BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


B

Arno Barnert in Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei – Theater – Zensur. Quellen zu Heinrich von Kleists „Berliner Abendblättern“, in: BKB 11 (1997), 29-353; darin: 352f.

Ernst Friedrich Peguilhen an Karl August v. Hardenberg, Berlin, 3. 12. 1811

<19r>
Hoch- und Wohlgeborener Freiherr
Hochgebiethender, höchstzuverehrender Herr Staatskanzler,
Von glaubwürdiger Hand erfahre ich, daß des Königs Majestaet und vielleicht auch Ew. Excellenz meine in den Zeitungen eingerückte Bekantmachung wegen des Ablebens der Madame Vogel und des Herrn v Kleist ungnädig bemerkt, und besonders einen dem Geschäftsmanne nicht anstehenden Grad von Excentricitaet darin gefunden haben. Das Urtheil meines Königes und Ew. Excellenz darff mir nicht gleichgültig sein, selbst wenn ich die egoistische Rücksicht: daß ich von Höchstdenenselben noch meine künftige Bestimmung erwarte, ganz bei der Seite setze. Es ist wahrlich kein leichtes Vergehen, meinem über alles geliebten und verehrten, ohnedies schon tief gebeugten Könige auch nur einen Augenblick des Mißvergnügens verursacht zu haben. Ich erkenne meine ganze Strafbarkeit, und wenn es möglich wäre, würde ich die unglückliche im ersten Schmerz auf dringende Bitte des Rendanten Vogel geschriebene Ankündigung mit der grössesten Aufopferung zurückkaufen.
Ich habe wirklich den Fehler, durch außerordentliche Hand-
lungen

prs:4 Dec:11
No 84.M.


ad acta
Hbg

<19v>
lungen enthousiasmiert zu werden, welche von einer seltenen Kraft des Willens zeigen, weil ohne diese nichts Großes denkbar ist. Eine solche Kraft – wenngleich übel gerichtet, war bei der That unverkennbar, und ich leugne nicht, daß meine Absicht war, sie – nicht zu rechtfertigen, aber – zu entschuldigen. Aber zugleich wollte ich darauf aufmerksam machen, daß der Mann dem Vaterlande gehört, und daß es einen weit schöneren Tod giebt, als den Kleistischen; und dieses war meine Hauptidee. Ich wollte das Ereigniß für das Vaterland benutzen, und wahrlich nicht Selbstmord predigen, sondern die schnöde Furcht vor dem Tode, eine Krankheit des Zeitalters, bekämpfen; eine Paralele mit dem ruhmwürdigeren Tode des Ewald v Kleist bei Kunersdorf aufstellen usw.
Außer dem Eindruck welchen der Vorfall auf mich als nächsten Zeugen machen mußte, und der schon an sich so erschütternd war, daß man wohl über den Menschen, den Staatsdiener vergeßen konte, kam meine eigene durch eine schon 5, Jahre dauernde
unge <353:>

<20r>
ungewiße Lage, und mehr noch durch die Lage des Vaterlandes zur Trostlosigkeit sich hinneigende Gemüthsstimmung dazu. Der Unglückliche ist viel reitzbarer als der Glückliche.
Von Natur bin ich warlich nicht zur Schwärmerei geneigt. Ich glaube, dieses durch meine Dienstarbeiten mehr als 20 Jahre hindurch bewiesen zu haben. Meine jetzige Hauptbeschäftigung sind die trokkensten RechnungsArbeiten, wo jede Excentricitaet sehr bald zu meinem Nachtheil zu Tage kommen würde.
Sonst bin ich nur in einem Punkte Enthousiast: in der Liebe zu meinem Könige, zu meinem Vaterland und zu allen denen welche an Erhaltung und Befestigung seiner Existenz arbeiten; und das scheint mir verzeihlich. Auch bei meiner Annonce lag dieses Gefühl zum Grunde, wie die Schrift selbst, welche nun nicht erscheinen kann, näher dargethan haben würde. Nur in dieser Hinsicht darff ich es wagen, Ew Excellenz unterthänigst zu bitten, nicht nur selbst die unüberlegte Ankündigung zu vergeßen, son-
dern

<20v>
dern auch des Königs Majestaet zu einer gnädigen Stimmung für mich zu disponiren.
Ich selbst werde mich nicht eher beruhigen, als bis ich diesen Flekken durch einen ausgezeichneten Dienst, dem Vaterlande geleistet, getilgt habe, wozu ich auch den gefahrvollsten Anlaß mit Freuden benutzen werde.
In tiefster Verehrung nenne ich mich
Ew Excellenz
unterthänigster Diener
Peguilhen
Berlin 3 Decembr 1811.

H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 77, Tit. 1, Nr. 1, Bl. 19-20

[ B ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 28-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]