Franz Binder
(Hrsg.), Joseph von Görres, Gesammelte
Briefe. 3 Bde. (München: In Commission der
literarisch-artistischen Anstalt 1874), Bd. 2, 414-416
Achim v. Arnim an Joseph v. Görres, Wiepersdorf,
4. 6. 1814
- Haus [Schloß]
Wiepersdorf, 4. Juni 1814.
- Lieber
Görres! Ich habe bei meinem Schulmeister Schreibstunde
genommen, ehe ich es unternehme Dir zu schreiben. Du mußt
gewaltig große Rosinen mit neuen Verfassungen überzogen
in der Tasche tragen, daß Dir mein Geschreibe auf einmal
unleserlich geworden ist. Laß es bleiben, sie werden Dich
brauchen, so lange es ihnen nützlich und bequem ist, nachher
kommst Du doch weder zu großer Wirksamkeit noch Reichthum.
Es thut mir wahrlich leid, daß Du Dich von den Büchern
zu den Menschen gewendet, Du kannst froh sein, wenn Du
mit verlorner Zeit davon kommst. Zu einer ansehnlichen
Stelle muß man so klebrig sein wie eine Schnecke, um hinauf
zu kommen, und auf der Spitze muß man schlafen können
auf einem Bein, wie ein Vogel. Gruner gehört nicht zu
diesen klebrigen und einbeinigen Menschen, er ist leichtsinnig
und mag gern klug scheinen; <415:> auch soll
jedermann gleich wissen, wer Justus Gruner ist; es sollt
mich verwundern, wenn er sich lange halten könnte. Für
einige Artilleristen, die er aus Oestreich nach Rußland
spedirte, hat er sich und eine Menge Menschen aufs unbesonnenste
compromittirt, während mit Gelde, woran es ihm nicht fehlte,
alles in Prag zu machen war. In unserm Lande haben und
bewahren wir noch durch ihn die ganze Masse verfluchter
neuer französischer Polizeiformen. Er glaubte damit französische
Spione zu atrapiren, das gelang ihm nicht; jetzt werden
Deutsche damit gequält. Uebrigens habe ich nichts gegen
ihn, ich war manchmal mit ihm in der deutschen Gesellschaft
vergnügt. Ich sags Dir blos, weil Du ein zu ehrliches
Zutrauen hast und noch wenig eigentliche Geschäftsmänner
aus unsern Gegenden kennen gelernt hast. Die sind alle
außerordentlich trefflich mit Redensarten ausgestattet,
haben aber selten Ankergrund; am Ende ist der Herr Minister
doch über Gott und den Kaiser. Nach
Hardenbergs Wunsch brachte Gruner den verstorbenen Heinrich
Kleist auf sehr curiose Art um sein Abendblatt, das er
mit recht viel Nutzen in Berlin herausgab. Ich besorge
für Deine Zeitung gleiches Geschick, wenn Du sagst, was
wirklich gesagt werden muß, was trifft und paßt. Dafür
hat das Völkchen der Regierenden eignen Geruch. Ist mir
doch in vier Monaten, daß ich die Zeitung in Berlin herausgab,
nie ein Wort der Art bei der Censur durchgegangen, endlich
wurde mir sogar gestrichen im Abschiede an die Leser,
daß ich die Lust verlöre das Erlaubte zu sagen, weil mir
so viel unerlaubt sei.
Dein
Blatt ist mir übrigens nicht zugekommen, ich habe es auch
nirgends erhalten können. Ich hoffe recht, daß Du in das
Einzelne und Eigenthümliche der Länder wirst eingegangen
sein, denn die öffentlichen Blätter versin- <416:>
ken immer mehr in Allgemeinheiten, weßwegen nirgends der
gute Rath nutzt. Von der Art ist leider auch das Meiste
in Arndts Schriften, den ich übrigens für einen der besten
und treuesten Menschen halte, dessen Bekanntschaft ich
Dir herzlich wünsche. Daran liegts, daß bei dem allgemeinen
Bedürfnisse nach bessern innern Verhältnissen in deutschen
Staaten, doch fast nur immer Rückschritte geschehen.
Was
ich nun mache? Zuweilen möchte mir das Herz in Sehnsucht
nach äußerer Thätigkeit springen; dann kommt wieder allerlei
häusliche Noth und beruhigt mich. Ich erwarte ein drittes
Kind. Uebrigens lernte ich hier manches auf dem Lande
in menschlichen Verhältnissen kennen; mein curios Geschick
hat mich durch mancherlei der Art geführt. Außerdem feire
ich mit meinen Bauern Siegesfeste, Pferderennen, Jungfernrennen;
wir bauen hier ein Weinchen, der euren Bleichern ziemlich
nachbleicht; ich male Zimmer für alle Freunde, die ich
erwarte und die nicht kommen. Auch von Grimms höre ich
seit langer Zeit nichts. Alles lebt noch in meinem Sinne
wie ehmals; die Nachtigallen schlagen mir noch und die
Frösche schreien mir eben im Teiche, als säße ich am Rheine.
Ich grabe viel, und finde ich einen Schatz, so bin ich
bald bei Dir. Lebt wohl, Du und die Deinen. Achim Arnim.
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