Wilhelm Dorow,
Denkschriften und Briefe zur Charakteristik der Welt
und Litteratur, 5 Bde. (Berlin: Duncker 1838/41), Bd.
4 (1840), 84-89
Karl v. Nostitz an Karl August Varnhagen v. Ense,
Dresden, 22. 2. 1815
- Dresden, den
22sten Februar 1815.
Mein guter Varnhagen!
Sein Sie mir gegrüßt von Dresden aus, als mein lieber guter
Freund, und lassen Sie mich hoffen, daß Sie aus Ihrem Wien
den Gruß freundlich wiederholen. Mehr kann ich jetzt weder
thun, noch wünschen, denn ich bin hier auf neue Widerwärtigkeiten
des Schicksals gestoßen, die meine Kalküls sehr verrücken.
Denken Sie sich, der Mann en question hat eine Brustentzündung,
und ist jetzt noch außer Stand zu sprechen! Ich möchte fast
sagen, so was kann nur mir begegnen, doch was hilft das
Schmähen, lieber suche abzuhelfen dem Uebel, und Sie können
glauben, ich versäume nichts, und werde vielleicht vor der
definitiven Okkupation etwas herausfinden.
S.
ist geführt worden wie ein Gefangener in allen Formen mit
Häschern und Gerichtsdienern, Niemand hat mit ihm verkehren
dürfen, und von dem Vater war man auch abgeschnitten, weil,
nach <85:> einer neuen Farce, der verdammte Königstein
neuerdings in Blokade-Zustand erklärt worden war!
Doch lassen Wir uns durch solche Hindernisse nicht abschrecken,
wissen wir doch von selbst, wie schwer es ist, dem Glücke
ein Lächeln abzugewinnen, wenn es nicht ganz von ungefähr
Lachwurzeln gespeist, und einem unvermuthet bei einer Mondschein-Promenade
einmal, wie eine Tolle, ins Gesicht lacht. Verstehen Wir
uns doch nach innen und außen, das ist jetziger Zeit der
große Umstand, aus dem doch am Ende etwas Gutes erfolgt.
Unterwegs
hab ich Ihren Tettenborn gelesen. Ich danke Ihnen
fürs erste Ihrer Freundschaft für die Blümlein, die
Sie in meinen Kranz winden; ich verspreche dagegen, daß
meine Freunde mich immer bewährt finden sollen.
Was
das Geschichtliche des Buchs betrifft, so kann man Ihnen
einige Unrichtigkeiten vorwerfen, z. B. das Gefecht
von Craonne. Es hielt das Sackensche Korps das Plateau,
und Woronzoff kommandirte die angegriffenen Divisionen,
weil Stroganoff durch den Verlust seines einzigen Sohnes
außer Gefecht gesetzt worden war.
Was
Sie von Wintzingerode nach dem Tage von Saint-Dizier sagen,
können Sie wohl durch den Ausspruch des Kaisers rechtfertigen;
doch da Ihre Darstellung einen freien wahren Charakter hat,
so können Sie Ihre Worte nicht entschuldigen vor Ihrer Seele.
Sie haben die Gelegenheit benutzt zu gaziren, aus günstiger
Rückwirkung der Gesinnung Tettenborns für Wintzingerode. <86:>
Was
Tschernüscheff betrifft, so ist bei Kassel strenge Instruktion,
bei Montier-en-Der die freie Disposition des Kaisers für
ihn anzuführen. Doch ich lege keine Hand an zur Widerlegung,
denn die Facta sind es nicht, die mir dieses Buch werth
machen; ich weiß sie, da ich sie ja selbst mit durchlebt.
Die lebhafte Darstellung aber hat mich ergriffen, und die
Auffassung des Helden. Wenn man auch in Tettenborns
Thätigkeit und Hin- und Herziehen öfters den Zweck sehen
wollte, sich dem unmittelbaren Kommando zu entziehen, und
frei auf eigene Hand zu feldmarschallisiren, so gewinnt
doch im Zusammenhange jetzt alles eine höhere Gestalt, und
er hatte gewiß Recht, nicht unter dummen Befehlshabern gehemmt
sein zu wollen, so wie die Freiheit, in der er sich erhielt,
ihm Gelegenheit gab, die wichtigsten und folgereichsten
Dienste zu leisten; denn was er auch unternahm, sein Talent
kam jedesmal dem starren Sinn zu Hülfe. Ich will mir überhaupt
den herzerhebenden Eindruck nicht durch kleinliche Mäkelei
zerstören; denn von allem, was geschrieben steht, ergreift
mich die Darstellung eines gewandt, keck und brav handelnden
Menschen immer am lebhaftesten. Der *** wünscht
gewiß, daß ich etwas gegen Ihr Buch schreibe; doch der ist
nicht der Mann, von dem ich mich gegen solch ein Werk gebrauchen
lasse; was kennt der von innern Regungen der Seele, er,
den nur noch äußere Bewegung reizt! !
Ich
lebe hier still und temporisirend, doch möchte ich gern
bald Sachsen verlassen, kann aber leider <87:>
den nicht allzu nahen Zeitpunkt noch nicht bestimmen. Da
nehme ich denn nun den Augenblick, wie er kommt, und habe
z. B. gestern bei dem Minister von der Reck einer Vorlesung
beigewohnt, die der Hofrath Bötticher, Königlich sächsischer
Hofgelehrter, hielt. Er hatte dazu Tags vorher beim Essen
Gelegenheit genommen, als von dem Wiener Monument die Rede
war, und er äußerte, es werde ihn freuen, durch Augenzeugen
sein Urtheil über das schönste Denkmal der Kaiserstadt,
nämlich das der Erzherzoginn Christine, berichtigen zu können.
Er hat wahr gesprochen von dem Totaleindruck der Wehmuth
für jeden sinnigen Beschauer; denn er hat viel erzählt von
der lebendigen Bewegung des Trauerzugs, und der Anregung
der Phantasie, welche denselben bis ins Unendliche durch
ein leichtes Spiel verlängere. Hierauf hat er uns gelehrt,
was es für eine Bedeutung mit der ägyptisirenden Thüre der
Pyramide habe, was die Verklärung nach oben, und was die
Schildhalter nach unten seien u. s. w. u. s. w.
Ich
sollte nun auch zu guter Letzt als Augenzeuge ein Urtheil
sagen, und war meschant genug zu erwiedern, daß ich das
Monument nur in so weit kenne, als ich wisse, wo es stehe,
weil viele Rendezvous der Stadt daselbst abgehalten würden.
O profane vulgus! mag der Herr Hofrath gedacht haben,
und das sollte er, und die ganze gelehrte Damengesellschaft.
Es
ist ein schauderhaft gelehrter Mann, nur hüte er sich vor
dem Anfall des rüstigen Malers Hart- <88:> mann,
der vor einigen Jahren einen gelehrten Streit mit ihm hatte,
wobei er, unter vielen witzigen Ausfällen, eine Rede des
Kirchenvaters Tertullian gegen den Herrn Hofrath anwandte,
in welcher jener, ich glaube von einem Ketzer, sagt, daß
er unter mehreren Lastern auch das der Malerei treibe. Es
ist nämlich der Herr Hofrath nicht blos kritisirender, sondern
auch zuweilen ausübender Künstler.
Die
politischen Ereignisse bringen die Sachsen hier zur Verzweiflung,
und müßte ich nicht innerlich lachen, so hätte ich mich
schon oft geärgert, daß ich nichts hören muß als Sachsen
und immer Sachsen. Die Anhänger des Alten predigen
auch vom Kriege, und hoffen, man werde dadurch die sogenannten
Spoliationen dem Könige wiedererobern. Wo werden zu solch
einem Siegen die Waffen geschliffen? ?
Sie
könne sich denken, was ich für Fragen über Wien zu bestehen
habe. So sollte ich gestern der Cicerone aller der Figuren
sein, die auf einem schlechten Wiener Kupferstiche die Versammlung
der hohen Kongreß-Häupter darstellen. Ich zeigte der Gesellschaft
einen wohlgeputzten Herrn am Tische seitwärts stehend, und
sagte, es sei der Hofrath Ritter von Gentz, der, wie Judas
mit dem Geldsäckel, beim Tintenfasse von weitem stehe.
Wenn
Sie mir einmal schreiben, so lassen Sie mich wissen, was
Ihre Gesellschaft macht. Ich grüße die Herren alle herzlichst.
Humboldt, Gentz, Adam Müller u. s. w. Wie lebt
Freund Wiesel? Ist er noch so beißend witzig über die hohen
Di- <89:> plomaten? Er gehört wahrlich mit zum
Kongreß, wie die Lauge zum Waschen; er und der dicke Frankfurter,
wie heißt er denn gleich Jassoy!
Dr. Bollmann wird von Tschernüscheff sein Memoire über
Platina-Münze jetzt zurückhaben, es war im Kabinette des
Kaisers, und ich konnte bei meiner Abreise es nicht kriegen,
doch band ich es dem General auf die Seele.
Meine Hochachtung Herrn Geh. Staatsrath Stägemann, erhalten
Sie mich in seinem Gedächtnisse. Da meine Quasi-Vaterstadt
Merseburg preußisch wird, so könnte ich ihm manche nicht
unbedeutende Menschen empfehlen, doch mag ich nicht erscheinen,
als feilschte ich mit der Gunst Ihres Freundes, und hüte
mich vor dem Protegiren, doch wenn es die Rede ist, bin
ich da.
Sagen
Sie mir, wie wird es einmal mit dem Fürstenhause Anhalt?
Sonst hatten die Schäkers nicht das jus de non appellando,
der Rheinbund hat es ihnen gegeben, und seitdem hat sich
das Recht schlafen gelegt, wenn es gegen den Fürsten sprechen
soll. Ich habe einen ewigen Prozeß von funfzehntausend Thalern
bei dem Reichskammergericht gegen Köthen gewonnen, und nun
kann ich nicht vorwärts kommen. Fragen Sie einmal darüber
zu seiner Zeit.
Vale
et fave.
Nostitz.
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