Ludwig
Geiger, Aus Alt-Weimar. Mitteilungen von Zeitgenossen
(Berlin: Paetel 1897), 24-35
Christoph Martin Wieland an Ludwig Wieland, Tiefurt,
9.-16. 8. 1802
- Tiefurt, angefangen den 9. August 1802.
Am obbemerkten Tage habe ich einen aus Bern,
(nach Deiner alten Gewohnheit ohne Datum) von Dir, mein Sohn, an mich
erlassenen Brief erhalten, dessen Inhalt mich zwar, da <25:> ich von der Geßnerin
schon ziemlich darauf vorbereitet war, nicht überrascht hat, aber mich, in mancherley
Rücksichten und hauptsächlich um Dein Selbst willen, sehr bekümmert. Du bist also fest
entschlossen die Schweitz auf immer zu verlassen, d. i. das einzige Land in Europa,
wo es nicht nur möglich war, sondern wo es in der That nur von Dir und Deinem
Benehmen abhing, ein sichres Unterkommen, und mit der Zeit, (vielleicht selbst in
kurzer Zeit,) ein anständiges établissement auf Dein ganzes Leben, zu finden.
Da Du längst berichtet bist, daß Du selbst faber fortunae tuae seyn mußt; da
Du weißt daß ich für Dich nichts mehr thun kann, daß ich alt und seit dem Tode Deiner
Mutter, mit welcher alle meine Lebensfreude begraben wurde, lebenssatt genug bin, um ihr
bald zu folgen, und Du nach meinem Tode so viel als Nichts zu erben hast; da, sage ich, alle diese Umstände Dir
bekannt waren, so ließ sich von Dir, als einem vernünftigen und besonnenen Menschen
erwarten, Du würdest, da Du bereits im 24st Jahre stehst, die dringende
Nothwendigkeit einsehen, Dir je bälder je lieber ein (wenigstens für den Anfang)
nothdürftiges aber sicheres Unterkommen zu verschaffen. Daß dies in dem dermahligen
Helvetien möglich gewesen wäre, wofern Du Dich nur zu den Mitteln oder
Bedingungen, ohne welche es freylich nicht möglich wäre,
hättest bequemen wollen, wußte ich nicht nur von Deiner Schwester, sondern Du selbst
hast es mir in mehr als Einem Briefe gestanden, und gestehst es noch sogar in Deinem
letzten. Warum also willst Du nicht? Was bestimmt Dich einen Weg zu verlassen,
der Dich (im allerschlechtesten Fall) wenigstens dahin geführt haben würde,
nicht für Nahrung und Kleidung sorgen und kümmern zu müssen? Denn,
merke wohl, mein l. Ludwig, es ist hier nicht um Glücklichleben, sondern um leben
zu thun. Animum aequum (das einzige was wirklich glücklich macht, oder doch nie
ganz unglücklich werden läßt) tibi ipse parabis. Das müßtest Du unter jeden
Umständen thun, auch wenn Du des Herzogs von Bedford Erbe <26:> gewesen
wärest. Soviel ich aus Deinem Brief entnehme, laufen Deine Bestimmungsgründe zum
Nichtwollen auf zweyerley hinaus. Auf der einen Seite ist die Helvetische Nazion und
Republik nicht nach Deinem Sinn; auf der andern stehen Dir die Bedingungen nicht an, ohne
welche Du in der neuen Republik keine Stelle erhalten könntest. Laß uns jeden dieser
Punkte etwas genauer in die Augen fassen. Alles was Du gegen die Schweitz einzuwenden
hast, möchte sich aus dem Munde eines Menschen, der wenigstens ein Paar 1000 Thaler
sichere Renten hätte, so ziemlich hören lassen. Aber in Deiner Lage hält es
die Probe nicht. Wer in der Welt leben will, muß sie nehmen wie sie ist; und wer nur
dadurch, daß er sich andern Menschen angenehm, nützlich und nothwendig macht, leben
kann, muß sich gar vieles gefallen lassen, was er gern anders hätte. Du sagst selbst,
alles gewinne einen treflichen Anschein und daß Du sogleich
hinzusetzest: nur glauben die Meisten es sey nur Schein, und der Teufel werde
doch am Ende die Republik holen dies ist, mit Deiner Erlaubniß, junger Herr,
nichts als ein sanskülottisches Gerede. Was Du von der innern Untüchtigkeit
der Schweitzer erwähnst, von ihren Partheyen ohne Partheymänner, von dem
Mangel an ausgezeichnet großen, oder wenigstens vortrefflichen Männern, von
ihrer gänzlichen Geistlosigkeit hält, wenn gleich etwas wahres daran
ist, genauer beleuchtet, auch nicht Stich; ich habe aber weder Zeit noch Lust hierüber
ins Besondere zu gehen. Nur soviel will ich sagen: Die Schweitzer haben nun eine von ihnen
selbst angenommene und von Frankreich genehmigte Verfassung; ob die
bestmöglichste, soll und kann nie die Frage seyn; es wird ewig bey der bekannten
Antwort bleiben, die der alte Solon auf eine solche Frage gab. Genug also, die jetzige
Constituzion scheint immer für die Schweitzer gut genug, und nahe zu
die Beste zu seyn, deren sie dermahlen fähig sind. Damit sie es aber
seyn können, müssen die Partheyen nun nach und nach verschwinden, wie die
Kreise <27:> auf einem durch einen Steinwurf bewegten Wasser. Es giebt izt für alle
Vernünftige und ehrliche Leute in der Schweitz nur Eine Parthey: das ist, die Parthey der
Konstituzion, und bloß dadurch daß sich alle, die es wohl meinen, um sie her versammeln,
und sich fest an sie anschließen, wird nach und nach alles sich wieder setzen und in
soviel Ordnung kommen, als zur Ruhe des Staats nöthig ist. Es ist nicht darum zu thun,
große Dinge, sondern nur Gutes zu thun p. p.
Der leichtsinnige, witzelnde
und herzlose Ton, worin Du auf der ersten Seite Deines Briefes fortfährst von diesem
Gegenstand zu reden, besonders das epiphonema kurz ich sehe dem
allmähligen Erlöschen und kläglichen Hinscheiden der Helvetischen Freyheit mit Wehmut
entgegen et ce qui suit, ist die Sprache eines revolutzionären
Schwindelkopfs, und Deiner ganz unwürdig. Was Du an der dermahligen Schweitzerrepublik
aussetzest, gilt von allen großen und kleinen Staaten in der Welt; es ist immer so
gewesen und wird immer so bleiben. Die menschliche Welt wird nun einmahl durch ein minimum
von Weisheit und Tugend regiert, und kann sogar dabey bestehen. Aber auch dieses minimum
würde ihr fehlen, wenn alle verständige und wohlgesinnte Leute sich den Geschäften aus
den von Dir angeführten Gründen entziehen wollten. Ich kenne die Männer nicht, die izt
an der Spitze der Helv. Rep. stehen; und Du, mein Sohn, siehst augenscheinlich diese Leute
und alles was die Schweitz betrift, durch ein gefärbtes Glas oder aus gelbsüchtigen
Augen. Daß unter ihnen allen kein Mann von gesundem Kopf und Herzen seyn sollte,
ist schwer zu glauben; wenigstens thut ihnen das bey mir keinen Schaden, daß Moderazion
ihr großes Losungswort (wie Du es nennest) ist. Man lockt damit keinen Hund aus dem
Ofen, sagst Du; auch daran das Sprüchwort im buchstäblichen Verstand genommen
zweifle ich sehr; aber was ich gewiß weiß, ist, daß Moderazion das einzige ist, was die
Welt noch in einem leidlichen Zustand erhält; und wenn es je möglich ist, daß die
Schweitz wieder in <28:> einen solchen Zustand komme, so muß es durch Mäßigung
und gemäßigte Menschen geschehen. Sed surdo fabulam narro. Dies würde
auch der Fall seyn, wenn ich mich in das einlassen wollte, was Du gegen die Mittel
einzuwenden hast, die Du einschlagen müßtest, um zu einer Stelle zu gelangen. Von jeher
gab es ordentlicher Weise nur zwey Wege, worauf ein ehrlicher Mann ohne Vermögen
emporkommen konnte: entweder außerordentliche oder doch sehr ausgezeichnete Verdienste
(solltest Du Dir etwa solcher bewusst seyn?) oder, bey hinlänglicher Brauchbarkeit,
die Gabe und Kunst sich angenehm und beliebt zu machen, in der Gesellschaft überhaupt,
und vornehmlich bey denen, die am Ruder sitzen. Opfre den Grazien, sagte Plato zu seinem
immer ernsten, sauertöpfischen und ungeselligen jungen Freund Xenokrates. Er würde es
auch Dir gesagt haben, dem es (wie ich gewiß weiß) an nichts weniger als an der Gabe
Dich angenehm zu machen, aber wohl an dem Willen, sie recht zu gebrauchen, fehlt.
Mit einem harten ungeschmeidigen Kopf, mit satirischen Launen, mit beißend tadelndem und
spottendem Witz, mit strengen Forderungen an Andre bey großer Nachsicht gegen sich
selbst, mit überspannten Begriffen und Grundsätzen, mit großer Einbildung von sich und
geringer Meinung von andern, kommt niemand durch die Welt, geschweige, wer in Deiner Lage
ist. Doch genug hiervon!
Der einzige Nahrungszweig, der mir, wie jedem, offen steht (sagst Du
mir, als das Resultat Deiner Überlegung dessen was für Dich übrig bleibe) ist Schriftstellerey,
und diesem mich ausschließlich zu widmen, ist auch mein Entschluß. Das
lautet ungefähr so, als wenn ein hübsches junges Mädchen ohne Vermögen, sagen wollte:
Der einzige Nahrungszweig, der mir, wie jeder, offen steht, ist die Hurerey, und diesem p.
p. Es ist traurig, einen Menschen, wie Du bist, oder doch seyn könntest und
solltest, so etwas sagen zu hören. Weißt Du auch was
Schriftstellerey, als Nahrungszweig getrieben an sich selbst, <29:> und besonders
heut zu Tag in Deutschland ist? Es ist das elendeste, ungewisseste und verächtlichste
Handwerk, das ein Mensch treiben kann der sicherste Weg im Hospital zu sterben. Das
Betlerhandwerk nährt seinen Mann besser und ist kaum schmählicher. Hast Du Dich
geprüft? Kannst Du in einem Dachstübchen des Winters frieren, des Sommers dorren? Kannst
Du von Salz und Brodt und Kartoffeln leben, so oft Du Dich nicht etwa bey andern, die ein
besseres ordinaire haben, zu Gaste bittest? Jene magere Kost und alle 5 Jahre ein
neuer Kaputrock von Görlitzer Tuch, ist alles, wozu ich Dir bey der Schriftstellerey, wie
Du es nennst, Hoffnung machen kann, wofern Du nicht etwa, als Corrector in
Druckereyen oder durch irgend einen andern modum acquirendi dieser Art, Mittel
findest, Dein Einkommen zu verbessern. Und mit was für Zweigen Deines neuen
Gewerbes denkst Du Dich zu nähren? Mit Übersetzen waren sonst ein Paar Thaler per
Bogen zu verdienen; aber diese Innung ist so fürchterlich übersetzt, daß die Arbeit das
Salz und den Lausewenzel nicht mehr abwirft, den diese Ehrenmänner, um den Hunger dadurch
abzutödten, rauchen müssen. Auf jede neue Brochure, die in Frankr. u. Engl.
herauskommt, warten 10 Übersetzer mit weitofnen Mäulern, der Buchhändler, dessen Profit
bey dergl. Sachen gewöhnlich auch sehr gering ist, giebt das Buch dem wohlfeilsten
Arbeiter, und dieser muß sich zu Schanden abschächern, wenn er tägl. soviel als ein
Holzhacker verdienen will. Ich weiß was Du mir sagen wirst Romane,
Schauspiele, Zeitschriften, Taschenbücher u. die Beispiele von Göthe, Schiller,
Richter, Kotzebue, La Fontaine. In der That machen diese fünf eine
Ausnahme; aber was sind 5 gegen mehr als 6000 Buchmacher, die es izt giebt? Zudem leben
die beiden ersten nicht bloß von der Schriftstellerey, und der filius albae gallinae
Kotzebue hat durch feine Frauen und von Kays. Pauls Freygebigkeit über 6000 rth. jährl.
Einkommen. Übrigens mußten Schiller und Richter, zumahl der letztere, sich viele Jahre
schmal behelfen, bis sie es endlich so <30:> weit brachten, daß unsre Buchhändler
sich mit schwerem Geld um die Ehre drängen, mit den Abschnitzeln, die von den
Schreibtischen dieser Günstlinge des Publikums fallen, ihre Taschenbücher und Almanache
zu zieren. Lassen wir aber diese Personen, und sprechen von der Sache selbst. Der
Buchhandel liegt in einem so tiefen Verfall und wird mit jeder Messe so viel schlechter,
daß selbst angesehene Buchhändler erschrecken, wenn ihnen ein Mscpt., das nicht
schon einen berühmten Nahmen zum Garant hat, angeboten wird. Die Buchläden sind
mit Romanen und Theaterstücken aller Art dermaßen überschwemmt, daß ihnen
jeder Thaler zu viel ist, den sie für ein Schauspiel das nicht von Kotzebue oder
Schiller, oder einen Roman, der nicht von Richter, La Fontaine, oder
Huber kommt, geben sollen. Aus den allgemeinen und mit jeder Messe zunehmenden Klagen der
Sosier sehe ich die Zeit kommen, da sogar die eben genannten Modeautoren der Zeit Mühe
haben werden, so freygebige Verleger zu finden wie bisher. Mit Journalen ist vollends gar
nichts mehr zu verdienen; es stechen zwar alle Jahre etliche Dutzend neue, wie Pilze aus
sumpfichtem Boden, aus den schwammichten Wasserköpfen unsrer litterarischen Jugend
hervor; aber es sind Sterblinge, die meistens das 2te Quartal nicht überleben. Die alten
Journale sind bisher immer noch die dauerhaftesten gewesen; aber auch diese nehmen mit
jedem Jahrgange ab, und der teutsche Merkur, der sich dreißig Jahre erhalten hat, wird,
allem Anscheine nach, mit diesem Jahre seine corvée beschließen. Mit dem Att.
Museum hat es dieselbe Bewandtniß. Göthe oder vielmehr sein Verleger, hat sich
genöthigt gesehen, die Propyläen, so wie vormahls die Horen , aufzugeben.
Die Zeitung für die elegante Welt und das Moden-Journal sind beynahe die einzigen, die
einen starken Abgang haben, weil sie auf die Eitelkeit, Frivolität und Anekdotensucht
unsres Publikums fundiert sind. Aber welcher Mann von Gefühl und Ehre wird von
den Lastern und Thorheiten seines Zeitalters leben wollen? <31:>
Ich gestehe gern, daß alles, was ich von der misere der Schriftstellerey, als modus
acquirendi betrachtet, gesagt habe, einige Modifikazion erleiden möchte, wenn die
Rede von einem jungen Manne wäre, der sich aus Drang eines inneren Berufs, mit dem
Bewußtseyn großer und ungemeiner Geisteskräfte und Talente, folglich mit einer
vorgefühlten Gewißheit, Sensazion in unsrer geschmacklosen, erschlafften und am
liebsten von den excrementen hirnloser Köpfe sich nährenden Lesewelt zu machen,
zur Schriftstellerey entschließen wollte. Ich weiß nicht, ob Du dieser junge Mann bist,
wiewohl ich einige Ursache habe, sehr daran zu zweifeln. Prüfe Dich indessen selbst, aber
sey auch ehrlich gegen Dich selbst und täusche Dich nicht vorsetzlich. In te
descende, et noris quam sit tibi curta supellex. Du glaubst Talent für die ächte
Komödie zu haben! Es mag seyn, daß Du Anlage dazu hast; aber damit reichst Du
nicht aus: es gehört noch ein großer Fond von Welt und Menschen-Kenntniß, aus
Erfahrung und Umgang mit allen Arten von Menschen und allen Ständen und Klassen
geschöpft, dazu, den Du Dir unmöglich schon erworben haben kannst; es gehören Studien
dazu, die Du nicht gemacht hast, und eine Fertigkeit und Gewandtheit des Stils, wovon ich
noch keine Probe von Dir gesehen habe. Doch, auf alles das läßt sich am Ende eine
Antwort geben, die allem Streit ein Ende macht. Schreibe eine Komödie, die in Deutschland
wirklich Sensazion macht, die zu Berlin, Wien, Frankfurt, etc. zehnmal
hintereinander gegeben wird, die jeder Theaterdirektor haben will, und ich
verstumme. Nur ein einziges solches Stück, und Du hast Dir einen Nahmen gemacht;
und bist Du dann im Stande, nach und nach ein Dutzend dergleichen aufzustellen, so bist Du
geborgen. Wie es scheint, existieren schon 2 Stücke von Dir im Druck. Wie kommt es, daß
Du nicht für gut gefunden hast, mir ein Exemplar davon zu schicken? Zwar mit dem
neuesten, das Du dem guten Geßner aufgehängt hast, bist Du selbst nicht wohl zufrieden;
es ist weder komisch noch spashaft, und hat also in Deinen <32:> Augen
keinen Werth, sagst Du. Warum ließest Du es also drucken? Was soll dieser kavalierische
Ton? Wenn Du was gutes machen kannst, warum thust Du es nicht?
Ich habe Dir nun, mein lieber Louis, über Deinen Entschluß die Schweitz zu verlassen und
die Schriftstellerey, als angeblich einzigen Dir übrigbleibenden Nahrungszweig, zu
treiben, meine Gedanken mit der freyen Offenheit eröffnet, die einem Vater gegen seinen
Sohn Pflicht ist, wiewohl Du sie, aus mir wohl bekannten Ursachen, nicht von mir begehrt
hast. Bevor ich Dir aber den verlangten Rath ertheilen kann, muß ich Dir vor allen
Dingen entdecken, in was für einer Lage ich selbst bin. Seit dem Tode Deiner guten Mutter
haben sich die Umstände sehr verändert. Ich kann und werde nicht länger zu
Oßmannstätt leben, sondern werde, sobald als möglich wieder in die Stadt ziehen. Den
größten Theil der Sommerszeit habe ich in Tiefurt bey der Herzogin zugebracht, und gehe,
nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen im Schooß meiner Familie, morgen wieder dahin
zurück. Ich bin im Begriff das mir äußerst lästig gewordene Oßmannstättische Gut zu
verkaufen, um mich von den Schulden, in die es mich gesteckt hat, frey zu machen, und den
Rest meiner Tage ohne Sorge und Kummer zu verleben. Ich behalte bloß Haus und Garten in
Oßmannstätt, weil Deiner Mutter Grab darin ist und ich selbst neben ihr begraben seyn
will. Vielleicht bringe ich noch den Winter zum letztenmahl in O. zu; gewiß ist es aber
noch nicht. Nach Vorausschickung dieser praemissen ist folgendes der beste Rath,
den ich Dir geben kann:
1) Wenn Dein Entschluß, die Schweitz zu verlassen, nicht bereits auf
eine solche Weise éclatiert ist, die eine Aenderung in Deiner Politischen Lage
unmöglich macht, so besinne Dich eines Bessern, und entschließe Dich nicht eher, von der
Schriftstellerey zu leben, bis Du moralement gewiß bist, daß Du im Helvetischen
Staat kein Unterkommen finden kannst. <33:>
2) In diesem Falle retiriere Dich in irgend einen ruhigen Winkel in
der Schweitz, oder in Schwaben, und arbeite die beiden Stücke aus, wozu Du einen guten
und neuen Plan gemacht zu haben versicherst. Wende alles, was Du vermagst, darauf, und
sobald Du fertig und mit Dir selbst zufrieden bist, so laß eine saubere, lesliche
Abschrift davon machen, und schicke sie mir. Ich will sie dann, unter einem
selbstbeliebigen Nahmen, den Du annehmen kannst, das eine nach Wien, das andere an Iffland
nach Berlin schicken, und zwar auf Bedingungen, wodurch Du immer Eigenthümer dieser
Stücke bleibst so wie Schiller und Kotzebue es mit den ihrigen zu machen pflegen. Reussieren
sie, so wird sich dann alles Weitere von selbst geben.
3) Bevor dies geschehen seyn wird, rathe ich Dir, nicht nach
Deutschland zurückzukommen, am allerwenigsten zu mir. Da Du, wie mir itzt nur allzuklar
ist, in Deine vorige Art zu denken und zu seyn (von welcher ich Dich, vor einiger Zeit,
auf immer geheilt glaubte) zurückgetreten bist, so würdest Du Dich nicht lange mit mir
vertragen können, zumahl da ich selbst reizbarer als jemahls bin und es wahrscheinlich
noch weniger in die Länge mit Dir aushalten könnte als Du mit mir. Du bist in
allen Stücken zu sehr mein Antipode, als daß es rathsam wäre, uns unter Einem Dache
aufzuhalten, und aus Einer Schüssel zu essen. Als ich Dir, im Nothfall, ein asyl
zu O. anbot, hielt ich Dich für das Opfer einer heillosen Parthey; alle Umstände waren
damahls anders als itzt, und ich wußte gar vieles nicht oder täuschte mich selbst über
manches, worüber mir Dein letzter Brief die Augen geöfnet hat. Der litterarische
Sanskülotism. und Revolutionsgeist ist mir noch widerlicher und verhaßter als der
Politische. Überdies könntest Du, so wie Deine Sachen itzt stehen, Dich in Weimar nicht
sehen lassen, ohne Dich und mich zum Gegenstand eines allgemeinen Naserümpfens,
Maulaufreißens und Gespöttes zu machen, womit ich billig verschont zu bleiben
wünsche. <34:>
4) Diesem füge ich noch etwas bey, das Du wohl zu Herzen nehmen
wollest! Laß Dir ja nicht beygehen, ohne meinen Willen, nach Jena oder Leipzig
zu kommen, falls Herr von Kleist etwa auf den Gedanken käme, Dich mit sich zu nehmen. Du
könntest mir keinen größeren Verdruß anthun als diesen, und ich könnte es nicht
anders aufnehmen, als daß Du Dich auf immer von mir lossagen wollest. Verachtest Du
diesen meinen Willen (zu welchem ich sehr gute Ursachen habe) so wirst Du wohl thun, auch
meinen Nahmen abzulegen und Dich nirgends zu zeigen, wo man Dich bereits kennt.
Bevor ich schließe, wiederhohle ich meine ernstliche Bitte, alles aus
allen Gesichtspunkten und von allen Seiten wohl zu überlegen und zu berechnen, ehe Du
einen unwiederbringlichen Schritt thust. Besonders ermahne ich Dich, nicht in den Wind zu
schlagen was ich Dir von den miserien der Schriftstellerey als Nahrungszweig,
geschrieben habe. Noch einmahl, fühlst Du Dich geschickt und aufgelegt, durch die Denkart
und Lebensweise eines Cynikers, im eigentlichen Sinn, so wie ihn Lucian in seinem
Cyniskus dargestellt hat, glücklich zu sein; kannst Du, mit der Verachtung der
Welt beladen, von Puffbohnen und Kartoffeln leben, so thue was Du nicht lassen kannst. Jean
Paul hat es mehrere Jahre lang, und bis ihn die meisterhafte, wiewohl übermäßige
Empfehlung seines Hesperus in der Allgem. Litt. Zeit. in Reputazion setzte, nicht
viel besser gehabt; und wer weiß, ob es nicht auch Dir, nach einigen überstandenen
Hungerjahren, gelingt, ut te quoque possis tollere humo. Es ist wie die Würfel
fallen: Cervantes, Milton und der Dichter des Hudibras lebten
kümmerlich und armselig mit den größten Talenten und trotz der unsterblichen Werke,
deren Schöpfer sie waren; Kotzebue hat sich, trotz der seinigen, ein Einkommen von mehr
als 8000 Thaler zu verschaffen gewußt. Das wahrscheinlichste und sicherste ist indessen
für die litterarischen Tagwerker und Galeriens das Spital.
Es ist ein äußerst trauriger Gedanke für Deinen Vater, <35:>
mein Sohn, daß nun auch die 20 Monate, die Du in der Schweitz gelebt hast, Dich nicht
weiter gebracht haben, als Du vorher warst. Ich hoffte immer, Du würdest wenigstens
Fertigkeit im französisch sprechen zur Ausbeute davon tragen; aber, wie ich höre, hast
Du auch dies vernachlässigt und aus dem nicht zu entschuldigenden Grund, weil Du die
Franzosen nicht leiden kannst. Die bloße Erwerbung einer gewissen Fertigkeit französisch
zu reden und zu schreiben würde ein großer Schritt zu Deinem Fortkommen in der Welt
gewesen seyn.
Ich muß Dir nun überlassen, was Du zu Deinem eigenen Besten thun
willst. Es ist hohe Zeit, daß Du Deiner bisherigen Wankelköpfigkeit und
Veränderlichkeit ein Ende machest. Überlege reiflich eh Du Dich entschließest, aber
beharre bey dem wozu Du Dich entschlossen hast und unterwirf Dich allen Folgen mit
Gleichmuth.
Geßner hat mir seit Jahr und Tag nicht geschrieben, und seit mehreren
Jahren keine Abrechnung mit mir gepflogen. Ich weiß daher auch nicht, wie wir gegen
einander stehen, und wie viel ich ihm, Deines Aufenthalts in seinem Hause wegen, schuldig
seyn mag. Du thätest wohl ihn zu etwas mehr Ordnung in seinen Sachen zu überreden.
Die Freude, die Du mir in der ersten Periode Deines Schweitzerischen
Lebens zu machen anfingst, hat sich, gewiß nicht ohne Deine Schuld, in Kummer und Sorge
verwandelt. Es steht bei Dir, mir diese abzunehmen und mir bessere Aussichten in Deine
Zukunft zu verschaffen. Ich werde nur mit meinem Leben aufhören Theil an Dir zu nehmen,
wiewohl guter Rath und gute Wünsche alles sind womit Dein so oft schon in seinen
Hoffnungen getäuschter Vater Dir dienen kann.
Oßmannstätt den 16. August
1802.
- C. M. Wieland,
Emendation
sage ich,] sage, ich D
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