben endet und mit einem Trauer Gefühle, welches ich nicht zu beschreiben vermag

Berlin,
den 26. Novbr.
1810
Ewer Excellenz
Ehrfurchtsvoller
treuer Diener
Iffland.

\1\ Im Original: „Rezenten“
\1\ Im Original: Stades.
\2\ Im Original: Müdlich.
\1\ Es soll natürlich heißen „denn daß sie das ist“.
\1\ Im Original: eimahl.
\1\ Etwa: hinstehend.

[ G ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]