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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Franz Binder (Hrsg.), Joseph von Görres, Gesammelte Briefe. 3 Bde. (München: In Commission der literarisch-artistischen Anstalt 1874), Bd. 3, 280-288

Clemens Brentano an Joseph v. Görres, Koblenz, Anfang 1827

– – Ich las neulich den ersten Band von Consistorialrath Menzels Geschichte der Deutschen seit der Reformation. Dieses Buch ist mit einer so ungemeinen Parteilosigkeit und von ober herab neutral geschrieben, daß es mit wenigen Läuterungen von Mutterpech ein katholisches Buch zu nennen wäre. Es verdiente sehr eine Rezension, die herausstellte, in wie fern ächte historische Kunst immer der Wahrheit dienen muß. Ich weiß zwar, daß Parteilosigkeit immer katholisch wird, aber ob dieser Geist geschlechtlos, Eunuch oder Zwitter ist, weiß ich noch nicht, in jedem Falle ist seine Gesinnung coelebs, um nicht mit fremden Göttern zu huren. In diesem Buche nun sind viele ungestümme von Innen herausgetriebene Schriften Luthers angeführt, in denen ich eine Aehnlichkeit des sich nicht erwehren Könnens mit Jemand fand, den ich nicht gleich finden konnte, bis Du mir erschienst: da wurde ich sehr froh, daß Du für die Kirche kämpfest. Gott gebe nur, daß Dir Ruhe und Schutz zum Besten wird. <281:>
Was Du uns von Deiner Correspondenz schreibst, erscheint Dir ähnlicher, als ich wenigstens es gewünscht; ich hätte Dir, wäre ich bei Dir gewesen, einigen Brückenbau vorgeschlagen, und weniger Naivität. Jedoch Gott wird Dir helfen und Dich alles lehren, wenn Du dich ganz für den König der Könige hingiebst.
Wir haben vielerlei in Strasburg gesprochen, ich habe viel herrliches seither von Dir gelesen, aber nur zwei Worte sind mir allein geblieben, wie einem von den reichsten Mahlzeiten im letzten Begriff nur Brod und Wein und von allem Gebet nur das Vaterunser bleibt; nemlich einmal auf dem Wall fiel Dir die ächte Perle von dem Mund: „Die armen guten Leute in der Eifel haben viel für mich gebetet“ – und bei der Apolone sagtest Du: „Das ist das Ernsteste, was ich gesehen habe.“ In diesen beiden Worten liegt mir Dein ganzes Gesetz und Deine Propheten groß und klein. Die immer mangelhafte Ausführung solcher inneren Begebnisse in übrigen Aeußerungen vergessen sich leicht, wie sich ganze Perioden von Individuen unter dem Namen einer Person verlieren, der auch allein ihre gesammelte Kraft ist. Was bleibt als Resultat aller Geschichte? nichts als zur linken, zur rechten, Schafe, Böcke, zu Gott, zum Satan. So blieben mir diese beiden Worte von Dir als Zeugnisse, daß Du mehr als durch eigenen Verstand billig, daß Du auch durch Gott untergeordneten Verstand demüthig und gläubig seiest, ach, eine unaussprechliche Gnade! –
So eben kömmt Diez zu mir und sagt, ich möchte Dir doch schreiben, wenn Du an den König schriebst, so möchtest <282:> Du doch denken, daß Du nicht an Dich selbst schriebst, Du möchtest doch bedenken, daß die Leute, welche Deine ausführlichen Bücher nicht verstanden, noch viel weniger Deine Briefe verstehen würden. Sie könnten sich nun einmal nicht in Dein Selbstgefühl hinein setzen, es habe ja jeder Mensch unter seinen nächsten Freunden oft welche, die seinem innersten Grund, wenn er zu Tage trete, sich nicht anschließen könnten, und Geduld und Marter sei ja bei allem Einigwerden, die Verzahnung und der Leim. So möchtest Du auch schreiben, die heftige Anregung der Zeit habe Dich ohne allen als den besten Willen undeutlich gemacht, Du seist unverstanden geblieben und unschädlich, es betrübe Dich wenn Du beleidiget, Du habest es nicht gewollt, und wo es geschehen, bätest Du um Vergebung und Deine Entlassung in Gnaden. (Denn alles Recht ist am Ende doch Gnade Gottes, es komme durch welche Mittelglieder es wolle!) u. s. w. Freunde, Vorsprecher, eigentlich aus der alten begeisterten Zeit hast Du wohl keine mehr; die sich Deines Trompetenklangs und Fahnenschwungs damals erfreuten und hinterherliefen, weil ihnen dieses die Empfindung gab, selbst ein größeres Stück Wegs zurückgelegt zu haben, sind nie ans Ziel gekommen: nach Paris und wieder heim war ihre grand tour. Da aber alle eigentliche Reise nur nach dem himmlischen Jerusalem geht und dieses keine Heerstraße ist, so scheinst Du ihnen nothwendig verkommen, denn sie selbst haben die Mahlzeit nicht verstanden und nur wenigen ist es vergönnt, bis ans Ende des Mahls nüchtern und weise zu bleiben. Die Klasse, die Du jetzt labest und begeisterst, steht noch nicht am Lichte, aber im Norden und mannigfach in höheren Kreisen stehen einzelne, welche stark werden dadurch. Es ist unbeschreiblich viel werth, wenn das Tiefere auf der Kirchenseite ausge- <283:> sprochen wird von den Besten; Viele werden in der jetzigen Versuchung durch Autorität erst treu. Welche Freude machen Deine Arbeiten allein schon dem lieben Vater Sailer, dem Du ganz aus der Seele schreibst!
Dein Aufsatz über Schwedenborg freute mich sehr und ich wünsche ihn auch, wenn er vollendet ist, einzeln abgedruckt als ein Ganzes, damit er die Sekte zu Lesern kriegt, die wohl nicht an den Katholiken kömmt. Der Troß der Leser capirt ihn nicht, z. B. Hr. Professor Aßmann, denen gefällt die Gattung besser, welche dicht vor Deinem Aufsatz vorherging und deren seichtes Unrecht Du mit Deiner Abhandlung gut gemacht. Einigemal konnte ich im abstract wissenschaftlichen Theil nicht recht nach, aber im Ganzen und Meisten verstand ich Dich, weil es theilweis meine Ansicht ist. Die Idee des Ganzen ist doch: Schwedenborg schaut, das ist wahr, was er aber schaut ist nicht ganz wahr, weil er eine falsche Basis hat, die einseitig ist, und aus der ihm zwar eine totale, aber eben darum nicht wahre Vision kömmt. – Der Katholik hat sich sehr verändert, des alten Geklatsches und Gezänks kommt wenig mehr vor; das bedauert die theologische Bierbank, weil sie nicht mehr Pairs sind. Carové ist ganz leidlich heimgegeigt. Die Herren Paulus und Consorten ignoriren den Katholiken ganz und Dich vor Allen, es läßt sich keiner hören.
Das Katholisiren des Staatsraths und Studiendirektors Beckedorf in Berlin hat dort Viele geärgert und nothwendig Viele stutzig gemacht; ich kannte ihn ehemals sehr gut: ein durchaus klarer, besonnener, unterrichteter Mann aus der großen Gesellschaft, keine Art Phantast. Er ist aus dem Kreis Adam Müllers, von Schütz, des Heinrich Kleist u. s. w., <284:> ein Mecklenburger. Er war mit dem Grafen Voß auf der Universität, wurde nachher Hausfreund, lebte mit dem Mecklenburger Adel auf den Gütern, erhielt die Kenntniß landständischer Interessen, zog mit Voß nach Berlin, las meisterhaft vor, schrieb alle Jahre einen Akt eines Trauerspiels, das nicht fertig wurde; wurde Hofmeister des jetzigen Kurprinz von Hessen, dann eines Prinzen von Anhalt-Bernburg; dann als besonnener und anständiger Antidemagog wurde er Studiendirektor in Berlin, gab eine in den Staatsblättern allen Provinzen empfohlene Schulzeitschrift heraus, deren erstes Heft Settegast sehr erfreute, und siehe da, auf einmal liest man in der Zeitung, er sei katholisch geworden, habe seine Stelle niedergelegt und sei in österreichische Dienste getreten; dieses stand in der Allgemeinen und französischen Blättern. Es scheint aber bis jetzt eine Mystification, um ihn zu schrecken und verdächtig zu machen, denn eine sichere Nachricht sagt: der König will ihm jetzt Urlaub zu einer Reise in eine katholische Provinz geben, wo er von seiner vorgefaßten Meinung beim Anblick von katholischem Aberglauben schon zurückkehren wird zu dem neuen evangelischen Glauben. Sein Weg zur Erkenntniß ist gewiß merkwürdig und auch, daß er öffentlich geworden ist.
Hier, mein Liebster, geht es wie immer, steigende Armuth, Diez das einzige ganz lebendige Hilfsthier in der Stadt von Morgen zur Nacht. Bis jetzt kein Nachwuchs für ihn, Gott erhalte ihn. Die Nonnen sehr gern hier wegen Diez und allgemein selbst von Protestanten verehrt. In der Armenkommission Mohr und Mazza hart, hindernd und böswillig. Am Gymnasium Haß und Hoffahrth der Professoren. – Settegast, ich und Diez haben bei der Frau Typpus im oberen Stübchen, Lassaulx’ Distelfinkenwendeltreppe hinauf, eine kleine Dienstag-Abendgesellschaft gestiftet, <285:> wobei alle Leute, mit denen man noch ein vernünftig katholisch legitim Wort reden kann. Id est der beste von Allen, mit weniger reinlicher Eitelkeit recht wohlgesinnt gewordene Liel, als Conversationslexikon der Stramberg, als Ichneumon gegen dieß kuriose Crocodil der ehrliche pikantische Bachoven, dann Mähler, weiter als noch nicht ganz fallen zu lassen der immer mehr in Philosophie und Unthätigkeit verkommende Hammer, dann ein wohlgesinnter Gymnasiumsprofessor, der von der Theologie desertirt, aber tüchtig ist, um ihn zu kräftigen und im Guten zu stärken. Weiter dann und wann der Friedensrichter Burret, Longard u. s. w. Wir sind gewöhnlich zu 6-8 recht heiter; allerlei Gutes und Dummes, aber nichts Böses und Plattes kömmt vor. Herr Regierungsrath Lang und Consorten nennen es die apostolische Junta.
Unsere Typpusgesellschaft entstand durch gemeinsames Halten von Ecksteins Katholik, dem Straßburger, dem Staatsmann und dem Leipziger katholischen Literatur- und Kirchenkorrespondenten. Wer Eckstein liest, ist von ihm hingerissen. Man kann das allgemeine Bessere deutscher Ansicht nicht anständiger, graziöser und in bequemerem Maaße servirt lesen, es ist gar angenehm einen Deutschen französisch zu verstehen. Der Mann verschüttet nicht, die Untertasse ist rein und das Kleid nicht betropft. Er macht uns viele Freude, ich wünschte, er würde übersetzt; Lieber hat Lust, es wäre eine sehr nützliche Lektüre für die gebildeten und höheren Stände. Nur müßte der Titel verändert werden, um nicht den Eingang zu hindern, und in manchem eine Wahl getroffen werden; es wäre ein Mittel, unsre jungen Theologen in manchem unschädlich zu belehren, was sie in Deutschland selten oder mit Gefahr erhalten.
Hölscher hier druckte Fenelons Leben von Ramsay. <286:> Bossuet ist so garstig in dem Handel, daß ich mich gedrungen fühlte, in einer Vorrede ein Mäntelchen zu machen, worin Jedem was genommen, und der Kirche allein die Ehre gegeben wird; auch habe ich das Ganze durch allerlei Notizen im Anhang entschrofft. Herr Kerz steckt dieser Vorrede eine furchtbare Rauchkerze und macht mich zum größten Genie und Kenner des Hofs; der närrische Kerl meinte, ich wäre Sailer. – Diepenbrock giebt jetzt die Werke des Heinrich Suso, des lieblichsten deutschen Asketen heraus, er wird Dich vielleicht um eine Vorrede bitten. Er hat nach Manuscripten gearbeitet; sieh doch einmal nach, ob in Straßburg nichts auf der Bibliothek von ihm ist, und wenn Dir der Mann lieb würde, ob Du ihn nicht skizziren könntest, wie Deinen trefflichen Franz von Assisi. Es wäre diese Arbeit, die keinen Umfang bedarf, später als Rezension im Katholiken zu gebrauchen und ist zugleich ein Klang durch Baiern, da D. vom König als Sailers Sekretär angestellt, dort sehr geachtet und geliebt ist. – Dein Franz von Assisi scheint gut gewirkt zu haben: der eine der beiden vor Jahren in Bonn katholisch gewordenen Brüder Goßler hat ihn voriges Jahr hier gelesen, er war in Hamm in juristischer Carriere und ist vor 6 Wochen in das Franziskanerkloster zu Rittberg im Paderbörnischen gegangen, wo fromme alte Mönche sind; die Leute haben sich lange erstaunt, bis sie zur Freude über ihn gekommen, er erbaut sie alle. Der westphälische Anzeiger nennt ihn einen Seelenmörder. In Berlin ärgert man sich und ist ganz stutzig, er ist der Erste nach der Erlaubniß, die sie haben wieder aufzunehmen. –
Gestern Abend sprach ich mit Liel, er erzählt mir immer, was er von Stein weiß, dessen Geschäftsmann er ist; er war im Spätjahr lang auf dem Kappenberg bei ihm. Merkwürdig war mir, daß er von selbst anfing mir zu <287:> sagen, was ich gern hörte; merkwürdig, weil seit einigen Wochen ich in allerlei Dingen und Correspondenzen solches Entgegenkommen erlebt habe. Liel sagte: Stein hat mir geschrieben, er gehe im Februar nach Berlin; ich glaube es wäre gut, wenn ihm nahe gelegt würde, etwas für Görres zu thun, denn nach Allem, was ich im vertraulichen Gespräch bei ihm gemerkt habe, genießt er wieder großes persönliches Vertrauen bei dem Köng, und bleibt nur durch die große Furcht, welche alle die anderen unbedeutenderen Leute vor ihm haben, und durch seinen persönlichen Widerwill gegen sie und seinen Charakter sich nicht aufzudringen, scheinbar im Hintergrund. Er habe vor, dort viele Wahrheiten zu sagen, wenn er sich bis dahin nicht todt geärgert u. s. w. Ueber Dich habe er nicht anders als mit Liebe und Achtung gesprochen. – Also bitten wir Dich, gleich an Stein zu schreiben und den Brief an Diez zu senden, wo er sogleich befördert werden wird. Mögest Du Dich mäßigen, indem Du ihm schreibst, so daß er nicht mit sich selbst in Verlegenheit kömmt, denn der brave Mann hat ja selbst allerlei Segel beilegen müssen. … Gott lenke Alles!
Eine interessante Erfahrung ist mir gewesen, daß Voß, während er Stolberg anfiel, noch im Genuß einer Stolbergischen Fundation, ich meine eines Wittwengehalts für die Frau war. Diese hat nach Vossens Tode von Mißverständnissen und Vossens edlem Herzen an die Familie geschrieben und gefragt, ob man das Stipendium einziehen wolle. Es ist aber geantwortet: keineswegs, was die Liebe gethan, hebe sie nicht auf. Voß soll große Wohlthaten in früherer Zeit von Stolberg empfangen haben. Das konnte der guten Seele wohl ein bitteres Tränkchen machen. Jedoch ist dieses sub rosa, es wäre übel, so es misbraucht <288:> würde. Du hast also nicht zu viel in der meisterhaftesten Schrift über seine Leichenprediger gesagt. Niebuhr in Bonn hat sich ganz zu Vossens Partei geschlagen, er nennt ihn den letzten Helden der deutschen gelehrten Gesinnung, den Vertheidiger der Wahrheit u. s. w. – –
Ich weiß nichts mehr und will dem treuen Diez die letzte Seite lassen. Gruß an Deine liebe Frau, an Marie und besonders an den liebsten Guido. Lebe wohl, Gott helfe und fördre Dir und Dich. Meine Ehrerbietung an Herrn Liebermann und Mühe, und Herrn Antoni Mayer, den ehrlichen lieben Mann. Dein treuer C. B.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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