Werner Deetjen, Luise Wieland und Kleist, in: JbKG (1925/26), 97-105; darin:
103-105
Luise Wieland an Gustav Emminghaus, 26. 3. 1813
Schon in meiner Kindheit hatte ich viel durch eine seltene
übergroße Weichheit u. Reizbarkeit des Gefühls zu leiden, meine Mutter
allein, <104:> selten mein Vater wuste dieser zu begegnen\1\. Bald nach ihren Verlust, stieg sie aufs Höchste, wo sie hätte
abnehmen sollen; und dies geschah durch die Bekantschaft mit Heinrich von Kleist dem als
Dichter das zur Jungfrau heranblüende Mädchen intereßant wurde, und der durch dieses
Interesse das kindlich unerfahrene Wesen gewann die es für Liebe hielt. Diese Täuschung
konte nicht daueren, aber das Erwachen war schmerzlich genug, und es vergingen Jahre ehe
ich die Spuren des ersten Grames aus meinen Zügen verlor. Auf ein weniger ernstes, mehr
fröhliches heiteres Gemüth wie das meinige würde diese zu frühe Liebe ohne bleibenden
Eindruck gewesen seyn zumahl da sie sah daß er dieser unwürdig war. Mein Verhältniß zu
K[leist] wärend einigen Monaten wo er bei uns in Osmanstedt lebte, war, oder darf ich
wagen mit dem Ihrigen zu Marianen\2\ zu
vergleichen, nur das K[leist] keine Mariane war. Ich sah ihn nach einen Jahr wieder und
zum letzten mahl: als ich seinen Tod erfuhr, den die große Welt so streng richtete,
empfand ich nichts als Mitleid, welches ich aber auch für jeden anderen Unglücklichten
gefühlt haben würde. Das diese, soll ich sie Liebe nennen? wiewohl ich sie jetz nicht
mehr dafür halte, von Einfluß auf meine späteren Jahre gewesen seyn muste
ist ganz natürlich ich danke ihr eine Theuer gemachte Erfahrung, und die
Bewahrung meines beßeren Selbst, das vor jeden ferneren Eindruck frei blieb, bis ich den
einzigen Sterblichen fand mit dem mich gleiche Gesinnungen und Gefühle auf das innigste
verbanden. Der gute Genius, der schon so lange über unsere Familie wachte, führte mich
in die Nähe der einzigen Gemeinde\3\ in der ich
wieder neu auflebte, und zu der ich mich so unwiderstehlich hingezogen fühlte. Die
Sehnsucht geliebt zu werden, die so tief in mir lag wurde befriedigt. Durch sie erhielt
ich wieder Glauben an mich und mit diesen verband sich der Wunsch auch wieder glücklich
machen zu können! In dieser Stimmung <105:> war ich als ich Sie mein Freund
näher kennen lernte: meine erste Empfindung für Sie war die einer Schwester
einer Freundin, ich nahm herzlichen Antheil an allen was Sie betraf, am meisten
intereßirte mich Ihre Liebe zu meiner holden Freundin M[arianne] die in dieser Zeit eine
so freundliche Erscheinung für mich war! ich wuste nicht ob Sie wieder geliebt wurden,
aber ich hoffte es, bis Sie sie verloren\1\
wenn man das verlieren nennen kann was man nie eigentlich besessen! Ihr
Schmerz über Ihren Verlust konnte nicht von Dauer seyn, dies wuste ich, weil sie durch
einen so übereilten Schritt viel von Ihrer Achtung verloren hatte. Meine Liebe zu
Ihnen entstand wohl erst in den Augenblick als es mir an der Ihrigen zu zweiflen nicht
mehr möglich war, oder vielmehr da wurde ich ihrer bewust. Mein Leben wurde mir wieder
lieb als ich hoffen durfte es an Ihrer Seite zu beschließen. Meines Vaters Liebe die er
so oft und väterlich äußerte wenn er zuweilen mit mir von Ihnen sprach machte Sie mir
immer werther u. so kam es daß ich weniger bemüht war meine Gesinnungen für Sie zu
verbergen.
\1\ Wieland erwähnt selbst in
einem Brief an Sophie Reinhold (16. Januar 1804) die von ihm ererbte Reizbarkeit
seiner Töchter, besonders Luises. (Keil, Wieland und Reinhold. Leipzig und Berlin 1885,
S. 265.)
\2\ Eine Freundin Luises, die anfangs von
Emminghaus geliebt wurde, ohne diese Liebe zu erwidern.
\3\ Gemeint ist der Griesbachsche Kreis in Jena.
\1\ Marianne heiratete einen andern.
|