Eduard v.
Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81
Vorwort.
Es waren von Heinrich von Kleists Leben bisher nur die Bruchstücke bekannt geworden,
welche uns Ludwig Tieck in der Einleitung zu Kleists Schriften gegeben hat. Kleists
Charakter ist jedoch all zu merkwürdig, als daß dieselben hätten für sein Studium
genügen können.
Meine Liebe und Theilnahme für Kleist, als Mensch und Dichter, hatten
mir auch schon lange das Bedürfniß an das Herz gelegt, nach den genaueren Umständen
seines unglücklichen Lebens zu forschen. Ich war, nach und nach, so glücklich, von
mehreren Seiten her dasjenige mitgetheilt zu erhalten, was ich hiermit
dem <VI:> Publikum vorlege, nachdem es die Monatsblätter der Augsburger
Allgemeinen Zeitung schon gegen Ende des Jahres 1846 im Auszuge abgedruckt hatten. Daß
meine Nachrichten nicht noch vollständiger geworden sind, verschuldet leider! die
Unerbittlichkeit, mit welcher sich die natürlichste und wichtigste Quelle, jeder
Mittheilung an Fremde enthält.
Die Hauptquellen meiner Nachrichten waren zunächst der
General-Lieutnant Rühle von Lilienstern und dessen Gemahlin, Beide im
vergangenen Jahre vom Tode ereilt, welche mit dem Herrn von Pfuel,
commandirendem Generale in Westphalen, zu Kleists vertrautesten Freunden gehört hatten.
Dann die beiden verehrungswürdigen Frauen, deren die Briefe vorzugsweise gedenken und
endlich, in Betreff der näheren Umstände vom Tode Kleists, Henriettens Familie.
Die Quellen Anderer Mittheilungen habe ich an Ort und Stelle selbst
genannt; der Brief 1 wurde schon vor Jahren,
aus einer sächsischen Stadt, Ludwig Tieck zugesandt.
Als ich diesem, meinem verehrten Freunde, meine <VII:>
Arbeit vorlas, hatte ich die Freude, ihn erklären zu hören, daß er daraus zum erstenmal
eine klare und vollständige Anschauung von Kleists Leben und Seelenzuständen erhalte.
Ich darf mir also vielleicht schmeicheln, den Zweck meiner Arbeit
nicht ganz und gar verfehlt zu haben und will nur noch wegen der vorliegenden Briefe
bemerken, daß ich keineswegs den ganzen mir zu Handen gekommenen Stoff, sondern blos das
mir als wichtig Erscheinende mittheile, weil das jetzt Mode gewordene Verfahren, von
ausgezeichneten Männern jeden unbedeutenden Zettel drucken zu lassen, meinem eigenen
Wesen allzu fremd ist.
Wer steht gegenwärtig noch an, Kleist einen der edelsten und
patriotischesten deutschen Dichter zu nennen!
Und dennoch sollte der Bedauernswerthe selbst, trotz dem nicht die
geringste öffentliche Anerkennung erleben, daß die größten Geister der Nation, Göthe,
Schiller, Tieck sein Talent hochschätzten und Wieland ihm gegenüber sogar erklärte, er
werde, als dramatischer Dichter vollständig entwickelt, Göthe und Schiller hinter
sich <VIII:> lassend, in ganz Deutschland nicht seines Gleichen haben.
Das Schicksal hat Kleist diese vollständige Entwicklung nicht
gegönnt und er mußte frühzeitig enden.
Kleists Talent kämpfte gegen die Krankhaftigkeit seiner Natur und die
poetische Unzeit, in welche sein Wirken fiel, und war vom Schicksale nicht dazu bestimmt,
Beiden zum Trotz aushaltend, seinen Charakter zu stählen.
Ja, es hat ihm nicht allein die Nichtanerkennung seines Talentes von
Seiten des Vaterlandes, dessen Untergang und seine eignen äußeren Bedrängnisse Herz und
Muth gebrochen. Es war von jeher, physisch und psychisch, ein tiefer Zwiespalt in seinem
Leben, ein geheimnißvoller Fehler seines Organismus, dessen Grund stets verschleiert
bleiben wird, und um dessetwillen die echte Menschlichkeit keinen einzigen Stein mehr auf
seinen freiwilligen Tod werfen sollte.
In seinen Schriften stellt Kleists Talent diesen Zwiespalt und
Krankheitsstoff anschaulich genug selbst dar. In der Darstellung seines Lebens bin ich
bemüht <IX:> gewesen, ihn immer thatsächlicher ans Licht treten zu lassen.
Was schon Tieck angedeutet hat, Kleists wunderbare
Lebensverwandtschaft mit Tasso, bewährt sich desto entschiedener, je tiefer man in das
Innere dieses unglücklichen Geistes blicken lernt.
Es ist bekannt, daß Heinrich von Kleist noch kurz vor seinem Tode
alle seine ungedruckten Papiere verbrannte.
Wie manche reife und edle Frucht seines Geistes mag damit für immer
untergegangen sein! Sein Freund Rühle besaß zwar manche derselben in Doppelmanuskripten;
während seiner Abwesenheit in den Freiheitskriegen verschwanden sie jedoch aus seiner
Wohnung in Berlin, um, wahrscheinlich zufolge eines Mißverständnisses, ebenfalls
verbrannt zu werden. Eine schwache Hofffnung, welche ich früher hegte, von anderer Seite
her Kleistsche Dichterreliquien mitgetheilt zu erhalten, ist mir nicht in Erfüllung
gegangen, und es steht dahin, ob es der edlen Besitzerin je gefallen werde, sie zu
veröffentlichen. <X:>
Die schon von Tieck besprochenen zerstreuten, politischen Blätter
Kleists aus dem Jahre 1809 habe ich ebenfalls durchgesehen und des Druckes meist unwerth
befunden. Es erhellt daraus, daß Kleist damals in Prag eine Zeitschrift herausgeben und
damit die naive Absicht verfolgen wollte, von Oestreich aus eine Wiedergeburt Deutschlands
anzubahnen. Nur einen dieser Aufsätze: Was gilt es in diesem Kriege? theile ich im
Anhange als Probe mit, wie edel überspannt Kleist damals die Politik handzuhaben
gedachte. Er scheint zu einer Art Programm oder Einleitung der Zeitung bestimmt gewesen zu
sein.
Der Anhang bringt auch einige schöne Verse, welche Kleist,
echt dramatisch in der Sprache, schon früh für Wilhelmine gedichtet hatte. Sie
sind bereits 1830 in einem Musenalmanache abgedruckt worden.
Das Duodrama fand sich im Nachlasse Henriettens unter
Kleistschen Papieren vor und wurde dereinst, von Kleist angeordnet, gelegentlich bei ihr
aufgeführt. Dafür, daß es von Kleist sei, habe ich kein anderes Zeugniß als das der
höheren Kritik, nach <XI:> welcher Ludwig Tieck und ich es ihm zuschreiben zu
müssen glauben. Vielleicht stimmen uns manche Kenner darin bei. Andere, die dies nicht
thun, wollen es immerhin überschlagen.
Indem ich diese Zeilen schreibe, kommt mir auch noch ein Exemplar der
in Kleists Leben erwähnten, so selten gewordenen Berliner Abendblätter zu.
Dieselben erschienen nur vom 1. October bis Ende Dezember 1810 und erloschen dann
plötzlich, wohl zumeist wegen Uneinigkeit der Redaktion mit dem Verleger. Kleist hatte
sich zuerst als Redakteur nicht genannt; trat später jedoch mit seinem Namen hervor. Er
redigirte das Blatt ziemlich ungeschickt und wußte ihm nicht das mindeste öffentliche
Interesse einzuhauchen. Es enthält nur unbedeutende, gelegentliche Aufsätze und
Bemerkungen, Anekdoten, oberflächliche Theateranzeigen u. s. w., nebst
polizeilichen Mittheilungen, die hierher in der That wie die Faust auf das Auge paßten.
Achim von Arnim, Fouqué und andere namhafte Autoren arbeiteten zwar mit;
scheinen das Journal aber jedes irgend bedeutenderen Wortes für unwerth
erach- <XII:> tet zu haben! Kleist schrieb für die Abendblätter die beiden
kleinen Erzählungen: das Bettelweib von Locarno
und die heilige Cäcilie. Außerdem fand ich darin von ihm noch einen Aufsatz: Ueber
das Marionettentheater, den er mit H. v. K. unterschrieben hat, und Eine
Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege, welche ich beide für merkwürdig genug
hielt, um sie hier, im Anhange, neu abdrucken zu lassen. Die letztere ist zwar ohne
alle Bezeichnung des Verfassers; wer aber Kleists Erzählungen aufmerksam gelesen hat,
wird keinen Augenblick anstehen, ihn in ihrem Stile wieder zu erkennen.
Ich habe nicht gehört, daß Kleist mehreremale in seinem Leben
portraitirt worden sei. Einen Schattenriß von ihm, der sehr ähnlich gewesen sein soll,
hatte seine Freundin, Frau Lohse, geborne von Schlieben angefertigt.
Das von dem alten Krüger im Jahre 1801 gemalte Miniaturbild dürfte also wohl das einzige
sein, welches von Kleist überblieben. Kleist schenkte es damals seiner <XIII:>
ehemaligen Braut und bespricht die Mängel des Bildes im Briefe 9.
Nach dem Erlöschen seines Verhältnisses zu Wilhelminen erhielt er es
zurück und hinterließ es im Jahre 1802, in seiner Krankheit, in Thun. Dort fand es
später eine treue Freundin glücklicherweise wieder und löste es ein. Der hohe Werth,
welchen sie darauf legt, bezeugt seine Aehnlichkeit.
Es ist mir hier gestattet, eine Nachbildung desselben, als Titelblatt,
den Freunden des Dichters zu widmen.
Zum Schlusse dieser Zeilen für dieselben die Nachricht, daß ich gleichzeitig mit dem
Erscheinen dieses Buches meinen lange gehegten Wunsch ausführe und Kleist, mit einigen
anderen Verehrern seiner Muse, einen Denkstein setzen lasse.
Derselbe ist ein unbehauener Granitwürfel, mit Kleists Namen,
Geburts- und Todestag und steht neben der Eiche an seinem Grabe.
Nach der alten märkischen Landessitte waren die beiden Gräber
früherhin mit Föhrenzweigen bedeckt, zu <XIV:> denen jeder Vorübergehende
aus Pietät einen neuen legte.
In diesem Augenblicke kommt mir auch noch die unverbürgte Nachricht
zu, man habe nach Kleists Tode neben seinem und Henriettens Leichnam ein Exemplar von
Novalis Schriften vorgefunden, in welchem die Hymnen an die Nacht, als ihre unmittelbare
Lektüre vor der That, aufgeschlagen gewesen seien.
Eduard von Bülow.
I. Heinrich von Kleists
Leben. <3:>
Heinrich von Kleist wurde am 10. October 1776 in Frankfurt a. O. geboren, wo
sein Vater beim Regimente Herzog Leopold von Braunschweig in Garnison stand. Kleists
elterliches Haus, in dem er zuerst das Licht der Welt erblickte, liegt neben der
Superintendentur, an der Oberkirche und war bis noch vor kurzer Zeit im Besitze seiner
Familie. Es gehört gegenwärtig dem seitherigen Pachter desselben, dem Gastgeber des Hôtel
de Prusse, dessen Schild es schon längere Zeit trug.
Kleists Jugendjahre sollen ihm im Kreise seiner Geschwister
heiter und gut vergangen sein. Die freundliche Umgebung Frankfurts wirkte auch wohl
belebend auf sein Gemüth.
Erwäge ich, was noch außerdem auf seinen jungen Geist
gegenständlichen Eindruck machen konnte, so war es zuversichtlich der stete und so nahe
Anblick der Oberkirche, in ihrer alterthümlichen, nicht unschönen, aber unharmonischen,
halb zerstörten Gestalt. <4:>
Vielleicht erweckte auch unmerklich der Ruhm Ewalds von Kleist,
welcher in Frankfurt begraben liegt, mit der Freude an ihrem gemeinsamen Namen, sein
erstes Ehrgefühl, und ich will dabei nur gelegentlich an das preußische Sprüchwort
erinnern, welches die vornehmsten Familien der alten Provinzen mit Eigenschaftswörtern
bezeichnet, und: Alle Kleists Dichter nennt.
Der offene Kirchhof unter den Linden war dem Kleistschen Hause nah,
und unser Dichter konnte also beinahe täglich das Denkmal sehen, welches die Freimaurer
dem Sänger des Frühlings mit der Inschrift gesetzt haben:
Für Friedrich kämpfend sank er nieder,
So wünschte es sein Heldengeist,
Unsterblich groß durch seine Lieder,
Der Menschenfreund, der Weise, Kleist.
Seine erste Erziehung erhielt Kleist in Gemeinschaft mit einem Vetter, durch einen
Hauslehrer, einen jungen Mann, der in Frankfurt in den Achzigerjahren studirt, und
während der Zeit die Bekanntschaft und das Vertrauen der Kleistschen Familie
gewonnen hatte. Derselbe genoß die Liebe und Achtung seiner Zöglinge in hohem Grade und
widmete sich wiederum mit Eifer und lebhaftem Antheile der Erfüllung seiner
Lehrerpflichten. Er schilderte Kleist als einen nicht zu dämpfenden Feuergeist, der der
Exaltation, selbst bei Geringfügigkeiten, anheimfiel, und wenn auch unstät genug, so
doch jedesmal, wo es auf Bereicherung seiner Kenntnisse ankam, mit bewunderungswürdiger
Auffassungsgabe ausgerüstet, von Liebe und warmem <5:> Trieb zum Wissen
beseelt war; zugleich der offenste, fleißigste und anspruchsloseste Kopf von der Welt!
Kleists Mitschüler und Vetter war dagegen ein stiller,
gemüthlicher, eher zum Tiefsinn geneigter Mensch, der dem genialen Heinrich zwar nicht an
Lust und Liebe zum Lernen oder an ausdauerndem Fleiße nachstand, von der Natur aber in
geistiger Hinsicht stiefmütterlich behandelt worden war, und, so viele Mühe er sich auch
gab, nur schwer zu fassen vermochte, derweil Kleist spielend leicht lernte und immer
eifrigst dazu antrieb, mit den Gegenständen des Unterrichts vorzuschreiten. Der Lehrer
mußte sich aus diesen Gründen des Erstern immer mehr als des Letztern annehmen und
dessen Eifer zügeln und enthielt sich auch aller noch so verdienten Lobsprüche
Kleists, wiewohl in einer Weise, welche seine Eitelkeit nicht verletzen oder seine
Lernbegierde schwächen konnte, indem er viel eher des Vetters gutgemeintes erfolgloseres
Streben in Kleists Gegenwart anerkannte.
Die ungewöhnlichen Fortschritte, welche Kleist machte, die täglichen
Beweise ausgezeichneter Geistesfähigkeiten gaben freilich der Schwermuth seines sich
überaus unglücklich fühlenden und schon fast mit sich zerfallenden Mitschülers immer
neue Nahrung und er warf sich nach beendigten Lehrstunden, oft bitterlich darüber weinend
und schluchzend, an die Brust des Lehrers.
Warum hat doch gerade mich die Natur so karg behandelt, klagte er, der
ich es mir so angelegen sein lasse zu lernen, warum wird nur mir Alles so schwer; während
dem Vetter Heinrich das Schwierigste leicht fällt? <6:>
Der Lehrer that zwar unablässig alles Mögliche, den Unmuth des
geliebten Zöglings zu verscheuchen, und ließ es nicht an Zuspruch, Rath und Anerkennung
fehlen; seine Schwermuth schlug aber immer tiefere Wurzeln in sein Gemüth und gab ihm
auch später einen freiwilligen Tod, nachdem ihm, als Zögling der Militärakademie und
als Offizier, das Glück nie hold gewesen war.
Es sollen Kleist und sein Vetter, die sich persönlich niemals
wiedersahen, in der Folge einmal schriftlich die Abrede getroffen haben, beide eines
freiwilligen Todes zu sterben.
In seinem elften Jahre verließ Kleist das Haus seiner Eltern, die
wohl auch um diese Zeit gestorben sein müssen, und ward dem Prediger Catel in Berlin zu
seiner weitern Ausbildung anvertraut.
Von jetzt, also vom Jahre 1787 fehlen mir alle Nachrichten über sein
äußeres und inneres Leben und ich finde ihn erst im Jahre 1795 wieder, wo er, nach der
Rangliste von 1796, als vierter Fähndrich in das Regiment Garde zu Fuß in Potsdam
eingetreten war, um dabei den Rheinfeldzug mitzumachen. Er stellte sich in diesem
Verhältnisse als ein eleganter, lebensfrischer, junger Mann dar, und zeichnete sich
besonders durch ein nicht unbedeutendes, wiewohl ganz unausgebildetes Talent zur Musik
aus. Ohne Noten zu kennen, komponirte er Tänze, sang augenblicklich Alles nach was er
hörte, spielte in einer von Offiziers zusammengesetzten Musikbande die Klarinette und zog
sich, der Musik zu Liebe, sogar einmal Arrest wegen einer Vernachlässigung im Dienste zu.
Er schrieb zu Ende seines ersten Dienstjahres einer <7:>
zärtlich geliebten Freundin die, seine damalige Stimmung bezeichnenden, folgenden Worte
in ihr Stammbuch:
Geschöpfe, die den Werth ihres Daseins empfinden, die ins
Vergangene froh zurückblicken, das Gegenwärtige genießen, und in der Zukunft Himmel
über Himmel in unbegrenzter Aussicht entdecken; Menschen, die sich mit allgemeiner
Freundschaft lieben, deren Glück durch das Glück ihrer Nebengeschöpfe vervielfacht
wird, die in der Vollkommenheit unaufhörlich wachsen, o wie selig sind
sie!
Ein abenteuerlicher Zug aus Kleists Leben mag vielleicht in eben
diese Jugendzeit zu setzen sein. Es ward nemlich eines Tags auf dem Gute eines Verwandten
zwischen ihm, einer Schwester und zwei Freunden die Frage aufgeworfen: wie lange man wohl,
ohne einen Groschen Geld zu besitzen, in der Welt fortkommen könne, und die vier Menschen
beschlossen, den thatsächlichen Versuch zu machen. Sie zogen, als arme Leute verkleidet,
jeder mit einem Instrumente versehen, und keinen Groschen Geld in der Tasche, zur Stunde
aus und, ich weiß nicht ob acht oder vierzehn Tage lang, im Lande umher, indem sie ihr
Leben wirklich nur mit Musiziren in Dorfschenken und Bauerhöfen fristeten.
Sein erstes Herzensverhältniß zu einem jungen adlichen Fräulein
fällt in diese Periode und daß dasselbe plötzlich wieder rückgängig ward, führte ihn
in der Krise seines Schmerzes darüber, wohl zum erstenmale tiefer in sein Inneres.
Kleist vernachlässigte fortan sein Aeußeres, zog sich
von <8:> Menschen zurück, und begann sich ernstlich mit der philosophischen
Wissenschaft zu beschäftigen.
Dieses Studium zog ihm zwar den Unwillen seines Chefs, des Generals
von Rüchel zu; als jedoch Kleist im Jahre 1798 seinen Abschied forderte, suchte ihn
Rüchel, dem es schmeichelte, unter seinen Befehlen gebildete Offiziere zu haben, selbst
beim Soldatenstande festzuhalten. Dessenungeachtet setzte es Kleist durch, seinen Abschied
noch in diesem Jahre als Seconde-Leutnant zu erlangen, und begab sich, nachdem er sich
unter der Leitung des Conrectors Bauer zu Potsdam zur Universität vorbereitet hatte, um
zu studiren nach Frankfurt a. O., wo seine Schwestern wohnten, und sein Bruder in
Garnison stand.
Ueber den damaligen Zustand seiner Seele und die Gründe, mit welchen
er den Wechsel seines Standes vor sich selbst rechtfertigte, gibt der den 18. März
1799 von Potsdam aus an seinen ehemaligen Hauslehrer, der damals als Geistlicher
angestellt war, geschriebene Brief 1. den
vollständigsten Aufschluß. Er enthält eine Uebersicht seiner zukünftigen Studien und
es geht daraus hervor, daß es eigentlich nur das Bedürfniß nach höherer Ausbildung,
das dunkle Bewußtsein seiner edleren Bestimmung war, was ihn zu dem wichtigen Schritte
drängte. Der ältere Freund, den Kleist wiederholt schriftlich und mündlich über die
wichtigsten Angelegenheiten seines damaligen Lebens berieth, suchte ihn zwar auf alle
Weise von seinem Standeswechsel abzubringen. Er verwirklichte seinen neuen Lebensplan aber
dennoch mit männlicher Entschlossenheit und Charakterstärke, selbst ohne das bestimmte
Vorwissen seines Vormunds oder <9:> seiner Familie. Es war kein anderer Mensch
als seine Schwester Ulrike, die ihm von den Seinigen von Jugend an die Nächste gewesen zu
sein scheint, ganz in sein Vorhaben eingeweiht.
Kleist gesteht in dem Briefe, daß er, so lange er gedient habe, immer
mehr Student als Soldat gewesen sei, und gibt seinen Widerwillen gegen den Soldatenstand
auf das entschiedenste zu erkennen; die Spitzfindigkeiten, mit denen er ein vermeintes
Disharmoniren der Menschen- und Standespflichten des Soldaten darthun will, zeigen jedoch,
wie früh er die schneidend einseitige Verstandesrichtung gewonnen hatte, die uns später
in seinen reifsten Geisteswerken stört. Der anscheinende Zufall einer mathematischen
Lehrstunde, welche ihn die Mängel seiner Selbstbildung erkennen ließ, entwickelte den
lange gehegten Keim seines Entschlusses rasch zur That.
Als eines Abends jener Geistliche ein Conzert in Frankfurt a. O.
verläßt, fühlt er sich plötzlich hinterrücks einen traulichen Schlag auf die Schulter
gegeben. Er erschrickt, sieht sich um, und gewahrt den in einen weiten Reitermantel
gehüllten Kleist, welcher ihm in größter Aufregung mittheilt, wie er nun endlich seinen
Abschied erhalten habe und in Frankfurt studiren wolle. Er war, den Abschied in der
Tasche, im Fluge von Berlin dahergeritten, hatte den ehemaligen Lehrer in seiner Behausung
vergebens aufgesucht, um ihn von seinem Glück in Kenntniß zu setzen, und verschwand,
nachdem er ihn im Conzert gefunden, wieder eben so hastig, als er gekommen war.
Das neue Leben Kleists in Frankfurt a. O. dürfte
wohl <10:> die allerglücklichsten Stunden enthalten haben, die ihm der Himmel
bestimmt hatte. Er studirte fleißig Philosophie und alte Sprachen, und lebte in heiterer
Geselligkeit mit seinen Freunden und Geschwistern, welche letztere, mit ihm zusammen, ihr
elterliches Haus bewohnten. Dem wunderlichen Hauswesen, das sie darinnen führten, stand
eine alte liebreiche Tante rüstig vor und es beseelte in dem kleinen Kreise jung und alt
der beste Geist. Der neue Tag fing es wieder an, wo es der vorige gelassen hatte, und es
wollte vom Morgen bis zum Abend des Scherzes und der Lust kein Ende werden. Der neue
Ankömmling ging nicht allein auf alles was die Anderen angegeben hatten, ein, sondern
wußte das gesellige Vergnügen immer noch wesentlich zu erhöhen, oder den begonnenen
Scherz witziger und pikanter auszuführen.
So kindisch ausgelassen er auch sein konnte, war Kleist freilich eben
so oft still, ernst und zerstreut. Ebenso glühend hingerissen von allem Großen und
Schönen, als durch alles Gemeine und Niedrige empört. Es konnte ihn der geringste
Verstoß gegen die Sittlichkeit, ein Blick, eine Miene außer Fassung bringen.
Es währte nicht lange, so hatte Kleists Erscheinung in dem
Familienkreise, zu dem auch die Töchter eines ganz nahebei wohnenden Generals gehörten,
dessen Gestalt vollkommen umgewandelt. Als gute Preußen der damaligen Zeit sprachen
namentlich die Damen ein sehr schlechtes Deutsch. Dies stellte ihnen Kleist als eine
Schande vor und ertheilte ihnen Unterricht in ihrer Muttersprache. Sie mußten ihm
insgesammt, nach aufgegebenen Thematen, Auf- <11:> sätze machen, und er war
sehr erfreut, wenn sich eines mit Ehren aus der Sache zog.
Er sorgte für die Lektüre der jungen Mädchen, brachte ihnen die
besten Dichter, las ihnen vor und ließ sich ihre Bildung eifrigst angelegen sein.
Als er nachmals den Gedanken gefaßt hatte, Professor zu werden, hielt
er ihnen sogar ein Kollegium über die Kulturgeschichte, zu welchem er sich ein
ordentliches Katheder hatte bauen lassen. Er betrieb dies Geschäft mit solchem Ernste,
daß, als einmal eine seiner Zuhörerinnen auf einen vorüberkommenden Zug aufmerksamer
als auf ihn war, er plötzlich sehr erzürnt abbrach, und seine Vorlesungen auf lange Zeit
einstellte, um sich nur erst nach vielen Bitten und mit vieler Mühe zu ihrer Fortsetzung
überreden zu lassen.
Kleist ging neben diesen ernsteren Beschäftigungen, nicht minder auf
die Spiele der jungen Mädchen ein und als sich deren Neigung dereinst Sprüchwörtern
zugewendet hatte, richtete er nicht nur mehrere zum Aufführen ein, sondern schrieb auch
ganz besonders einige für sie, die er ihnen sorgfältigst einstudirte und mit denen er
ebenso wie mit seinen Neujahrs- und Gelegenheitsgedichten vielen Beifall erwarb.
Kleists außerordentliche Zerstreutheit ward seinen Freunden oft
ein Gegenstand des Spottes, und er lachte, sobald er geneckt ward, häufig selbst darüber
mit. Er mochte in seine Studien noch so sehr vertieft sein, sobald sein jüngerer Bruder
eine Melodie zu singen anhub, und in der Mitte abbrach, sang Kleist sie ohne Zweifel
weiter. Als er eines <12:> Tages aus dem Collegium kam, wollte er nur seinen
Rock zu Hause wechseln; zog sich jedoch in Gedanken bis auf das Hemde aus, und war eben im
Begriffe zu Bett zu steigen, als sein Bruder dazukam, und ihn durch ein lautes Gelächter
aus dem Traume weckte.
Nach einer Mittheilung Fouqués hatte ihn derselbe zuweilen
mit vieler Lebendigkeit eine Begebenheit zu erzählen anfangen, plötzlich mitten darin
verstummen und still dasitzen sehen, als ob er allein im Zimmer gewesen wäre. An sein
Schweigen erinnert, hatte er zwar mit über sich selbst gelacht und wieder zu erzählen
angefangen, war aber nicht selten zum andernmale in denselben Fehler verfallen.
Wen Kleist einmal als seinen Freund erkannt hatte, den liebte er mit
unbegrenzter Hingebung und so mußte es, in diesen Studienjahren, den fürchterlichsten
Eindruck auf ihn machen, als einer seiner nächsten Freunde es vergebens versucht hatte,
sich durch einen Pistolenschuß das Leben zu nehmen und mit entstelltem Gesichte
vorgefunden worden war. Er hatte bei dieser Gelegenheit mit einem anderen Freunde ein sehr
merkwürdiges Gespräch über den Selbstmord und schrieb dem Unglücklichen einen
schönen, herzergreifenden, wie es leider scheint verloren gegangenen Brief über das
Sündhafte einer solchen feigen That. In Bezug darauf theilte ein dritter Freund
Kleists ihm im Jahre 1804 eine Äußerung des Dr. Gall mit: daß wer einmal
diese Geistesrichtung habe, derartige Versuche in der Regel wiederholen müsse.
Von Kleists Frankfurter Universitätsstudien wollen <13:>
Manche, die ihn damals gekannt hatten, behaupten, er habe nicht genug Vorkenntnisse dazu
gehabt, sei zu genial in seiner Art zu arbeiten gewesen, und habe durch ein Uebernehmen
seiner Kräfte befürchten lassen, er werde seine Begriffe eher verwirren als berichtigen.
Es ist bereits bekannt, daß
sich Kleist um diese Zeit mit einem jungen Mädchen aus einer sehr angesehenen Familie
verlobt hatte, die durch das Schicksal später wieder von ihm getrennt und einer anderen
Verbindung zugeführt worden war.
Dieses Verhältniß hatte
natürlich einen wesentlichen Einfluß auf sein Leben ausgeübt, und es mußten also auch
Kleists Briefe an seine Braut für die Geschichte seines Innern theilweise wichtig sein.
Ein halbes Jahrhundert, welches darüber hingegangen ist, hat die zartesten Bedenken gegen
die Veröffentlichung gehoben und so wurden sie mir auf meine Bitte mitgetheilt. Ich lege
sie hierbei dem Publikum vor, und beziehe mich in dieser Lebensskizze gelegentlich auf die
charakteristischeren Stellen.
Kleist hatte bei seiner Verlobung die Grille als Grundsatz gelten
gemacht, daß die Eltern nichts davon zu wissen brauchten, wenn zwei Liebende sich für
einander bestimmt hätten, und erklärte, daß, sobald erst über ein solches Verhältniß
gesprochen werde, oder Oheims und Basen sich hineinmischten, es für ihn allen Reiz
verlöre. Eine geistvolle Schwester seiner Braut, die jederzeit sein besonderes Vertrauen
besessen und verdient hat, und die er seine goldne Schwester zu nennen pflegte, war
deshalb eine geraume Weile die einzige Mitwisserin des Geheimnisses der
Lieben- <14:> den; da es den jungen Mädchen aber auf die Dauer allzu peinlich
ward, es ihren Eltern verborgen zu halten, mußte es ihnen Kleist am Ende selbst sagen.
Kleists leidenschaftliche Liebe verlangte von seiner Braut zuletzt,
das sie nichts freuen sollte, als was sich auf ihn bezog, und es verging selten ein Tag,
an dem er nicht über Mangel an Liebe gegen sie zu klagen hatte. Wiewohl er Haus an Haus
mit ihr wohnte, und sie täglich sah, schrieb er ihr beinahe täglich die
leidenschaftlichsten Briefe.
Er hatte mittlerweile seinen Studienplan geändert, und die Diplomatie
zu seinem künftigen Lebensberufe gewählt, indem er sich schmeichelte, binnen kurzem
einen Gesandtschaftsposten zu erlangen. Die Eltern seiner Braut hielten zwar dafür, daß
er mit seinen Hoffnungen etwas zu voreilig sei, wollten ihm aber in seinem Plane nicht
geradezu entgegen sein. Die Verlobung des Paares blieb dabei in sofern ein öffentliches
Geheimniß, als es aller Welt bekannt war, ohne daß man eben davon sprechen durfte.
Ein vertrautes Freundschaftsverhältniß hatte sich in diesen Jahre
zwischen Kleist und Herrn von Brokes angeknüpft, der später nach Meklenburg ging, und
von dessen Charakter Kleist im sechsten Briefe
eine sehr edle Schilderung entwirft.
Ich habe von anderer Seite nichts Weiteres über Brockes oder Brokes,
wie er sich zuweilen der Aussprache nach selbst schrieb, in Erfahrung gebracht, als was
Herr von Varnhagen so gütig ist, mir in den folgenden Worten mitzutheilen. Dieser
Herr von Brockes war in vielen deutschen Lebenskreisen eine bedeutende und vertraute
Erschei- <15:> nung, ein edler gebildeter Mann voll hohen Ernstes der Seele und
von großer Zartheit des Gemüths, in seiner Anspruchslosigkeit und Stille wirkte er stark
auf seine Freunde, und Männer und Frauen hingen mit Leidenschaft an ihm. Seine Name ist
nirgends in die Literatur oder sonst in die Oeffentlichkeit durchgebrochen; aber er
verdient um so mehr festgehalten zu werden, da vielleicht noch künftig Denkmale seiner
vielfach eingreifenden Persönlichkeit an das Licht treten. Auch der
Graf zur Lippe, von welchem Varnhagens Denkwürdigkeiten sprechen, gehörte in dieser Zeit
zu Kleists vertrauterem Umgange.
Im Sommer 1800 verließ der Dichter Frankfurt a. O. um nach
Berlin zu gehen. Er wollte hier nicht nur seine Studien fortsetzen, sondern auch seine
künftige Anstellung im Staatsdienste vorbereiten. Er lernte jetzt in Berlin zuerst seinen
Freund von Pfuel kennen, und beschäftigte sich zunächst mit dem Studium Kants, welches
ihn oft sehr angriff. Im Herbste dieses Jahres bewog ihn ein unbekannter Anlaß einige
Wochen in Würzburg zu verleben, und er schrieb von hinnen die Briefe 2. und 3. an seine
Braut. Es ist bemerkenswerth, wie sich die Mittheilungen fast aller Briefe an dieselbe auf
Lehren und Rathschläge zu ihrer Bildung beschränken, und also wohl einige Zweifel an der
Tiefe einer so doktrinären Liebe erwecken dürften. Der Brief 2. enthält daneben
Aeußerungen über Religion, welche mit den neuesten geistlichen Bewegungen Deutschlands
gewissermaßen in voraussichtlichem Zusammenhange stehen.
Kleist kehrte von Würzburg nach Berlin zu seinen Studien zurück, und
wurde hier, nach L. Tiecks Angabe, <16:> noch in diesem Jahre im
Departement des Ministers Struensee angestellt. In Widerspruch zu dieser Nachricht stellt
sich jedoch sein eigener Brief 4., im November
1800 aus Berlin an seine Braut geschrieben, in welchem er ihr mit Gründen
auseinandersetzt, warum er kein Staatsamt annehmen könne.
Des Dichters ganze Sehnsucht stand gegenwärtig nur nach Liebe und
nach der Bildung zu einem nützlichen Staatsbürger. Er wollte ausschließlich den
Wissenschaften leben, und that seiner Braut auch schon ernstliche Vorschläge zu ihrer
baldigen Verheirathung. Er wollte mit ihr, zur Verbesserung ihres Unterhaltes nach dem
südlichen Frankreich oder der französischen
Schweiz gehen, um in der deutschen Sprache Unterricht zu ertheilen, die französische
nebenbei zu erlernen, und, zu seinem demnächstigen Lebenszwecke, die kantische
Philosophie nach Frankreich zu verpflanzen.
Seines Dichtertalentes war sich Kleist um diese Zeit noch nicht
bewußt geworden und vielleicht kündigte es sich nur erst durch die stete Unruhe an, die
sich seiner bemächtigt hatte.
L. Tieck sagt über diese Zustände seines Gemüths in der
Einleitung zu Kleists Schriften die folgenden bedeutungsvollen, wahren und schönen Worte,
die zwar mit Recht die Nebenwege zur Bildung dem allgemeinen Hochwege nachstellen, jedoch
auch nicht dem widersprechen, was Kleists eigenes Beispiel glänzend genug bewiesen
hat, daß das wahre Talent zuweilen auch ein Richtweg zum wahren Ziele führt.
Da sich Kleist früher zum Soldaten bestimmt hatte, so war seine
Erziehung nicht die eines künftigen Gelehrten <17:> gewesen, und es war daher
natürlich, daß er jetzt, im dreiundzwanzigsten Jahre, viele der Studirenden an
Erfahrung, Ausbildung und entwickelten Gedanken übersah, wie er in den nöthigen
Vorkenntnissen hinter den meisten zurückblieb.
Dies verstimmte ihn oft, da er die Hemmung fühlte, und sein
heftiger Geist nur gar zu gern alles übersprang, was ihn von irgend einem Ziele
zurückhielt. So heiter, kindisch und ausgelassen er sein konnte, so ernst und
verschlossen war er wieder in anderen Stunden; wie sehr er oft mit sich zufrieden war, und
sich seiner Fortschritte freute, so haderte er auch nicht selten mit sich selber, hielt
sich für unbrauchbar und unfähig, und wollte immer mit Gewalt und in kurzer Zeit, mit
Trotz, das erzwingen, was nur Geduld, Ausdauer und Resignation auch dem ausgezeichneten
Geiste gewähren können.
Derjenige, dem es in dieser Seelenruhe zum Bedürfniß wird,
sich immerdar gegen andere mit seinen Kräften und diese selbst wieder an einander zu
messen und zu wägen, wird bald alles Maaß verlieren.
Es ist natürlich, daß die meisten Autodidakten dasjenige, was
sie auf ihre eigenthümliche, zufällige und heftige Weise erlernen, viel zu hoch
anschlagen, es ist ebenso begreiflich, daß sie in anderen Stunden, wenn ihnen Wissen und
Lernen nicht diese ruhige Genügsamkeit gibt, die unsere Seele gelinde erweitert und
unvermerkt bereichert, dann alles Wissen, Denken und Lernen, alle Kenntnisse und
Gelehrsamkeit tief verachten, und einen geträumten und unmöglichen Naturzustand höher
stellen, als alle Kultur, ja, <18:> ihn für den wahrsten und glücklichsten
halten. In dieser unglücklichen Stimmung befand sich damals unser Freund, und er wurde
nicht ruhiger, sondern nur noch aufgeregter, als er die Kantsche Philosophie kennen
lernte, der er sich einige Zeit mit dem größten Eifer ergab. Ob sie ihm angeeignet, ob
er reif für sie war, und vorbereitet genug, das sind Fragen, die sich nur schwer
beantworten lassen. Seit Kant sahen wir Schüler der sich ablösenden Systeme, die eben
als Schüler immer auf das Wort des letzten Meisters schwören, und in der Regel auf lange
für Wissenschaft und Kunst, sowie für die mannigfaltigen Erscheinungen des Lebens Sinn
und Verständniß verlieren. Selten daß Einer, was doch die wahre Aufgabe dieses Studiums
ist, seinen Geist wahrhaft erwacht fühlt, und selbst denken lernt. Es ist so bequem:
Daß ihr nur Einen hört
und auf des Meisters Worte schwört:
Im Ganzen haltet euch an Worte,
u. s. w.
Hat der Schüler sich das Leben, Geschichte, Wissenschaft und
Alles um ihn her recht verdeckt, geht er mit seiner Binde, die ihn nur wenig Raum sehen
läßt, recht gerade aus, so kann er um so sicherer Alles beurtheilen, verwerfen und
verlachen, was seinem sogenannten Systeme nicht anpaßt. Alle Menschen sollen denken
lernen, aber nicht alle sind zu Philosophen berufen.
Auch Kleist wurde auf diesem Wege stolzer und anmaßender, ohne
in seinem Innern sicherer zu werden. Jetzt schien es ihm Pflicht, sich ganz frei zu
machen, und nur der höchsten Wissenschaft zu leben. Es dünkte ihn nun
er- <19:> niedrigend, ein Staatsbürger zu sein, der durch jedes Amt, in seinem
heiligsten Beruf, sich auszubilden, nur gehindert werden könne. Auch sei es dem edlen
Menschen ungeziemend, so schwärmte er, für den Staat irgend zu wirken, wozu er nicht
selbst seine Einwilligung gegeben habe, und sich zum blinden Werkzeuge gebrauchen zu
lassen. So löste eine Verwirrung die andere ab.
Seine Unruhe und die leidenschaftliche Beängstigung wurden so
groß, daß sein heftigster Wunsch war, nur um jeden Preis seine jetzige Lage zu
verändern, erfolge auch, was da wolle.
Nach dem Briefe 7. brach
etwa im März 1801 die innere Unruhe, welche so lange in Kleist gegoren hatte, zu der
Ueberzeugung aus: daß in der Wissenschaft keine Wahrheit zu finden sei, und warf seine
Verzweiflung darüber dieselbe also ganz von sich.
Es veranlaßte ihn diese Krisis seines Innern einen Aufsatz: die
Geschichte meiner Seele zu schreiben, welcher, wie so viele andere seiner Schriften
verloren gegangen zu sein scheint; nach dem Urtheile seiner Freunde aber sehr bedeutend
gewesen sein soll.
Das Leben in Berlin ekelte Kleist immer mehr an und machte seinen
Zustand auf eine Zeitlang so trostlos, daß er am Ende nur noch in dem Gedanken einer
Reise nach Paris Rettung ersah. Den Brief an seine Braut, worin er sie um ihre
Einwilligung dazu ersuchte, schloß er mit der Erklärung, er kehre zurück, sobald er
wisse, was er thun solle, und wisse zuversichtlich, es müsse aus diesem innern Kampfe
etwas Gutes hervorgehen. <20:>
Tieck hält für möglich, daß die Regierung Kleist zu dieser Reise
unterstützte, von der er sich selbst vorspiegelte, in Paris Naturwissenschaft und
insbesondere Chemie studiren zu wollen, um die erworbenen Kenntnisse später für den
Staat zu nutzen; meint aber, daß dies auf keinen Fall bedeutend gewesen sein könne, da
Kleist dabei bekanntlich fast sein ganzes kleines Vermögen zusetzte.
Es ergibt sich aus dem Briefe 9,
daß ihm das Unternehmen schon gereute, noch ehe es begann, und an wie schwachen Fäden
seine Ausführung überhaupt hing.
Kleists Hauptbedenken dagegen war, daß er nicht allein reisen konnte,
weil er seiner Schwester schon lange vorher das Versprechen gegeben hatte, sie auf einer
etwaigen Reise in das Ausland mit sich zu nehmen. So nahe sich beide Geschwister auch in
jeder Hinsicht standen, empfand er doch, daß ihre Gesellschaft ihm bei dem gegenwärtigen
Zustande seiner Seele ein Hemmniß war, und es ängstigte ihn nicht weniger die Stimme
seines Gewissens, das ihm sagte, er werde in Paris keineswegs so studiren, wie er den
Leuten, zu Beschönigung seiner abenteuerlichen Reise, vorgespiegelt hatte.
Er trat dieselbe in Begleitung seiner Schwester im April 1801 an, und
fuhr, nach der ausführlichen Schilderung seiner Briefe 11.
bis 15., mit eigenem Geschirr über Dresden, Leipzig, Göttingen, Halberstadt, Mainz
und Cöln.
In Leipzig lernte er Platner, in Göttingen Blumenbach, in Halberstadt
Gleim kennen.
Als er bei Koblenz mit dem Postschiffe zur Nachtzeit über den Rhein
fuhr, brachte ihn ein plötzlicher Sturm <21:> in große Lebensgefahr, und
schrieb er darauf, die Scene schildernd, den merkwürdigen Brief 15. aus Paris.
Während der ersten Wochen seines dasigen Aufenthaltes scheint Kleist
in der finstersten Stimmung gelebt zu haben.
Er war zwar einigen ausgezeichneten französischen Gelehrten bekannt
geworden; zog sich jedoch, wie es schien, bald wieder von allem wissenschaftlichen Umgange
zurück und betrachtete den Zweck seines seitherigen Lebens als eine Art von Wahnsinn. Ja,
er mußte sich dabei selbst mit verachten, indem er fühlte, er sei nicht für die
Wissenschaft geboren, die er in solcher Stimmung nothwendigerweise verkannte, und doch
noch nicht den lichten Punkt in seiner Seele auffand, der ihn bald nachher in eine andere
ihm gemäße Lebensgegend leiten sollte.
Nach seinem Briefe 16.
scheint er im Monat August desselben Jahres wieder einige Ruhe in sich gefunden zu haben,
und gibt sich, in aller noch übrigen Verworrenheit kaum sichtbar, der erste Keim des
Entschlusses zu erkennen, der ihn denn doch, man denke davon wie man wolle, mittelbar zum
Dichter machte. Der nächstfolgende Brief 17.
bestätigt seinen erwachten Ueberdruß am Städteleben, und verkündet geradezu seine
Sehnsucht nach der Natur und Poesie.
Jener wunderbare Brief 18,
vom 10. October, spricht es endlich aus, daß er sich nichts weniger als die
Wissenschaft, sondern nur ein unfruchtbares Vielwissen und Viellernen zu verachten
unterfing, und seine zuvor unbestimmte Sehnsucht gibt sich als das unabweisliche
Bedürfniß zu er- <22:> kennen, etwas Gutes zu thun, oder, mit einem anderen
Worte, geistig zu produciren. Das Wie vermag dem Dichter erst in der Folge sein Talent zu
sagen. Jetzt kommt es nur darauf an, unter der Hand der Ruhe und Einsamkeit seine Natur
von dem Kinde des Geistes zu entbinden.
Um sich in sein Allerinnerstes vertiefen zu können, muß er die Welt
und Gemeinschaft der Menschen fliehen, und da er doch nicht zugleich seine Braut verlassen
kann, vereinigen sich die beiden Bedürfnisse in ihm zu dem Entschlusse, ein Bauer oder
Landmann zu werden. Er spricht dasselbe der Geliebten aus, indem er sie auffordert, solch
bescheidenes Loos mit ihm zu theilen, und, an der Hand der Liebe, zu den einfachsten
Verhältnissen der Natur zurückzukehren. Ein glänzenderes Geschick, erklärte er ihr,
gestatteten ihm seine beschränkten Vermögensumstände so wenig wie seine
Lebensgrundsätze, ihr anzubieten; als Landmann in der Schweiz, wo er ein Haus und einen
Acker kaufen und bestellen wolle, sei er aber wohl im Stande, sich und sie, mit dem was
sie besäßen, zu erhalten.
Er redet ihr nicht zu, seine Wünsche zu erfüllen, stellt ihr das
Leben, welches sie zusammen führen würden, von keiner lockenden poetischen Seite dar;
sondern sagt ihr vielmehr, mit kurzen, dürren Worten, was sie alles, sobald sie ihm
folge, aufzuopfern habe, und überläßt es ihr allein, sich auszumalen, mit welchem
Glück sie seine Liebe dafür entschädigen könne.
Man ist in unserer conventionellen Welt unter sich übereingekommen,
einen Lebensplan wie diesen Kleistschen mit dem Spottnamen eines abenteuerlichen,
überspannten, <23:> jugendlich unreifen zu belegen. Nichts destoweniger
führen unzählige gebildete Ansiedler in überseeischen Weltgegenden ein Landleben, wie
es Kleist im Sinne hatte, zu ihrem Glücke und ihrer Zufriedenheit. Es vermissen unter
ähnlichen Umständen eben so wenig viele Europäer das städtische Wesen, als sie etwa,
wie man zu sagen pflegt, verbauern, oder in geistigen Schlaf verfallen. Dem sei, wie ihm
wolle. Es fragt sich hier nicht, ob Kleist ein solches Naturleben auf die Dauer ertragen
und fortzuführen gewünscht; es handelt sich nur darum, was geschehen wäre, wenn er es
begonnen hätte. Wenn seine Geliebte ihm die Hand dazu gereicht, wenn er also innere Ruhe
und eine äußere Heimath gefunden, wenn sich sein Talent ebenso, wie es wirklich geschah,
auch in seinem Glücke ausgeprägt hätte?
Die wahrscheinlichste Antwort auf alle diese Fragen lautet: er würde
damit jedenfalls ungefährdet über die entsetzliche Krisis hinausgekommen sein, die
seinem Leben ein Ende setzte, und kein so tragisches Schicksal gehabt haben. Ja, gesetzt
auch, er hätte sich als Schweizer Bauer auf die Länge der Zeit nicht zufrieden gefühlt,
und städtischen Umgang mit den Menschen nicht entbehren können, so würde er doch als
Familienhaupt besonnener und ruhiger gehandelt haben, durch das Gefühl seiner Pflicht vor
Gewaltthätigkeiten an sich bewahrt worden sein, und den Seinen jedes geringere oder
größere Opfer seiner Wünsche gebracht haben.
Es war nicht des Himmels Wille, daß es so kommen sollte. Seine Braut
war anders als er es sich eingebildet hatte, und that also vollkommen Recht an sich und
ihm, <24:> einen so heroischen Entschluß, als er ihr zugemuthet hatte, nicht
zu fassen. Sie würde ihn unter den bestehenden Umständen nicht haben glücklich machen
können. Sie entdeckte Kleists wunderlichen Lebensplan ihren Eltern, die darüber ein sehr
ungünstiges Urtheil fällten, und that ihm dies, als Antwort auf seine letzten Briefe 18. und 19. so schonend als sie es im
Stande war, zu wissen.
Die Folge dieses Schrittes war, daß Kleist fünf Monate ganz und gar
gegen sie schwieg und ihr zuletzt nur noch einen kurzen Brief schrieb, in welchem er sich
bitter über ihre Kälte beklagte und hinzufügte, daß er nun allerdings zu der Einsicht
gekommen sei, sie habe ihn nie geliebt, und werde ihn nie lieben. Auf diese Art war das
Verhältniß zwischen beiden abgebrochen.
Ueber Kleists Pariser Aufenthalt weiß ich nichts weiteres zu sagen,
als daß er, wenn ich recht gehört habe, bei Laplace wohnte, und seine Schwester in
männlicher Kleidung bei ihm war. Seltsamerweise soll in Paris kein anderer Mensch als der
blinde Flötenspieler Dülon ihr weibliches Geschlecht unter der fremden Tracht erkannt
und sie unversehens mit Madame angeredet haben.
Kleist hatte mit ihr in der letzten Zeit seines Pariser Aufenthaltes
viele Kämpfe wegen seines neuen Lebensplanes zu bestehen, den sie durchaus gemißbilligt
haben soll und mochte vielleicht schon nahe daran gewesen sein, in aller Stille von ihr
nach der Schweiz zu entfliehen. Da ihnen aber inzwischen ihr deutscher Bedienter davon
gegangen war und Kleist seine Schwester nicht ohne allen Schutz in der Fremde verlassen
konnte, entschloß er sich, sie bis nach <25:> Frankfurt zurückzugeleiten und
begab sich von dannen Anfangs 1801 nach Bern.
Noch in dem Augenblicke seiner Abreise von Paris ereignete sich mit
Kleist ein sehr komischer Auftritt. Er hatte nämlich zu der Reise ein paar neue Pferde
gekauft, die er, da er ohne Diener war, selbst aus dem Stalle ziehen und anschirren
mußte. Er wußte nur um solche Geschäfte nicht im mindesten Bescheid und quälte sich
damit so lange in vergeblichen Anstrengungen ab, bis sich ein großer Haufen Volks lachend
und spottend um ihn versammelte, und sich zuletzt ein Schneider seiner Verlegenheit
erbarmte, der seinen Wagen anspannte und ihn eine Strecke weit begleitete.
Den Winter 1800-1801 verlebte Kleist in Bern, und den Sommer darauf an
den Ufern des Thuner Sees, wo er sich in einem kleinen Landgute mit seinem Freunde, dem
Kupferstecher Lohse, der später in Italien gestorben ist, eingemiethet hatte. Zu seinem
näheren Umgange in der Schweiz gehörte zunächst Heinrich Zschokke, der junge Wieland
und der junge Geßner. Heinrich Zschokkes Selbstschau enthält über ihn die nachstehenden
Mittheilungen:
Unter zahlreichen lieben Bekannten, deren Umgang den Winter mir
verschönte, befanden sich zwei junge Männer meines Alters, denen ich mich am liebsten
hingab. Sie athmeten fast einzig für die Kunst des Schönen, für Poesie, Literatur und
schriftstellerische Glorie. Der eine von ihnen, Ludwig Wieland, Sohn des Dichters, gefiel
mir durch Humor und sarkastischen Witz, den ein Mienenspiel begleitete, welches auch
Milzsüchtige zum Lachen getrieben hätte. <26:> Verwandter fühlte ich mich
dem Andern wegen seines gemüthlichen, zuweilen schwärmerischen, träumerischen Wesens,
worin sich immerdar der reinste Seelenadel offenbarte. Es war Heinrich von Kleist. Beide
gewahrten in mir einen wahren Hyperboräer, der von der neuesten poetischen Schule
Deutschlands kein Wort wußte. Göthe hieß ihr Abgott; nach ihm standen Schlegel und
Tieck am höchsten, von denen ich bisher kaum mehr als den Namen kannte. Sie machten es
mir zur Todsünde, als ich ehrlich bekannte, daß ich Göthes Kunstgewandtheit und
Talentgröße mit Bewunderung anstaunen, aber Schillern mehr denn bewundern, daß ich ihn
lieben müsse, weil sein Sang, naturwahr aus der Tiefe deutschen Gemüths, begeisternd ans
Herz der Hörer, nicht nur ans kunstrichtende Ohr schlage. Wieland wollte sogar den
Sänger des Oberon, seinen Vater, nicht mehr Dichter heißen. Das gab unter uns manchen
ergötzlichen Streit. Zuweilen theilten wir uns auch freigebig von eigenen poetischen
Schöpfungen mit, was natürlich zu neckischen Glossen und Witzspielen den ergiebigsten
Stoff lieferte.
Als uns Kleist eines Tages sein Trauerspiel, die Familie
Schroffenstein vorlas, ward im letzten Akt das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft
wie auch des Dichters so stürmisch und endlos, daß bis zu seiner letzten Mordszene zu
gelangen, Unmöglichkeit wurde.
Wir vereinten uns auch, wie Virgils Hirten, zum poetischen Wettkampf.
In meinem Zimmer hing ein französischer Kupferstich: la cruche cassée. In den Figuren desselben glaubten wir ein trauriges
Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem Majolikakruge und einen
groß- <27:> nasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte die Aufgabe zu
einer Satyre, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden.
Kleists zerbrochener Krug hat den Preis
davongetragen.
In einem seiner Briefe von Thun, bald nach unserer Trennung
geschrieben, sagte Kleist unter anderem:
Was mich betrifft, wie die Bauern schreiben, so bin ich, ernstlich
gesprochen, recht vergnügt, denn ich habe die alte Lust zur Arbeit wieder bekommen. Wenn
Sie mir einmal mit Geßner die Freude Ihres Besuchs schenken werden, so geben Sie wohl
Acht auf ein Haus an der Straße, an dem folgender Vers steht:
Ich komme, ich weiß nicht von wo?
Ich bin, ich weiß nicht was?
Ich fahre, ich weiß nicht wohin?
Mich wundert, daß ich so fröhlich bin!
Der Vers gefällt mir ungemein, und ich kann ihn nicht ohne Freude denken, wenn ich
spazieren gehe. Und das thue ich oft und weit, denn die Natur hat hier, wie Sie wissen,
mit Geist gearbeitet, und das ist ein erfreuliches Schauspiel für einen armen Kauz aus
Brandenburg, wo, wie Sie auch wissen, die Künstlerin bei der Arbeit eingeschlummert zu
sein scheint. Jetzt zwar sieht auch hier noch, unter den Schneeflocken, die Natur wie eine
achtzigjährige Frau aus; aber man sieht ihr doch an, daß sie in ihrer Jugend schön
gewesen sein mag. Ihre Gesellschaft vermisse ich hier sehr, denn außer den
Güterverkäufern kenne <28:> ich nur wenige, etwa den Hauptmann von Mülinnen
und seinen Hofmeister, angesehene Männer. Die Leute glauben hier durchgängig, daß ich
verliebt sei; bis jetzt bin ich es aber noch in keine Jungfrau, als etwa höchstens in
die, deren Stirn nur den Abendstrahl der Sonne zurückwirft, wenn ich am Ufer des Sees
stehe.
An mich selbst ist der gefeierte Autor so freundlich zu schreiben:
Kleist war eine der schönen Erscheinungen im Leben für mich,
die man ihres Selbstes willen liebt und nie zu lieben aufhört. In seinem Wesen schien
mir, selbst während der fröhlichen Stimmung seines Gemüthes, ein heimliches inneres
Leiden zu wohnen. Eben das zog mich an ihn; fast mehr als sein talentreicher Geist und
sittlicher edler Sinn. Er verlieh seinem Umgang die eigenthümliche Anmuth. Ich nahm den
leisen Zug von Schwermuth für ein Nachweh in der Erinnerung an trübe Vergangenheiten,
welches junge Männer von Bildung in solchem Lebensalter oft zu ergreifen pflegt, woran
ich selber gelitten hatte: Zweifeln und Verzweifeln an den höchsten
Geistesgütern. Die Stelle in einem seiner Briefe, welche ich in meiner Selbstschau
mitgetheilt habe, besonders der Vers und Kleists Wohlgefallen daran schien meinen stillen
Argwohn zu bestätigen. Vielleicht irrte ich dennoch.
Die oben angeführten Worte aus Kleists Brief an Zschokke widerlegen
das von mehreren Seiten aufgekommene Gerücht von einem Liebesverständnisse, das er bei
Thun mit einem Schweizermädchen gehabt habe, die ihm wegen eines französischen Offiziers
später untreu geworden sei, oder <29:> geben doch das Bedenken an die Hand,
wie man mit einem Dichter wegen seiner Theilnahme an Schönheit oder Reiz nicht
allzustreng abrechnen dürfe.
Aus Zschokkes übrigen Mittheilungen ergibt sich, daß die Idee zu dem
Lustspiele der zerbrochene Krug in der Schweiz gefaßt und die Ausarbeitung
vielleicht begonnen wurde. Vollendet wurde diese Arbeit, so viel ich weiß, erst später;
an das Trauerspiel: die Familie Schroffenstein, dagegen auch in der Schweiz die letzte
Hand gelegt. Nur daß Kleist den fünften Akt blos in Prosa geschrieben und die
Herausgeber Wieland und Geßner ihn in Verse gebracht haben sollen. Es heißt auch, daß
derselbe Wieland Kleist bewogen habe, das Stück nochmals umzuschreiben und die erst in
Spanien vorgehende Handlung nach der Schweiz zu verlegen.
Also verdankte Kleist diesem Schweizeraufenthalte darin, daß er ihn
zum Dichter machte, das höchste Ergebniß seines Lebens, wenn gleich bald darauf sein
schon lange gewaltsam angeregtes Gemüth ihn auf das Krankenlager warf. Seine treue
Schwester kam in dieser Zeit abermals zu ihm, und begleitete ihn, nach seiner Genesung, im
Herbste des Jahres 1802, nach Deutschland zurück.
Kleist ging zuerst nach Jena, wo er von Schiller gut empfangen ward,
und gleich darauf nach Weimar zu Göthe, der ihm zwar sehr freundlich begegnete, in der
Folge jedoch seinen zerbrochenen Krug so unpassend in mehrere Acte getheilt aufführen
ließ, daß er jede Wirkung des Stückes, wie sie auf andern Bühnen stattfand, selbst
vernichtete.
Es mag überhaupt an dieser Stelle nicht unpassend <30:>
sein, die verschiedenen öffentlichen Äußerungen Göthes über Kleist
zusammenzustellen.
Mir erregte Kleist, bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen
Theilnahme, nur Schauder und Abscheu, wie ein von Natur schön intentionirter Körper, der
von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wäre. Tieck wendet es um: er betrachtet das
Treffliche, was von dem Natürlichen noch übrig bleibt, die Entstellung läßt er bei
Seite, entschuldigt mehr, als daß er tadelte; denn eigentlich ist jener talentvolle Mann
auch nur zu bedauern und darin kommen wir denn beide zuletzt überein.
Der zerbrochene Krug hat außerordentliche Verdienste und die ganze Darstellung
dringt sich mit gewaltiger Gegenwart auf. Nur Schade, daß das Stück auch wieder dem
unsichtbaren Theater angehört, das Talent des Verfassers, so lebendig er auch
darzustellen vermag, neigt sich doch mehr gegen das Dialektische hin, und wie es sich denn
in dieser stationären Prozeßform auf das wunderbarste manifestirt hat. Könnte er mit
eben dem Naturell und Geschick eine wirklich dramatische Aufgabe lösen, und eine Handlung
vor unsern Augen und Sinnen sich entfalten lassen wie er hier eine vergangene sich nach
und nach enthüllen läßt, so würde es für das deutsche Theater ein großes Geschenk
sein.
Ueber Amphitryon habe ich Manches mit Herrn von Genz gesprochen,
aber es ist durchaus schwer, genau das <31:> rechte Wort zu finden. Nach meiner
Einsicht scheiden sich Antikes und Modernes auf diesem Wege mehr, als daß sie sich
vereinigten. Wenn man die beiden entgegengesetzten Enden eines lebendigen Wesens durch
Contorsion zusammenbringt, so gibt das noch keine neue Art von Organisation; es ist
allenfalls nur ein wunderliches Symbol, wie die Schlange, die sich in den Schwanz
beist.
Der antike Sinn in Behandlung des Amphitryon ging auf Verwirrung der Sinne, auf den
Zwiespalt der Sinne mit der Ueberzeugung. Wie im miles gloriosus, daß ein
Mädchen zwei Personen vorstellt, so stellen hier zwei Personen eine dar. Es ist das Motiv
der Menächmen, nur mit dem Bewußtsein des einen Theils. Moliere läßt den Unterschied
zwischen Gemahl und Liebhaber vortreten, welches also eigentlich nur der Gegenstand des
Geistes, des Witzes und zarter Weltbemerkung ist. Wie es Falk genommen, wäre nachzusehen.
Der gegenwärtige Dichter Kleist geht bei den Hauptpersonen auf die Verwirrung des
Gefühls hinaus. Höchstwahrscheinlich ist bei den Alten keine Hauptscene zwischen Jupiter
und Alkmene vorgekommen, sondern die Hauptmotive fielen zwischen die beiden Sosias und
Amphitryon. Die Situation zwischen Amphitryon und Alkmene enthält eigentlich auch kein
dramatisches Motiv.
Das Stück enthält nichts Geringeres als die Deutung der Fabel
ins Christliche, in die Ueberschattung der <32:> Maria vom heiligen Geiste. So
ists in der Scene zwischen Zeus und Alkmene. Das Ende aber ist klatrig. Der wahre
Amphitryon muß es sich gefallen lassen, daß ihm Zeus diese Ehre angethan hat. Sonst ist
die Situation der Alkmene peinlich und die des Amphitryon zuletzt grausam.
Im Januar 1803 begab sich Kleist auf neun bis zehn Wochen nach Osmanstädt zu Wieland, der
ihn ganz als Mitglied seiner Familie behandelte, und an dessen Tochter Kleist auch
innigeren Antheil genommen haben soll. Der nachfolgende Brief Wielands, welcher 1824 im
dritten Hefte der Zeitschrift Orpheus von Dr. Weichselbaumer,
abgedruckt war, gibt über diese Zeit umständlichen Bericht:
Weimar, 10. April 1804.
Der Inhalt der Zuschrift vom 3. d. M. womit ich mich von Ihnen beehrt
finde, hat mich nicht wenig gerührt und betrübt. Es ist nun beinahe ein Jahr, seit ich
von Herrn von Kleist keine Nachricht habe, und ob ich gleich nicht sonderliche Ursache
hatte, viel Besseres zu hoffen, so hätte ich mir doch auch nicht einbilden können, daß
ich, nachdem ich diese Zeit her immer auf Antwort auf meinen vor ungefähr dreiviertel
Jahr nach Leipzig an ihn geschriebenen Brief gewartet hatte, durch die dritte Hand so
traurige Nachrichten von seinen Umständen erhalten würde.
Meine Bekanntschaft mit diesem Herrn von Kleist ist <33:>
die Frucht eines freundschaftlichen Verhältnisses, welches sich im Jahre 1801, ni
fallor , zwischen ihm und meinem ältesten Sohne Ludwig, der jetzt in Wien ist, in
der Schweiz, wo Beide sich damals aufhielten, entsponnen hatte. Schon damals schrieb mir
mein Sohn von ihm als einem außerordentlichen Genie, der sich mit aller seiner Kraft auf
die dramatische Kunst geworfen habe, und von welchem etwas viel Größeres, als bisher in
Deutschland gesehen worden, in diesem Fache zu erwarten sei. Im Herbst des Jahres 1802
verließen beide die Schweiz und Kleist fand Gelegenheit, meinem Sohne einen sehr
wesentlichen Dienst zu leisten. Sie reisten eine Zeitlang mit einander, trennten sich
sodann und Kleist ging sodann nach Jena, mein Sohn aber zu mir nach Osmanstädt, zwei
Stunden von Weimar, wo ich damals noch auf einem Gute wohnte, welches ich aber wieder zu
verkaufen entschlossen war, und auch wenige Monate darauf einen Käufer dazu fand, dem ich
es acht Tage nach Ostern 1803 einräumte.
Kleist zog nach einem kurzen Aufenthalte in Jena nach Weimar, miethete
sich ein Quartier, so gut es in der Eile zu haben war, und besuchte mich ein oder zweimal
auf meinem Gut. Es ging mir mit ihm wie Ihnen. Wiewohl mir nichts mehr zuwider und
peinlich ist als ein überspannter Kopf, so konnte ich doch seiner Liebenswürdigkeit
nicht widerstehen. So oft dies, in meinem ganzen Leben, bei einer neuen Bekanntschaft, die
ich machte, der Fall war, entrainirte mich meine natürliche Offenheit und Bonhomie weiter
als die Klugheit einem kaltblütigen Menschen erlauben würde. Desto zurückhaltender
hingegen war <34:> Herr von Kleist und etwas Räthselhaftes, Geheimnißvolles,
das tiefer in ihm zu liegen schien, als daß ich es für Affektation halten konnte, hielt
mich in den zwei ersten Monaten unserer Bekanntschaft in einer Entfernung, die mir
penibel war, und vermuthlich alles nähere Verhältniß zwischen uns abgeschnitten hätte,
wenn ich nicht durch meinen Sohn erfahren hätte, daß Kleist sich in seinem Quartier zu
Weimar so schlecht befinde, daß er eine Einladung, die übrige Zeit, die er sich noch in
unserer Gegend aufzuhalten gedächte, bei mir in Osmanstädt zu wohnen, mit Dank annehmen
würde. Sogleich erging diese Einladung an ihn er nahm sie an, bezog an einem der ersten
Tage des Januars ein Zimmer in meinem Hause und war von dieser Zeit an neun oder zehn
Wochen, mein Commensal auf eben dem Fuß, als ob er zu meiner Familie gehörte. Alles was
Sie mir von seinem Benehmen in Ihrem Hause erzählen, ist auch die Geschichte der Rolle,
die er bei mir spielte.
Er schien mich wie ein Sohn zu lieben und zu ehren, aber zu einem
offenen und vertraulichen Benehmen war er nicht zu bringen. Unter mehreren
Sonderlichkeiten, die an ihm auffallen mußten, war eine seltsame Art der Zerstreuung,
wenn man mit ihm sprach, so daß z. B. ein einziges Wort eine ganze Reihe von Ideen
in seinem Gehirn, wie ein Glockenspiel anzuziehen schien, und verursachte, daß er nichts
weiter von dem, was man ihm sagte, hörte und also auch mit der Antwort zurück blieb.
Eine andere Eigenheit und eine noch fatalere, weil sie zuweilen an Verrücktheit zu
grenzen schien, war diese, daß er bei Tische sehr häufig etwas zwischen den Zähnen mit
sich selbst murmelte, <35:> und dabei das Air eines Menschen hatte, der sich
allein glaubt, oder mit seinen Gedanken an einem andern Orte und mit ganz anderm
Gegenstande beschäftigt ist. Er mußte mir endlich gestehen, daß er in solchen
Augenblicken von Abwesenheit mit seinem Drama zu schaffen hatte, und dies nöthigte ihn,
mir gern oder ungern zu entdecken, daß er an einem Trauerspiel arbeite, aber ein so hohes
und vollkommenes Ideal davon seinem Geiste vorschweben habe, daß es ihm noch immer
unmöglich gewesen sei, es zu Papier zu bringen. Er habe zwar schon viele Szenen nach und
nach aufgeschrieben, vernichte sie aber immer wieder, weil er sich selbst nichts zu Dank
machen könne. Ich gab mir nun alle ersinnliche Mühe ihn zu bewegen, sein Stück nach dem
Plan, den er sich entworfen hatte, auszuarbeiten und fertig zu machen, so gut es gerathen
wollte und es mir sodann mitzutheilen, damit ich ihm meine Meinung davon sagen könnte;
oder wenn er das nicht wollte, es nur wenigstens für sich selbst zu vollenden, um es dann
desto besser zu übersehen, das Nöthige zu ändern, kurz alles gehörig auszutheilen um
es zur Vollkommenheit bringen zu können. Sed surdo narrabam fabulam. Endlich
nach vielen vergeblichen Versuchen und Bitten, nur eine einzige Szene von diesem fatalen
Werk seines Verhängnisses zu sehen zu bekommen, erschien eines Tages zufälliger Weise an
einem Nachmittage die glückliche Stunde, wo ich ihn so treuherzig zu machen wußte, mir
einige der wesentlichsten Szenen und mehrere Morceaux aus andern aus dem Gedächtnisse
vorzudeklamiren. Ich gestehe Ihnen, daß ich erstaunt war, und ich glaube nicht zu viel zu
sagen, wenn <36:> ich Sie versichere: Wenn die Geister des Aeschylus, Sophokles
und Shakspeares sich vereinigten, eine Tragödie zu schaffen, sie würde das sein, was
Kleists Tod Guiskards des Normannen, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was er
mich damals hören ließ. Von diesem Augenblick an war es bei mir entschieden, Kleist sei
dazu geboren, die große Lücke in unserer dramatischen Literatur auszufüllen, die, nach
meiner Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Göthe noch nicht ausgefüllt worden
ist; und Sie stellen sich leicht vor, wie eifrig ich nunmehr an ihm war, um ihn zur
Vollendung des Werks zu bewegen. Er schien zwar damals über die Wirkung, die er auf mich
gethan hatte, ungemein erfreut, und versprach alles Gute; aber dabei blieb es auch, und,
um ihn nicht zu quälen, fand ich nöthig, ihm während der Zeit, daß er mein Hausgenosse
war, so wenig wie möglich von seinem Werk zu sprechen. Gegen die Mitte des Märzes
trennten wir uns endlich wieder, er verweilte noch mehrere Tage in Weimar, ging dann nach
Leipzig und Dresden, und schrieb mir nach Verlauf einiger Monate ein kleines Briefchen,
worin er mir einen über Weimar reisenden Freund empfahl; ließ aber seit dieser Zeit
nichts weiter von sich hören. Auch klagt mein Sohn zu Wien, daß er seit ihrer letzten
Trennung nichts mehr von ihm wisse. Da mir so eben zufälligerweise das Concept meines dem
Herrn von Kleist nach Dresden oder Leipzig in Antwort auf sein besagtes Briefchen
geschriebenen Briefes unter meinen Papieren in die Hände fällt, so sei mir erlaubt, die
sein Drama betreffende Stelle abzuschreiben.
Sie schreiben mir, lieber Kleist, der Druck
mannig- <37:> faltiger Familienverhältnisse habe die Vollendung Ihres Werkes
unmöglich gemacht. Schwerlich hätten Sie mir einen Unfall ankündigen können, der mich
schmerzlicher betrübt hätte. Zum Glück läßt mich die positive Versicherung des Herrn
von W., daß Sie seither mit Eifer daran gearbeitet, hoffen und glauben, daß nur ein
mißmüthiger Augenblick Sie in die Verstimmung habe setzen können, für möglich zu
halten, daß irgend ein Hinderniß von außen Ihnen die Vollendung eines Meisterwerks,
wozu Sie einen so allmächtigen innern Beruf fühlen, unmöglich machen könne. Nichts ist
dem Genius der heiligen Muse, der Sie begeistert, unmöglich. Sie müssen Ihren Guiskard
vollenden, und wenn der ganze Kaukasus und Alles auf Sie drückte u. s. w.
Ich glaubte ihm durch diesen Eifer, womit ich ihn zur Vollendung seines Werkes bestürmte,
den größten Dienst zu thun, wie traurig wäre es für mich, wenn es nur dazu gedient
hätte, ihn in das Schicksal, das ihn zu verschlingen droht, vollends
hineinzustoßen!
Wenn ich nun alle diese Umstände, seinen auf Selbstgefühl
gegründeten, aber von seinem Schicksal gewaltsam niedergedrückten Stolz, die
Exzentrität der ganzen Laufbahn, worin er sich, seitdem er aus der militärischen
Carriere ausgetreten, hin und her bewegt hat, seine fürchterliche Ueberspannung, sein
fruchtloses Streben nach einem unerreichbaren Zauberbild von Vollkommenheit in seinem
bereits zur fixen Idee gewordenen Guiskard, mit seiner zerrütteten geschwächten
Gesundheit und mit den Mißverhältnissen, worin er mit seiner Familie zu stehen scheint,
zu- <38:> sammen combinire, so erschrecke ich vor den Gedanken, die sich mir
aufdrängen und fühle mich beinahe genöthigt zu glauben, es sei sein guter Genius, der
ihm den Einfall, sich in Coblenz zu einem Tischler zu verdingen, eingegeben. Gewiß ist,
in meinen Augen wenigstens, daß das Projekt, welches Ihnen Ihre so edelmüthig
theilnehmende Zuneigung zu diesem liebenswürdigen Unglücklichen eingegeben, ihn in einem
Büreau, bei Ihrem Freunde M. unterzubringen, allein schon aus der Ursache von
unbeliebigem Erfolg sein würde, weil diese Art von Beschäftigung und Abhängigkeit ihm
in kurzer Zeit ganz unerträglich fallen würde u. s. w.
Dieser merkwürdige Brief C.
M. Wielands bezeugt zu seiner Ehre, mit welchem kritischen Scharfblicke er vor den meisten
selbst bedeutenderen Zeitgenossen das hohe Talent des Dichters noch in seinem Keime zu
würdigen verstand. Die Vermuthung, daß Kleist mit seiner Familie in Mißverhältnissen
gelebt, ist eine irrige, da dieß wohl nur vorübergehend mit einem einzelnen Mitgliede
derselben gewesen sein konnte.
Von Weimar begab sich Kleist im Jahr 1804 nach Dresden, um an seinem liebsten Trauerspiele, Robert Guiskard,
weiter zu dichten, dessen Bruchstücke Wieland so sehr entzückt, und das er in seinem
Unmuthe bereits zweimal vernichtet hatte. Hier traf er auch mit seinem Freunde von Pfuel
zusammen, und soll ihm Kleist eines Abends, als Pfuel Zweifel an seinem komischen Talent
geäußert, die drei ersten Scenen des schon in der Schweiz begonnenen Lustspiels: der
zerbrochene Krug, diktirt haben.
Kleist war zu dieser Zeit ein Hausfreund der Familie <39:>
von Schlieben, in welcher eine Tochter mit seinem Freunde Lohse verlobt war, dessen Gattin
sie in der Folge wurde. Als sie nun in ihrem Brautstande eine lange Zeit keine Briefe von
Lohse erhalten hatte und darüber ganz tiefsinnig geworden, sagte sie eines Tags zu
Kleist, der neben ihr auf dem Sofa saß und auf der Guitarre klimperte: Wenn der Zustand
noch lange anhält, so werde ich verrückt. Sie haben Recht, versetzte Kleist: es ist das
Beste, was Sie thun können, und wenn Sie Ihren Verstand je wiederfinden, nehme ich eine
Pistole und schieße Sie und mich todt. Ich kann Ihnen schon den Gefallen thun. Diese
Worte machten einen so tiefen Eindruck auf das Mädchen, daß Sie danach ihre Besinnung
wieder fand, und von ihrer Melancholie genas.
Gegen ein anderes Mitglied dieser Familie sagte er einmal von sich
aus: In mir ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit.
Von Dresden aus unternahm Kleist noch in diesem Sommer mit Pfuel,
dessen fester ausgezeichneter Charakter auf sein Leben wie auf den Fortschritt seiner
Bildung einen bedeutenden Einfluß gehabt zu haben scheint, eine abermalige Reise nach der
Schweiz. Den Entschluß dazu scheint er ebenso unversehens gefaßt zu haben, wie er
beinahe immer in seinem Leben zu handeln pflegte, denn er hatte noch wenige Tage vor
seiner Abreise die Absicht, zu seinen Schwestern auf das Land zu ziehen. Erst den Tag
vorher erschien er plötzlich mit der Erklärung in der eben erwähnten Familie von
Schlieben: er gehe mit Pfuel nach der <40:> Schweiz und nach Mailand, zu dem
alleinigen Zwecke, seinen Freund Lohse dort zu besuchen.
Beide Freunde gingen meist zu Fuß, und lebten in Bern und Thun, an
welchen Orten zu Zeiten der Ruhe an Robert Guiskard gearbeitet ward. Sie kamen nach
Mailand, wo Kleist unbegreiflicherweise Lohse gar nicht besuchte und begaben sich endlich
durch das Waadtland, über Genf und Lyon nach Paris.
Schon auf dem Wege dahin soll, nach L. Tiecks Nachrichten, die
krankhafte Seelenstimmung des Dichters noch schärfer und drohender als früher
hervorgetreten sein und sich in Paris bis zu dem Grade gesteigert haben, daß sich die
beiden Freunde ganz entzweiten.
Ein Streit über Sein und Nichtsein führte die Katastrophe herbei.
Kleist rannte im Zorne hinweg, blieb lange aus und fand, als er endlich heimkehrte, ein
Billet von Pfuel vor, aus dem hervorging, daß er unterdeß ausgezogen war, und ihn in der
Wohnung allein gelassen hatte.
In seiner darüber entstandenen Verzweiflung an sich und der Welt,
verbrannte Kleist alle seine Papiere, und vernichtete die Tragödie zum drittenmale,
welche er mit so besonderer Vorliebe ausgearbeitet hatte. Es ist möglich, daß darunter
auch die beiden Dramen: Peter der Einsiedler und Leopold von Oestreich waren, die er jetzt
in Paris, in Shakespearschem Style geschrieben haben soll, und von denen mir Herr von
Rühle, aus der Erinnerung, einen Theil des Plans erzählte. Tieck sagt dagegen nur:
Kleist habe 1804 in Dresden eine Tragödie über
den Fall Leopolds von Oest- <41:> reich schreiben wollen, aber nicht
geschrieben. Einige Hefte: Fragmente mit allerlei Betrachtungen und Gedanken,
welche Frau von Müller eine Zeitlang von seiner Hand besaß, sind wohl später verloren
gegangen.
Also zerstört, verließ der Dichter Paris ohne Paß und begab sich zu
Fuße auf den Weg nach Boulogne sur mer. Als er eine Strecke weit gegangen war,
begegnete er einem Haufen Conscribirter, und gab sich vergebene Mühe, für einen
derselben als gemeiner Soldat einzutreten.
Zu seinem Glücke traf er noch kurz vor Boulogne mit einem ihm
bekannten Chirurgien-Major zusammen, auf dessen verwunderte Frage, was er da zu thun habe?
er ihm erzählte, er laufe ohne Paß herum. Der Franzose schilderte ihm mit Entsetzen,
welche Lebensgefahr er untergehe, indem in Boulogne noch unlängst unter ähnlichen
Verhältnissen ein preußischer Edelmann als vermeinter russischer Spion erschossen worden
sei, und nahm ihn unter seinem Schutze, als seinen Bedienten, mit nach der Stadt.
Von hier aus bat Kleist den Gesandten Luchesini sogleich um einen
Paß, den er nach vier Tagen, unmittelbar nach Potsdam ausgestellt, erhielt, und sah er
sich also genöthigt, nach dem Vaterlande heimzukehren.
Nach Tiecks Vorrede wäre er zuerst auf kurze Zeit wieder nach Paris
gegangen und hätte sich nur weil er seinen Freund Pfuel dort nicht mehr angetroffen, von
der Sehnsucht nach dem Vaterlande dahin zurückziehen lassen. In Paris hatte nach seiner
Flucht sein Freund gefürchtet, Kleist habe sich in die Seine gestürzt, und ihn bereits
unter den in der Morgue ausgestellten Leichnamen gesucht. <42:>
Auf dem Heimwege befiel Kleist in Mainz eine tödtliche Krankheit, von
welcher ihn Hofrath Wedekind erst nach sechs Monaten wiederherstellte und blieb er
inzwischen allen seinen Freunden entschwunden.
Er soll in dieser Zeit die Bekanntschaft der Günderode gemacht und
mit der Tochter eines Predigers bei Wiesbaden ein zartes Verhältniß gehabt haben. Aus
Wielands obigem Briefe geht hervor, daß er damals in Coblenz den seltsamen Einfall gehabt
hat, sich bei einem Tischlermeister zu verdingen, und es war mir diese Nachricht auch
bereits auf anderem Wege zugekommen.
Genesen, reiste Kleist endlich nach Potsdam weiter und erschien dort
eines Abends unvermuthet vor dem Bette seines Freundes Pfuel.
Sowie seine Ankunft in der Heimath verlautete, eilte seine Schwester
zu ihm, die all sein Unglück seiner poetischen Richtung zuschrieb, und ihn fortan
aufs ernstlichste davor zu bewahren suchte, daß er keine Verse weiter mache. Sie
vermittelte auch mit andern Freunden, daß er durch Massenbach dem Minister Altenstein
empfohlen ward, welcher ihm bei der Finanzverwaltung von Anspach eine Anstellung in
Aussicht stellte.
Im Jahre 1804 hielt sich Kleist eine Zeitlang in Berlin auf, und wurde
hier durch seinen Freund Brockes mit Varnhagen von Ense bekannt. So freundschaftlich er
auch mit diesem umging, verhehlte er ihm doch sorgfältig, daß er mit der Familie
Schroffenstein schon öffentlich als Dichter aufgetreten war.
In Varnhagens Stammbuch schrieb Kleist den
11. Aug. <43:> 1804: Jünglinge lieben in einander das höchste der
Menschheit, denn sie lieben in sich die ganze Ausbildung ihrer Naturen schon um zwei oder
drei glücklicher Anlagen willen, die sich eben entfernen. Wir aber wollen einander gut
bleiben.
Varnhagen sagt in seinen Denkwürdigkeiten von Kleist, daß er damals
noch nicht den Genius und die Kraft verrathen habe, die ihn später berühmt gemacht.
Den Wünschen der Seinigen nachgebend, widmete jetzt Kleist seine
ganze Zeit dem Studium der Kameralwissenschaft, um sich zu der genannten Anstellung
vorzubereiten und wurde in Folge dessen, wahrscheinlich im Winter 1804 bis 1805, als
Diätar nach Königsberg in Preußen geschickt.
Wie lange er sich hier in der That ernstlich dem Staatsdienste
gewidmet und der Poesie den Rücken zugewendet hat, weiß ich nicht gewiß, wenn auch der Brief 19 ein Beweis ist, daß er 1805 nichts
poetisch schaffte.
Viel über ein halbes Jahr dürfte es aber wohl nicht gedauert haben.
Kleist traf in Königsberg seinen in Ostpreußen angestellten Freund
von Pfuel wieder an, mit dem er sich schnell versöhnte, und empfing von ihm
wahrscheinlich hier die erste, von Tieck nach Potsdam verlegte Veranlassung zu seiner
Novelle Kohlhaas. Nachdem nemlich Kleist eines Tags Pfuel aufgefordert hatte, ebenfalls
eine Tragödie zu dichten, erzählte ihm dieser die Geschichte des Kohlhaas als einen dazu
wohl geeigneten Stoff.
In Königsberg schrieb Kleist auch seine andere meisterhafte Novelle:
Die Markise von O., zu der ihm eine <44:> Novelle der bekannten französischen
Schriftstellerin, Madame de Gomez, deren cent nouvelles nouvelles er
wahrscheinlich in Paris gelesen, die Veranlassung geliehen hatte.
Ich entdeckte diese Entlehnung des Stoffes bei meiner eigenen Lektüre
der Gomez; will aber hiemit keineswegs ausgesprochen haben, daß sie Kleists Verdienst an
dieser Dichtung schmälere.
Als Kleist im Jahr 1804 auf seiner Reise nach Königsberg durch
Frankfurt a. O. gekommen war, hatte er es eben sowohl wie seine ehemalige Braut
vermieden, einander zu sehen, und erst im Jahre 1806 kamen Beide wieder in Königsberg
zusammen, wohin die junge Dame, welche sich unterdeß verheirathet hatte, mit ihrer
Schwester und ihrem Gatten gezogen war.
Das erste Wiedersehen des Paares war ein äußerst peinliches,
inmitten einer großen Gesellschaft.
Nachdem sich Kleist eine lange Weile fern von seiner ehemaligen Braut
gehalten hatte, ging er auf ihre Schwester zu, die er wieder seine goldene Schwester
nannte und forderte sie zum Tanzen auf. Er sprach weich und herzlich mit ihr, schüttete,
unter vielen Selbstanklagen, sein ganzes Herz vor ihr aus und fragte sie, ob sie ihn
würden wiedersehen wollen? Die Schwester stellte ihn ihrem Schwager vor, der ihn selbst
zu ihnen zu kommen bat und so ward er bald ihr täglicher Gast, las ihnen seine kleinen
damals noch nicht gedruckten Erzählungen vor und hörte gern ihre Urtheile darüber an.
Die Kunst vorzulesen war ein Gegenstand, über den Kleist viel
nachgedacht hatte und oft sprach. Er fand es <45:> unverzeihlich, daß man
dafür so wenig thue und Jeder, der die Buchstaben kenne, sich einbilde, auch lesen zu
können, da es doch eben so viel Kunst erfordere, ein Gedicht zu lesen, als zu singen, und
er hegte daher den Gedanken, ob man nicht, wie bei der Musik, durch Zeichen auch einem
Gedichte den Vortrag andeuten könne? Er machte sogar selbst den Versuch, schrieb einzelne
Strophen eines Gedichtes auf, unter welche er die Zeichen setzte, die das Heben, Tragen,
Sinkenlassen der Stimme u. s. w. andeuteten, und ließ es also von den Damen
lesen.
Die beiden Schwestern fanden Kleist stiller und ernster als ehemals
geworden, obwohl ihm seine kindliche Hingebung geblieben und seine Phantasie glühender
als jemals war.
Das Verhältniß, in welchem Kleist bei der Kammer angestellt,
mißfiel ihm, nach seinen Aeußerungen gegen die Damen, in hohem Grade, und er fand es
unerträglich, sich Männern, die er übersah, untergeordnet zu sehen. Er war damals
überhaupt mit sich und der ganzen Welt unzufrieden und es entsprach nichts seinen
Erwartungen.
Es war sein innigster, bis zur Verzehrung heißester Wunsch, der Welt
mit allen Kräften zu nützen, und auch von ihr anerkannt zu werden: er sollte aber, so
lange er lebte, nicht den mindesten Erfolg von seinen Anstrengungen sehen.
Seine Verstimmung über sein Schicksal steigerte sich gegen das Ende
des Jahres 1806 bis zum heftigsten Schmerz und daneben mußte seine glühende Liebe für
sein Vaterland dasselbe in die tiefste Schmach versinken sehen! Er war
jetzt <46:> öfters völlig außer sich, hatte keinen andern Gedanken mehr als
diesen, und sah alle Schrecken, die noch kommen sollten, mit Gewißheit voraus. Auch war
seine Gesundheit schon sehr angegriffen, er hatte häufig Fieber und lag oft ganze Tage
lang, wie er freilich sagte, mehr aus Unlust als aus Unwohlsein, zu Bett, oder ließ sich
doch, in sein Zimmer verschlossen, vor keinem Menschen sehen.
Von allen Bekannten und Gesellschaften zurückgezogen, gab er endlich
selbst seine Stelle beim Departement auf. Er schrieb aus dieser Seelenstimmung den zweiten
der beiden schönen Briefe 19 und 20. von Herrn von Rühle, welche gegen die
früheren Briefe an seine Braut beweisen, wie reif mittlerweise seine Ausdrucksweise
geworden war.
Es hatte diese jüngste Königsberger Einsamkeit seine Seele wahrhaft
erhoben, und mit neuen Kräften zu der Kunst zurückgeführt; nur gegen die Kritik war er
zu allen Zeiten seines Lebens sehr empfindlich, wie ernstlich er auch, in dem erwähnten
Briefe, dazu aufzufordern scheint.
Er schrieb nunmehr in Königsberg den zerbrochenen Krug zu Ende,
begann die Penthesilea und bearbeitete den Amphitryo des Moliere, dessen Manuscript er an
seinen Freund Rühle nach Berlin sendete, um vielleicht durch eine solche zerstreuende
Arbeit die Heiterkeit seines Lebens wieder zu finden.
Im Jahre 1807 wanderte Kleist, gerade zu der Zeit, als nach der
Schlacht von Eylau die Parteigänger in Preußen auftauchten, mit Pfuel und zwei anderen
Offizieren zu Fuße nach Berlin.
Herr von Pfuel trennte sich von seinen Begleitern kurz
vor <47:> der Stadt, um nach Nenndorf zu Fouques zu gehen. Die drei
Andern wurden am Thor angehalten und Kleist, da er ohne Paß war, und nur seinen Abschied
als Leutnant in der Tasche hatte, als vermeinter Schillscher Offizier ohne Weiteres
gefangen genommen und nach Fort de Joux in Frankreich abgeführt.
Es ist gewiß nicht unmöglich, daß dieser Verdacht der wahre Grund
eines solchen Verfahrens gegen ihn gewesen sei; doch bleibt immer so viel Unaufgelöstes
in der Sache, daß auch die Vermuthung nicht ganz abzuweisen sein mag, man habe ihn mit
Pfuel verwechselt, und für ihn bestraft, dessen Abgang von Königsberg verrathen worden
war, und den die Franzosen ohne Zweifel recht wohl als bedeutenden Vaterlandsfreund
kannten und fürchteten.
Nach einer anderen Meinung machte es ihn zumeist verdächtig, daß er
so leicht verlegen ward, stotterte, erröthete, ein Kindergesicht hatte, und französisch
eigentlich fließender als deutsch sprach.
Nachdem Kleist ein halbes Jahr in dem Gefängnisse des bekannten Toussaint
Louverture in Joux gesessen hatte, brachte man ihn nach Chalons sur Marne,
wo er in seiner Einsamkeit viel gedichtet haben soll. Er schrieb aus seiner französischen
Gefangenschaft an eine edle, geistreiche Verwandte
Folgendes:
Was soll jetzt aus meiner Sache werden, da, wie ich höre, auch
X. Berlin verlassen wird, nachdem A. es längst verlassen hat? Sie sehen, daß fast alle
Bemühungen für mich gänzlich überflüssig sind. Von Tag zu Tag habe ich immer noch,
dem Versprechen gemäß, das Ihnen der <48:> General Clarke gegeben hat, auf
eine Ordre zu meiner Befreiung gewartet; doch statt dessen sind ganz andere Verfügungen
unsertwegen angekommen. Welch ein unbegreifliches Mißverständniß muß in dieser Sache
obwalten! Wenn sich Niemand für mich interessirte, weder Sie noch X. noch A. so bliebe
mir noch ein Ausweg übrig. Doch so werde ich mich wohl mit dem Gedanken bekannt machen
müssen, bis ans Ende des Krieges in dieser Gefangenschaft auszuhalten. Und wie lange kann
dieser Krieg noch dauern, dieser unglückliche Krieg, den vielleicht gar nicht einmal ein
Friede beendigt? Was sind dieß für Zeiten? Sie haben mich immer in der
Zurückgezogenheit meiner Lebensart für isolirt von der Welt gehalten und doch ist
vielleicht niemand inniger damit verbunden, als ich. Wie trostlos ist die Aussicht, die
sich uns eröffnet! Zerstreuung und nicht mehr Bewußtsein ist der Zustand, der uns
wohlthut. Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte,
im Augenblicke, wo Alles seinen Platz in verwirrten Bewegungen verwechselt? Kann man auch
nur den Gedanken wagen, glücklich zu sein, wenn Alles im Elend darniederliegt? Ich
arbeite, wie Sie wohl denken können; jedoch ohne Lust und Liebe zur Sache. Wenn ich die
Zeitungen gelesen habe, und jetzt, mit einem Herzen voll Kummer, die Feder wieder
ergreife, so frage ich mich wie Hamlet den Schauspieler, was mir Hekuba sei? Ernst,
schreiben Sie mir, ist nach K. zurückgegangen. Es freut mich, weil es das Einzige war,
was ihm in dieser Lage übrig blieb. Doch unersetzlich ist es, daß wir uns nicht, er und
B. in Dresden haben sprechen können. Der Augenblick war so gemacht, <49:> uns
in der schönsten Begeisterung zu umarmen. Wenn wir noch zwei Menschenalter lebten, kommt
es nicht so wieder. Hier in Chalons lebe ich wieder so einsam wie in K. Kaum merke ich,
daß ich in einem fremden Lande bin und oft ist es wie ein Traum, hundert Meilen gereist
zu sein, ohne meine Lage verändert zu haben. Es ist hier Niemand, dem ich mich
anschließen möchte: unter den Franzosen nicht, weil mich ein natürlicher Widerwille
schon von ihnen entfernt, der noch durch die Behandlung, die wir jetzt erfahren, vermehrt
wird, und unter den Deutschen auch nicht. Und doch sehnt sich mein Herz so nach
Mittheilung. Letzthin saß ich auf einer Bank, auf einer öffentlichen, aber wenig
besuchten Promenade, und es fing schon an finster zu werden, als mich Jemand, den ich
nicht kannte, mit einer Stimme anredete, als ob sie Pfuel aus der Brust genommen wäre.
Ich kann Ihnen die Wehmuth nicht beschreiben, die mich in diesem Augenblick ergriff. Und
sein Gespräch war auch ganz so tief und innig, wie ich es nur einzig auf der Welt an ihm
kennen gelernt habe. Es war mir, als ob er bei mir säße, wie in jenem Sommer vor drei
Jahren, wo wir in jeder Unterredung immer wieder auf den Tod als auf den ewigen Refrain
des Lebens zurückkamen. Ach! es ist ein ermüdender Zustand, dieses Leben, recht, wie Sie
sagten, eine Fatigue. Erfahrungen rings, daß man eine Ewigkeit brauchte, um sie zu
würdigen, und, kaum wahrgenommen, schon wieder von andern verdrängt, die ebenso
unbegriffen verschwinden.
In einer der hiesigen Kirchen ist ein Gemälde, schlecht gezeichnet
zwar, doch von der schönsten Erfindung, die man <50:> sich denken kann, und
Erfindung ist es überall, was ein Werk der Kunst ausmacht. Denn nicht das, was dem Sinne
dargestellt ist, sondern das, was das Gemüth durch diese Wahrnehmung erregt, ist das
Kunstwerk. Es sind ein paar geflügelte Engel, die aus den Wohnungen himmlischer Freude
niederschweben, um eine Seele zu empfangen. Sie liegt, mit Blässe des Todes übergossen,
auf den Knieen, der Leib sterbend, in den Armen der Engel zurückgesunken. Wie zart sie
das Zarte berühren, mit den äußersten Spitzen der rosenrothen Finger nur das liebliche
Wesen, das der Hand des Schicksals jetzt entflohen ist. Und einen Blick aus sterbenden
Augen wirft dies auf sie, als ob es in Gefilde unendlicher Seligkeit hinaussähe. Ich habe
nie etwas Rührenderes und Erhebenderes gesehen.
Nach einem Jahre ungefähr schrieb Kleist von Dresden aus:
Unbeschreiblich rührend ist mir Alles, was Sie mir über
Penthesilea sagen. Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin und Sie haben es wie eine
Seherin aufgefaßt: der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner Seele. Jetzt bin ich nur
neugierig, was Sie zu dem Käthchen von Heilbronn sagen, denn das ist die Kehrseite der
Penthesilea, ihr anderer Pol, ein Wesen das ebenso mächtig ist durch Hingebung, als jene
durch Handeln.
Ob es (Penthesilea) bei den Forderungen, die das Publikum an die
Bühne macht, gegeben werden wird, ist eine Frage, die die Zeit entscheiden muß. Ich
glaube es nicht und wünsche es auch nicht, so lange die Kräfte unserer Schauspieler auf
nichts geübt werden, als Naturen, <51:> wie die Kotzebueschen und Ifflandschen
sind, nachzuahmen. Wenn man es recht untersucht, so sind zuletzt die Frauen an dem ganzen
Verfall unserer Bühne Schuld, und sie sollten entweder gar nicht ins Schauspiel gehen,
oder es müßten eigene Bühnen für sie, abgesondert von den Männern, errichtet werden.
Ihre Anforderungen an Sittlichkeit und Moral vernichten das ganze Wesen des Drama, und
niemals hätte sich das Wesen der griechischen Bühne entwickelt, wenn sie nicht ganz
davon ausgeschlossen gewesen wären.
Durch die Vermittlung des Gesandten Bourgoing wurde Kleist endlich im
Jahre 1808 aus seiner Gefangenschaft in Chalons entlassen und kehrte mit dem Gelde, das
ihm sein Freund von Rühle als Honorar für den inzwischen bei Arnold in Dresden
erschienenen Amphitryo zugeschickt hatte, nach Berlin heim, wo er doch nur kurze Zeit
verweilte, um bald in Dresden seinen Wohnsitz aufzuschlagen.
Hier verweilten zu der Zeit seine Freunde von Pfuel und Rühle,
letzterer als Gouverneur eines jungen deutschen Prinzen, und wurde Kleist bei Adam Müller
und im Körnerschen Hause eingeführt. Mit Müller, welcher sich schon früher für ihn
interessirt hatte, befreundete er sich sehr bald, und in letzterem Hause verschaffte ihm
Schillers ungemein günstiges Urtheil über ihn die beste Aufnahme.
Kleist lebte in Dresden ganz den Studien und literarischen Arbeiten,
und da er sein Vermögen nun völlig aufgezehrt hatte, mußte er sich auch seinen
Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen.
Man stiftete zu dem Ende die Zeitschrift Phöbus,
welche <52:> er mit Adam Müller, etwa ein Jahr lang, bis sie wieder einging,
herausgab.
Friedrich Laun sagt zwar, daß die Herausgeber an diesem kurzen
Bestande selbst Schuld gewesen seien, indem sie allein die Ausbreitung einer einseitig
beschränkten politischen Gesinnung zum Zwecke der Zeitschrift gemacht, und Kunst und
Poesie davon ausgeschlossen haben. Ich kann aber dem geehrten Autor nicht in diesem
Urtheile beistimmen, da ja doch Kleists beste Werke zuerst im Phöbus abgedruckt waren,
und die glühende, alles daran setzende Vaterlandsliebe, der unversöhnliche Fremdenhaß
Kleists nicht wohl eine beschränkte Politik zu nennen ist.
Unterdessen hatte Kleist die Penthesilea gedichtet, vollendete er den
Kohlhaas, sowie die Mehrzahl seiner Erzählungen, arbeitete den zerbrochenen Krug und
Amphitryo um und schrieb das Käthchen von Heilbronn. Auch lebte zu gleicher Zeit Robert
Guiskard wieder auf, und theilte der Phöbus von ihm und den meisten übrigen Werken
Proben mit. Beweis genug, wie Ernst es damals Kleist war, sich emporzubringen und zu
retten!
Er lernte in dem Körnerschen Hause ein reiches und liebenswürdiges
junges Mädchen kennen, mit dem ihn bald eine gegenseitige Neigung verband. Es schien
ihrer Verbindung eine Weile nichts im Wege zu stehen, und dessen ungeachtet zerschlug sie
sich an dem bloßen Verlangen Kleists, daß ihm die Geliebte ohne des alten Körners,
ihres Vormunds oder Oheims Vorwissen, schreibe. Sie schlug es ab, er wiederholte seine
Bitte nach drei Tagen, in denen er sie nicht besuchte, darauf nach eben so vielen Wochen
und <53:> Monaten und löste zuletzt das Verhältnis auf diese Weise völlig.
Nach dem Bruche begann er das Käthchen von Heilbronn zu dichten, und
ward dazu gewissermaßen von dem schmerzlichen Bedürfnisse angetrieben, seiner ungetreuen
Geliebten beispielsweise an seiner Heldin zu zeigen, wie man lieben müsse. Die Annahme,
daß eine andere Dame seine Verbindung zumeist aus Abneigung gegen ihn gestört habe,
vermochte ihn zugleich, ihren Charakter so sehr ins Schwarze und Häßliche auszumalen,
daß daraus die Uebertreibung seiner Kunigunde entstand.
Aus Niedergeschlagenheit über die Störung dieses Verhältnisses, und
weil es sich zugleich entschied, daß der Phöbus keinen Fortbestand haben werde,
versuchte Kleist schon hier, sich das Leben zu nehmen und fand ihn sein Freund Rühle
eines Herbsttages, von einer starken Dosis Opium, die er zu sich genommen hatte, der
Besinnung beraubt, auf dem Bette liegen.
Vielleicht auch schon zehn Jahre vor Kleists Tod sprach derselbe
seinen Freunden Rühle und Pfuel, an eben der Stelle, wo er sich 1811 wirklich tödtete,
vorüberfahrend, den Gedanken des Selbstmords aus und hegte nur dagegen das Bedenken, daß
man bei einem solchen Versuche des Gelingens nie genug versichert sei. Man nahm zuletzt
gemeinschaftlich als die sicherste Todesart an: daß man zu Kahne auf ein tiefes Wasser
fahre, alle Taschen voll schwerer Steine gepackt, sich auf den Bord setze, und das Pistol
gegen sich abdrücke, um, wo man sich nicht todtschieße, doch jedenfalls ertrinken zu
müssen. <54:>
Dafür, daß er in seinen damaligen Stimmungen schon Momente hatte, in
denen sein Geist geradezu abwesend schien, zeugt eine Szene, die eine seiner Freundinnen,
Frau v. Rühle, auf der Brühlschen Terrasse mit ihm hatte.
Sie gehen hier nemlich eines Tags mit einander schweigend auf und
nieder, und er bricht plötzlich in die Worte aus: Ja, ja, es ist nicht anders, Müller
muß sterben, ich muß ihn ins Wasser werfen, wenn er mir nicht freiwillig seine Frau
abtritt.
Die Freundin fährt erschrocken und erstaunt zurück, da sie bei
Kleist nie die mindeste Leidenschaft zu der Dame wahrgenommen hat, und läßt sich die
Phrase nochmals wiederholen. Kein zur Redesetzen hilft, da er sich nicht auf Erörterungen
einläßt, und als er Müller bald darnach auf der Elbbrücke begegnet, macht er einen
ganz ernsthaften Versuch, ihn über die eiserne Brustwehr in den Fluß zu stürzen.
Er konnte Adam Müller überhaupt damals nicht gut leiden, und
verspottete dessen Passion, schlecht vorzulesen. Müller las eines Abends, durch die Nase,
zum erstenmal das Käthchen vor, bei welchem Kleist selbst nicht erschien, und als ihn
Tieck am andern Morgen fragte, warum er weggeblieben sei, erwiderte er: Ich werde doch
nicht zuhören sollen, wie der Mensch meine Dichtung mißhandelt?
Im Widerspruche damit steht (nach F. Launs Memoiren) Kleists
Aeußerung zu einem andern Freunde, der ihm, seinem Bedürfnisse gemäß, seine eigenen
Arbeiten von Andern vorlesen zu hören, die Herrmannsschlacht vorlesen wollte: Ich
könnte dergleichen von unserm Adam Müller weit <55:> besser haben; aber eben
das Bessere muß ich hierin vermeiden. In Müllers Munde verwandelt sich beim Vorlesen das
geringste Metall in reines Gold, die dürftigste, unverantwortlichste Stelle besticht mein
Ohr, so daß es weit schlimmer ist, als wenn kein Mensch sie mir vorgelesen hat. Du
hingegen, lieber Alter, bist ein grundschlechter Vorleser, Dein Vortrag hebt mir das
Mißrathene erst recht ins helle Licht, und das eben thut mir bei diesen Gelegenheiten
Noth.
Tieck sagt über diese Periode von Kleists Leben:
Die Lage Deutschlands, die trübe Aussicht in eine drohende
Zukunft mußten in jenem Jahre jeden ängsten, der sein Vaterland liebte. Diese Empfindung
und der Zorn über den Hochmuth der Fremden, die Sorge über die Uneinigkeit der Völker
und Fürsten, sowie über die Schwäche, die aus dieser hervorging, bemächtigten sich
völlig des Gemüths unseres Dichters, dessen glühender Haß gegen die Unterdrücker
damals seinen Geist so stimmte, daß alle andern Kräfte in ihm von diesen Gefühlen
gleichsam verschüttet wurden. So dichtete er den Herrmann (der in Dresden zuerst unter
dem Siegel des Schweigens als Manuscript von Hand zu Hand ging).
Nun brach der Krieg gegen Frankreich im Jahre 1809 aus; er
schrieb die Ode Germania und alle seine Hoffnungen erwachten wieder. Er ging
nach Prag, in der Absicht als Schriftsteller der guten Sache förderlich zu werden; auch
finden sich in seinem Nachlasse Fragmente aus jener Zeit, die alle das Bestreben
aussprechen, die Deutschen zu begeistern und zu vereinigen, sowie die
Maschinationen <56:> und Lügenkünste des Feindes in ihrer Blöße
hinzustellen. Versuche in vielerlei Formen, die aber damals, vom raschen Drange der
Begebenheiten überlaufen, nicht im Druck erscheinen konnten, und auch jetzt, nach so
manchem Jahre und nach der Veränderung aller Verhältnisse, sich nicht dazu eignen.
Nachdem Kleist das Käthchen von Heilbronn geschrieben, und Tieck
mitgetheilt hatte, sprachen und stritten sie mannigfach darüber und sagte Tieck ihm unter
anderen eine Meinung über eine merkwürdige Szene, die das ganze Stück gewissermaßen in
das Gebiet des Märchens oder Zaubers hinüberspielte. Kleist mißverstand diese
Aeußerung als Tadel, vernichtete die Szene, ohne daß Tieck eine Ahnung davon hatte, und
als dieser sie in der Folge im Druck vermißte, konnte er nicht aufhören, darüber sein
Bedauern auszusprechen, weil sie die karikirte Häßlichkeit Kunigundens weit besser
motivirt und sie in ein besseres Licht gerückt habe.
Dieser Szene gemäß wandelte Käthchen im vierten Akt auf dem Felsen
und erschien ihr unten im Wasser eine Nixe, die sie mit Gesang und Rede lockte. Käthchen
wollte sich herabstürzen, und wurde nur durch eine Begleiterin gerettet. Vorher
belauschte sie Kunigundens badende Häßlichkeit und war außer sich vor Angst, wie sie
den Ritter vor dem Ungeheuer errette. Aus dieser Schilderung des Bildes erinnerte sich
Tieck noch des schönen Verses:
Da quillt es wieder unterm Stein hervor. <57:>
Von Prag wollte Kleist mit seinem Freunde Pfuel weiter nach Wien
reisen; kam aber nicht bis dahin, weil es die französischen Heere bereits eingenommen
hatten.
Während des Treffens bei Aspern befand er sich im Hauptquartiere des
Erzherzogs, wo er mit einem östreichischen Stabsoffizier in Streit gerieth, welcher ihn
für einen französischen Spion hielt, und eilte er mit vorschneller falscher
Siegesbotschaft nach Prag zurück. Sobald der Frieden geschlossen war, der jede endliche
Hoffnung auf Deutschlands Befreiung zu vereiteln schien, begab sich Kleist mit seinem
Freunde Müller nach Berlin.
Im Jahre 1809 sah ihn die Schwester seiner Braut zum letztenmal in
Frankfurt a. O. wieder, verstimmt und gebeugt durch das fortwährende Unglück des
Vaterlandes, sowie tief gekränkt, daß seine im Druck erschienenen Dichtungen so wenig
Eingang im Publikum gefunden hatten. Er sagte ihr eines Tags eine Strophe aus einem
Gedichte her, welche ihr sehr gefiel, und sie fragte ihn, von wem das sei. Darüber schlug
er sich mit beiden Händen vor die Stirne und sagte in tiefstem Schmerz: Auch Sie kennen
es nicht? O, mein Gott! warum mache ich denn Gedichte?
Ein andermal äußerte er sich in ihrer Gegenwart sehr heftig über
den Selbstmord und sagte etwa: Solch ein Mensch komme ihm gerade so vor, wie ein trotziges
Kind, dem der Vater nicht geben wolle, was es verlange, und das danach hinauslaufe und die
Thür hinter sich zuwerfe.
Wiewohl die Seinigen sehr wünschten, daß er wieder eine Anstellung
suche, widerstrebte Kleist doch lebhaft diesem Verlangen und lebte meist von literarischen
Arbeiten. Er <58:> verbesserte auch nebenher seine Erzählungen und gab unter
dem Titel Abendblätter eine Wochenschrift heraus, die zwar ungleich und
flüchtig von verschiedenen Verfassern geschrieben war; nichts desto weniger aber manches
Erfreuliche von ihm enthalten haben soll. Es wollte meinen Bemühungen niemals gelingen,
ein Exemplar dieser Zeitschrift aufzutreiben.
Wie sehr Kleists edles Gemüth jetzt schon zerrüttet war, erhellt
aus einem seltsamen Briefwechsel, den er im Jahr 1810 mit Herrn Friedrich von Raumer
führte, und dessen Inhalt mit kurzen Worten folgender.
Kleist hatte sich, um allerlei amtliche Unterstützung seines
Journales, an die Staats-Canzlei gewandt, und man würde nicht abgeneigt gewesen sein, sie
ihm zu gewähren, wenn nicht Kleists Verbindung mit Müller, dessen zweideutige
Gesinnungen gegen Preußen man wohl schon damals kannte, Hardenberg bedenklich gemacht
hätte. Wahrscheinlich fühlte Müller dies und reizte Kleist zu dem Glauben, die
Unterstützung werde von Niemand sonst als F. v. Raumer hintertrieben, der in
der Staatskanzlei arbeitete. Kleist schrieb also an denselben ein paar heftige Briefe und
forderte ihn zu einem Zweikampfe heraus. Raumer antwortete ruhig und besonnen, indem er
ihm das Unbegründete seines Verdachtes bewies, und Kleist schrieb ihm nunmehr einen in
demselben Grade demüthigen und abbittenden Brief, als er vorher grob gewesen war. Gegen
einen Vermittler, den Raumer Kleist zugeschickt, hatte derselbe unter vielen Thränen
persönlich Abbitte gethan. <59:>
Kurze Zeit nach diesem Vorfalle fand sich Müller bewogen, Berlin und
Preußen ganz zu verlassen.
Es ist mir interessant, daß Herr von Varnhagen meine eigene
Vermuthung, der so höchst sophistische Adam Müller habe nur ungünstig, besonders in der
letzten Zeit, auf Kleist einwirken können, in einem Briefe an mich bestimmt theilt, und
ausspricht, daß gerade der Umgang mit Müller ihn von dem Kreise abgehalten habe, der ihn
hätte retten können, nemlich von dem Staatskanzler, mit dem sich Müller in Feindschaft
gestellt hatte, indem er Kleist dem Kreise zuführte, in welchem er zu Grunde
ging. Es ist Herrn von Varnhagen auch keinem Zweifel unterworfen, daß die äußere Noth
und Hoffnungslosigkeit, in der sich Kleist befand, ihn am stärksten zum Selbstmord
getrieben, und daß er doch ohne die Gefährtin seines Todes, zu der ihn
Müller geführt, denselben nimmermehr vollbracht hätte.
Eine andere Unannehmlichkeit hatte Kleist um diese Zeit mit Iffland,
dem er als Direktor des Berliner Theaters das Manuscript seines Käthchens zur Aufführung
geschickt. Iffland verzögerte seine Antwort und seinen Entschluß wegen der Anfrage und
es wurde Kleist hinterbracht, daß er sich sehr geringschätzend über das Schauspiel
ausgesprochen habe. Kleist ließ also, in seiner Erbitterung, einen zweiten äußerst
groben und in einer so eigenthümlichen Weise beleidigenden Brief an Iffland abgehen, daß
ein Ehrenmann darauf kaum versöhnlich antworten konnte. Nichts desto weniger muß ich
gestehen, daß in dem mir vorliegenden demüthigen und feigen Briefe, mit welchem Kleist
sein Manuscript zurück- <60:> erhielt, der große Schauspieler keine
ehrenvolle Rolle spielt.
Als ein anderes Wahrzeichen von Kleists damaligem Geisteszustande ist
auch eines Briefes zu erwähnen, den er in diesem Jahre dem Maler Hartmann nach Dresden
schrieb, und durch die Post zugehen ließ, und wegen dessen Zweck und Inhalt ich mir
erlaube, als das bestbeglaubigte Zeugniß eine Stelle aus F. Launs Memoiren hier
anzuführen:
Kleist war der unversöhnlichste Feind der Franzosen, als
Unterdrücker Deutschlands und vor Allem des französischen Kaisers. Ihn aus dem Wege zu
räumen, durch welche Mittel es auch geschehen möchte, würde ihm für die höchste
Tugend gegolten haben, und als er Dresden verließ, befürchtete eben der Freund, dessen
Güte er seitdem mehrmals zum Vorlesen seiner neugeschaffenen Werke in Anspruch genommen
hatte, gar sehr, er könne in seiner Verblendung wohl so weit gegangen sein, selbst einen
rächenden Brutusarm gegen den neuen Cäsar zu erheben. Und kurz nach seiner Entfernung
von Dresden schon langt ein Brief an, worin Kleist seinen Freund ersucht, ihm eine
Quantität Arsenik zu besorgen und zuzusenden, da er an seinem jetzigen Aufenthaltsorte
keinen Arzt kenne, welcher ihm zu dergleichen behülflich sein würde; die Apotheker oder
andere den Artikel führende Gewerbtreibende aber ihn ohne besondere Ausweisung über den
Gebrauch als Nichtmediziner nicht verabfolgen lassen durften.
Der Beauftragte, in der festen Ueberzeugung, Kleist denke das
Gift nach dem Vollbringen des beabsichtigten Unternehmens im Nothfalle gegen das eigene
Leben anzuwen- <61:> den, gerieth natürlich in große Verlegenheit, wurde aber
bald mit sich einig, keinenfalls darauf einzugehen. Vielmehr suchte er ihm in einem Briefe
ausführlich darzuthun, daß Kleist, allen seinen Eigenschaften nach, sich durchaus nicht
eigne, die blutige Rolle mit Erfolg durchzuführen. Sodann behauptete er auch, in
Rücksicht des Ankaufs ganz in dem Falle zu sein wie er, und Niemand zu wissen, durch den
er ihn könne bewirken lassen.
Hierauf aber erhält er mit Stafette einen zweiten Brief. Die
Bedenken wegen des Erfolgs sind darin mit Geschicklichkeit abgeworfen, zugleich
angekündigt, daß ein gemeinschaftlicher guter Bekannter von ihnen beiden, ein
Gutsbesitzer, den Arsenik in einer zum Gute gehörigen Apotheke besorgen und ihn, dem
vormaligen Vorleser, übersenden werde, von dem er das Gift sodann ohne Verzug zugeschickt
erwarte.
Wirklich ist dies auch keine leere Vertröstung. Der Arsenik
trifft ein, doch steht der Beauftragte natürlich mit dem Absenden an und überläßt ihn
einer Apotheke in Dresden.
Trotz allen wunderlichen Seitensprüngen seines Geistes dichtete
Kleist zu gleicher Zeit sein Meisterwerk, den Prinzen von Homburg, welches auf
nachstehende Weise hervorgerufen wurde.
Seine Familie hatte ihm nehmlich durch Empfehlungen die Hoffnung zu
erregen gewußt, mit der Dichtung eines vaterländischen Schauspiels eine öffentliche
Unterstützung zu verdienen. <62:>
Er ergriff den Gedanken mit Begeisterung und man sehe das Kunstwerk so
mißliebig als man wolle an, bleibt es doch, neben Kleists Herrmann, das einzige
Schauspiel seiner Art, dessen Lektüre oder Aufführung, im Falle der Noth,
brandenburgisch-deutsche Vaterlandsliebe zu erwecken fähig ist. Der arme, Welt und
Menschen hierin verkennende Dichter hatte seinen Stoff mit rechtem Bewußtsein
ausgewählt, und mußte nun dagegen an sich, traurig genug, die Wahrheit erleben: daß
eben das Positive des Talentes in der Regel derlei Absichten zu Grabe trägt. Sein Stück
mißfiel und seine eigene Enttäuschung darüber führte ihn, mit dem Unglück seines
Vaterlandes, der öffentlichen Verleugnung seines Talentes, seiner hülfsbedürftigen Lage
verbunden, der Stimmung, welche ihm den Tod gab, in die Arme.
Tieck hat übrigens das große Verdienst, daß er den Prinzen von
Homburg vor der wahrscheinlichen Vernichtung rettete. Er las das Manuscript seit dem Jahre
1814 so oft in seinen Kreisen vor, daß er ihm Freunde gewann und es endlich drucken
lassen konnte.
Aus der Zeit seines letzten Aufenthaltes in Berlin sind folgende
Aeußerungen Kleists.
Das Leben, das ich führe, ist seit Ihrer und A. Müllers
Abreise gar zu öde und traurig. Auch bin ich mit den zwei oder drei Häusern, die ich
hier besuchte, seit der letzten Zeit ein wenig außer Verbindung gekommen und fast
täglich zu Hause, vom Morgen bis auf den Abend, ohne auch nur einen Menschen zu sehen,
der mir sagte, wie es in der Welt steht. Sie helfen sich mit ihrer
Einbildungs- <63:> kraft und rufen sich aus allen vier Weltgegenden, was Ihnen
lieb und werth ist in Ihr Zimmer herbei. Aber diesen Trost, wissen Sie, muß ich
unbegreiflich unseliger Mensch entbehren. Wirklich, in einem so besonderen Falle ist
vielleicht noch kein Dichter gewesen. So geschäftig, dem weißen Papier gegenüber, meine
Einbildung ist und so bestimmt in Umriß und Farbe die Gestalten sind, die sie alsdann
hervorbringt, so schwer, ja ordentlich schmerzhaft ist es mir, mir das, was wirklich ist,
vorzustellen. Es ist, als ob diese in allen Bedingungen angeordnete Bestimmtheit meiner
Phantasie im Augenblick der Thätigkeit selbst Fesseln anlegte. Ich kann, von so vielen
Formen verwirrt, zu keiner Klarheit der innerlichen Anschauung kommen; der Gegenstand,
fühle ich unaufhörlich, ist kein Gegenstand der Einbildung: mit meinen Sinnen in der
wahrhaftigen lebendigen Gegenwart möchte ich ihn durchdringen und begreifen. Jemand der
anders hierüber denkt, kömmt mir ganz unverständlich vor, er muß Erfahrungen gewonnen
haben, ganz abweichend von denen, die ich darüber gemacht habe. Das Leben mit seinen
zudringlichen immer wiederkehrenden Ansprüchen, reißt zwei Gemüther schon in dem
Augenblick der Berührung so vielfach auseinander, um wie viel mehr, wenn sie getrennt
sind. An ein Näherrücken ist gar nicht zu denken, und Alles, was man gewinnen kann, ist,
daß man auf dem Punkte bleibt, wo man steht. Und dann der Trost in verstimmten und
trübseligen Augenblicken, deren es heut zu Tage so viele gibt, fällt ganz und gar weg.
Kurz, Müller, seitdem er weg ist, kömmt mir wie todt vor, ich empfinde auch ganz
denselben Gram um ihn, und <64:> wenn ich nicht wüßte, daß Sie wieder kommen
werden, würde mir es mit Ihnen eben so ergehen.
Ich fühle, daß mancherlei Verstimmungen in meinem Gemüth sein mögen, die sich in
dem Drange der widerwärtigen Verhältnisse, in denen ich lebe, immer noch mehr
verstimmen, und die ein recht heiterer Genuß des Lebens, wenn er mir einmal zu Theil
würde, vielleicht ganz leicht harmonisch auflösen würde. In diesem Falle würde ich die
Kunst vielleicht auf ein Jahr oder länger ganz ruhen lassen, und mich, außer einigen
Wissenschaften, in denen ich noch nachzuholen habe, mit nichts als mit Musik
beschäftigen. Denn ich betrachte diese Kunst als die Wurzel, oder vielmehr, um mich
schulgerecht auszudrücken, als die algebraische Formel aller übrigen, und so wie wir
schon einen Dichter haben, mit dem ich mich übrigens auf keine Weise zu
vergleichen wage, der alle seine Gedanken über die Kunst, die er übt, auf
Farben bezogen hat, so habe ich von meiner frühesten Jugend an alles Allgemeine, was ich
über die Dichtkunst gedacht habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, daß im Generalbaß die
wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind.
Unsere Verhältnisse sind hier, wie Sie vielleicht schon wissen werden, peinlicher
als jemals. Man erwartet den <65:> Kaiser N. zum Besuch, und wenn dies
geschehen sollte, so werden vielleicht ein paar Worte ganz leicht und geschickt alles
lösen, worüber sich hier unsere Politiker die Köpfe zerbrechen. Wie diese Aussicht auf
mich wirkt, können Sie sich leicht denken; es ist mir ganz stumpf und dumpf vor der
Seele, und es ist auch nicht ein einziger Lichtpunkt in der Zukunft, auf den ich mit
einiger Freudigkeit und Hoffnung hinaussähe. Vor einigen Tagen war ich noch bei G.... und
überreichte ihm ein paar Aufsätze, die ich ausgearbeitet hatte: aber dies Alles scheint
nur, wie der Franzose sagt: moutarde après diner. Wirklich ist es sonderbar, wie
mir in dieser Zeit alles, was ich unternehme, zu Grunde geht, wie sich mir immer, wenn ich
mich einmal entschließen kann, einen festen Schritt zu thun, der Boden unter meinen
Füßen wegzieht. G.... ist ein herrlicher Mann: ich fand ihn Abends, da er sich zu einer
Abreise anschickte und war in einer ganz freien Entfaltung des Gesprächs nach allen
Richtungen hin wohl bis um 10 Uhr bei ihm. Ich bin gewiß, daß, wenn er den Platz
fände, für den er sich geschaffen und bestimmt fühlt, ich irgend wo in seiner Umringung
den meinigen gefunden haben würde. Wie glücklich würde mich dies in der Stimmung, in
der ich jetzt bin, gemacht haben; es ist eine Lust, bei einem tüchtigen Mann zu sein.
Kräfte, die in der Welt nirgend mehr an ihrem Orte sind, wachen in solcher Nähe und
unter solchem Schutze wieder zu einem neuen freudigen Leben auf. Doch daran ist nach
Allem, was man hier hört, kaum mehr zu denken. <66:>
Sobald ich mit dieser Angelegenheit fertig bin, will ich einmal wieder etwas recht
Phantastisches vornehmen. Es weht mich zuweilen bei einer Lektüre oder im Theater, wie
ein Luftzug aus meiner allerfrühesten Jugend an. Das Leben, das vor mir ganz öde liegt,
gewinnt mit einemmale eine wunderbare herrliche Aussicht, und es regen sich Kräfte in
mir, die ich ganz erstorben glaubte. Alsdann will ich meinem Herzen ganz und gar, wo es
mich hinführt, folgen, und schlechterdings auf nichts Rücksicht nehmen, als auf meine
eigene innerliche Befriedigung. Das Urtheil der Menschen hat mich bisher viel zu sehr
beherrscht, besonders das Käthchen von Heilbronn ist voll Spuren davon. Es war von Anfang
herein eine ganz treffliche Erfindung und nur die Absicht, es für die Bühne passend zu
machen, hat mich zu Mißgriffen verführt, die ich jetzt beweinen möchte. Kurz, ich will
mich von dem Gedanken ganz durchdringen, daß, wenn ein Werk nur recht frei aus dem Schoos
des menschlichen Gemüths hervorgeht, dasselbe auch nothwendig darum der ganzen Menschheit
angehören müsse.
Am Schlusse seines Vorworts zu Kleists sämmtlichen Werken sagt Tieck
über ihn das Folgende:
Im Jahre 1811 trat die letzte Szene seines traurigen Schicksals
ein, zu früh und beklagenswerth, sowohl für ihn als für die Literatur, in der er durch
höhere und freiere Ausbildung weit mehr hätte leisten können. Das Vaterland verlor
durch diese freiwillige Zerstörung einen seiner edelsten Söhne, kurz vor der
Wiedergeburt und der Vernichtung jener Verhältnisse, die ihn
ängstigten. <67:>
Wenn man diese wenigen Bekenntnisse aufmerksam liest, und damit die Empfindung
vergleicht, die uns bei allen Werken des Verfassers mehr oder minder beherrscht, so fühlt
man deutlich, daß das Gemüth des Dichters nicht mit sich einig, daß er weder in der
Wirklichkeit noch Kunst das Glück und die Beruhigung finden konnte, die beim Schaffen
unerläßlich, die, um die Beschwerden und Freuden des Lebens zu tragen, nicht zu
entbehren sind. Diese tiefe Disharmonie, diese grellen Widersprüche, die das Leben zu
zerstören drohen, schlafen wohl in den Gemüthern der meisten Menschen, ja man kann
vielleicht sagen, der Mensch und sein Charakter gehen erst aus ihnen hervor, und um so
mehr, wenn ihm die Natur irgend ein ausgezeichnetes Talent verliehen, ihm eine
vorzügliche Stellung in der Gesellschaft angewiesen hat. Den gewöhnlichen Menschen
drücken und ängsten diese Widersprüche seines Wesens nicht oder wenigstens nicht auf
lange; die jugendliche Ungenügsamkeit beschwichtigt sich bald in irgend einem
herkömmlichen Beruf, in den Gewohnheiten der Welt und alltäglicher Beschäftigung und
Zerstreuung; dagegen hat die Jugendgeschichte solcher Menschen, die innerer Trieb und
Enthusiasmus zu den Wissenschaften führt, vorzüglich aller Künstler und Dichter, darum
etwas Ausgezeichnetes, und unter sich zugleich eine große Aehnlichkeit, weil alle mehr
oder minder diesen Trübsinn, den die Widersprüche der gewöhnlichen Welt und die
Unbekanntschaft des eigenen Innern erregen, niederzukämpfen und zu überwinden haben. Das
Schicksal sorgt in der Regel dafür, daß ein edler Leichtsinn tröstend über diese
Klippen der Wanderer leitet, oder daß sich die <68:> Krankheiten der Phantasie
selber heilen, wohl auch, daß die hohe Erscheinung der Natur, oder Religion und
Philosphie das Herz beruhigt und es dem Künstler vergönnt wird, ganz und mit voller
Seele seiner Kunst zu leben, so daß er aus seinem Innern die Welt und ihre Erscheinungen
begreift, und wieder das Leben und dessen Ereignisse sein Gemüth mit immer neuen
Gestaltungen erfrischen. Oft aber läßt es das Schicksal zu, daß der Geist nie das
Genügen findet, im Streben nach dem Bessern sich abmattet, zwischen Hochmuth und
Verzweiflung an sich selbst, wechselnd ringt, und im kalten Verdruß und kränklicher
Empfindlichkeit sich und andere nicht mehr versteht; dies sind die hypochondrischen
ängstlichen Wesen, die durch Wissenschaft und Kunst verlockt, wie Tantalus an der Quelle
des Lebens schmachten. Nur selten zeigt die Natur die grausame Laune, daß sich Talent,
Neigung, Widerspruch und Charakter so mischen, und streitend verwirren, daß das irdische
Dasein selbst sich zerstört. Und unter diesen Seltenern fordern Wenige so unser Mitleid,
unsere Achtung und Theilnahme auf, wie Heinrich von Kleist. In einer höchst bewegten Zeit
lebend, war es seinem starken Herzen unmöglich, nicht die Bedrängniß der Gegenwart ganz
und voll zu fühlen; er war ganz Deutscher und liebte sein Vaterland Brandenburg noch
inniger, als die übrigen verwandten Stämme. Seine Zeit aber verwandelte sich ihm
gleichsam zum Gespenst, so daß er nicht ruhig das Unglück fest anschauen und mit klarem
Auge nach der Zukunft sehen konnte, so sehr ihn diese Zeit bedrängte, wurde sie ihm durch
brütende Trauer doch fast nur in einen ängstenden Traum verwan- <69:> delt.
Die Poesie war diesem finstern Gemüthe nur auf Augenblicke ein Labsal, keine Heilung, der
unglückliche Dichter konnte ihr nicht leben und sich in ihr beruhigen, die Gegenwart
verdunkelte ihren Glanz, und sie war daher nicht fähig, ihm die äußere Welt mit
milderem Schimmer zu erheitern. Vielleicht waren seine häufigen schweren Krankheiten
vorzüglich Folgen seines zerrütteten Gemüths; man wird versucht anzunehmen, daß schon
von früher Zeit eine dunkle Macht ihn geistig von innen heraus zerstört habe. Er konnte
im Leben die Stelle nicht finden, die ihm zusagte, und die Phantasie vermochte ihm den
Verlust der Wirklichkeit auf keine Weise zu ersetzen. Wenn er zuletzt auch wohl nicht an
seinem Talent verzweifelte, so mußte es ihn doch betrüben und verstimmen, daß die Welt
um ihn so wenige Kunde von seinen Arbeiten nahm. Denn auch darin ist dieser Dichter
unglücklich zu nennen, daß in einer Zeit, in welcher sich nur wenig Ächtes in unserer
Literatur zeigte, er fast unbemerkt blieb, indessen neben ihm Autoren berühmt wurden,
weil sie dem krankhaften Bedürfniß der Zeit fröhnten, neben andern, von denen sich gar
nicht angeben läßt, warum ihnen dieser Vorzug wurde.
Sein plötzlicher freiwilliger Tod erschütterte alle seine
Freunde, sowie alle diejenigen, die sein großes Talent und seinen edlen Charakter
achteten, indessen aus dem gemeinen Haufen Manche schadenfroh Märchen glaubten und
höhnend verbreiteten, weil der Unverstand nur allzugern das Hohe des Menschen beschmutzt
und in jedem Einzelnen das zu bekämpfen wähnt, was ihn in manchen dunkeln Stunden
ängstigt. Einige mehr wohlwollende als vorsichtige, zu <70:> partheiische
Freunde wollten diese seltsame erschreckende That mit Lobpreisungen verherrlichen und
schadeten dadurch dem Abgeschiedenen, den sie zu erheben suchten. Eine That wie diese,
steigt, wenn wir sie vernehmen, mit einem heiligen Erschrecken in unsere Seele; ein tiefes
Mitleid läßt lange kein Urtheil zu, ebenso wenig ein bewunderndes, wie ein schnöde
verhöhnendes. Was man aber so häufig erzählt hat, um diese tragische Begebenheit zu
einer romantischen Novelle umzugestalten, ist völlig ungegründet. Keine Leidenschaft der
Liebe, kein Drang der Verhältnisse, keine Verzweiflung des Herzens trieben ihn in sein
freiwillig erwähltes Grab. Seit vielen Jahren hatte sich ein kalter Lebensüberdruß in
seiner Seele festgesetzt; er hatte sein Vaterland, ja Deutschland und mit diesen höchsten
Gütern sich selber aufgegeben. Eine Frau, die an einem schrecklichen unheilbaren Uebel
krankte, das einen schmerzhaften Tod unvermeidlich herbeiführen mußte, läßt sich in
trüber Stunde ein Wort, ja einen Schwur von ihm geben, ihr einen Dienst zu leisten,
sobald sie ihn fordern würde. Er verspricht dies der Freundin und sie begehrt den Tod von
ihm, da jeder Arzt, seiner Pflicht, getreu ihr Leben so lange als möglich fristet. Dies
Versprechen und das Halten des Wortes ist ohne Zweifel Krankheit des Gemüthes, und eine
Reise, ein wichtiges Geschäft hätten den
Unglücklichen gewiß, vielleicht sogar ein Freund, dem er sich vertraute, über diese
schreckliche Minute hinübergeführt. Und wenn es den Abgeschiedenen vergönnt ist, von
den hiesigen Dingen noch zu wissen, mit welcher Wehmuth und Reue muß sein Geist sich
herabgesehnt haben, als seine Freunde und Brüder, für König und Vater- <71:>
land, im edelsten Streit der neuern Tage, auf der Ebene von Lützen standen, für die
Sache siegend, der sein irdisches Herz fast zu ungestüm geschlagen hatte. Daß er in
diesem Kriege nicht mit siegen oder in ihm fallen konnte, ist für ihn Strafe genug für
sein Vergehen gewesen, wenn es nach den Begriffen der Meisten ein solches ist, auf das
Leben zu früh zu verzichten.
Kurz vor seinem Tode hat er alle seine Papiere vernichtet. Ein langer
Aufsatz, der die Geschichte seines Innern enthielt, soll vorzüglich interessant gewesen
sein. Vielleicht besitzt einer seiner vertrauteren Freunde noch eine Abschrift und macht
in Zukunft einiges davon bekannt. Er war gewissenhaft ängstlich in seinen Arbeiten, sie
rückten nicht schnell vor, er änderte oft und arbeitete wieder um. Er selbst war am
schwersten zu befriedigen.
Der Herausgeber erwarb seine Bekanntschaft im Sommer 1808 in
Dresden. Er hatte damals eben sein Schauspiel Käthchen von Heilbronn vollendet.
Heinrich von Kleist war von mittlerer Größe und ziemlich
starken Gliedern, er schien ernst und schweigsam, keine Spur von vordringender Eitelkeit,
aber viele Merkmale eines würdigen Stolzes in seinem Betragen. Er schien mir mit den
Bildern des Torquato Tasso Aehnlichkeit zu haben; auch hatte er mit diesem die etwas
schwere Zunge gemein.
Ueber die Katastrophe von Heinrich von Kleists Tode hatte man zu ihrer Zeit eben so wohl
mit unziemlichem <72:> Enthusiasmus als mit gemeiner Entstellung der Thatsachen
öffentlich gesprochen und da man bis in die neueste Zeit nicht müde geworden ist, den
falschen diesfallsigen Gerüchten theilweise Glauben beizumessen, mag hier eine
ausführliche Schilderung der tragischen Wahrheit ihren Platz finden. Ich habe dieselbe
aus den mündlichen Mittheilungen der vertrautesten noch lebenden Freunde Kleists sowie
der Angehörigen seiner Todesgenossin zusammengestellt, und sie stimmt auch vollkommen mit
dem Zeugnisse überein, das Adam Müller im Dezember des Jahres 1811 in einem Wiener
Blatte von dem Ende des unglücklichen Dichters abgelegt hat.
Derselbe wurde in den letzten Jahren seines Lebens in Berlin durch
Adam Müller mit einer Frau bekannt, ich werde sie hier, so wie Kleist immer
that, mit ihrem zweiten Taufnamen Henriette nennen die mit vielen glücklichen
Gaben des Geistes und Herzens ausgeschmückt war und nur an dem Hauptfehler eines tiefen
Mißtrauens zu sich selbst litt, einer Unbefriedigung mit ihrem eigenen Thun und Lassen,
einem geheimen Widerstreiten mit den Verhältnissen dieser Erde, sowie sie selbige kennen
gelernt hatte.
Unheilbare körperliche Krankheitszustände kündigten sich bei ihr
an, und da ihr zerrissener Gemüthszustand sich schon längst mit dem Leben abgefunden
hatte, so war ihr gerade zu der Zeit, als sie ihrem unglücklichen Freunde begegnete, das
Räthsel gelöst. Wie sie selbst, über die Ansprüche des Lebens getäuscht, betrachtete
er schon seit langer Zeit den Todesgedanken als eine bloße Würze des geschmacklosen
Lebens und sah, nachdem alle Arbeiten seiner Thätigkeit <73:> fruchtlos
untergegangen waren, gleichfalls das Ende seines Daseins und der Dinge, die ihn gereizt
hatten, deutlich herannahen.
Von Leidenschaft war in ihrem Verhältnisse zu einander keine Rede,
und konnte dies auch, nach dem Zeugnisse ihres Arztes, Joh. Benj. Erhard nicht wohl sein.
Manche vertraute Briefe Kleists aus früherer Zeit sollen sogar den Beweis führen, daß
er eher das Gegentheil als Zärtlichkeit für Henrietten gefühlt habe. Was sie zu
einander führte und Kleist bald zu ihrem Hausfreunde machte, war die Sympathie in ihren
trüben Stimmungen und ihre gemeinschaftliche Liebe zur Musik. Sie musizirten und sangen
zusammen, vorzüglich alte Psalmen, und freuten sich gegenseitig an ihrem Talente.
Als es Kleist eines Tages schien, seine Freundin habe ganz besonders
schön gesungen, sagte er zu ihr mit einem ihm wohl aus seiner Jugend überbliebenen
Ausdrucke uniformirter Begeisterung: das ist zum Erschießen schön! Sie sah ihn in dem
Augenblicke bedeutend an und erwiederte kein Wort; in einer einsamen Stunde kam sie aber
auf diese ihm entschlüpfte Aeußerung zurück. Sie fragte ihn: ob er sich noch des
ernsten Wortes erinnere, welches sie ihm schon früher einmal abgenommen habe, ihr im Fall
sie ihn darum bitte, jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst zu leisten? Seine
ritterliche Antwort war: er sei dazu zu jeder Zeit bereit, und sie sagte ferner: Wohlan!
so tödten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr
zu ertragen vermag. Es ist freilich nicht wahrscheinlich, daß Sie dies thun, da es
keine <74:> Männer mehr auf Erden gibt; allein
Ich
werde es thun, fiel ihr Kleist in das Wort, ich bin ein Mann, der sein Wort
hält!
Der unglückliche Dichter beging also mit kalter Besonnenheit die
That, aus der ihm doch nur der Wahnsinn hätte mit der Verpfändung seines Wortes eine
Pflicht machen können, und es war natürlich, daß er, nachdem er seine Freundin
erschossen hatte, nicht selbst weiter leben konnte.
So ohne Falsch und ohne Ziererei irgend einer Art Kleist sein ganzes
Leben lang gewesen war, wird ihn der billige und edlere Beurtheiler gewiß frei von dem
verdächtigen theatralischen Lichte sprechen, welches einerseits falsche Emphase,
anderseits der Unverstand darauf haben werfen wollen.
Wie fest schon im Laufe dieses Sommers sein Entschluß, sich zu
tödten stand, beweist der Brief 23., welchen Kleist am 11. August an Fouqué schrieb, wenn ich, nach persönlicher
Ueberlieferung, die Stelle: Inzwischen kommt es mir vor u. s. w.
dahin erkläre, daß der wunderbare Mann unter anderen Freunden auch Fouqué zu
bereden gesucht hatte, mit ihm gemeinsam und freiwillig die Welt zu verlassen. So sehr war
der Schritt sein unentäußerliches Bedürfniß geworden und so sehr scheute er sich, ihn
allein zu thun. Auch Fouqué lehnte, wie Andere, Kleists Vorschlag ab, und dieser
zog sich von der Zeit an mit seiner getäuschten Erwartung von ihm zurück. Kleist hatte
mit seiner Freundin zuerst beabsichtigt, sich in Kottbus zu tödten, von wannen ein dort
lebender Freund ihres Hauses ihrem Gat- <75:> ten die Todesbotschaft
hinterbringen sollte. Ein Zufall durchkreuzte indessen diesen Plan und so fuhren beide am
Nachmittage des 20. Novembers 1811 von Berlin nach dem, an der Hochstraße eine Meile
vor Potsdam, gegenüber dem letzten Chausseehause und dicht bei der Wansee gelegenen neuen
Kruge, der damals nach dem Namen seines Wirths zum Stimming hieß.
Sie brachten hier den Abend und den andern Morgen in anscheinender
Heiterkeit und Unbefangenheit, die dazwischen liegende Nacht wahrscheinlich Briefe
schreibend zu und setzten ihr Vorhaben endlich um die vierte Nachmittagsstunde des
21. Novembers ins Werk. Die dazu von ihnen erwählte Stätte befindet sich etwa
fünfhundert Schritte weit vom Gasthause an dem erhöhten mit Föhren bewachsenen sandigen
Ufer der Wansee, die sich hier bis auf fünfzig Schritte zusammengezogen hat und von dem
Hochwege überbrückt worden ist.
Die nähern Umstände ihrer letzten verhängnißvollen vier und
zwanzig Stunden sind merkwürdig genug und ich theile darum im Anhange einen Abdruck des
amtlichen Berichtes mit, welchen der Wirth über das Ereigniß eingereicht hat.
Ein Förster, dessen Wohnung in der Nähe, war einer der Ersten,
welche auf die erfolgten zwei Schüsse an Ort und Stelle eilten, und fand, nach seiner
mündlichen Aussage gegen mich, Henriettens Leiche in einer durch das Ausroden eines alten
Baumes entstandenen Vertiefung, mit gefaltenen Händen ausgestreckt. Kleist hatte sie so
sicher durch das Herz geschossen, daß kein Tropfen <76:> Blut danach geflossen
war, und kniete selbst, todt, vor ihr mit durchschossenem Kopfe.
Das unglückliche Paar ist, nach seinem eigenen Verlangen, an
derselben Stelle neben einander beerdigt worden, und, wenn eine Nachricht wahr ist, welche
man mir in Berlin aus zuverlässiger Quelle mitgetheilt, wird das Verhängnißvolle ihres
beiderseitigen Todes noch dadurch erhöht, daß vorgenannter Dr. Erhard,
nach ihrem Tode, den Zustand ihres Körpers für normal erklärt hat, und daß danach also
die Erklärung eines Chirurgen gegen Henrietten, welche eben darauf ihren Entschluß zu
sterben begründet zu haben scheint: daß sie an einem unheilbaren Uebel leide, eine
bloße Täuschung gewesen wäre.
Zur näheren Charakterisirung dieser wunderbaren Frau ist es mir
erlaubt, im Anhange einige Gedanken mitzutheilen,
welche sie kurz vor ihrem Tode für eine vertraute Freundin aufgeschrieben hat. Dieselben
zeugen eben so wohl für die Ueberspannung ihres Innern, als ein mir vorliegender Brief
ihres Freundes, des Kriegsrathes Pequilhen, worin er von ihr erzählt, daß ihre
Lieblingsunterhaltung immer nur die Fortdauer nach dem Tode und die Glückseligkeit im
Himmel betroffen habe.
Kleists Gemüthsstimmung unmittelbar vor seinem Tode bethätigt der
ebenfalls im Anhange abgedruckte Brief, welchen er gemeinsam mit Henrietten an Frau von
Müller nach Wien geschrieben hat.
Gleichzeitig mit seinem Tode soll sich für ihn auch die Aussicht auf
Unterstützung von Seiten des Staats verwirk- <77:> licht haben, welche,
früher eingetreten, sein Leben dennoch würde haben retten können.
An so dünnen Himmelsfäden hängen oft alle unsere menschlichen Geschicke!
Wenige Tage nach Kleists Tode (den 26. November) erschien in der
Berliner (Vossischen) Zeitung folgende Anzeige:
A. V. geb. K. und Heinrich von Kleist haben am
21. November gemeinschaftlich diese Welt verlassen, aus einem Verlangen nach einer
bessern.
Beide hinterlassen Freunde und Freundinnen, und dazu gehören nicht
blos diejenigen, welche so glücklich waren, mit ihnen zu leben, sondern die verwandten
Geister aller Jahrhunderte, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Daher halte
ich für Pflicht, nach dem Wunsche und mit dem Beistande meines Freundes, des
tiefbetrübten Gatten der Verewigten, einige Bruchstücke über die Katastrophe
vorzulegen, welche ihrem Leben ein Ende machte, und das soll hoffentlich noch in diesem
Jahre geschehen.
Das Publikum bitte ich, sein Urtheil bis dahin aufzuschieben, und
nicht zwei Wesen lieblos zu verdammen, welche die Liebe und Reinheit selbst waren. Es ist
von einer That die Rede, wie sie nicht alle Jahrhunderte gesehen haben, und von zwei
Menschen, die nicht mit einem gewöhnlichen Maßstabe gemessen werden können. Ob es mir
aber gelingen wird, der bloßen Neugierde derer zu genügen, die, gleich dem Chemiker, nur
ohne seinen Beruf nicht eher ruhen, bis der Diamant in gemeine Kohle und Gas
verwandelt daliegt, daran zweifle ich selbst. Diesen rathe <78:> ich sehr, die
angekündigte, für Freunde und Freundinnen in obigem Sinne bestimmte Schrift nicht zu
lesen, wenn sie dieselbe auch zum Besten der wohlthätigen Anstalt, für welche der Betrag
bestimmt ist, kaufen sollten.
Pequilhen
als Vollstrecker
des letzten Willens
der
beiden Verewigten.
Es ist
übrigens bekannt, daß der Schreiber dieser Zeilen mit seiner Auffassung der That, in dem
so leicht feuerfangenden Berlin, keineswegs allein stand und daß die so ungemäßigte
Partei des Für die nicht hinter ihr zurückbleibende Partei des Wider erst recht
aufregte. Die angekündigte Schrift ward durch den Willen einer hohen Person vor dem
Erscheinen unterdrückt, und es ist eben so wenig aus dem Denkmal geworden, welches Adam
Müller, der noch 1812 Nachrichten dazu sammelte, den beiden Todten setzen wollte. In
einem seiner Briefe spricht er davon, daß unter allen europäischen Blättern, die sich
mit ihrem Tode befaßt, die Times den ruhigsten und besten Originalartikel darüber
gebracht haben.
In einem Briefe an Marwitz, sagt auch Rahel, den 23. Dezember,
also sehr bald nach Kleists Tode, von diesem Ereignisse:
Ich freue mich, daß mein edler Freund, denn Freund ruf ich ihm
bitter und mit Thränen nach, das Unwürdige nicht duldete; gelitten hat er genug. Keiner
von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht, Nächte gewidmet,
Nachsicht mit ihm gehabt, hätt er sich ihm nur <79:> zerstört zeigen
können. Ich weiß von seinem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann sich erschossen
hat. u. s. w.
Rahel lebte mit Kleist vertraut und gibt also, indem sie nichts von
Henrietten in Beziehung zu ihm weiß, nicht nur einen neuen Beleg dafür, daß das
Verhältniß, von dem seine Freunde sonst gewiß gesprochen hätten, kein zärtliches
gewesen sein kann, sondern auch, daß wirklich Mangel ein Hauptgrund zu der That war.
Kurz vor seinem Tode hatte Kleist den folgenden Zettel an Rahel
geschrieben:
Obschon ich das Fieber nicht hatte, so befand ich mich doch, in
Folge desselben unwohl, sehr unwohl, ich hätte einen schlechten Tröster abgegeben. Aber
wie traurig sind Sie in Ihrem Brief; Sie haben in Ihren Worten so viel Ausdruck als in
Ihren Augen. Erheitern Sie sich. Das Beste ist nicht werth, daß man es bedaure. Sobald
ich den Steffens ausgelesen, bringe ich ihn zu Ihnen.
Ihr
H. v. Kleist.
Es war schon seit längeren Jahren mein Wunsch gewesen, Heinrich von
Kleists Grab zu besuchen und ich hatte mich bis ihn mir die Verhältnisse erfüllten,
genau nach der Stätte erkundigt, von welcher man mir sagte, daß sie kaum noch
aufzufinden sei, und daß die Zeit den Sand der beiden kleinen Hügel von Jahr zu Jahre
mehr verwehe.
Ich glaubte dafür halten zu dürfen, daß dies eben
so <80:> wohl Deutschlands als unserer Zeit unwürdig sei, und das hohe Talent
des unglücklichen Dichters, mit seinen Verdiensten um die deutsche Poesie, den Irrthum
seines Todes zur Genüge aufgewogen habe, um der Stätte, an welcher seine Gebeine
begraben, eine öffentliche Ehre zu verdienen.
Ich sprach diese Ansicht vor etwa fünf Jahren, in einem aus Berlin
datirten Artikel der allgemeinen Zeitung aus, der unter anderen auch in die Berliner
Zeitungen überging, und kam einige Jahre später wirklich dazu, das Grab aufzusuchen.
Ich fuhr durch den hügeligen Föhren- und Birkenwald, Glienike
vorüber, nach dem Thale des Stimming und wurde von dem Förster des Grundbesitzers, des
Schiffbauinspektors Bönisch in Berlin an Ort und Stelle geführt. Der Förster erzählte
mir, daß sein Herr vor einigen Jahren einen Zeitungsartikel über das Grab gelesen und
ihm darauf befohlen habe, es in Ordnung zu bringen und zu halten, mit Rasen zu belegen, zu
umzäunen, Bäume daneben anzupflanzen, und alle Fremden, die es sehen wollten,
hinzuführen. Die Dürre des vorletzten Sommers habe seine Sorgfalt zwar noch halb
vereitelt; die Erfolge dieses Sommers scheinen aber desto segensreicher zu sein, und
würden nicht wenig durch die Tochter des Wirths zum Stimming unterstützt, welche die
Gräber in ihre besondere Obhut genommen habe, mit Blumen bepflanze und begieße. Seit
jenem Zeitungsartikel, fügte er hinzu, kommen überhaupt viele, zumal junge Leute, aus
Berlin zu dem Dichtergrabe, um es zu besuchen und zu bekränzen.
Wir erreichten die einsame versteckte Stelle, an
welcher <81:> das Gräberpaar dicht am Rande des hohen, sandigen, mit alten
Föhren, Immortellen und Pilzen bewachsenen Ufers der Wansee liegt, von wannen man links
über die kleine Wansee bis Stolpe, rechts, über die große, bis zu den zwei Meilen
entfernten Thürmen von Spandau sieht. Unten an dem blauen herrlichen Wasser stehen
Birken, Weiden und Erlen, und führt ein gebahnter Spaziergang an dem Ufer hin. Eine
verfallene Ziegelei steht dabei und für einen dort wohnenden Zimmermann waren Bretter
aufgeschichtet.
Ich fand die beiden Gräber kunstlos von Kiefernästen umzäunt, grün
bewachsen und zwischen innen eine junge kräftige Eiche stehen. Ich besuchte nach den
Gräbern die Tochter des Wirths, Emilie Holzmann, ein junges schönes Mädchen, das mir,
wie über ein begangenes Unrecht erröthend, ihre Gutthat an dem edlen Todten eingestand,
und dankte ihr im Namen aller Freunde Kleists, dessen Grab ich ihrer ferneren Obhut
anempfahl. Da ihr noch nichts von den Werken des hier ruhenden Todten bekannt war, sandte
ich ihr ein Exemplar derselben zu, das seinen Namen und Geist, wie ich gehört habe, in
der nächsten Umgebung seiner Ruhestätte seitdem schon geehrter gemacht hat.
Dies ist Alles, was ich von Heinrich von Kleists Leben zu sagen hatte.
Brief 1]
An Christian Ernst Martini, Potsdam, 18./19. 3. 1799
Briefe 9] An Wilhelmine v. Zenge, Berlin,
9. 4. 1801
Brief 1] An Christian Ernst Martini, Potsdam,
18./19. 3. 1799
sechsten Briefe] An
Wilhelmine v. Zenge, Berlin, 31. 1. 1801
Briefe 2. und 3.] An Wilhelmine v. Zenge,
Würzburg, 16. 9. 1800 [= Teil des Briefes aus Würzburg,
13./18. 9. 1800]; an dies., Würzburg, 10./11. 10. 1800
Brief 4] An Wilhelmine v. Zenge, Berlin,
13. 11. 1800
Briefe 7] An
Wilhelmine v. Zenge, Berlin, 22. 3. 1801
Briefe 9] An Wilhelmine v. Zenge,
Berlin, 9. 4. 1801
Briefe 11. bis 15.] An Wilhelmine v. Zenge,
Dresden, 4. 5. 1801; an dies., Leipzig, 21. 5. 1801; an dies.,
Göttingen, 3. 6. 1801; an Karoline v. Schlieben, Paris,
18. 7. 1801; an Wilhelmine v. Zenge, Paris, 21. 7. 1801
Briefe 16] An Wilhelmine v. Zenge, Paris,
15. 8. 1801
Brief 17] An Luise v. Zenge, Paris,
16. 8. 1801
Brief 18] An Wilhelmine v. Zenge, Paris,
10. 10. 1801
Briefe [...] 19] An Wilhelmine v. Zenge, Paris,
27. 10. 1801
1804] recte 1803
1804] recte 1803
Brief 19]
Brief 20?? An Rühle v. Lilienstern, Königsberg, Anfang Dezember 1805
Verwandte]
Marie v. Kleist
11. August]
? Bülow, S. 246, datiert den Brief auf: Berlin, 15. August 1811
Emendationen
Locarno] Lovarno D
3.] 4. D
oder] odr D
cassée.] cassée D
C.] F. D
Geschäft] Gechäft D
mitzutheilen] mitzutheile D
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