Wilhelm Dilthey
(Hrsg.), Aus Schleiermachers Leben. In Briefen,
4 Bde. (Berlin: Reimer 1858/63), Bd. 4 (1863),
154-156
Friedrich Schleiermacher an Gustav v. Brinckmann,
Berlin, 29. 3. 1808
- Berlin, d.
29. März 1808.
- Wie lange
schon, lieber Freund, habe ich mit ängstlicher Theilnahme
den Angelegenheiten Deines Vaterlandes zugesehn schwindelnd
vor dem schroffen Abhang an dem Dein König hingeht, und
immer noch festen Trittes wie es scheint. Wie er sich
in diesen dänischen Angelegenheiten benommen, dadurch
hat er sich gewiß aufs neue die Achtung von ganz Europa
erworben. Er ist doch der einzige der durchaus rechtlich
und mit ritterlicher Treue zu Werke geht, was man von
unserm Könige wol auch sagen könnte, wenn er nicht öfters
Andern als sich selbst gehorcht hätte. Der Deinige verdient
reichlich alle Lobsprüche die ihm der russische Kaiser
so freundschaftlich gegeben und man möchte sagen es gehe
an ihm in Erfüllung: aus dem Munde der Kinder und Säuglinge
hast Du Dir Lob bereitet, denn durchaus kindischer als
dieser AlexandroV qeoeidhV,
zumal seit er in dem Boot auf dem Niemen gewiegt worden,
giebt es wol nichts. Schwerlich wird wol diesem wohl bekommen
was er an Euch thut und an uns gethan hat; ja ich hoffe
noch immer wenn Dein König nur nicht noch mit innern Unruhen
zu kämpfen hat, und wenn er nicht in den Unfällen die
er wahrscheinlich erfahren wird mehr ritterlich als königlich
den persönlichen Untergang sucht, über die schlechte Zeit
hinweg eine gute. Denn von allen Seiten wird es wol nicht
ernstlich gemeint sein oder bleiben mit diesem Kampf.
Die Hauptmacht wird sich wol sehr theilen, denn die Lockspeise
des Erbadels die den bebänderten Chasseurs vorgehalten
wird scheint anzu- <155:> deuten, daß sie diesen
Sommer viel zu laufen und zu jagen haben sollen; und das
wird doch nicht bloß auf Dalekarlien gemeint sein. Da
Deine Existenz in K(önigsberg) jezt unmöglich erfreulich
sein kann, so theile ich ernstlich Deinen Wunsch, Dich
bald an der Seite Deines Königs zu sehn. Dies ist jezt
Deine eigentliche Stelle, und ich kann mir den Einfluß
den Du auf ihn haben wirst nicht anders als höchst vortheilhaft
denken unter allen Umständen. Es ist eine Art von Abschied
den ich von Dir nehme theurer Freund. Denn wohl kann einige
Zeit verstreichen ehe wir wieder mit einander unmittelbar
verkehren können, und so laß Dir gefallen, daß ich Dir
sage wie alle meine guten Wünsche für Dich doch eigentlich
Hoffnungen sind nicht Besorgnisse, und wie Dich mein Auge
überall freudig begleiten wird. Denn ich weiß keinen andern
Weg der Deiner würdig wäre als der den Du zu gehen gesonnen
bist.
Viel
habe ich gestern über Dich gesprochen mit der Gräfin Voß.
Sie war auf wenige Tage hier und ich habe sie leider nur
einmal gesehen, liebenswürdiger, und auch frischer und
schöner als je. Für die Verbesserung unseres Zustandes
schien sie aber auch vor der Hand nicht recht viel Hoffnungen
zu haben, was mich sehr freute. Denn ich bedaure alle
Menschen gar herzlich, die Wunder was erwarten von den
Negotiationen welche Stein hier eröffnet hat. Es gehn
gar zu viel Kräfte verloren durch solche Täuschungen,
die man noch alle nöthig brauchen wird. Die Freunde der
hiesigen Universität wollen wissen, Stein habe seine Abneigung
dagegen abgelegt, und schmeichele sich sie im Herbst eröffnet
zu sehen. Ich für mein Theil glaube an nichts, und befinde
mich dabei vortrefflich, lerne soviel ich kann in dieser
traurigen Muße, und arbeite wenigstens vor auf eine mögliche
bessere Zeit. Meine Universitätsgedanken soll Stein gelesen
haben oder wenigstens haben lesen wollen. Die Vorliebe
für Berlin ist darin nur sehr mäßig, aber doch scheinen
sie ihm nicht gefallen zu haben, sonst würde ich wol schon
ein Wort darüber gehört haben. In dieser Hinsicht hätte
ich sie also umsonst geschrieben, denn ich wünschte wirklich
man sollte manches für die Organisation daraus lernen.
Den Phöbus habe ich noch nicht ein- <156:>
mal angenippt und bedaure daß Adam Müller mit seinen Talenten
nicht irgend etwas Solideres hervorbringt. Dagegen habe
ich meine große Freude gehabt an der Recension des Goethe
von Friedrich Schlegel in den Heidelberger Annalen, und
an zwei Gedichten der beiden Brüder an einander im Prometheus,
worin die Brüderlichkeit zwar ganz eigentlich das Thema
ist, aber sehr kräftig und schön und unanstößig durchgeführt.
Diese haben nun mit dem guten Wein angefangen, dem Vorspiel
von Goethe, aber in unglaublich kleinen Portionen schenken
sie ihn ein, damit er lange vorhält, und das sieht wieder
gar armselig aus. A. W. Schlegels Abschied aus
Frankreich kennst Du doch durch die Gräfin gewiß.
Auch
mich hat Deine Erzählung von dem Herrnhutischen Besuch
nicht wenig angezogen. Freilich kann wol alles Mildernde
was ich gethan habe an dem Sendschreiben für diese guten
Freunde nicht gefruchtet haben, und nur die Zeit wird
den üblen Eindruck auslöschen können. Zembschens Lebenslauf,
wenn er von ihm selbst aufgesezt ist, würde ich auch nicht
ohne Rührung lesen. Nächst einem Staatsmann wirkt doch
nicht leicht jemand mehr als ein tüchtiger Schulmann,
und in einer so langen Laufbahn. Du hättest aber immer
noch mehr von mir sagen können. Denn wunderbar genug finden
meine Predigten Gnade und werden hier auch von Herrnhutischen
Familien besucht. Bunter ist überhaupt wol kein Fischzug
als mein kirchliches Auditorium: Herrnhuter, Juden, getaufte
und ungetaufte, junge Philosophen und Philologen, elegante
Damen, und das schöne Bild vom h. Antonius muß mir
immer vorschweben. Indeß hoffe ich etwas muß doch wol
hie und da angeregt werden.
|