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Günther v. Freiberg (d. i. Ada Pinelli), Im Hause des dramatischen Dichters. Erinnerung an eine Abgeschiedene, in: Über Land und Meer (1883), Nr. 42, 839

Ulrike v. Kleist in späteren Jahren


Hier Lust und Leben, leichterworbener Ruhm ... dort Kampf, Armuth, Hemmniß, Gemüthsschwere, die schließlich zum Selbstmord führte ... Ich spreche von unserem deutschen Dramatiker Heinrich v. Kleist, in dessen Geburtshaus zu Frankfurt a. O. ich als Kind ein- und auslief. Heutigen Tages schmückt eine Gedenktafel die Fassade des in einen Gasthof („Zum Prinzen von Preußen“) verwandelten Gebäudes, damals jedoch – in der Mitte der vierziger Jahre – war davon noch keine Rede und dürftiglich lebte in einem Zimmer des „Prinzen“ Ulrike v. Kleist, die einzige Schwester Heinrich’s. Gab es doch keine Schillerstiftung oder ähnliche Institutionen zum Besten der Hinterbliebenen deutscher Schriftsteller! Zwar hatten sich die letzten Getreuen des Frühverblichenen, Tieck, von Pfuel öfters für die wunderliche alte Jungfer verwendet; aber Ulrike war schroff, stolz, schwer zu behandeln, wodurch es dann wohl zu manchen Reibungen gekommen ist.
Mir war es entsetzlich, wenn ich von meiner guten Großmutter mit Aprikosenplinsen oder Maitrank zum „gnädigen Fräulein“ geschickt wurde. Kannte ich auch das „Käthchen von Heilbronn“ aus Tuschbildern und einem alten Almanach, den Ramberg und Schwerdtgeburth illustrirt hatten, so fragte ich nicht den Kukuk nach verkannten Klassikern und am allerwenigsten nach ihren alten Schwestern. Lotte, ein puffiger Küchendragoner, Lotte, welche die Schüsselchen nach dem „Prinzen“ trug, schien ebensowenig erbaut von diesen Gängen, da es ihr eingeschärft worden, niemals ein Trinkgeld anzunehmen. Sie murmelte einen „Herrjott von Manheim!“ oder „Jott Puselbach“ über den andern, während wir die Oderstraße entlang keuchten. Erwischte ich unterwegs ein mir bekanntes Kind, so beschwor ich dasselbe mit dem ganzen Aufwand meiner siebenjährigen Beredsamkeit, mitzukommen. Denn ich fürchtete mich vor Fräulein Ulrike, sie trug eine so sonderbare Haube, die mich befremdete und an Mother Hubbard aus den englischen Märchenbüchern mahnte; außerdem hatte sie etwas Rasches, offenbar sehr Energisches in ihrem Wesen, was mich einschüchterte. Geradezu Entsetzen flößte mir der Gedanke ein, von Kleist’s Schwester im Französischen unterrichtet zu werden, wie es im großmütterlichen Rath beschlossen war, aber späterhin nicht zur Ausführung kam.
Und wie stolz wäre ich heut, ein Eleve des Fräuleins v. Kleist zu sein! –
Wie mochte diese Letzte ihres Stammes im Leben gelitten haben!
Obwohl sie die Popularität des „Käthchens“ erlebte, von den ersten Aufführungen des „Prinzen von Homburg“ und des „Zerbrochenen Kruges“ vernahm, so war doch in Deutschland keine Rede davon, Heinrich einstimmig als Nationaldichter anzuerkennen; er blieb eine bestrittene Größe, ein literarisches Kuriosum, dessen Auswüchse und zeitweilige Verirrungen gerügt wurden, ohne daß sein Genius Begeisterung erweckte.
Man wagte sich nicht recht an ihn heran, der doch, nach Gervinus’ schönem Ausspruch so reich ist, als dramatischer Dichter, der „nichts zu borgen, nichts aus zweiter Hand zu kaufen braucht“, eine Thatsache, welche gegenwärtig die herbsten Kritiker zugeben.
Hätte ich die einsame Ulrike zehn Jahre später besuchen dürfen, welch’ einen Nimbus hätte ihre Rokokohaube für mich gehabt, und ihr schmuckloses Zimmer mit der spanischen Wand aus verschossenem chinesischem Papier! Wie gut würden wir uns verstanden haben! ... Es hätte nur des Zauberwortes „Penthesilea“ bedurft, um mir das verschlossene Herz zu öffnen!
Wie gern und ausgiebig sie über ihren tragisch geendeten Bruder sprach, dessen entsinne ich mich genau aus ihren langen Unterhaltungen mit meiner Mutter; Letztere besuchte die „Kleist’sche Einsiedlerin“ mit Vorliebe, trotzdem sie (die Mutter) außer Goethe eigentlich keinen deutschen Poeten gelten ließ, – und gerade der Name dieses Zeus durfte vor Ulriken nicht genannt werden.
Während dieser Besuche saß ich als Opferlamm auf dem Fenstertritt und guckte auf den Regierungsplatz hinunter, ob aus der ehrwürdigen dunklen Oberkirche der freundliche Superindentent, der mich getauft hatte, heraustreten und in die Amtswohnung hinübergehen würde, oder ob das kleine Judenmädchen aus der Leihbibliothek von unten heraufnicken möchte.
Lange Zeit nachher erzählte mir dann die Mutter, welcher ich die ganze Rolle der „Penthesilea“ vordeklamirte, von Ulrike’s interessanten Mittheilungen, von ihren Reisen (1801) mit dem geliebten, hoffnungsreichen Bruder, den das junge Mädchen in Männerkleidern begleitete: „Rieke“ fand sich nämlich zu häßlich, zu sehr aller weiblichen Anmuth bar, um die Tracht ihres Geschlechts in der Fremde zu tragen; außerdem war es bequemer und ökonomischer, für Heinrich’s Bruder zu gelten, – ihr kühner, männlicher Geist gefiel sich in einer solchen Metamorphose ... Kleideten doch die Romantiker ihre Heldinnen alle in Pagentracht!
Nur einmal gerieth das märkische Fräulein dadurch in Verlegenheit: sie besuchte zu Paris mit Heinrich das Konzert eines blinden Flötenspielers; nach beendeter Académie musicale umringte man den Virtuosen und auch Ulrike sagte ihm Artigkeiten. Das feine Ohr des Blinden erkannte sofort den weiblichen Ton der Stimme; seine Erwiederung lautete: „Madame, ich danke Ihnen für so viel Nachsicht und Güte“ ... Allgemeine Verblüffung der Anwesenden, welche nun die verkleidete Fremde mit neugierigen Blicken musterten, sich untereinander Bemerkungen in die Ohren zischelten, so daß Ulrike am Arm ihres Bruders nicht schnell genug den Ausgang erreichen konnte.
Etwas unbeschreiblich Trostloses liegt in der Vorstellung, daß die letzte Begegnung der Geschwister (1811) gewissermaßen einen Bruch herbeiführte.
Erst die Tragödie am Wansee bei Potsdam gab dem armen Heinrich in Ulrike’s Augen die volle Glorie zurück, – hatte sie doch außer ihm kein menschliches Wesen so aufopfernd und gewissermaßen mütterlich zärtlich geliebt, wie den Sänger der „Hermannsschlacht“.
Und sie war auch von Niemand als von dem großen Romantiker geliebt und verstanden worden.
Dieß gab sie einst meiner Mutter in eigenartig brüsker Weise zu verstehen:
Am Oderstrande begegneten sich beide Frauen … der Mond strahlte à la Matthisson … der Eichenwald jenseits des Ufers brauste wie im Schiller’schen Gedicht … meine Mutter, damals wunderhübsch, aber traurig aus irgend welchen Gründen, weinte in ihr lavendelduftendes Taschentuch hinein … Da gab ihr Ulrike einen (wohlgemeinten) Puff in die Seite, daß die ätherisch in Weiß Gekleidete beinah den steilen Damm hinabgestürzt wäre, und dazu polterte eine scheltende Stimme: „Dumme Trine, flennen Sie nicht! Sie haben das glatteste Lockengesicht wie Heinrichen seine Käthe, und alle Welt betet Sie an! Ich bin reizlos und nie angebetet worden, aber deßhalb klage und pinsele ich doch nicht.“
Hätte der verdüsterte Heinrich v. Kleist immer seine derb zurechtweisende, ihm geistig ebenbürtige „Rieke“ zur Seite gehabt, so wäre sicher sein Selbstmord unterblieben, und die deutsche Nation besäße viele interessante Dramen ohne Härten und Ecken ... die Phase innerer Zerrissenheit würde der schöpferische Poet nach und nach verwunden haben, und sein Lorbeer hätte uns volle, reife, süßkräftige Beeren gebracht …
Im Geisterhauch tönt es zurück: „Weder Glück, noch Stern!“
Ulrike starb vor oder bald nach 1848. In der eigenen Vaterstadt, Frankfurt a. O., ist sie wie verschollen. – – –

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Letzte Aktualisierung 29-Jan-2003
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