(Rudolf
v. Beyer:) Heinrich von Kleist. Ein Fragment nach den Mittheilungen einer
Freundin, in: Der Salon (Wien) 3 (1847), 70-74
Heinrich von Kleist.
Ein Fragment nach den Mittheilungen einer Freundin.
Lord Byron behauptete: um ein Dichter zu
werden, müsse man entweder unglüklich oder verliebt sein, und fügte hinzu: Ich
war beides, als ich meine ersten Gedichte schrieb, die nicht das Schlechteste sind, was
ich geschrieben habe, so bitter sie von den Kritikern getadelt wurden. Heinrich
v. Kleist hat wenigstens den Ausspruch Byrons durch sein Leben nicht
widerlegt, schon seine Kindheit wurde ihm verbittert, da
seine Erzieher die eigenthümliche Organisazion des Knaben zu beachten nicht der Mühe
werth hielten, und ihn für begangene Fehler straften, an denen ihre Art ihn zu behandeln
die meiste Schuld trug. Die Folge war ein scheues Zurükziehen des Knaben in sich selbst
auf der einen, und ein un- <71:> bändiger Trotz auf der andern Seite. Beides unnatürlich,
denn von Natur war Kleist offen, sanft, träumerisch, edel. Den
Wissenschaften und der Poesie mit Leidenschaft ergeben, allen Zwang und alle Pedanterie
verabscheuend, mußte er dem Militärstande sich widmen, dessen Gesunkenheit
in seinem Vaterlande damals sprichwörtlich war, indem namentlich unter den Offizierchören
ein Geist Herrschaft gewonnen hatte, der zu nichts weniger berechtigt war: als auf Achtung
und Vertrauen Anspruch zu machen. Kleist konnte sonach seinen Kameraden nie ein
guter Kamerad sein, und da ihn der Kamaschendienst, auf welchen damals eben so
viel gegeben wurde, in tiefster Seele anekelte, so hatte er sich denn auch bald den Ruf
eines schlechten Soldaten zugezogen, obgleich es gewiß ist, daß er freudig und
gewissenhaft, wie später Körner, im Kampfe für die Freiheit seinem Manne
gestanden und sein Blut dahin gegeben haben würde.
Widerwärtig in allen
äußern Verhältnissen, hatte sich somit schon das Leben des Knaben wie des Jünglings
gestaltet, und mit dem Eintritte in das Mannesalter änderte sich in dieser Hinsicht nicht
nur nichts, sondern neue drükende Sorgen traten ihm entgegen, die Sorgen um das
Allernothwendigste für seinen Unterhalt. Kleist war ein Dichter, und ein Dichter,
von welchem ein anerkannt urtheilsfähiger Mann schrieb: wenn Kleist sich gehörige
Ausbildung erwirbt, wird er Schiller und Goethe übertreffen; aber die Werke
dieses Dichters, obgleich mehrere derselben im Druke erschienen waren, waren noch im Jahre
seines Todes vielen seiner persönlichen Bekannten völlig unbekannt, das größere
Publikum schien kaum zu wissen, daß noch ein Dichter Kleist existire, sondern
dachte, wenn dieser Name genannt wurde, höchstens noch an den Obersten E. v. Kleist,
der im siebenjährigen Kriege gefallen war und auch gedichtet hatte. Es hat viele Dichter
gegeben, die nicht minder arm und auch wohl noch ärmer waren als unser Heinrich;
aber so wenig Anerkennung bei seinen Lebenszeiten, als dieses göttliche Genie,
fand der schlechteste Verseschmied in Berlin nicht, und während die Schmutzromane eines
Julius von Voß in allen Leihbibliotheken in mehreren Exemplaren vorhanden waren,
während seine elenden Possen und sogenannten Volksschauspiele auf der königlichen Bühne
florirten, wurden Kleists Käthchen und sein großartiger
Prinz von Homburg unaufgeführt bei Seite gelegt, und nur Tieck rettete
bekanntlich die letzte herrliche Dichtung vom Flammentode, dem der tiefgekränkte Kleist
sie übergeben wollte. Selbst was mehr zur Unterhaltung des Publikums geeignet war, seine
meisterhaften Novellen: Michael Kohlhans, das Erdbeben zu Chili, die Verschwörung auf
St. Domingo, so wie das schauerlichste Nachtstük, was je geschrieben wurde: das
Bettelweib von Locarno, machten den Dichter so lange er lebte seinen Landsleuten nicht
bekannter, und gehen wir die Geschichte der Literatur durch, so finden wir kein Beispiel
eines ähnlichen tragischen Geschiks irgend eines Dichters, denn wahrlich an das
Fabelhafte grenzt es doch, daß die beste Freundin Kleists in Berlin, nachdem
sie so eben eines seiner von Weber in Musik gesetzten Lieder gesungen hatte, ihn
unbefangen fragte: ob er nicht vielleicht wisse, von wem das hübsche Gedicht
sei? Holtey schrieb ein Drama: Lorbeerbaum und Bettelstab, worin
er genugsamen Jammer auf das Haupt eines armen Teufels zusammenhäuft, der auch Hein- <72:>
rich heißt und auch einen Dichter vorstellen soll, obgleich er im Grunde nichts
ist als ein großer Pinsel doch all dieser erdichtete Jammer ist Kinderei
gegen das, was Kleist der kein Pinsel, wohl aber der größte deutsche
Dichter seit Schiller und Göthe war erduldete.
Auch nicht ein einziger
wahrer Lichtblik des Glükes ist ihm in seinem Leben geworden, und eben jene Dichtung,
welche noch nach Jahrhunderten die Welt entzüken und rühren wird sein
Käthchen ist die Frucht des tiefsten Seelenschmerzes, der bittersten
Täuschung, und recht eigentlich mit seinem besten Herzblut geschrieben. Kleist war
kein Jüngling mehr, als er seine erste tiefe Neigung zu einem jungen Mädchen faßte,
welches diese Neigung erwiderte, das heißt nach ihrer Art, oder vielmehr nach Art aller
guten, wohlerzogenen Mädchen, die sich einen Mann wünschen, und welche es dankbar
erkennen, wenn einer kommt, der es ehrlich mit ihnen meint; daß dieses bei Kleist
der Fall sei, sah seine Geliebte sogleich, und sie wünschte gewiß nichts sehnlicher, als
daß recht bald der Tag erscheinen möge, wo Kleist sie zum Altare führen könne;
aber leider hatte Kleist noch keine sichere Anstellung, und an eine ordentliche
Versorgung muß doch ein vernünftiges Mädchen denken, wo von Heirath die Rede ist. Wie Kleist
einem so erzprosaischen Geschöpfe gegenüber so lange sich selbst täuschen konnte, indem
er glaubte in ihm das Ideal gefunden zu haben, nach dem sein Herz so lange und vergeblich
sich gesehnt das läßt sich allerdings nur dadurch erklären, daß Kleist
eigentlich die Welt nie sah, wie sie wirklich war. Genug, er liebte, und zwar mit der
ganzen ungemessenen Kraft und Leidenschaft, deren er fähig war, und daß seine Geliebte
durch diese gewaltige Liebe eines Menschen, wie Kleist, nicht erschrekt und
beängstigt wurde, beweiset am besten, wie wenig sie ihn verstand und eigentlich liebte. Kleist
aber sollte das bald erfahren er mußte nach Berlin, wo er für seine
Dichtungen wirken wollte, daß sie auf der königlichen Bühne aufgeführt würden; auch
hatten einige Berliner-Freunde ihm Hoffnung gemacht, daß ihm eine seinen Kenntnissen und
Fähigkeiten angemessene Anstellung im Staatsdienste nicht entgehen dürfte, wenn er
deshalb nur die rechten Wege einschlüge. Kleist war entschlossen die Reise
anzutreten, stellte aber vorher an seine Geliebte eine Forderung, deren Erfüllung ihn als
der höchste Beweis ihres Vertrauens und ihrer Liebe gelten sollte. Aber seine Geliebte
bebte vor dieser Forderung zurük. Kleist bat, beschwor, weinte,
drohte ein entschiedenes Nein war die Antwort seiner Geliebten, und außer
sich, rief Kleist endlich: Du hast es ausgesprochen! wir sind
geschieden. Vielleicht ja höchst wahrscheinlich, werden die meisten
meiner schönen Leserinnen den armen Kleist unbarmherzig verdammen, daß er von
seiner Geliebten verlangte, wovor diese zurükbeben mußte, denn sie werden glauben, es
sei etwas gewesen was kein sittliches Mädchen einem Manne gewähren darf, bevor nicht der
Segen der Kirche ihren Bund geheiligt. Aber das zu fordern lag nicht in Kleists
Natur, der bei aller freier Ansicht nicht im Stande gewesen wäre, selbst den Zauber zu
zerstören, der für ihn in dem Gedanken lag: ein unentweihtes Mädchen als Weib
heimzuführen. Kleist hatte von seiner Geliebten verlangt, daß ihre Korrespondenz
vor jedem Dritten, also auch vor den Eltern seiner Geliebten, geheim betrieben werden
sollte. Was er seiner Geliebten schrieb, <73:> sollte nur für sie allein
geschrieben sein, was sie ihm schrieb, sollte nicht erst die Zensur der Mama passiren. Geistige,
unbedingte Hingebung ihres ganzen Wesens verlangte er von ihr, und darauf wollte das
wohlerzogene Mädchen nicht eingehen. Der Bruch zwischen Beiden war also erklärt, und
wahrscheinlich reichte das Mädchen später einem Manne ihre Hand, der nicht so
exzentrische Forderungen an sie gestellt hatte, als der melancholische Poet.
Doch dieser vermochte sich so leicht nicht zufrieden zu geben: Schmerz, Zorn und Scham,
daß er sich selber so lange Zeit über den Gegenstand seiner Liebe getäuscht, nahmen ihn
arg mit. Um ihre Weigerung zu rechtfertigen, hatte seine Geliebte ihm viel von Tugend,
Sitte und kindlicher Pflicht, von Schiklichkeit und Rüksichten, welche ein junges
Mädchen in der Welt zu nehmen habe, vordeklamirt. Kleist, aufs
äußerste darüber erbittert, beschloß ihr das Bild eines Mädchen entgegen zu stellen,
das Alles dem Manne ihrer Liebe opfert und dabei doch engelrein bleibt; in fast
fieberhafter Aufregung ging er ans Werk, und in wenigen Wochen lag das Käthchen von
Heilbronn vollendet da. Wie traurig es dem armen Kleist auch mit
diesem Stüke erging, wie das deutsche Publikum es erst nach des Dichters Tode durch
Fr. v. Holbeins Bearbeitung für die Bühne kennen lernte, darüber
hat Bülow sich in seinem Lebensabriß Kleists zu Genüge
ausgesprochen; nicht unerwähnt darf aber hier bleiben, wie herzlos
das gebildete Berlin sich gegen den genialen unglüklichen Dichter bewies, wie die
kleinlichsten Kabalen angewendet wurden, um selbst den Versuch, seine Dramen auf die
Bühne zu bringen, zu hintertreiben, wie seine Zerstreutheit, seine Art zu reden und sich
zu tragen, ausgebeutet wurden, ihn lächerlich zu machen, ihn als einen halb Wahnsinnigen
darzustellen, oder gar wie man sich mühte, die schändlichsten Lügen über ihn und eine
unglükliche Frau, die endlich allein noch Theil an seinen Leiden nahm, zu
verbreiten. Von frühester Jugend an hatte Kleist sich mit dem Gedanken
vertraut gemacht, dereinst freiwillig zu enden doch nicht als Feigling, der
das Leben nicht mehr zu ertragen vermag, und höchst wahrscheinlich würde er
auch inmitten des Glüks endlich seinen Entschluß ausgeführt haben; doch bleibt es
gewiß, daß eben damals ein äußerer Anstoß dazu gehörte, ihn in den Tod zu treiben,
und immerhin kann man behaupten: Kleist sei eigentlich an den Berlinern von 1811
gestorben. Mit ihm zugleich starb seine letzte Freundin, die durch eine Lüge
ihn veranlaßt hatte, mit ihr in den Tod zu gehen. Der verfallene Grabhügel
der beiden Unglüklichen befindet sich auf einer Anhöhe bei Potsdam, unfern dem
sogenannten Jägerhofe, in dessen Garten er erst seiner Freundin eine Kugel durch das
Herz, sodann sich selbst eine durch den Kopf schoß.
Kleists
Persönlichkeit, obgleich in ihr etwas düsteres und beängstigendes lag, soll doch,
besonders für Frauen, höchst anziehend gewesen sein. Für gewöhnlich sprach er wenig
und in gedrängter Kürze, doch regte ihn ein Gegenstand dergestalt an, daß er das
Bedürfniß fühlte, sich darüber auszusprechen, so riß seine Rede alle Zuhörer mit
sich fort oft geschah es aber daß er mitten im Redestrom plötzlich abbrach,
vor sich hinstarrte, als erblike er irgend etwas vor sich, und dann in dumpfes Hinbrüten
versank, wo dann nichts mehr aus ihm heraus zu bringen war. <74:>
Die
Unterdrüker seines Vaterlandes haßte er glühend aber die Mehrzahl seiner
damaligen Landsleute verachtete er und hielt damit nicht hinter Bergen. Daß, wo von
seinem Vaterlande die Rede war, er nichts anderes als das gesammte Deutschland im Sinne
hatte, bewies die Antwort, die er dem damaligen, allmächtigen Minister gab, in dessen
Händen seine Zukunft lag. Sind Sie ein Schlesier? fragte dieser.
Ich bin ein Deutscher entgegnete Kleist mit scharfer Betonung.
Und das deutsche Vaterland
erkennt ihn jetzt als einen seiner genialsten größten Söhne, wie es deren so viele
zählt, die gleich dem armen Kleist erst sterben mußten, bevor sie die verdiente
Anerkennung fanden.
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