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Matthäus v. Collin, Ueber neuere dramatische Literatur, in: Jahrbücher der Literatur (Okt.-Dez. 1822), 111-125; darin: 116-119

„Das Käthchen von Heilbronn“, „Die Herrmannsschlacht “

Was aber den Ruhm betrifft, der Kleisten, wie Tieck bemerkt, gefehlt haben soll, so glauben wir, daß es nur mit Einschränkung zugegeben werden könne, daß ihm ein seinen Bemühungen angemessener guter Name im Vaterlande gefehlt habe. Er hat nicht, wie Schiller (der dem damaligen Stande der europäischen Bildung, mehr als man bis jetzt anerkannte, seinem Geiste nach, verwandt war), allgemein verbreitete, oder wenn auch nicht immer schon entwickelte, doch ihrem Aufkeimen nahe Ideen des Zeitalters mit jener Wärme oder vielmehr Leidenschaft aufgefaßt und dargestellt, welche den Dichter selbst in einen interessanten Gegenstand der Betrachtung verwandelte, und ihm, die Würde seiner Werke selbst hier nicht zu erwähnen, schon dieses regen Eifers wegen den Beyfall der Zeitgenossen zusicherte. Er hat auch nicht, wie Göthe, in einem Zeitalter noch zaghafter poetischer Versuche, in plötzlich überraschender Sicherheit und Kühnheit die geheimen Tiefen des Gefühls aufgeschlossen, und sich gleich im Beginne, wenn auch nicht Anerkennung, doch Bewunderung zugesichert. Er hat auch nicht jene Fülle der Phantasie, jene Innigkeit, und jenen Zauber der Sprache entwickelt, wodurch Tieck, als er den Zeitgenossen bekannt wurde, auch die entschlossensten Gegner in unbewachter Stunde unvermerkt in Freunde und Verehrer umschuf. Kleists Dichtertalent konnte nicht so rasche Wirkungen hervor bringen, schon aus dem Grunde nicht, weil die ersten Erzeugnisse seiner Muse in Hinsicht auf Sprache und Vers in gesuchter Nachläßigkeit sich gefielen. Er trat ferner in einer Zeit auf, wo das vielseitige Streben der deutschen Dichtkunst sich bereits in so mannigfaltigen Werken entwickelt hatte, und noch entwickelte, daß der neue Ankömmling wohl einige Zeit unbemerkt mit der Menge wandeln konnte. Seine Dichtungsart war überdieß einerseits zu schlicht, um als ein Glanzpunkt sogleich die Blicke auf sich zu ziehen; denn er folgte in so manchem, worin andere entschiedene <117:> Eigenthümlichkeit verrathen, nur der allgemein üblichen Behandlungsweise moderner Schriftsteller; andrerseits aber schien er durch Willkürlichkeit in Bearbeitung seiner poetischen Stoffe die Gränze dessen, was als erlaubt anerkannt war, gänzlich zu überschreiten. Er hatte sich in dieser Hinsicht (wie wir denn diese Erscheinung in der deutschen Literatur oft wiederholt sehen) mit seinem Zeitalter in Opposition gestellt, war aber für ein solches Beginnen zu wenig thätig, um durchzudringen.
Wenn aber in Zeitschriften und kritischen Werken von Kleist unbilliger Weise geschwiegen wurde; wie dieß bey den Werken so mancher Dichter zu geschehen pflegt, wenn sie nicht sich selbst dahin Bahn zu brechen verstehen, oder dieß zu thun verschmähen; so war doch der Dichter voll Sonderbarkeiten, wenn Recensent aus seinen eigenen Umgebungen den Schluß ziehen darf, von seinem ersten Erscheinen an, der Gegenstand einer liebevollen Aufmerksamkeit der Kunstfreunde. So ward das Käthchen von Heilbronn, mancher Schwierigkeiten ungeachtet, noch im Manuscripte hier im Theater an der Wien zur Aufführung gebracht, und von jeher ein Gegenstand immer sich erneuernder Bewunderung. Die Kühnheit des Gedankens, einen solchen Gegenstand dramatisch umfassen zu wollen, die hohe Meisterschaft in Entwicklung der beyden Hauptcharaktere, die Führung der so schwierigen Handlung ließen viele mit parteyischer Verhüllung der Mängel, welche Tieck gründlich nachweiset, auch die Schwäche der Entwicklung des Ganzen im ersten Eifer der Bewunderung nicht bemerken; und auch jetzt sind diese Gebrechen nicht im Stande, dem Eindrucke des Ganzen wesentlich zu schaden. Dieses seltene Werk eines genialen Geistes, jetzt hier neuerdings auf die Bühne gebracht, bewährt seinen innern Gehalt noch gegenwärtig auch sogar bey den aufgeklärt seyn Wollenden; denn sie können dem Zuge des zarten Gefühls, von welchem es durchströmt ist, nicht widerstehen. Die Grundidee des Werkes weiset, obwohl nicht hinreichend motivirt, und beynahe bloß auf rohem Aberglauben fußend, dennoch auf jene innere Verwandschaft für einander bestimmter Seelen, auf eine höhere Fügung in Hinsicht des uns verborgenen Ganges der Neigungen unsers Herzens hin, die, obgleich unbegriffen, wir nicht als märchenhafte Sage zurückweisen können, und ersetzt auf diese Weise die Mängel des Dichters. In der Penthesilea, welche Kleist, den hier mitgetheilten Briefen zufolge, dem Käthchen vorzieht, und die der andere Pol eines und desselben Grundgedankens seyn soll, ist die Unnatürlichkeit der Erfindung, und der hinter der Antike sich vergebens bergende moderne Geist der schrankenlosesten Willkür zu auffallend, um einen günstigen Totaleindruck zurück zu lassen. <118:> Erstaunen, Rührung und Widerwille wechselt in der Seele des Lesers in wiederholter Folge, und wie im Kreise umgetrieben, endigt er in halber Betäubung. Dennoch bemerkt Tieck, die Armuth dieses Werks könnte noch manchen der neuern Dichter reich machen; und da hierunter nur solche verstanden seyn können, die an Vermögen Mangel leiden, darf man den Ausdruck gelten lassen: denn der Grundfehler des Ganzen entsprang hier aus Uebermuth der Kräfte, aus einer Gattung Wuth, sich ihrer zu entledigen, bey dennoch vorherrschendem Mangel eines wahrhaft männlichen Charakters, welcher dergleichen Sprünge sich nicht gestattet haben würde.
In welchem hohen Sinne ist dagegen die Hermannsschlacht gedichtet! ein Werk, das so lange man deutsch spricht, nicht vergessen seyn wird. Der Sucht nach dem Sonderbaren konnte zwar Kleist auch hier nicht Meister werden, sie wird aber durch den ernsten Zweck des Ganzen gebändigt, und darf gleichsam sich nur an die äußeren Zierden des tief begründeten Werkes wagen. Diese Hermannsschlacht ist ein Gelegenheitsgedicht, wie die Perser des Aeschylos, mit dem Unterschiede jedoch, daß, wenn diese den errungenen Sieg feyern, die Hermannsschlacht dem unterdrückten Vaterlande wie eine Feuersäule vorleuchtet, den Gang zum Siege voraus schreitend. Sie ist im Jahre 1809 gearbeitet, wo sie auch im Manuscripte in Vieler Hände gewesen. Tiecks Bemerkungen hierüber setzen den Leser sogleich in den einzig richtigen Standpunkt, aus welchem sie zu betrachten ist. „Kleist hatte nicht die Absicht, jene alte Zeit, ihre Charaktere und Verhältnisse auszumalen; sondern, was einem Dichter eben so erlaubt ist, er sah, von der Gegenwart bedrängt und begeistert, in ihrem Spiegel die Vorzeit, er nahm diese nun als Bild seiner Zeit und der nächsten Verhältnisse; so knüpfte er seinen persönlichen Haß und seine lebendige Liebe an alte Namen, und hielt seinen Zeitgenossen das Konterfey ihrer selbst und ihrer Schicksale vor.“ Er bemerkt ferner eben so richtig, daß, wenn ein Geist, wie Shakespeare, die Vorzeit auch ohne große Anstrengung persönlich vor sich sehe, so könne doch ein Talent von nicht so universellem Umfange durch den Drang und die Begeisterung der Gegenwart mit der Vergangenheit vertraut werden, und seine Zeit und die Vorwelt so kühn und schöpferisch verknüpfen, daß durch eine großartige Porträtmalerey sich sein Werk zur Würde eines historischen Schauspiels erhebe, das seiner Umgebung und der Zukunft erfreulich werde. Dieß scheine in diesem Hermann gelungen. „Des Helden großer, unbezwinglicher Haß, seine feurige Liebe zu Deutschland und seiner Gattin, seine Klugheit, ja List im Einklange mit einfacher <119:> Biederkeit, seine Laune, seine tiefe Rührung und Erschütterung, die oft plötzlich hervorbricht – alles dieses ist trefflich und in ergreifenden Zügen gemalt. So die Uneinigkeit, Eifersucht, und wankende Tugend der untergeordneten Gestalten; Marbods großer Sinn, Varus Römeranstand und Stolz, wie die geschmeidige Hinterlist der römischen Politik.“ – Es sey, fährt der Herausgeber fort, hier nichts, was uns hindere, uns Hermanns Leben, sein Hauswesen, die Deutschen jener Zeit und Varus Untergang ganz so zu denken, wie sie der Dichter darstellte, zugleich aber sahen wir mit rührender Ueberraschung, daß nur von uns selbst und dem eigenen Drangsal des Vaterlandes die Rede sey, von unsern Hoffnungen und allem Herrlichen und Traurigen der Tage, in welcher die Hermannsschlacht geschrieben wurde.
Wir haben hier weder aus Trägheit noch aus Geistesarmuth statt eines Urtheils über das anzuzeigende Werk Tiecks Aussagen über dasselbe, so weit es der Raum gestatten wollte, gegeben; sondern weil es billig ist, durchaus erschöpfende Ansichten nicht zu verläugnen, und dem, welchem Ehre gebührt, sie zu geben. Dieß eben ist die große Eigenthümlichkeit des Hermann, die ihn in der ganzen Geschichte der Literatur als einzig und in seiner Art als etwas nie Versuchtes glänzen läßt, daß in demselben, durch die großartigste Liebe des Dichters zum Vaterlande, Gegenwart und Vergangenheit so sehr in einander verschmolzen sich darstellen, daß der Geist des Beschauers beyde in einander ausgeglichen, und die ewigen Ideen alles Lebens, wie es uns in nationaler Begränzung geworden, so wie die Erinnerung der heiligsten Pflichten in sich in solcher Macht erwachen fühlt, daß er, durch die Erkenntniß selbst erhoben, und in seinen Gefühlen erstarkt und geläutert, nur dieß eine wünscht, den Anforderungen einer in allen Zeiten gleichen Tugend zu genügen; daß in diesem Werke die Pflicht des Daseyns zugleich als dessen heilige Schönheit dargestellt wird, in einem Lichte verklärt, welches über alle Zukunft hinaus leuchtet. Es ist überdieß in so reicher Fülle der Phantasie mit mannigfaltigem Leben ausgestattet, daß es das Verdienst der klarsten Anschaulichkeit der Handlung nur mit wenigen Werken deutscher Kunst zu theilen hat: eine ausführliche, auf die innern Motive des Dichters eingehende kritische Entwicklung dieses Werks würde selbst ein Werk liefern, welches die geheiligtesten Aufgaben der Kunst in jeder Beziehung berühren, und indem es ihre Auflösung sowohl in dem beleuchteten Werke selbst als in verwandten Dichtungen nachwiese, einen Verein der herrlichsten Ideen geben würde, die es im wahren Sinne zum Sitze des Schönen erhöben.

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