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 Arno Barnert in
        Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei 
        Theater  Zensur. Quellen zu Heinrich von Kleists Berliner
        Abendblättern, in: BKB 11 (1997), 29-353; darin: 270-272 
         
        Erster Bericht des Polizeiinspektors Kayser zum Theatertumult, Berlin,
        27. 11. 1810  
         
         <48r> 
        Abschrift  
        Die Vorstellung der Operette: Die Schweizerfamilie, sollte gestern im Schauspielhause
        wiederholt werden. Schon bei dem ersten Erscheinen dieses Stücks auf der Bühne hatten
        sich, gegen daßelbe selbst nicht sowohl, als gegen die Sängerin Demoiselle Herbst,
        der eine Hauptrolle darin zugetheilt war, mehrere Individuen im  Publicum
        laut geäußert. Sie wurden damals überstimmt und es entstanden zwischen einem von ihnen,
        dem Schüler des Berlinischem Gymnasiums von Thümen und einem Polizeÿ-Officianten
        bei dieser Gelegenheit  Differenzien.  
        Beides hatte wahrscheinlich die Partei noch mehr aufgeregt; es waren von derselben
        Unruhestiftungen förmlich verabredet, von dem wahrscheinlichen Eintreten derselben Einem
        hohen Policeÿ-Praesidio und dem Gouvernement Anzeige gemacht.  
        Ersteres konnte wenig Vorkehrungen treffen, da es gleichzeitig bekannt und durch den
        Erfolg bestätiget wurde, daß hauptsächlich Militairpersonen, über welche
        seine Einwirkung sich nicht miterstreckt thätig seÿn würden. Doch waren der
        Unterzeichnete und der   
        Policeÿ-Commissarius Eberhardt zum eigentlichen Dienste mit 2 Sergeanten,
        außerdem zu ihrer Unterstützung bei Ausmittelung der Unruhestifter die    
        Policeÿ Commissarien Rexrodt, Niesner, Engel, Splittgerber, und   Schroeder,
        letztere in bürgerlicher Kleidung ins Schauspiel beordert.  
         Beim Eintritte in dasselbe
        bemerkte man sogleich die Herren Officiere, theils in den Logen, vorzüglich aber
        in der Mitte des Parketts ungewöhnlich zahlreich versammelt. Alles verhielt sich jedoch
        vor dem Aufziehen des Vorhanges und selbst die erste Scene des Stücks über vollkommen
        ruhig. Beim ersten Auftreten der Demoiselle Herbst aber wurde durch die
        Herren  Officiere, fast ohne Ausnahme und in Verbindung mit nur
        wenigen  Civilisten so heftig gepocht und gepfiffen, daß es dem übrigen
        ungleich zahlreicheren Publicum, das die ungestörte Fortsetzung des Stücks zu
        wünschen  
           durch 
         
         <48v> 
        durch Applaudissement äußerte, schwer wurde, nur auf Augenblicke solche ausführbar zu
        machen.  
        Sie wurde, der immer sich erneuernden Unruhe ungeachtet, mit seltener Standhaftigkeit
        Seitens der Schauspieler anhaltend versucht, zuletzt mußte der Vorhang fallen und die
        Fortsetzung des angefangenen Stücks ganz unter- <271:> 
        bleiben.  
        Es wurden in die Stille deßelben zwei andere, die Geschwister und Schatzgräber,
        aufgeführt, während deren Darstellung keine weiteren Unruhen vorfielen.  
        Während des Lärmes bemühten sich zwar, um die Beilegung deßelben, die vom Hochlöbl. Gouvernement
        ausdrücklich dazu beorderten Herrn Majors von Booth und von Gontard,
        sowie die, in doppelter Stärke gegen die gewöhnliche commandirte Mannschaft der
        Bürgergarde. Ihre Anstrengungen blieben aber ohne allen Erfolg. Die Policeÿ-Officianten
        waren ganz unvermögend etwas in der Sache zu thun, da, wie schon erwähnt, in sehr
        überwiegender Anzahl völlig niformirte Militair Personen die Hauptrollen
        spielten, auch dem Unterzeichneten und dem PoliceÿCommissarius Eberhardt
        vor dem mit anwesenden Herrn Commandanten, dem sie die Nothwendigkeit anderweiter
        Maasregeln vorzustellen wagten und ihn dabeÿ auf zwei sich besonders auszeichnende Herren
        Officiers in der FremdenLoge aufmerksam machten, eröffnet wurde:  
         Da die Unruhe ganz allgemein
        seÿe, lasse sich nichts dagegen thun; man müsse einzelne namentlich anzeigen.  
        Letzteres ist insofern schwierig, als die wenigsten der anwesenden Herrn Officiere
        zu den hier garnisonirenden Regimentern gehört, größtentheils waren es solche,
        die von fremden Regimentern, um Vorlesungen zu hören, hier anwesend sind, und inactive
        oder auf halbes Gehalt gesetzte. Wenige von diesen sind allgemeiner bekannt. Nur zu
        nachstehenden specielleren Angaben sehe ich mich daher im Stande:  
        1., in der Fremdenloge wurde vorzüglich stark, namentlich von drei Officieren,
        elche in der vorderen Reihe saßen und dem Herrn Grafen von Herzberg gepocht und
        gepfiffen. Gesehen und gehört hat solches namentlich der Unterzeichnete, die Herrn Commissarien
        Engel, Eberhardt, 
           Splitt- 
         
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        Splittgerber, der Sergeant Lucas, Herr Meissner, Assistent bei
        der TheaterCasse, der Logenschließer Henkel. Auch der Herr Commandant
        hat den ausgezeichneten Lärm, als ich auf dem Logengange mit ihm zu sprechen die Ehre
        hatte, gehört. Herr Director Iffland bezeugt ihn gleichfalls mit dem Zusatze,
        daß durch das übermäßig heftige Pochen der Kalk von der Decke seiner Loge
        herabgefallen seÿ.  
        Anscheinend waren nur 6 Personen in der Loge: Hwgeb. Graf von Herzberg hat noch
        nach 5 Uhr 5 Billets auf dieselbe gekauft und sich außerdem einige Plätze   
        reservirt. Er muß seine Gesellschaft namentlich angeben können.  
        2., der Herr Rittmeister von Werder der ältere hat ausgezeichnet stark gepocht.
        Ihn hat der Herr PoliceÿCommissarius Engel, welcher sich auf das Zeugniß des
        Herrn Majors von Booth beruft, nahmhaft gemacht. Letzterer hat ihn zur Ruhe
        ermahnt und die Antwort erhalten:  
         er könne ihn jederzeit in
        Anspruch nehmen; er wolle den sehen, der ihn in Aeußerung seiner Meinung beschränken
        könne.  
        Er hat dabeÿ, den Stock emporhebend hinzugesetzt:  
         und kommt die Polizeÿ, so
        werde ich sie mit diesem abführen.  
        3., Der Herr Rittmeister von Werder der jüngere ist als Unruhestifter von den
        Herrn Commissarien Schroeder, Splittgerber, Rexrodt und Niesner, auch
        dem Wechsler Riess, als wachhabendem Unteroffizier der Bürger Garde,
        dessen Ermahnung zur Ruhe er zurückgewiesen hat.  
        Er hat später, zu seinen Herrn Cameraden geäußert:  
         Kommt morgen auf die Parade;
        alle die gepocht haben, wollen wir dort unsere Nahmen aufschreiben.  
        4. Herr  Reissert, Calculator beim FinanzDepartement ist
        vom <272:> Herr Engel  
        mit einem Regenschirm anhaltend und heftig klopfend bemerkt.  
        5., der Student Prinz von Carolath Schönaich hat nach Angabe des CassenAssistent
        Fleissner;  
        6., Herr Neuhauss, Lieutenant des GardeJägerBataillon, nach
        eben deßelben und des Herrn Engel Aussage, heftig gepocht, auch kurz vor Anfang
        der Unruhe geäußert:  
           nun  
         
         <49v> 
        nun macht nur, daß jeder auf seinen Posten kommt. Er, sowie der Herr von Werder
        waren im dichtesten Haufen und müssen auf Befragen den größten Theil der übrigen Herrn
        nahmhaft machen können.  
         Auf die sonst anwesenden
        Zuschauer machte der Vorgang einen sehr unangenehmen Eindruck, laut äußerten ihr
        Mißfallen namentlich der Kürschner Weisse, auf dem Schloßplatze, der Wechsler Simonssohn
        an der Ekke der Friedrichs und FranzösischenStrasse wohnhaft, der Kaufmann Beÿrich
        Brüderstrasse No 40, der ehemalige PolizeÿCommissarius Würst.
        Vielleicht können alle diese noch mehr Theilnehmer an der Unruhe nahmhaft machen. Der
        wachhabende Officier der BürgerGarde Kaufmann Dietrich, will
        mehrere kennen und d. HE. Commendanten angezeigt haben, verweigerte mir aber
        weitere Mittheilung darüber.  
        Herr Inspector Jacobi will das Resultat seiner Beobachtungen besonders
        anzeigen.  
         Berlin den 27tn
        Novbr 1810  
         Kaÿser.  
         
        H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 77, Tit. 420, Nr. 2, Bd. 1, Bl. 48-49
        (Abschrift erhalten auf Bl. 61-64 in dieser Akte) 
         
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