Johannes
Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Ein nachgelassenes Werk
(Leipzig: Brockhaus 1832), 120-123
Goethe über Kleist
Einst kam das Gespräch auf Kleist und dessen Käthchen von
Heilbronn. Goethe tadelte an ihm die nordische Schärfe des Hypochonders; es sei
einem gereiften Verstande unmöglich, in die Gewaltsamkeit <121:> solcher
Motive, wie er sich ihrer als Dichter bediene, mit Vergnügen einzugehen. Auch in seinem
Kohlhaas, artig erzählt und geistreich zusammengestellt, wie er sei, komme
doch Alles gar zu ungefüg. Es gehöre ein großer Geist des Widerspruches dazu, um einen
so einzelnen Fall mit so durchgeführter, gründlicher Hypochondrie im Weltlaufe geltend
zu machen. Es gebe ein Unschönes in der Natur, ein Beängstigendes, mit dem sich die
Dichtkunst bei noch so kunstreicher Behandlung weder befassen, noch aussöhnen könne. Und
wieder kam er zurück auf die Heiterkeit, auf die Anmuth, auf die fröhlich bedeutsame
Lebensbetrachtung italienischer Novellen, mit denen er sich damals, je trüber die Zeit um
ihn aussah, desto angelegentlicher beschäftigte.
Dabei brachte er in Erinnerung, daß die heitersten jener Erzählungen
ebenfalls einem trüben Zeitraume, wo die Pest regierte, ihr Daseyn verdankten. Ich
habe ein Recht, fuhr er nach einer Pause fort, Kleist zu tadeln, weil ich ihn
geliebt und gehoben habe; aber sei es nun, daß seine Ausbildung, wie es jetzt bei Vielen
der Fall ist, durch die Zeit gestört wurde, oder was sonst für eine Ursache zum Grunde
liege; genug <122:> er hält nicht, was er zugesagt. Sein Hypochonder ist gar
zu arg; er richtet ihn als Menschen und Dichter zu Grunde. Sie wissen,
welche Mühe und Proben ich es mir kosten ließ, seinen Wasserkrug aufs
hiesige Theater zu bringen. Daß es dennoch nicht glückte, lag einzig in dem Umstande,
daß es dem übrigens geistreichen und humoristischen Stoffe an einer rasch
durchgeführten Handlung fehlt. Mir aber den Fall desselben zuzuschreiben, ja, mir sogar,
wie es im Werke gewesen ist, eine Ausfoderung deßwegen nach Weimar schicken zu wollen,
deutet, wie Schiller sagt, auf eine schwere Verirrung der Natur, die den Grund ihrer
Entschuldigung allein in einer zu großen Reizbarkeit der Nerven oder in Krankheit finden
kann. Das Käthchen von Heilbron, fuhr er fort, indem er sich zu mir wandte,
da ich Ihre gute Gesinnung für Kleist kenne, sollen Sie lesen und mir die
Hauptmotive davon wiedererzählen. Nach diesem erst will ich einmal mit mir zu Rathe
gehen, ob ich es auch lesen kann. Beim Lesen seiner
Penthesilea bin ich neulich gar zu übel weggekommen. Die Tragödie grenzt in
einigen Stellen völlig an das Hochkomische, z. B. wo die Amazone mit Einer Brust auf
dem <123:> Theater erscheint und das Publicum versichert, daß alle ihre
Gefühle sich in die zweite, noch übriggebliebene Hälfte geflüchtet hätten; ein Motiv,
das auf einem neapolitanischen Volkstheater im Munde einer Colombine, einem ausgelassenen
Polichinell gegenüber, keine üble Wirkung auf das Publicum hervorbringen müßte, wofern
ein solcher Witz nicht auch dort durch das ihm beigesellte widerwärtige Bild Gefahr
liefe, sich einem allgemeinen Misfallen auszusetzen.
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